Verwaltungsrecht

Antrag auf Wiederaufgreifen des Baugenehmigungsverfahrens und grobes Verschulden bei Unterlassung der Benennung von Beweismitteln

Aktenzeichen  1 ZB 16.532

Datum:
29.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11343
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 26 Abs. 2 S. 2, Art. 51 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2
BGB § 242

 

Leitsatz

Ein den Antrag auf Wiederaufgreifen eines Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG ausschließendes grobes Verschulden ist anzunehmen, wenn einem Betroffenen das Bestehen eines Wiederaufnahmegrundes bekannt war oder sich den ganzen ihm bekannten Umständen zufolge aufdrängen musste und er es unter Verletzung seiner Mitwirkungspflicht nach Art. 26 Abs. 2 S. 1 BayVwVfG und der einem ordentlichen Verfahrensbeteiligten zumutbaren Sorgfaltspflicht unterließ, sich weiter um die Sache zu kümmern, indem er zB auf vorhandene oder beschaffbare Beweismittel hinwies. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 15.47 2016-01-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Darlegungen des Klägers sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu wecken (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten zur Wiederaufnahme des Baugenehmigungsverfahrens für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit zwei Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung G … zu Recht abgelehnt, da dem Kläger ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht zusteht bzw. aufgrund des mit dem Landratsamt im Jahr 2006 geschlossenen Vergleichsvertrags ausgeschlossen ist. Den Hilfsantrag des Klägers auf Entschädigung nach Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG hat das Verwaltungsgericht zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil der Kläger keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat.
1.1 Ernstliche Zweifel ergeben sich nicht aus dem vorgelegten Schreiben des früheren Bevollmächtigten des Klägers (nachfolgend „Bevollmächtigter“) vom 26. Februar 2014. In diesem Schreiben, das auf ein früheres Schreiben des Bevollmächtigten vom 7. Dezember 2004 Bezug nimmt und in dem der wesentliche Inhalt eines Gesprächs, das der Bevollmächtigte anlässlich des Baugenehmigungsverfahrens mit dem Kläger und dem Landrat am 12. Mai 2000 geführt hatte, wiedergegeben wurde, führt der Bevollmächtigte wie folgt aus: „Ergänzend dazu bestätige ich, dass das Schreiben Ihrer Tochter G … D … vom 5. Mai 2000, mit dem der Bauherrenwechsel erklärt wurde, dennoch in einer Ausfertigung dem Landrat überlassen worden ist.“. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob dieses Schreiben unter dem Gesichtspunkt eines neuen Beweismittels nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG oder – wie vom Kläger im Zulassungsschreiben vom 14. März 2016 ausgeführt – unter dem Gesichtspunkt eines Restitutionsgrunds nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 580 Nr. 7b ZPO zu prüfen ist. Zu den in Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG genannten Beweismitteln gehören auch Urkunden (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1982 – 8 C 75.80 – BayVBl 1983, 24). Gleichermaßen kann dahinstehen, ob bei Annahme des Wiederaufnahmegrunds des neuen Beweismittels mit der „Neuheit“ die Forderung verknüpft werden kann, dass das schon vorhandene Beweismittel „ohne Verschulden des Betroffenen“ nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnte (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1982 a.a.O.; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 120 m.w.N.) bzw. bei Annahme des Wiederaufnahmegrunds nach § 580 Nr. 7a ZPO in entsprechender Weise in dem Schreiben des Bevollmächtigten eine Urkunde im Sinn dieser Vorschrift zu sehen ist (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 580 Rn. 18 – ablehnend zur Frage, ob eine Privaturkunde, mit der durch die schriftliche Erklärung eines Zeugen der Beweis für die Richtigkeit der in der Erklärung bekundeten Tatsachen geführt werden soll).
Denn jedenfalls ist ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG immer dann ausgeschlossen, wenn dem Betroffenen grobes Verschulden zur Last gelegt werden kann. Grobes Verschulden ist anzunehmen, wenn einem Betroffenen das Bestehen eines Wiederaufnahmegrundes bekannt war oder sich den ganzen ihm bekannten Umständen zufolge aufdrängen musste und er es unter Verletzung seiner Mitwirkungspflicht nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG und der einem ordentlichen Verfahrensbeteiligten zumutbaren Sorgfaltspflicht unterließ, sich weiter um die Sache zu kümmern, indem er beispielsweise die Behörden oder das Gericht auf vorhandene oder beschaffbare Beweismittel hinwies (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 127). So liegt der Fall hier.
Der Auffassung des Klägers, er habe erst nach Erhalt des (ergänzten) Schreibens des Bevollmächtigten die Übergabe des Schreibens seiner Tochter bei der Vorsprache im Landratsamt am 12. Mai 2000 beweisen können, kann nicht gefolgt werden. Unabhängig davon, dass der Kläger im Widerspruchsschreiben vom 5. Juni 2000 selbst ausführt, die Erklärung (Anmerkung: seiner Tochter) vom 5. Mai 2000 sei dem Landratsamt am 17. Mai 2000 zugänglich gemacht worden (s. Verwaltungsakte Bd. I, S. 205, 214) und die ergänzende Äußerung des Bevollmächtigten keine Aussage darüber trifft, ob das Schreiben der Tochter des Klägers sowohl von ihr als auch dem Kläger unterzeichnet war, erschließt sich dem Senat nicht, warum die vermeintliche Übergabe des Schreibens nicht bereits im ursprünglichen Verfahren, jedenfalls aber spätestens bei der Verlesung des Schreibens des Bevollmächtigten vom 7. Dezember 2004 im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgerichtshof am 10. Dezember 2004, durch Benennung des Bevollmächtigten (und ggf. des Landrats) als Zeugen hätte geltend gemacht werden können, zumal sowohl der Kläger als auch sein Bevollmächtigte ausweislich der vorliegenden Unterlagen anwesend waren. Der Kläger handelt nach Auffassung des Senats insoweit schuldhaft im Sinn des Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG. Sein Vortrag dient eher dazu, seinen eigenen Prozessvortrag nachträglich zu berichtigen. Ein etwaiges Verschulden seines Bevollmächtigten ist dem Kläger zuzurechnen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 130).
Soweit der Kläger behauptet, er hätte aufgrund seiner zutreffenden Rechtsmeinung im ursprünglichen Verfahren, der Bauherrenwechsel sei entsprechend den Abtretungsvorschriften des bürgerlichen Rechts (BGB) aufgrund der Aussage seiner Tochter im Landratsamt am 16. Mai 2000 bereits vollzogen gewesen, keinen Anlass gehabt, die Übergabe des Schriftstücks am 12. Mai 2000 in das Verfahren einzubringen, vermag er damit nicht zu überzeugen. Denn die – abweichende – Rechtsmeinung der Gegenseite, dass zur Änderung der Bauherreneigenschaft die Anzeige des Bauherrenwechsels durch beide Beteiligte bei der Behörde nötig sei, war dem Kläger jedenfalls spätestens im Berufungsverfahren, in dessen Rahmen der Erörterungstermin am 10. Dezember 2004 stattgefunden hatte, hinreichend bekannt. Dies hätte der Kläger im Rahmen einer ordentlichen Prozessführung zum Anlass nehmen müssen, die Übergabe des schriftlich bekundeten Bauherrenwechsels vom 5. Mai 2000 in das Verfahren einzubringen, zumal auch sein Bevollmächtigter bei dem Gespräch anwesend war.
Auch die Ausführungen des Klägers, das „Eingeständnis“ der Mitarbeiterin im Landratsamt Z …, die bei einem Gespräch am 14. August 2014 auf den von ihm geäußerten Vorwurf, der Landrat habe die Unterlagen (Anmerkung: das Schreiben seiner Tochter vom 5. Mai 2000) nicht an das Bauamt weitergegeben, geäußert, woher er denn wisse, dass der Landrat den Bauherrenwechsel nicht weitergegeben habe, können ungeachtet der Frage einer ausreichenden Darlegung keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils wecken. Wie vorstehend ausgeführt, wäre auch die Benennung der Mitarbeiterin als mögliche Zeugin dem Kläger ohne Weiteres in dem früheren Verfahren möglich gewesen.
1.2 Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Baugenehmigungsverfahrens auch zu Recht im Hinblick auf den im Jahr 2006 mit dem Landratsamt geschlossenen (Schlussstrich) Vergleichsvertrag ausgeschlossen. Der Kläger, der mit Abschluss des Vergleichs erhebliche Gegenleistungen, u.a. die Duldung von nicht genehmigten Nutzungen verschiedener Hütten auf seinem Grundstück erhielt, nahm im Gegenzug seine zu diesem Zeitpunkt anhängigen Klagen zurück. Nach dem auch im Verwaltungsrecht entsprechend § 242 BGB geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2004 – 4 B 17.04 – juris Rn. 4), der auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) umfasst (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2009 – 2 ZB 08.2389 – juris Rn. 11), kann sich der Kläger vorliegend nicht darauf berufen, er hätte mit der im Vergleich getroffenen Verpflichtung zur Rücknahme der Klagen nicht auf sein Recht aus der Baugenehmigung verzichtet, weil dieser Verzicht nicht in den Vergleich aufgenommen und deshalb nicht Regelungsgegenstand des Vertrages geworden sei. Der Umstand, dass sich nach Abschluss der Vergleichsverhandlungen ein ausdrücklicher Verzicht auf die Rechte aus der Baugenehmigung vom 28. März 2000 nicht in der von allen Parteien unterzeichneten Fassung findet, ist nicht entscheidungserheblich, da die Baugenehmigung mit Bescheid vom 29. Mai 2000 als erledigt erklärt bzw. zurückgenommen worden war und der Kläger sich im Vergleich ausdrücklich dazu verpflichtete, seine Klagen gegen diesen Bescheid zurückzunehmen. Dies kommt – auch wenn nicht ausdrücklich so bezeichnet – materiell-rechtlich einem Verzicht auf die Baugenehmigung gleich, da der Bescheid vom 29. Mai 2000 mit der Rücknahme der Klage bestandskräftig wurde und die Rechte aus der Baugenehmigung somit endgültig verfielen. Durch den Vergleichsabschluss hat der Kläger einen Vertrauenstatbestand begründet, der hier auch das öffentliche Interesse an der Schaffung von Rechtsfrieden einschließt.
1.3 Auch hinsichtlich des Hilfsantrags vermag die Darstellung des Klägers im Zulassungsverfahren keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat den Hilfsantrag des Klägers auf Entschädigung nach Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil kein Rechtsschutzinteresse besteht, da der Kläger vor Klageerhebung keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat.
Der Antrag auf Entschädigung nach Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG ist als Verpflichtungsklage gemäß Art. 42 Abs. 1 VwGO statthaft, da die Entschädigung durch Verwaltungsakt festgesetzt wird. Die Verpflichtungsklage setzt sowohl in der Form der Versagungsgegenklage als auch in der Form der Untätigkeitsklage einen vorherigen Antrag bei der zuständigen Behörde voraus (§ 68 Abs. 2, § 75 VwGO). Einen solchen Antrag bei der Behörde hat der Kläger hat vor Klageerhebung jedoch nicht gestellt. Seine Ausführungen, er habe im Schreiben vom 10. September 2014 darauf hingewiesen, dass das Landratsamt verpflichtet sei, ihn auf seine Rechte nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG hinzuweisen und er habe mit der Klage dieses Begehren im Hilfsantrag weiterverfolgt, was einer Antragstellung im Sinn des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG entspreche, überzeugen nicht. Denn seine Ausführungen im Schreiben vom 10. September 2014 genügen dem förmlichen Antragserfordernis nicht, da er lediglich ankündigt, die ihm zustehenden Ansprüche zu gegebener Zeit anzumelden. Die Antragsstellung im gerichtlichen Verfahren stellt keine Antragsstellung im Sinn des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG dar. Die Klageerhebung kann das Rechtsschutzbedürfnis nicht begründen, da dieses bereits Voraussetzung für die Zulässigkeit des gerichtlichen Antrags ist.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insoweit legt der Kläger nicht entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO dar, inwiefern das Urteil des Verwaltungsgerichts auf einem Verfahrensfehler beruhen sollte. Soweit er einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die Amtsermittlungspflicht im Hinblick auf eine mangelnde Beweiserhebung geltend macht, stellt er lediglich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Februar 2002 im (ursprünglichen) Verfahren gegen den Aufhebungsbescheid des Landratsamts vom 29. Mai 2000 ab, führt aber zum angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts nicht gesondert aus.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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