Verwaltungsrecht

Asyl: Erfolgloses Drittstaatenverfahren nach Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland – es droht keine EMRK-widrige Behandlung

Aktenzeichen  Au 1 K 18.30584

Datum:
12.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51635
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88, § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das System des gegenseitigen Vertrauens im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, in diesem Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. Derartige Schwachstellen sind jedoch nur relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Klägerin ergibt sich auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Missstände insbesondere hinsichtlich der herausfordernden Unterkunftslage, der Sozialhilfe und fehlender konkreter Hilfsangebote für Rückkehrer in Griechenland nicht, dass hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie als anerkannt schutzberechtigte Person in Griechenland mit einer EMRK-widrigen Behandlung rechnen muss oder von systemischen Schwachstellen ausgegangen werden müsste, und schließlich auch die hohe Schwelle der Erheblichkeit für eine menschenunwürdige Behandlung nicht erreicht ist.  (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Lage hinsichtlich der Sozialhilfe ist herausfordernd. Zwar besteht inzwischen ein System der sozialen Sicherung aus mehreren Säulen, von welchem auch Schutzberechtigte nicht ausgenommen sind. In der Praxis ist der Zugang zu diesem jedoch nur sehr eingeschränkt gegeben, da die Schutzberechtigten die hierfür nötigen Nachweise wie Steuernummer bzw. Sozialversicherungsnummer ohne festen Wohnsitz nicht bzw. nur sehr schwer beschaffen können.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Soweit die Klage bezüglich der zunächst ebenfalls begehrten Durchführung eines Asylverfahrens (Ziffer 1 des Bescheids) mit Schriftsatz vom 20. August 2018 zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen (vgl. § 92 Abs. 3 VwGO).
Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Klägerin stellt die Konkretisierung des ursprünglich auf Aufhebung des Bescheids gerichteten Antrags mit Schriftsatz vom 20. August 2018 eine teilweise Klagerücknahme dar. Dort wurden „bezugnehmend auf die fristgerechte Klage vom 23.03.2018 zunächst konkretisierend folgende Anträge gestellt: 1. Der Bescheid des … vom 14.03.2018, Gesch.-Z.:, wird ausgenommen der Ziffer 1 aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Griechenlands vorliegen.“
Für das Vorliegen einer auf Klagerücknahme gerichteten Prozesserklärung ist kein ausdrückliches Begehren erforderlich, eine solche kann auch in der Stellung eines eingeschränkten Antrags liegen (Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, Rn. 9 zu § 92; BFH, B.v. 1.10.1999 – VII R 32/98, NvwZ-RR 2000, 334). So liegt der Fall hier. Es ist sowohl nach dem Wortlaut des Antrags Nr. 1 aus dem Schriftsatz vom 20. August 2018 wie auch aus der Systematik der Sachanträge zueinander zweifelsfrei erkennbar, dass mit diesem Schriftsatz nur noch die Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt wurde. Das Fehlen eines gerichtlichen Beschlusses ist für eine Klagerücknahme unschädlich, da diese konstitutiv und sofort ihre Wirkung entfaltet und grundsätzlich auch nicht mehr beseitigt werden kann (Wilfried Peters, Georg Axer, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, Rn. 29 ff. zu § 92).
II. Gegenstand der Klage ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Anträge der anwaltlich vertretenen Klägerin (§ 88 VwGO) die Aufhebung des Bescheids vom 14. März 2018, Gesch.-Z.:, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung des Gerichts ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
III. Die Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen nicht begründet.
1. Soweit die Klägerin im Hauptantrag die Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheids vom 14. März 2018 begehrt, ist die Klage unzulässig, da der zu Grunde liegende Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist und somit nicht mehr angefochten werden kann. Die insoweit am 30. Oktober 2020 erhobene (erneute) Klage gegen die Ziffer 1 des Bescheids vom 14. März 2018 ist verfristet, da die Klagefrist von zwei Wochen nach § 74 Abs. 1 AsylG offensichtlich abgelaufen ist.
2. Die Klage ist im Hilfsantrag zudem unbegründet. Der Klägerin steht der geltend ge machte Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, so weit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht mehr gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285) und die aus den zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahme eine unmenschliche Behandlung zu befürchten ist.
In der Rechtsprechung ist geklärt, wie die Merkmale der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung auszulegen sind (BayVGH, B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 5). Der Europäische Gerichtshof (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris) hat in diesem Kontext folgende Anforderungen formuliert: Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten hat im Unionsrecht fundamentale Bedeutung, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht. Konkret verlangt dieser Grundsatz von jedem Mitgliedstaat, dass er – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 84 f.; BayVGH, B.v. 27.9.2019 – 13a AS 19.32891 – juris Rn. 20 ff.).
Folglich muss im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie, in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 85).
Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, in diesem Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. Derartige Schwachstellen fallen jedoch nur dann unter Art. 4 GR-Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 86 ff.).
Danach ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Art. 4 der Charta der Grundrechte bzw. Art. 3 EMRK dahin auszulegen, dass er einer Überstellung der Person, die internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedsstaat erhalten hat, grundsätzlich nicht entgegensteht, es sei denn, dass diese Person nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ihr eigen sind und im Fall ihrer Überstellung in den normalerweise für internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat bedeuten würden, dass sie sich, nachdem ihr internationaler Schutz gewährt worden ist, aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den vorstehenden Kriterien entspricht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 95). Die erwähnten Schwachstellen fallen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedoch nur dann unter Art. 4 GR-Charta, der Art. 3 der EMRK entspricht, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 m.w.N.).
b) Unbestritten stellt sich die Lage in Griechenland insbesondere für anerkannt sub sidiär Schutzberechtigte als sehr schwierig dar. Die durch den Klägerbevollmächtigten benannten Umstände sind überwiegend zutreffend:
aa) Die Unterkunftslage stellt sich als sehr herausfordernd dar. Zwar haben an erkannt Schutzberechtigte denselben Zugang zu Wohnraum wie andere sich legal im Land aufhaltende Personen, dieser Wohnraum ist faktisch jedoch stark begrenzt. Wohnungsfürsorge besteht durch ein Wohngeld erst nach einem fünfjährigen Daueraufenthalt in der hellenischen Republik, eine staatliche Beratung findet generell nicht statt. Wohnraum ist somit lediglich auf dem freien Wohnungsmarkt verfügbar, welcher im Regelfall durch das traditionelle Bevorzugen von Familien bzw. Bekannten für Schutzberechtigte nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Ob bzw. inwieweit Personen, welche ausgereist sind und anschließend wieder zurückkehren, in durch die Europäische Union cofinanzierten Unterkünften einen Platz erhalten, ist unklar. Staatliche oder privat organisierte Obdachlosenunterkünfte stehen diesem Personenkreis zwar grundsätzlich ebenfalls offen, sind jedoch überwiegend überfüllt oder hinsichtlich ihrer Bedingungen so ausgestaltet, dass anerkannt Schutzberechtigte faktisch keinen Zugang erhalten. Einige Nichtregierungsorganisationen bieten punktuell Wohnraum an, auch die Kirche ist in diesem Bereich engagiert. In Athen ist die Anzahl der so angebotenen Unterbringungsmöglichkeiten jedoch nicht ausreichend. Anerkannt Schutzberechtigte leben daher oft in verlassenen Häusern bzw. überfüllten Wohnungen. Insbesondere in Großstädten gibt es informelle Wohnprojekte. Angesichts des Umstands, dass über Obdachlosigkeit in Griechenland keine Daten erhoben werden, ist über das tatsächliche Ausmaß des Problems nur wenig bekannt (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – juris Rn. 106 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland vom 19.3.2020, S. 30 f.).
bb) Dies gilt auch für die Sozialhilfe. Zwar besteht inzwischen ein System der sozialen Sicherung aus mehreren Säulen, von welchem auch Schutzberechtigte nicht ausgenommen sind. In der Praxis ist der Zugang zu diesem jedoch nur sehr eingeschränkt gegeben, da die Schutzberechtigten die hierfür nötigen Nachweise wie Steuernummer bzw. Sozialversicherungsnummer ohne festen Wohnsitz nicht bzw. nur sehr schwer beschaffen können. Lediglich eine Arbeitslosenkarte, welche man auch ohne festen Wohnsitz bekommt, bietet verschiedene Vergünstigungen wie etwa die kostenfreie Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Es besteht zudem eine Behörde, welche an 57 Standorten in ganz Griechenland die Ausgabe von Lebensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln organsiert und verwaltet. Das sogenannte Cash-Card-Programm steht Rückkehrern voraussichtlich nicht zur Verfügung. Letztlich bilden auch in diesem Bereich Nichtregierungsorganisationen und Kirchen ein elementares Auffangnetz bei der Bereitstellung von Lebensmitteln und Sachleistungen (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 125 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, a.a.O., S. 28 f.).
cc) Für anerkannt Schutzberechtigte steht der griechische Arbeitsmarkt offen, sodass grundsätzlich Erwerbsmöglichkeiten bestehen. Eine spezielle Förderung durch den griechischen Staat besteht grundsätzlich nicht und wird allenfalls punktuell von Nichtregierungsorganisationen angeboten. Aufgrund hoher Arbeitslosigkeit (ca. 18%) sowie fehlender Sprachkenntnisse sind die Chancen für Schutzberechtigte auf einen Arbeitsplatz jedoch sehr gering. Arbeitsplätze werden überwiegend an Griechen und andere EUBürger vergeben. Selbst wenn eine Arbeit gefunden wird, kann eine Anstellung mangels Bankkonto bzw. steuerlicher Anmeldung oftmals nicht erfolgen, da hierfür erneut ein fester Wohnsitz erforderlich wäre (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 143 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, a.a.O., S. 31).
dd) Die medizinische Versorgung steht Schutzberechtigten ebenso frei wie an deren griechischen Staatsbürgern auch. Aufgrund der schlechten Haushaltslage des griechischen Staates ist das Gesundheitssystem jedoch starken Budgetierungen und restriktiven Medikamentenausgaben unterworfen. Teilweise gibt es Sozialkliniken, welche hier unterstützend tätig sind. Die Notfallbehandlung ist gewährleistet (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 155 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, a.a.O., S. 29).
ee) Gerichtlicher Rechtschutz ist für anerkannt Schutzberechtigte entweder nicht zugänglich oder nur mit erheblicher Verzögerung erreichbar (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 87 m.w.N.). Konkrete Hilfsangebote für Rückkehrer sind nicht vorhanden, zudem lediglich wenige Hilfsangebote aus Integrationsmaßnahmen, welche sich im Regelfall an alle Drittstaatsangehörigen wenden. Vereinzelt wird von kostenlosen Sprach- und Kultur- bzw. Geschichtskursen berichtet (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 91 ff.). In Griechenland sind dagegen eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen tätig, welche zahlreiche Sozialdienstleistungen wie psychologische bzw. ärztliche Versorgung, Mahlzeiten und Kleidung, Wohnungen, Sprachkurse und rechtlichen Beistand vermitteln bzw. anbieten. Sie konzentrieren sich auf Ballungszentren (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 100 ff., 111 f.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, S. 32 f.).
c) Im Fall der Klägerin ergibt sich auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Missstände in Griechenland nicht, dass hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie als anerkannt schutzberechtigte Person in Griechenland mit einer EMRKwidrigen Behandlung rechnen muss oder von systemischen Schwachstellen ausgegangen werden müsste, und schließlich auch die hohe Schwelle der Erheblichkeit für eine menschenunwürdige Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK/ Art. 4 GR-Charta nicht erreicht ist. Die Klägerin konnte sich nach eigenen Angaben selbst mittels ihres Mobiltelefons etwas Deutsch und Englisch beibringen, es spricht nichts dagegen, dass ihr das nicht auch mit der griechischen Sprache gelingen würde. Zudem hat sie sowohl in Eritrea wie auch in Deutschland eine Beschäftigung befunden. Auch wenn es in Griechenland aufgrund der sehr hohen Hürden womöglich eine lange Zeit dauern wird, bis die Klägerin dort unter Einhaltung aller gesetzlichen Gegebenheiten arbeiten kann, bestehen auch dort grundsätzlich Erwerbsmöglichkeiten für sie. Für die Zeit ohne Erwerbstätigkeit gibt es aufgrund des vielfältigen Netzes an Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und anderer freiwilliger Helfer erreichbare Möglichkeiten, durch die die Klägerin ihre Grundbedürfnisse befriedigen kann. Nicht zuletzt aufgrund dieser Organisationen, welche das Fehlen staatlicher Unterstützung teilweise kompensieren, wird die hohe Schwelle der Erheblichkeit einer menschenunwürdigen Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK nicht erreicht (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 165 ff.).
Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass die Erlangung von staatlichen und wohltätigen Leistungen angesichts der Lage in der hellenischen Republik einer erheblichen Anstrengung der Klägerin bedarf. Aufgrund des persönlichen Eindrucks der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass die Klägerin zu dem hierfür erforderlichen hohen Maß an Eigeninitiative in der Lage ist. Sie ist jung, ledig und hat auch in der Vergangenheit schon bewiesen, dass sie proaktiv an einer Verbesserung ihrer Lebenssituation zu arbeiten bereit ist. Letztlich kann die Klägerin – soweit nach drei Jahren überhaupt noch eine Aussage zu den konkreten Lebensverhältnissen in Griechenland gemacht werden können – ohnehin lediglich die Verhältnisse auf der Insel Lesbos beurteilen, nicht jedoch die auf dem Festland, insbesondere in größeren Städten wie Athen oder Thessaloniki.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. September 2019 (13a AS 19.32891) verweist, hat sich dessen Einschätzung offensichtlich überholt, da zwischenzeitlich das Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 6. September 2019 (4 LB 17/18) vorliegt, welches sich mit der zu Grunde liegenden Sachfrage sehr ausführlich auseinandergesetzt hat. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich den Ausführungen im Falle eines alleinstehenden arbeitsfähigen Mannes angeschlossen (BayVGH, B.v. 17.3.2020 – 23 ZB 18.33356 – juris Rn. 34). Dass die Klägerin als alleinstehende Frau anders zu behandeln wäre, hat der Bevollmächtigte zwar vorgebracht, jedoch nicht substantiiert. Auch im Übrigen sind für das Gericht nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte hierfür erkennbar.
d) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Auch hiervon ist bei der Klägerin nicht auszugehen. Gesundheitliche Einschränkungen dieser Intensität wurden nicht vorgetragen, sind im Übrigen auch nicht belegt.
3. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen hat die Klägerin auch nicht erhoben.
4. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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