Verwaltungsrecht

Asylbewerber aus Indien, Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (verneint)

Aktenzeichen  15 ZB 22.30228

Datum:
8.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4443
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylG § 3, § 3e
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 14 K 19.30270 2022-01-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger – ein indischer Staatsangehöriger – wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2017, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Indien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 21. Januar 2022 wies das Verwaltungsgericht Ansbach die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2017 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass für ihn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
1. Mit der von ihm aufgeworfenen Frage, „ob Männern“ – wie ihm – „wegen ihrer Zugehörigkeit zur „Khalistan-Bewegung“ in Indien eine Verfolgung nach §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG droht“, vermag der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen.
Das Verwaltungsgericht ist unter Auswertung zugrunde gelegter Quellen davon ausgegangen, dass die „Khalistan-Bewegung“ die Autonomie eines unabhängigen Sikh-Staats verfolgt, dass aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppen in Indien mit polizeilicher Verfolgung rechnen müssen, dass in Indien Verhaftungen erfolgen, sobald jemand offen eine verbotene Organisation unterstützt, und dass schließlich Aktivisten, die im Ausland eine verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, hierfür nach ihrer Rückkehr in Indien strafrechtlich verfolgt werden (UA S. 9). Das Verwaltungsgericht hat aber aufgrund von Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten im klägerischen Vortrag sowie einem Mangel an Detailtiefe die Darstellung des Klägers, in Indien als Anhänger der „Khalistan-Bewegung“ ein aktives Mitglied einer verbotenen militanten Sikh-Organisation zu sein und als solches durch seine offene Unterstützung möglicherweise eine Verfolgung durch die Polizei oder Sicherheitsbehörden bei einer Rückkehr nach Indien befürchten zu müssen, nicht als glaubhaft erachtet. Insofern ist die vom Kläger gestellte Frage schon nicht entscheidungserheblich. Auf Basis des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts geht es nicht entscheidungserheblich um die vom Kläger als grundsätzlich angesehene Frage, ob einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zur Khalistan-Bewegung in Indien eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht. Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge, die sodann bereits für sich genommen den Zugang zum Berufungsverfahren eröffnen würde, bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Im Asylverfahrensrecht ist aber der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht eröffnet (siehe § 78 Abs. 3 AsylG), sodass Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen nur über die – begrenzt eröffnete – Verfahrensrüge möglich sind (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2019 – 14 ZB 18.31863 – juris Rn. 6; B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 17; SächsOVG, B.v. 3.1.2022 – 6 A 1109/19.A – juris Rn. 3 m.w.N.). Mit seiner diesbezüglichen Einwendung wendet sich der Kläger in der Sache mithin im Gewand einer Grundsatzrüge ausschließlich gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, was aber keinen im Asylverfahren vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2018 – 15 ZB 18.31025 – juris Rn. 9; B.v. 22.2.2022 – 15 ZB 22.30197 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen seine ablehnende Entscheidung in Bezug auf Ansprüche gem. § 3, § 4 AsylG ergänzend auch entscheidungstragend darauf gestützt, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Indien eine inländische Fluchtalternative gem. § 3a Abs. 1 AsylG (i.V. mit § 4 Abs. 3 AsylG) zur Verfügung stehe. Hiermit hat sich die Antragsbegründung nicht auseinandergesetzt und hat auch deswegen die Darlegungsanforderungen gem. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG an die Geltendmachung des Zulassungsgrunds nicht erfüllt. Bei kumulativer Mehrfachbegründung muss hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (BayVGH, B.v. 3.12.2020 – 15 ZB 20.32306 – juris Rn. 16 m.w.N.).
2. Auch die vom Kläger als grundsätzlich angesehenen Fragen,
„ob Männer wie der Kläger, der nicht mehr arbeitsfähig und schwerbehindert mit GdB 70 ist und auf keine finanziellen oder familiären Ressourcen in Indien zurückgreifen kann, dort zu einer menschenwürdigen Existenz in der Lage wäre, oder ob ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt“,
„ob bei Männern wie dem Kläger, der nicht mehr arbeitsfähig und schwerbehindert mit GdB 70 ist und an PAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit), Diabetes mellitus Typ 2, diabetischem Makulaödem, Rückenbeschwerden (Multietagere Facettengelenkathrose cervical, Osteochondrose, Spinalkanalstenose, multietagere Osteochondrose, Spondylarthrose lumbal) leidet und dem bereits zwei Zehen abgenommen und mehrfach Stentings in den Beinen eingesetzt werden mussten, eine schwerwiegende Krankheit i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG vorliegt und ein Abschiebeverbot festgestellt werden muss“ sowie
„ob bei Männern wie der Kläger, der nicht mehr arbeitsfähig und schwerbehindert mit GdB 70 ist und an PAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit), Diabetes mellitus Typ 2, diabetischem Makulaödem, Rückenbeschwerden (Multietagere Facettengelenkathrose cervical, Osteochondrose, Spinalkanalstenose, multietagere Osteochondrose, Spondylarthrose lumbal) leidet, und dem bereits zwei Zehen abgenommen und mehrfach Stentings in den Beinen eingesetzt werden mussten, infolge der in Indien wütenden Corona-Pandemie ein zielstaatbezogenes Abschiebeverbot i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt“,
rechtfertigen nach den o.g. Maßstäben keine Berufungszulassung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Begründung der Ablehnung eines Abschiebungshindernisses gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMKR mit der humanitären Lage und den allgemeinen Lebensbedingungen in Indien unter Auswertung diverser Quellen wie folgt befasst (UA S. 14 f.):
„Die Anzahl derjenigen Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Millionen Menschen auf 76 Millionen Menschen reduziert werden, wobei jedoch geschätzt wird, dass die durch die Covid-19 Pandemie ausgelöste Krise viele Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 69). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch der schwächsten Teile der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 18). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer oder ein anderes soziales Netz, vielmehr sind Rückkehrer in der Regel auf die Unterstützung ihrer Familie oder Freunde angewiesen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 18; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 74). Vorübergehende Notlagen können aber durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere in Sikh-Tempeln, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 18, 19). Zudem besteht für rund zwei Drittel der indischen Bevölkerung ein Anspruch auf Nahrungsmittel (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 17).
Die indische Regierung bietet eine Vielzahl von Sozialhilfen an (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 70). Diese richten sich meist an benachteiligte Personenkreise, wie etwa Personen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Die verschiedenen Programme werden durch die lokalen Verwaltungen (Panchayat) umgesetzt (vgl. IOM (Internationale Organisation für Migration) Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020). Die Zulassungsvoraussetzungen hängen von dem jeweiligen System der Sozialhilfe ab. In Indien besteht darüber hinaus ein Rentensystem, die Einzahlung in die Rentenkasse ist verpflichtend und mit der Arbeitsstelle verknüpft; daneben existiert ein staatliches Sozialversicherungsprogramm (vgl. IOM Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020). Dieses staatliche Versicherungsprogramm erfasst jedoch nur schutzbedürftige Personen. Zu den schutzbedürftigen Personen in diesem Sinne zählen in Indien Personen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen und Personen, die unter der Armutsgrenze leben müssen (vgl. IOM Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020). Anhand der Art der Gefährdung der Person ist festgelegt, welche Personen welche Leistungen von den verschiedenen staatlichen Programmen erhalten können.“
Das Verwaltungsgericht hat hierauf abstellend sowie ergänzend abstellend auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) ausgeführt, dass nicht verkannt werde, dass die geschilderte humanitäre Lage und allgemeinen Lebensverhältnisse in Indien, insbesondere in Bezug auf das Sozialsystem, nicht denjenigen der Bunderepublik Deutschland entsprechen. Auch sei eine Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund seines Alters und seiner vorgebrachten gesundheitlichen Beschwerden zweifelhaft. Zudem habe der Kläger berichtet, keine Verwandten oder Bekannten mehr in Indien zu haben. Dennoch – so das Verwaltungsgericht weiter – ließen die humanitäre Lage und allgemeinen Lebensbedingungen in Indien nicht darauf schließen, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und unabhängig von seinem Willen einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein werde. Er könne in zumutbarer Weise auf die dargestellten staatlichen und nichtstaatlichen Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen, insbesondere auf die durch die indische Regierung angebotenen Sozialprogramme sowie auf die in den Sikh-Tempeln zur Verfügung gestellte Verpflegung und Unterkunft. Dadurch sei es dem Kläger selbst ohne die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich, aus eigener Kraft den Eintritt eines Zustandes der Verelendung abwenden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Lage geraten werde, die mit Art. 3 EMRK unvereinbar sei.
Die Ablehnung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hat das Verwaltungsgericht nach Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 60 Abs. 7 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG ausführlich wie folgt begründet (UA S. 17 – 20):
„Eine gesundheitliche Grundversorgung wird in Indien vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt, welche jedoch nicht an die europäischen Standards heranreicht (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 72; IOM Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020; BAMF, Länderinformation – Indien, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, Stand: November 2020, S. 2). In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können (BAMF, Länderinformation – Indien, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, Stand: November 2020, S. 2). Im Punjab und in Neu-Delhi ist die Gesundheitsversorgung vergleichsweise gut, darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 72). Der Andrang auf die Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors ist sehr groß, mangelnde Ausstattung und Kapazitäten der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen haben zu einem Wachstum der privaten Gesundheitsvorsorge geführt (BAMF, Länderinformation – Indien, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, Stand: November 2020, S. 3). Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien erhältlich und wesentlich preisgünstiger (als) in Europa (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 72; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 19). Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya Abhiyaan („Modicare“) begonnen, einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können und durch welche die wichtigsten Risiken und Kosten abgedeckt werden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 73). Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (vgl. BFA, a.a.O.).
Aufgrund der durch den Kläger vorgelegten Arztberichte vom 11. August 2021, 10. November 2021 und 8. Dezember 2021, des Entlassungsberichts vom 27. August 2021 und dem Medikationsplan vom 27. November 2018, sowie dem Vortrag des Klägers in der Anhörung durch das Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2022 ist festzustellen, dass der Kläger an einer Reihe von Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie insbesondere unter Diabetes mellitus Typ 2 und einem damit verbundenen diabetischen Makulaödem sowie Rückenbeschwerden und Schwierigkeiten beim Gehen, leidet. Die Einzelrichterin hat jedoch nicht die Überzeugung gewinnen können, dass bei dem Kläger ein so schwerwiegendes Krankheitsbild vorliegt, dass bei Rückführung des Klägers nach Indien mit einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu rechnen ist.
Dies folgt zunächst daraus, dass sich hinsichtlich der Erkrankungen PAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit) und den Rückenbeschwerden des Klägers nach dem klägerischen Vortrag und den vorgelegten Dokumenten nicht ergibt, welcher Schweregrad bezüglich dieser Erkrankungen vorliegt, sowie welcher weiteren Behandlung und welcher Medikation es konkret bedarf, so dass diesbezüglich keine erhebliche konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers aufgrund einer Rückführung nach Indien besteht. Der Entlassungsbericht vom 27. August 2021 erschöpft sich in der Darstellung der Therapie des Klägers während seines stationären Aufenthalts aufgrund seiner Rückenbeschwerden (Multietagere Facettengelenkathrose cervical, Osteochondrose, Spinalkanalstenose sowie multietagere Osteochondrose und Spondylarthrose lumbal) sowie in der Nennung von Nebendiagnosen. Eine weitere erforderliche Behandlung dieser Rückenbeschwerden des Klägers nach der Entlassung aus dem stationären Aufenthalt ist hierin jedoch nicht genannt. Auch hinsichtlich der Peripheren arteriellen Verschlusskrankheit hat der Kläger zwar vorgetragen, und dies wird auch durch die Nebendiagnose des oben genannten Entlassungsberichts bestätigt, dass ihm in diesem Zusammenhang im Jahr 2018 zwei Zehen des linken Fußes abgenommen und ihm mehrfach Stentings in den Beinen eingesetzt worden sind, sowie dass der Kläger erhebliche Schwierigkeiten beim Gehen hat. In diesem Zusammenhang wurde dem Kläger der ab dem 17. April 2018 gültige Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Inwiefern aber eine weitere Behandlung des Klägers aufgrund dieser Erkrankung oder eine Versorgung mit bestimmter Medikation erforderlich ist und inwieweit sich diese Krankheit und die damit verbundenen Beschwerden gerade aufgrund einer Rückkehr nach Indien erheblich verschlechtern könnten, ist nicht dargetan worden.
Bezüglich der Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus Typ 2 und dem dadurch bedingten diabetischen Makulaödem (Retinopathia diabetica) an seinem rechten Auge kann letztendlich ebenfalls dahinstehen, ob ein weiterer Behandlungsbedarf des Klägers allein durch die Vorlage der Arztberichte ausreichend dargelegt worden ist. Der Kläger hat insofern vorgetragen, auf die Gabe von Insulin bei Bedarf angewiesen zu sein und sich regelmäßig, nach eigenen Angaben monatlich, einem ambulanten Eingriff durch eine intravitreale Medikamenteneingabe zu unterziehen. Unabhängig davon, ob es sich bei Diabetes mellitus Typ 2 und dem diabetischen Makulaödem als dessen Folgeerkrankung um eine schwerwiegende Krankheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG handelt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die erhebliche Gefahr besteht, dass sich diese Erkrankungen bei einer Rückkehr des Klägers nach Indien erheblich verschlechtern würden.
Die Einzelrichterin geht davon aus, dass die weitere Behandlung einer Diabeteserkrankung des Klägers und deren Folgeerscheinungen in Indien möglich und für den Kläger zugänglich ist. Dies ergibt sich aus den dem Gericht hinsichtlich der medizinischen Versorgung in Indien vorliegenden Erkenntnismitteln. Es handelt sich bei der Erkrankung Diabetes mellitus Typ 2 nicht um eine in Indien außergewöhnliche Krankheit. Vielmehr ist Diabetes mellitus (insbesondere Typ 2) dort weit verbreitet. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2015 in Indien rund 67 Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt waren, wodurch Indien das Land mit den weltweit meisten Diabeteserkrankungen ist (vgl. MedCOI, Country Policy and Information Note, India: medical and healthcare provision, Stand: Oktober 2020, S. 18 f.). Dementsprechend werden verschiedene Test- und Behandlungsmöglichkeiten, auch in öffentlichen Krankenhäusern, angeboten, zudem sind verschiedene Typen von Insulin, Selbsttests und weitere Medikamente für Diabetiker verfügbar (vgl. MedCOI, Country Policy and Information Note, India: medical and healthcare provision, Stand: Oktober 2020, S. 8, 18 f.). Darüber hinaus können auch durch Diabetes mellitus hervorgerufene Augenerkrankungen (Retinopathia diabetica) in Indien behandelt werden (vgl. MedCOI, Country Policy and Information Note, India: medical and healthcare provision, Stand: Oktober 2020, S. 19 f.). Der Kläger hat bei einer Rückkehr nach Indien Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Grundversorgung, die gerade im Punjab, der Heimat des Klägers, als vergleichsweise gut beschrieben wird. Folglich ist eine Diabeteserkrankung des Klägers in Indien gut behandelbar. Aufgrund dieser in Indien bestehenden Behandlungsmöglichkeiten und verfügbaren Medikamente ist nicht anzunehmen, dass die erhebliche Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers bei einer Rückführung besteht.
Auch der vorgelegte Medikationsplan vom 27. November 2018 bietet insofern keine weiteren Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen, da nicht ersichtlich geworden ist, inwiefern der Kläger auf diese jeweilige Medikation im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1,1. Halbs. AsylG) weiterhin angewiesen ist und inwiefern die Gefahr besteht, dass eine Versorgung mit der Medikation in Indien nicht möglich wäre.
Schließlich ist hinsichtlich der in dem Entlassungsbericht vom 27. August 2021 genannten Nebendiagnosen arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Polyneuropathie bereits nicht erkennbar, auf welchen Befund sich diese Diagnose jeweils stützt und ob deswegen weiterer Behandlungsbedarf für den Kläger besteht.
Schließlich kann die derzeit auch in Indien herrschende Covid-19 Pandemie kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot begründen. Nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen Gefahrenlage zu werden, kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt werden (vgl. VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 -W 10 K 19.3101 9 -juris Rn. 58). In Indien gelten aufgrund der Covid-19 Pandemie weiterhin Abstands- und Hygieneregeln zur Verhinderung einer Infektion (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpoli-tik/laender/indien-node/indiensicherheit/205998, zuletzt abgerufen am 21.1.2022). Auch wenn der Kläger als älterer Mensch und Diabetiker Zugehöriger von Personengruppen mit einem höheren Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit Covid-19 ist (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/lnfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2022), so kann der Kläger doch durch Einhaltung der in Indien geltenden Hygienemaßnahmen einer Infektion und einem möglicherweise schweren Krankheitsverlauf vorbeugen. Die begründete Furcht, dass der Kläger in Indien in erheblicher Weise Opfer einer extremen Gefahrenlage wird, besteht vorliegend nicht.“
Mit seinen Ausführungen in der Beschwerdebegründung vermag der Kläger den Anforderungen gem. § 78 Abs. 4 Satz 4 Asyl an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zu genügen.
Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 15 ZB 21.31689 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine Grundsatzrüge, die sich auf tatsächliche Verhältnisse stützt, erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (vgl. SächsOVG, B.v. 15.9.2021 – 6 A 1078/19 A – juris Rn. 3 m.w.N.).
Der oben dargestellten ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts hat der Kläger in der Antragsbegründung nichts Substantielles, das den vorgenannten Anforderungen genügt, entgegengesetzt. Er hat lediglich unter Bezugnahme auf diverse Quellen im Internet ausgeführt, es stelle sich insbesondere auch die verallgemeinerungsfähige Frage, ob durch die Covid-19-Pandemielage in Indien, speziell für Vorbelastete, eine ernsthafte Gesundheitsgefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG bestehe. Die Corona-Pandemie treffe ein armes Land wie Indien besonders hart. Das Gesundheitssystem sei völlig überfordert. Das Auswärtige Amt warne im Internet, dass „Indien (…) von COVID-19 stark betroffen“ sowie „als Hochrisikogebiet eingestuft“ sei. Für ihn – den Kläger – als Hochrisikoproband sei eine Corona-Infektion fatal. Die Corona-Pandemie habe zudem das Armutsproblem in Indien noch einmal dramatisch vergrößert. Zwei Drittel der Menschen in Indien lebten in Armut. 68,8% der indischen Bevölkerung müssten mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Über 30% hätten sogar weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag zur Verfügung und gälten damit als extrem arm. Damit zähle der indische Subkontinent bereits zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach Schätzungen seien im Corona-Jahr 2020 rund 75 Millionen Menschen auf dem Subkontinent in extreme Armut gerutscht. Er – der Kläger – habe in Indien ohnehin bereits in ärmlichsten Verhältnissen zurechtkommen müssen. Im Falle der Rückkehr dorthin wäre es ihm nicht möglich, eine menschenwürdige Existenz zu führen. Infolge seines Alters und seiner multiplen medizinischen Probleme sei er zur Arbeit nicht mehr fähig. Er sei schwerbehindert (GdB 70), leide an PAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit), Diabetes mellitus Typ 2, diabetischem Makulaödem, Rückenbeschwerden (Multietagere Facettengelenkathrose cervical, Osteochondrose, Spinalkanalstenose, multietagere Osteochondrose, Spondylarthrose lumbal). Ihm hätten bereits zwei Zehen abgenommen und mehrfach Stentings in den Beinen eingesetzt werden müssen. Auch könne er sich die dringend notwendigen medizinischen Leistungen in Indien nicht finanzieren.
Insbesondere hat der Kläger mit diesem Vorbringen den entscheidungstragenden und auf den ausgewerteten Quellen (auch jüngeren Datums) gestützten Ausführungen des Verwaltungsgerichts,
– dass er in zumutbarer Weise auf existierende staatliche und nichtstaatliche Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen könne,
– dass er – sofern die Notwendigkeit medizinische Folgebehandlungen dargelegt worden seien – diese für die Behandlung seiner konkreten Krankheiten in Indien erhalten könne und
– dass er bei einer Rückkehr nach Indien Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Grundversorgung habe,
und dass deswegen für ihn weder ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK noch ein solches gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich sei, nichts Konkretes entgegengesetzt und auch keine konkreten Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen ausgewertet, die die Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts substantiiert infrage stellen. Das Verwaltungsgericht hat in seiner angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel zudem ausgeführt, warum der Kläger nach seiner Bewertung auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat. Der Kläger wendet sich im Zulassungsverfahren demgegenüber lediglich mit seiner eigenen Einschätzung der ihm drohenden Gefahrensituation gegen die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende gerichtliche Bewertung der Sach- und Rechtslage, ohne damit jedoch eine – zumal eine über den Einzelfall hinausgehende – Klärungsbedürftigkeit einer entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage substantiiert darzulegen. Auch insofern gilt, dass das Asylrecht keinen dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vergleichbaren Berufungszulassungsgrund kennt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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