Verwaltungsrecht

Anforderungen an einer qualifizierte ärztliche Bescheinigung

Aktenzeichen  M 19 K 17.35935

Datum:
2.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35308
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3c Nr. 3, § 3e Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Eine Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten ist eine “ärztliche Bescheinigung” im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. (Rn. 34)
In Pakistan ist eine medizinische Behandlung grds. möglich und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt, allerdings gilt dies nicht in gleicher Weise hinsichtlich der Behandlung psychischer Erkrankungen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2017 wird in den Nummern 4 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Der Kläger hat zwar keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Er hat allerdings einen Anspruch darauf, zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Infolgedessen erweisen sich auch die Nummern 5 und 6 des Bescheids als rechtswidrig.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht nicht.
Ein solcher Anspruch setzt eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1, 2 AsylG voraus, die an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG anknüpft und von einem Akteur i.S.v. § 3c AsylG ausgeht. Weiter muss es an einem effektiven Schutz vor Verfolgung im Herkunftsstaat fehlen (§§ 3d, 3e AsylG) und es dürfen keine Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG vorliegen.
Der Kläger erfüllt die dort genannten Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in Pakistan Verfolgung droht.
Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine “qualifizierende” Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 21).
Die vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe, die er im Rahmen der mündlichen Verhandlungen am 3. September 2019 und am 30. September 2019 ergänzt hat, rechtfertigen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der klägerische Sachvortrag knüpft bereits nicht an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Die genannten Nachstellungen erfolgten nicht “wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe”. Der Kläger mag von der Familie des Mädchens, insbesondere deren Ehemann, in Pakistan verfolgt worden sein. Doch diese Nachstellungen erfolgen wegen eines (vermeintlich) unsittlichen und ungebührlichen Verhaltens des Klägers, nicht spezifisch wegen einer der im Gesetz genannten Merkmale.
Auch fehlt es insoweit an einem maßgeblichen Akteur. Die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure rechtfertigt die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nur, wenn die staatlichen Strukturen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3c Nr. 3 AsylG). Vorliegend ist schon zweifelhaft, ob eine im Einzelfall möglicherweise fehlende Schutzbereitschaft des Staates Ausdruck einer grundsätzlichen Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des pakistanischen Staates gegenüber Bedrohungslagen, wie sie der Kläger geschildert hat, ist. Kein Staat ist in der Lage, lückenlosen Schutz vor kriminellen Übergriffen Dritter zu bieten. Dem Kläger wäre zuzumuten gewesen, sich wegen der Bedrohungen an die örtliche Polizei zu wenden und ferner ist zu erwarten, dass er durch diese staatlichen Stellen auch Schutz erhält.
Selbst wenn eines der in §§ 3, 3b AsylG genannten flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmale zu bejahen wäre und Verfolgungshandlungen von einem maßgeblichen Akteur ausgingen, muss sich der Kläger jedenfalls auf internen Schutz nach § 3e AsylG verweisen lassen. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat. Außerdem muss nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Ausländer sicher und legal in diesen Landesteil reisen können, er muss dort aufgenommen werden und es muss vernünftigerweise erwartet werden können, dass er sich dort niederlässt (vgl. zu den Anforderungen VG Göttingen, U.v. 7.2.2017 – 2 A 304/15 – juris Rn. 28).
Es ist nicht erkennbar, dass es dem Kläger nicht möglich sein sollte, sich andernorts, insbesondere in einer pakistanischen Großstadt niederzulassen und dort unbehelligt von seinen Verfolgern aus seinem Heimatort zu leben. Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger in Pakistan landesweite Verfolgung droht. Dass der Kläger bis in die Türkei oder sogar nach Griechenland verfolgt worden ist, ist nicht plausibel dargelegt. Die diesbezüglichen Äußerungen des Klägers haben ausschließlich spekulativen Charakter.
Es ist auch nicht so, dass etwa angesichts verbreiteter Korruption jedweder Bürger Pakistans von interessierten Kreisen allerorten gefunden werden könnte. Nach der aktuellen Erkenntnislage (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand August 2018, S. 19) ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e AsylVfG finden kann. Es können potentiell Verfolgte in den Großstädten R., L., P. oder M. aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Land leben; selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche über 800.000 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendes Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig v. 15.1.2014).
Auch kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in diesem Landesteil niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 a. E. AsylG). Die möglicherweise für ihn bestehende schwierige wirtschaftliche Situation in einer pakistanischen Großstadt steht der Zumutbarkeit nicht entgegen. Zwar ist die wirtschaftliche Situation in Pakistan als schwierig, gleichwohl als relativ stabil einzustufen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als erwachsener und arbeitsfähiger Mann in anderen Landesteilen sein Existenzminimum sicherstellen können wird. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis (vgl. zum Ganzen auch: VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn. 51 ff.; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris Rn. 23; U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris Rn. 31 jeweils unter Bezugnahme auf die Auskunft des Bundesasylamts der Republik Österreich vom Juni 2013, Pakistan 2013, S. 76).
2. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes sind ebenfalls nicht gegeben. Der Kläger hat keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihm in seinem Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) droht. In Pakistan liegt unter Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel auch kein bewaffneter Konflikt vor, der zu einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben des Klägers führen könnte (vgl. allgemein VG München, U. v. 6.4.2018 – M 23 K 16.34252; VG München, U.v. 6.11.2015 – M 23 K 14.30636 – juris Rn. 46 f.; VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn. 56 ff., VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris Rn. 29). Es steht jedenfalls auch hier die Möglichkeit internen Schutzes entgegen (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
3. Der Kläger hat allerdings einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Es liegen jedenfalls die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor; da insoweit ein einheitlicher Streitgegenstand gegeben ist, kann offen bleiben, ob (auch) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (ständige Rechtsprechung vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, wobei der Standard des deutschen Gesundheitssystems nicht gefordert werden kann (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Ob eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt, bedarf der Darlegung durch den jeweiligen Kläger (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO; vgl. dazu BVerwG, B.v. 26. Juli 2012 – 10 B 21.12; U.v. 11. September 2007 – 10 C 8.07, jeweils juris). Dabei entspricht es gefestigter Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 28.9. 2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2 ff.; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 19 ff., BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 4), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind. Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
An den Erlebnissen des Klägers hat das Gericht keine Zweifel. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts glaubhaft seine Erfahrungen schildern, insbesondere auch die Tötung seiner Freundin und die Übermittlung eines entsprechend Fotos, auf dem die zerstückelte Leiche abgebildet war, auch wenn das Foto selbst nicht mehr vorgezeigt werden konnte. Verstärkt wird die Glaubhaftigkeit des Vortrags und die Glaubwürdigkeit des Klägers auch durch seine lang anhaltende ärztliche und psychologische Betreuung (72 Einzelsitzungen seit Dezember 2017), die bei einer aus asylstrategischen Gründen zurechtgelegten Erzählung vom Kläger nicht so konsequent und nachhaltig befolgt und aktiv gestaltet würde. Hierdurch dokumentiert der Kläger seinen Leidensdruck, der sein geschildertes Erleben plausibel macht.
Aus der von der Klägerseite vorgelegten Stellungnahmen vom 2. September 2019 und vom 3. September 2018 ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger an einer Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS; ICD-10: F43.1) und einer mittelgradigen Depressiven Episode leidet (ICD-10: F32.1).
Bei der Stellungnahme vom 2. September 2019, die von dem behandelnden Psychologischen Psychotherapeuten stammt, handelt es sich um eine “ärztliche Bescheinigung” im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Zwar ist ein Psychologischer Psychotherapeut kein Arzt im Sinne von § 2 Abs. 1 Bundesärzteordnung. Die gesetzliche Wendung “ärztliche Bescheinigung” ist jedoch erweiternd auszulegen (anders VG Regensburg B.v. 5.9.2018 – 7 K 16.32563 – juris Rn. 24 f.; VG München, B.v. 18.10.2017 – M 21 S 17.33668 – juris Rn. 29). Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Gesetzesbegründung bestehenden Problemen mit unqualifizierten Bescheinigungen entgegentreten und deshalb “eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben validieren” (BT-Drs. 18/7538, S. 19). Dass er aber eine Berufsgruppe, die nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) “mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren (.) zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert” beitragen soll, in solchen gerichtlichen Verfahren ausschließen wollte, in denen gerade das Vorliegen und die Schwere einer (psychischen) Erkrankungen rechtlich zu beurteilen sind, lässt sich der Begründung nicht entnehmen. Auch aus dem Telos der Norm ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb gerade die für psychische Erkrankungen kraft ihrer Ausbildung qualifizierten und ebenfalls approbierten Psychologischen Psychotherapeuten (vgl. § 2 PsychThG) von Gesetzes wegen davon ausgeschlossen sein sollen, zu einer informierten richterlichen Überzeugungsbildung beizutragen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber insoweit ein umfassendes Verwertungsverbot statuiert hat. Dies hätte er in der Gesetzesbegründung schon deshalb darlegen müssen, um naheliegenden Einwänden mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG vorzugreifen. Zwar betont der Gesetzgeber, dass es sich um eine “Bescheinigung eines approbierten Arztes” (BT-Drs. 18/7538, S. 19) handeln müsse; diese Formulierung ist aber im Kontext der Qualitätssicherung zu verstehen, die das maßgebliche Anliegen des Gesetzgebers ist, und nicht in bewusster Ausgrenzung von gerade durch Gesetz und Approbationsregeln zur Feststellung und Heilung von Krankheiten berufener Berufsgruppen. Zweck der Regelung ist es allein, sicherzustellen, dass Gerichte sich nicht intensiv mit Bewertungen von Berufsgruppen mit allenfalls entferntem Gesundheitsbezug auseinandersetzen müssen (etwa mit einer “Psychologische Stellungnahme” einer Heilpraktikerin und Doktorin der Philosophie – Beispiel nach Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, 12. Aufl. 2018, § 60a AufenthG Rn. 45). Entsprechend ist eine Einbeziehung von (qualifizierten) Bescheinigungen von Psychologischen Psychotherapeuten zulässig. Dies gilt erst recht, wenn auch durch eine (im strengen Sinne) ärztliche Bescheinigung, wie hier durch die vorliegende Stellungnahme vom 3. September 2018, die grundsätzliche Erkrankung des Klägers bestätigt wird. Es kann dann jedenfalls zur Vertiefung und Ergänzung dieser ärztlichen Bescheinigung der Bericht des Psychologischen Psychotherapeuten herangezogen werden. Dies gilt auch, wenn die ärztliche Bescheinigung für sich genommen nicht in jeder Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen nach § 60a Abs. 2c AufenthG genügen sollte. Denn auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass, da die erforderlichen Inhalte der qualifizierten ärztlichen Bescheinigung als Soll-Regelung ausgestaltet sind, “ein Attest im Einzelfall auch bei Fehlen eines Merkmals noch qualifiziert sein” kann (BT-Drs. 18/7538, S. 19).
Vor diesem Hintergrund können jedenfalls beide Stellungnahmen zusammen der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Sie stellen nachvollziehbar die Beschwerden des Klägers, die erhobenen Befunde sowie die bisherige Behandlung dar und tragen die Entscheidung, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen. Insbesondere die ausführliche und erkennbar individuelle Stellungnahme vom 2. September 2019 trägt zur Überzeugung des Gerichts von der erheblichen Erkrankung des Klägers bei. Sie schildert detailliert die Symptome des Klägers und lässt erkennen, dass dissoziative, mit Suizidgedanken verbundene Zustände bestanden haben.
Die Methodik wird ausreichend durch die die erwähnten Diagnoseverfahren, insbesondere das Harvard Trauma Questionnaire (HTQ) und das Beck-Depressions-Inventar, jeweils psychologisches Testverfahren zur Erfassung traumatischer Lebensereignisse und zur Erfassung der Schwere depressiver Symptomatik im klinischen Bereich, verdeutlicht. Die Beschreibung des Krankheitsbildes des Klägers, insbesondere der Flashbacks, lassen eine erhebliche Erkrankung des Klägers nachvollziehbar erscheinen. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kläger nach wie vor wöchentlich bei seinem Therapeuten vorstellig wird.
Insgesamt ist erkennbar, dass der Kläger ohne ein stabiles Umfeld mit Tagestruktur -regelmäßige Betreuungs- und Beratungsgespräche, Teilnahme am Deutschunterricht – und ohne Umgang mit mit seiner Traumatisierung vertrauten Personen nicht langfristig handlungsfähig bleibt, sondern mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass er zu realitätsgerechtem Handeln nicht langfristig in der Lage sein wird, sein derzeit hohes Funktionsniveau nicht aufrechterhalten kann und infolgedessen Suizidgefahr besteht.
Das Gericht hat daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer psychiatrischen Behandlung und Medikation bedarf.
Eine solche ist jedenfalls für den Kläger in seinem derzeitigen Gesundheitszustand und Behandlungsbedarf in Pakistan nicht zu erreichen. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht zwar davon aus, dass in Pakistan eine medizinische Behandlung grundsätzlich möglich und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht, Stand August 2018, S. 24 f.), allerdings gilt dies jedenfalls nicht in gleicher Weise hinsichtlich der Behandlung psychischer Erkrankungen (vgl. hierzu ausführlich VG Ansbach, U.v. 27.2.2014 – AN 11 K 13.31170 – juris Rn. 43 ff; VG München, U.v. 12.5.2016 – M 23 K 14.31059 – juris Rn. 36, jeweils m.w.N.).
Jedenfalls der Kläger bedarf in einem Umfang der psychischen und medizinischen Betreuung, der durch das pakistanische Gesundheitssystem im vorliegenden Einzelfall nicht gewährleistet werden kann. Die für die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit des Klägers und seines Funktionsniveaus notwendige Behandlung und Unterstützung wird der Kläger in Pakistan nicht erfahren. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr auf nachhaltige Unterstützung seiner Familie hoffen könnte. Es besteht nach den glaubhaften Schilderungen des Klägers seit nunmehr eineinhalb Jahren kein Kontakt mehr zur Familie.
Insgesamt erscheint es aufgrund der vorliegenden Stellungnahme und des Eindrucks des Gerichts vom Kläger als äußerst wahrscheinlich, dass sich der gesundheitliche Zustand des Klägers im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland mangels ausreichender Möglichkeit der Inanspruchnahme einer umfangreichen psychologischen und psychiatrischen Behandlung deutlich verschlechtern würde und schlussendlich auch sein Leben in Gefahr gerät. Vom Kläger ist nicht zu erwarten, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan in ausreichendem Maße wird sichern können; hierfür ist er insgesamt zu labil.
Damit liegt ein Abschiebungshindernis vor, dass zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt. Wegen des einheitlichen Streitgegenstandes ist insoweit Nr. 4 des Bescheids der Beklagten insgesamt aufzuheben.
4. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sind infolgedessen ebenfalls aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris Rn.9; vgl. a. Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 1. Auflage 2017, Rn. 744). Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben