Verwaltungsrecht

Anordnung zum Austausch von Kunststofffenstern in denkmalgeschütztem Ensemble

Aktenzeichen  1 ZB 19.1540

Datum:
8.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 129
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDSchG Art. 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1
BayBO Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

1. Kunststofffenster sind mit dem denkmalrechtlichen Grundsatz der Materialgerechtigkeit nicht vereinbar und können sich auf den Gesamteindruck eines erhaltungswürdigen Ensembles auswirken. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der denkmalrechtliche Ensembleschutz will das überlieferte Erscheinungsbild bewahren und dieses in seiner Anschaulichkeit erhalten. Da der Erhalt der bestehenden Gestalt im Vordergrund steht, kommt es für die Frage der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes nicht darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit potenzielle Betrachter ihren Blick auf bestimmte Bauelemente (hier: Fenster) richten. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Rechtswidrige Zustände, die sich bei einer Vielzahl von Grundstücken ergeben, müssen nicht in jedem Fall flächendeckend bekämpft werden, vielmehr darf sich die Bauaufsichtsbehörde auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, wenn sie hierfür sachliche Gründe hat. Es kann sachlich gerechtfertigt sein, zunächst gegen neu errichtete Schwarzbauten vorzugehen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 17.1445 2019-06-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem er verpflichtet wurde, die in ein Gebäude eingebauten Kunststofffenster zu entfernen und durch Holzfenster zu ersetzen. Das mehrgeschossige Gebäude befindet sich im Stadtkern von A* … und ist Bestandteil eines denkmalgeschützten Ensembles. Die auf Aufhebung des Bescheids gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juni 2019 abgewiesen. Der Einbau der Kunststofffenster sei denkmalschutzrechtlich erlaubnispflichtig, aber nicht erlaubnisfähig, da diese aufgrund des deutlich zu Tage tretenden Kunststoffcharakters das Erscheinungsbild des Ensembles beeinträchtigten und einen Fremdkörper in der Fassade darstellten. Das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden, da die Auswechslung der Fenster zumutbar sei. Eine gleichheitswidrige Ermessensausübung liege nicht vor.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Das angefochtene Urteil geht zutreffend davon aus, dass die Anordnung zum Ausbau der Fenster auf Grundlage von Art. 15 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG i.V.m. Art. 76 Satz 1 BayBO erfolgen konnte, da es für den Einbau der Kunststofffenster einer Erlaubnis gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG bedarf, die gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG nicht erteilt werden kann. Es stellt zu Recht darauf ab, dass die Kunststofffenster mit dem Grundsatz der Materialgerechtigkeit nicht vereinbar sind und sich hier auf den Gesamteindruck des erhaltungswürdigen Ensembles auswirken (vgl. zum Widerspruch von Kunststofffenstern zum Grundsatz der Materialgerechtigkeit: BayVGH, B.v. 29.2.2016 – 9 ZB 15.1146 – juris Rn. 6 ff.; U.v. 9.8.1996 – 2 B 94.3022 – BayVBl 1997, 633). Soweit der Kläger geltend macht, eine Erlaubnispflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG bestehe nicht, da der Einbau der Kunststofffenster nicht zu einer Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Ensembles führe, stellt er seine Einschätzung der Beurteilung des Verwaltungsgerichts unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags gegenüber, ohne sich mit den tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils auseinanderzusetzen.
Der Kläger macht insbesondere geltend, das streitgegenständliche Anwesen befinde sich in einem Randbereich des Ensembles und könne deshalb das maßgebliche „Ensemble …platz“ nicht negativ beeinträchtigen. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht auf Grundlage eines Augenscheins zu dem Ergebnis gekommen, dass sich das Anwesen am Eingang des Ensembles befinde und wegen seiner Lage an einer Hauptroute durch das Ensemble für dieses wie eine Visitenkarte wirke. Das Zulassungsvorbringen zeigt nicht auf, weshalb die im angefochtenen Urteil angenommene Bedeutung des Anwesens für das Ensemble unzutreffend sein sollte.
Soweit der Kläger weiter vorträgt, dass die Blicke von Besuchern lediglich auf das Ladenlokal im Erdgeschoss gezogen würden, bei welchem die ursprünglichen Holz-Schaufenster belassen wurden, übersieht er, dass der denkmalrechtliche Ensembleschutz das überlieferte Erscheinungsbild bewahren und dieses in seiner Anschaulichkeit erhalten will (vgl. BayVGH, U.v. 3.1.2008 – 2 BV 07.760 – BayVBl 2008, 477). Da der Erhalt der bestehenden Gestalt im Vordergrund steht, kommt es für die Frage der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes nicht darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit potenzielle Betrachter ihren Blick auf die neuen Fenster richten. Zudem hat das Verwaltungsgericht auf Grundlage seines Augenscheins nachvollziehbar ausgeführt, dass die Kunststofffenster durchaus von den Besuchern des Ensembles gesehen werden, da sie sich auf der nordwestlichen Seite des Anwesens im Erdgeschoss auf Augenhöhe befinden und wegen des Gefälles der Straße „…“ auch im ersten und zweiten Obergeschoss in das Sichtfeld treten.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, der Beklagte habe sein Ermessen im Rahmen der Beseitigungsanordnung ordnungsgemäß ausgeübt. Der Kläger hält das Vorgehen des Beklagten für willkürlich, da bei zahlreichen Gebäuden in der Umgebung Kunststofffenster ohne Genehmigung eingebaut und keine behördlichen Maßnahmen ergriffen worden seien. Eine dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG widersprechende Ermessensausübung kommt in Betracht, wenn eine Behörde ihr Ermessen ohne erkennbaren Grund unterschiedlich, systemwidrig oder planlos ausübt (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.1998 – 4 B 99.98 – BauR 1999, 734; BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – BayVBl 2019, 23). Rechtswidrige Zustände, die sich bei einer Vielzahl von Grundstücken ergeben, müssen indes nicht in jedem Fall flächendeckend bekämpft werden, vielmehr darf sich die Bauaufsichtsbehörde auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, wenn sie hierfür sachliche Gründe hat (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.1998 a.a.O; B.v. 19.2.1992 – 7 B 106.91 – NVwZ-RR 1992, 360; BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – NVwZ-RR 2015, 607). Ausgehend von diesen Vorgaben hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Ankündigung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, er werde die festgestellten Bezugsfälle aufgreifen, ein Sanierungskonzept darstelle. Nachdem der Vertreter des Landratsamtes in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, die festgestellten Fälle würden überprüft und im Fall der fehlenden Genehmigungsfähigkeit ebenso aufgegriffen, ist eine Ungleichbehandlung und eine willkürliche Ausübung des Beseitigungsermessens nicht erkennbar. Es kommt dabei nicht darauf an, ob es sich bei den festgestellten Bezugsfällen um „Altfälle“ handelt, da das vom Beklagten angekündigte bauaufsichtliche Einschreiten nicht davon abhängig gemacht wurde. Soweit das Verwaltungsgericht auf die Differenzierungsmöglichkeit zwischen Altfällen und neueren Fällen im Rahmen der Behandlung baurechtswidriger Zustände verweist, steht dies in Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. Es kann sachlich gerechtfertigt sein, zunächst gegen neu errichtete Schwarzbauten vorzugehen (vgl. BayVGH, U.v. 9.11.2017 – 2 B 17.1742 – juris Rn. 26; B.v. 7.6.2017 – 9 ZB 15.255 – juris Rn. 5).
Der Kläger macht weiter geltend, dass die Anordnung zum Einbau von Holzfenstern unverhältnismäßig, insbesondere finanziell unzumutbar sei. Er legt indes nicht dar, weshalb die Annahme des Verwaltungsgerichts falsch sein sollte, dass die Mehrkosten für den Einbau von Holzfenstern die vom Verwaltungsgericht als Orientierungspunkt für die Verhältnismäßigkeit angesehenen Jahresmieteinnahmen nicht übersteigen. Der Kläger hat zu einer übermäßigen Kostenbelastung weder im Verwaltungs- und Klageverfahren noch im Zulassungsverfahren konkrete Angaben gemacht, obwohl nur er selbst Auskünfte über das Verhältnis der Kosten zum Mietertrag erteilen kann.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe in mehrfacher Hinsicht keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen getroffen und macht damit eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend.
Die Rüge mangelnder Sachaufklärung erfordert nach ständiger Rechtsprechung die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz zu beurteilen, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.2016 – 9 BN 3.16 – NVwZ-RR 2017, 1037; B.v. 28.12.2011 – 9 B 53.11 – NVwZ 2012, 512).
Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben ist ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nicht darin zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht nicht ermittelt hat, ob bei weiteren Gebäuden Kunststofffenster eingebaut sind, deren Beseitigung nicht gefordert wird. Zum einen versäumt es der Kläger im Rahmen seiner Rüge konkrete Fälle zu benennen, in denen er eine gleichheitswidrige Ermessensausübung annimmt. Er beschränkt sich auf den Gasthof „… …“, der nach der Urteilsbegründung schon deshalb nicht als Bezugsfall geeignet ist, da er sich außerhalb des Ensembles befindet. Zum anderen war nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts keine weitere Aufklärung zu den im Augenscheinstermin festgestellten Kunststofffenstern erforderlich, da der Beklagte ein hinreichendes Sanierungskonzept verfolgt.
Auch eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts zur weiteren Aufklärung der mit dem Einbau der Holzfenster verbundenen Kosten und der Mieteinnahmen bestand entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Insofern hat es der Kläger schon versäumt, auf eine entsprechende Beweiserhebung hinzuwirken. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6 m.w.N.). Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht einmal vorgetragen, dass der Kostenaufwand für den Einbau von Holzfenstern unzumutbar sei.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag. Einwände gegen die Höhe des Streitwerts wurden im Zulassungsverfahren nicht erhoben.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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