Verwaltungsrecht

Asylrecht, Georgien, Prozesskostenhilfe, Antrag auf Zulassung der Berufung, Bisexualität, Verfolgungshandlungen nichtstaatlicher Akteure, Staatlicher Schutz

Aktenzeichen  15 ZB 21.31001

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24937
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 116
AsylG § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 1 K 21.30369 2021-06-22 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die miteinander verheirateten Kläger (georgische Staatsangehörige) wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für … (Bundesamt) vom 26. April 2021, mit dem (u.a.) die Anträge auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung nach Georgien angedroht wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat mit Urteil vom 22. Juni 2021 die auf Aufhebung des genannten Bescheids und auf Verpflichtung der Beklagten gerichtete Klage, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen, ihnen die Flüchtlingseigenschaft bzw. den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und (hilfsweise) Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) festzustellen, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit ihrem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zum Zweck der Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts machen die Kläger sinngemäß geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), ferner liege ein Verfahrensmangel vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO). Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten der Kläger vom 26. Juli 2021 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zum Zweck der Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 22. Juni 2021 ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) bietet. Die von den Klägern fristgerecht geltend gemachten Zulassungsgründe (zu dieser Anforderung im Prozesskostenhilfeverfahren vgl. z.B. BayVGH, B.v. 26.2.2020 – 15 ZB 20.25 u.a. – juris Rn. 11 m.w.N.) liegen tatsächlich nicht vor.
1. Entgegen der Ansicht der Kläger hat die Rechtssache vorliegend keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
a) Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil unter Würdigung der vom Kläger zu 1 geltend gemachten Bisexualität, dessen HIVErkrankung und des geschilderten persönlichen Verfolgungsschicksals (insbesondere seitens des den Kläger zu 1 bedrohenden Schwiegervaters) und unter Berücksichtigung der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel sowie der einschlägigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich die Kläger mit Erfolg darauf berufen können, dass der georgische Staat “seinen Bürgern gegenüber den Aktivitäten der Zivilgesellschaft den erforderlichen Schutz” versage. Es ist dabei zu der nachvollziehbaren und vom Senat für zutreffend erachteten Bewertung gekommen, dass in Georgien der staatliche Schutz gegen mögliche Verfolgungshandlungen nichtstaatlicher Akteure – in Bezug auf Gewalt und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität – zwar nicht dem “deutschen Standard” entspreche, sich der Staat jedoch nicht lediglich auf bereits existierende gesetzliche Vorschriften zurückziehe, welche Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung unter Strafe stellen, sondern auch aktiv Schutz leiste und sich die Situation im Hinblick auf die Strafverfolgung und den Schutz durch die Polizei im Laufe der letzten Jahre verbessert habe. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch auf die zugunsten des Klägers zu 1 seitens der Polizei bzw. des georgischen Staates ergriffenen Maßnahmen hingewiesen. Danach wurde gegen den Schwiegervater des Klägers zu 1, der den Kläger zu 1 nach dessen Angaben – nach Bekanntwerden der HIV-Erkrankung – körperlich angegriffen und gefordert hatte, sich von der Klägerin zu 2 (= der Tochter des Schwiegervaters) zu trennen, “eine Verfügung erlassen, dass er sich dem Kläger zu 1 nicht nähern dürfe”.
Individuelle “gefahrerhöhende” Merkmale” haben die Kläger nicht geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht weist im Rahmen der Prüfung des Bestehens von Abschiebungshindernissen (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) vielmehr darauf hin, dass beide Kläger jung und arbeitsfähig sind. Der Kläger zu 1 hat nach eigenen Angaben “Jura studiert und einen Bachelor erworben”. Er verfügt in Georgien über verschiedene Häuser und Wohnungen. Auch seine HIV-Erkrankung kann in Georgien – ebenso wie in Deutschland – behandelt werden.
b) Auch sonst ergeben sich aus dem klägerischen Vorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass der georgische Staat im vorliegenden Fall nicht in der Lage oder gewillt sei, den Klägern Schutz vor Gewalt und Diskriminierung durch nichtstaatliche Akteure zu gewähren. Dies gilt auch im Hinblick auf das nachträgliche Vorbringen bezüglich der von der Mutter des Klägers zu 1 geschilderten “Vorfälle im Mai und Juni” dieses Jahres, bei der sie ebenfalls vom Schwiegervater ihres Sohnes bedroht worden sein soll, und den Pressemeldungen über den Tod eines Kameramannes, der infolge der “Verletzung durch schwulenfeindliche Demonstranten gestorben” ist. Aus diesem Vorbringen ergibt sich nicht, dass der georgische Staat nicht in der Lage oder gewillt sei, der Zivilbevölkerung Schutz vor Gewalt und Diskriminierung durch nichtstaatliche Akteure zu gewähren.
c) Der Hinweis der Kläger auf unterschiedliche verwaltungsgerichtliche (erstinstanzliche) Rechtsprechung greift vorliegend nicht durch. In der Rechtsprechung wird weit überwiegend die Ansicht des Verwaltungsgerichts geteilt, dass in der Bevölkerung in Georgien zwar in Bezug auf “LGBTI-Personen” – insbesondere geprägt von den konservativen Werten der orthodoxen Kirche – “traditionelle Vorbehalte” bestehen, dem Staat jedoch die allgemeine Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit in Bezug auf sexuelle Minderheiten nicht abgesprochen werden könne (vgl. neben den vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil genannten Entscheidungen des VG Hamburg und des VG Trier z.B. auch VG Bayreuth, U.v. 23.4.2019 – B 1 K 17.32627 – juris und zuletzt VG Potsdam, U.v. 27.5.2021 – 2 K 3028/18.A – juris). Soweit ersichtlich haben lediglich das Verwaltungsgericht Berlin (vgl. zuletzt VG Berlin, U.v. 9.4.2021 – 38 K 141/20 A) – aufgrund einer abweichenden Bewertung der vorhandenen Erkenntnismittel – und das Verwaltungsgericht Ansbach in einem Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2018 (Az.: 4 K 17.33046 – BeckRS 2018, 301), dort allerdings ohne nähere Begründung und in Bezug auf die beantragte Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach begonnener Geschlechtsumwandlung, die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des georgischen Staates in Zweifel gezogen.
Obwohl die Wertung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil nicht einhellig von allen Verwaltungsgerichten geteilt wird, gibt es vorliegend keinen Anlass zur Annahme, dass eine klärungsbedürftige und entscheidungserhebliche Tatsachen- oder Rechtsfrage anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte. Insbesondere gibt es auch keinen Grund zur Annahme, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern aufgrund anderer Erkenntnisquellen die gegenteiligen klägerischen Bewertungen zutreffend sein könnten (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 17.1.2019 – 15 ZB 19.30187 – juris Rn. 9 m.w.N.), zumal es in den abweichenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen an quantitativen Feststellungen zur “Verfolgungsdichte” (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 11 B 19.30575 – Rn. 60) fehlt.
2. Entgegen der Ansicht der Kläger liegen auch keine etwaigen – von den Klägern sinngemäß geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) – vor.
a) Die erst nachträglich geltend gemachte Behauptung der “Voreingenommenheit” der Einzelrichterin ist unbegründet. Weder aus der Fassung des Protokolls noch aus den Urteilsgründen oder einer vermeintlichen “Verschleppung” des späteren Prozesskostenhilfeantrags ergibt sich eine Besorgnis der Befangenheit der Einzelrichterin. Im Übrigen ist festzustellen, dass die Einzelrichterin weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen noch wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war und die Voraussetzungen des § 138 Nr. 2 VwGO damit nicht erfüllt sind. Ebenso wenig liegt eine willkürliche und auf sachfremden Erwägungen beruhende Entscheidung der Einzelrichterin vor, so dass auch ein etwaiger Verfahrensfehler im Sinne von § 138 Nr. 1 VwGO ausscheidet (vgl. hierzu Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 138 Rn. 21)
b) Schließlich wurde im gerichtlichen Verfahren auch nicht der Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (§ 138 Nr. 3 VwGO). Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es den Klägern nicht möglich gewesen sein soll, ihre Verfolgungssituation, insbesondere den “Einfluss des Schwiegervaters” oder die aus ihrer Sicht unzumutbare Alternative, in Georgien “in eine kleinere, noch einschlägiger gefährlichere Stadt zu ziehen”, ausführlich zu schildern.
3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. In Verfahren über Prozesskostenhilfeanträge werden weder Gerichtskosten erhoben noch dem Gegner entstandene Kosten erstattet (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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