Verwaltungsrecht

Asylantrag wegen Konversion zum Christentum – erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  15 ZB 18.32165

Datum:
4.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21865
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG §, 3, § 4, § 78
VwGO § 108

 

Leitsatz

Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es entscheidungserheblich ist. Diese Verfahrensgarantie gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger – ein nach eigenen Angaben jordanischer Staatsangehöriger – wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 16. November 2017, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 9. Juli 2018 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die vom Kläger am 20. November 2017 erhobene Klage – mit der er beantragte hatte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. November 2017 zu verpflichten, ihn als Asylbewerber anzuerkennen, sowie hilfsweise zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen – ab. In den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils führt das Verwaltungsgericht u.a. aus, dass nach seiner Überzeugung dem nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG aufgrund einer von ihm vorgetragenen Konversion zum Christentum drohe.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe ihm gegenüber das rechtliche Gehör versagt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG aufgrund einer behaupteten Versagung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Mit dem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe ihn mit den tragenden Ausführungen,
– dass er nicht genug Eigeninitiative aufgebracht habe und dass der Gottesdienstbesuch bzw. die Taufe nicht den notwendigen Stellenwert in seinem Alltag eingenommen habe,
– dass er im Grunde genommen wenig Interesse am christlichen Glauben als solchem habe und dass eine öffentliche Glaubensbetätigung für ihn keinen unverzichtbaren Stellenwert einnehme sowie
– dass sein Vortrag, das Trinken von Alkohol als schlecht anzusehen, bestätige, dass er sich nicht ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt habe,
überrascht, weil hiermit nach dem bisherigen Prozessverlauf auch von einem gewissenhaften und kundigen Prozessbeteiligten nicht zu rechnen gewesen sei und weil er – der Kläger – im Falle eines gerichtlichen Hinweises oder Vorhalts die angenommenen Zweifel hätte ausräumen sowie durch geeignete prozessuale Vorkehrungen auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärung hätte hinwirken können, wird eine Verletzung im Recht auf rechtliches Gehör nicht dargelegt.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es entscheidungserheblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.). Diese Verfahrensgarantie gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.). Soweit das Gericht bei seiner Entscheidung auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht, gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs außerdem, zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung vor der Entscheidung auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen (vgl. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; OVG SA, B.v. 22.1.2018 – 3 L 63/17 – juris Rn. 3).
Gemessen hieran war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Das Verwaltungsgericht hat den Kläger zu seiner Hinwendung zum christlichen Glauben befragt; auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2018 wird Bezug genommen. Aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils (vgl. insbesondere Seiten 10 ff. des Original-Urteils) ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Kläger sich nicht ernsthaft und dauerhaft dem Christentum zugewandt habe und dass die geltend gemachten christlichen Aktivitäten nicht von einer identitätsprägenden Glaubensüberzeugung getragen würden, sondern dass diese vielmehr auf asyl- und verfahrenstaktischen Erwägungen beruhten. Zu dieser Überzeugung gelangte das Erstgericht nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen zum einen aufgrund bislang mangelnder bestätigender Akte für die Hinwendung zum christlichen Glauben (keine Taufe, kein Kirchenbesuch), sodass davon auszugehen sei, dass der Kläger nicht die entsprechende Eigeninitiative aufgebracht habe und der Besuch des Gottesdienstes bzw. der Taufe nicht den notwendigen Stellenwert in seinem Leben eingenommen habe. Darüber hinaus fehle es dem Kläger zur Überzeugung des Erstgerichts an einer innerlichen und identitätsprägenden Hinwendung zum christlichen Glauben; hierfür zog das Verwaltungsgericht als Indiz heran, dass der Kläger beim Aufsagen des „Vaterunser“ erhebliche Schwierigkeiten gehabt habe. Schließlich habe der Kläger unter Auswertung seiner Aussagen in der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend wiedergeben können, aus welcher Motivation heraus sein Interesse am christlichen Glauben geweckt worden sei, zumal er mit seinen – nach Wertung des Verwaltungsgerichts – oberflächlichen Angaben auch nicht geltend gemacht habe, dass es für ihn unerlässlich sei, seinen Glauben öffentlich auszuüben. Es sei nicht ersichtlich, wie die Religion das Leben des Klägers beeinflusse; seine Antworten in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts seien allesamt pauschal geblieben. In der mündlichen Verhandlung sei beim Gericht insgesamt der Eindruck entstanden, dass der Kläger im Grunde genommen wenig Interesse am christlichen Glauben als solchem habe und eine öffentliche Glaubensbetätigung für ihn keinen unverzichtbaren Stellenwert einnehme. Eine Antwort auf die Frage, warum er Interesse am christlichen Glauben gewonnen habe, sei er in der Zusammenschau schuldig geblieben. Auch die Tatsache, dass der Kläger nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung das Trinken von Alkohol als „schlecht“ ansehe, habe die Ansicht der erkennenden Einzelrichterin bestätigt, dass er sich nicht ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt habe, weil nach dem christlichen Glauben der grundsätzliche Konsum von Alkohol – anders als in der islamischen Religion – nicht verboten sei.
Mit diesen Wertungen hat das Verwaltungsgericht nicht etwa Anforderungen an den Sachvortrag gestellt, mit denen ein gewissenhafter und sachkundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt weder ein Anspruch auf ein Rechtsgespräch noch eine allgemeine Hinweis- oder Aufklärungspflicht des Gerichts. Auch ist das Gericht hiernach nicht verpflichtet, seine Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (BVerwG, B.v. 16.2.2010 – 10 B 34.09 – juris Rn. 6; OVG Schleswig-Holstein, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris Rn. 20). Das Gericht muss die Beteiligten auch nicht grundsätzlich vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Streitstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (BVerwG, B.v. 28.7.2016 – 4 B 12.16 – NVwZ 2017, 641 = juris Rn. 24 m.w.N.; OVG NRW, B.v. 16.12.2016 – 1 A 2199/16.A – juris Rn. 25; OVG Saarl., B.v. 16.12.2011 – 3 A 264/11 – juris Rn. 44). Der Sache nach wendet sich der Kläger mithin vielmehr gegen die gerichtliche Würdigung. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist aber von vornherein nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden (vgl. OVG NRW, B.v. 8.5.2015 – 13 A 949/15.A – juris Rn. 3; OVG Schleswig-Holstein, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris Rn. 22 m.w.N.). Mit dem Angriff auf die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung und der schlichten Rüge der Fehlerhaftigkeit des Urteils wird kein Berufungszulassungsgrund gem. § 78 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4 AsylG geltend gemacht. Auf ernstliche Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann der Zulassungsantrag nicht gestützt werden, da nach der eindeutigen Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG dieser Zulassungsgrund in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht zur Verfügung steht (BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 15 ZB 17.31105 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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