Verwaltungsrecht

Asylrecht, Herkunftsland: Afghanistan, Keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist, Anforderungen an eine sorgfältige Büroorganisation nach einem Kanzleiumzug

Aktenzeichen  M 2 K 17.35264

Datum:
14.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14042
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, 3a, 3b, 3c, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II.  Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.  Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Tatbestand:  

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
I.
Die Klage ist unzulässig. Die Klagefrist war im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen.
1. Die Klage wurde nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben. Da der Bescheid ausweislich der in der Bundesamtakte enthaltenen Postzustellungsurkunde am 21. Februar 2017 zugestellt worden ist (§ 74 Abs. 1 AyslG), endete die Frist am 7. März 2017 (§ 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG, §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Die am 20. März 2017 erhobene Klage ist somit verfristet.
2. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nach § 60 VwGO scheidet aus.
a) Innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO müssen die Tatsachen vorgetragen werden, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen. Der Antragsteller muss dabei deutlich machen, wie und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist bzw. weshalb das Verschulden fehlt. Im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts bedarf es daher konkreter Angaben dazu, dass das Versäumnis nicht vom Bevollmächtigten verschuldet ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Sorgfaltspflichten des bevollmächtigten Rechtsanwalts bestimmen sich dabei nach objektiven Kriterien. Bedient sich der Rechtsanwalt, wie meist, zur Erledigung der Aufgaben eines Büroapparats, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser so organisiert ist, dass Fehler vermieden werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2006 – 4 ZB 05.3239 – juris Rn. 5). Folglich bedarf es im Wiedereinsetzungsantrag konkreter Ausführungen zur Organisation und Überwachung der Fristenwahrung in der Kanzlei, die im Normalfall die Fristeinhaltung garantieren. Ein Rechtsanwalt hat insbesondere darzulegen, dass seine mit der Fristwahrung befassten Angestellten sorgfältig ausgewählt, überwacht und angeleitet wurden und kein Anlass bestand, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln (vgl. Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 68 m.w.N.).
b) Hinsichtlich des Einsatzes von Telefaxgeräten ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Rechtsanwalt für eine Büroorganisation sorgen muss, die eine Überprüfung des Zugangs der per Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze gewährleistet. So hat er insbesondere seine Angestellten anzuweisen, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2016 – 7 BV 15.2166 – juris Rn. 8). Einzelnachweise sind zu überprüfen und zu dokumentieren (vgl. Czybulka/ Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 89). Inhalt der Sorgfaltspflicht ist es auch, bei vorhersehbaren technischen Schwierigkeiten die Zuverlässigkeit des gewählten Übermittlungswegs gesondert zu überprüfen (vgl. BSG, B.v. 3.8.2016 – B 6 KA 5/16 B – juris Rn. 16).
c) Vorliegend trägt der (damals) Bevollmächtigte des Klägers vor, dass die zuverlässige Sekretärin die Klage fristgemäß an das Verwaltungsgericht gefaxt habe. Infolge eines wenige Tage zuvor erfolgten Umzugs der Kanzlei und einer damit verbundenen Umstellung der Telefon- und Faxanlage sei es allerdings zu einem erst am 20. März 2017 bemerkten technischen Problem gekommen: Die Anlage habe keine Faxberichte gesendet bzw. diese Berichte seien unzuverlässig gewesen. Erst einem Gesamtfaxbericht vom 20. März 2017 sei zu entnehmen gewesen, dass die Faxe in der Warteschleife der Anlage verblieben seien. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2020 ist auf Nachfrage des Gerichts von der nunmehr Bevollmächtigten zusätzlich vorgetragen worden, dass „in der [ursprünglichen] Kanzlei die Angelegenheit des Klägers von einem Rechtsanwalt bearbeitet“ worden sei, „der seinerzeit nach Annahme des Mandats kurzfristig unter Mitnahme der Akten abgetaucht“ sei.
d) Dieser Vortrag genügt nicht, um von einem fehlenden Verschulden des Bevollmächtigten auszugehen (zur fehlenden Glaubhaftmachung siehe unter e).
Auf den Umstand des Verschwindens eines (angestellten?) Anwalts kommt es vorliegend – ungeachtet der Frage nach der Rechtzeitigkeit des Vortrags – bereits deshalb nicht an, weil zwischen diesem und der Fristversäumung keine Kausalität besteht. Die Klage ist nach dem Vortrag am letzten Tag der Frist fertiggestellt und an das Verwaltungsgericht gefaxt worden; lediglich die Erfolglosigkeit der Übermittlung blieb unbemerkt.
Das im Übrigen vorgetragene Geschehen führt nicht zu einer Bewertung der Fristversäumung als unverschuldet. Der (frühere) Bevollmächtigte des Klägers stellt in seinem Vortrag zunächst auf das Ausbleiben einer Fehlermeldung des Faxgeräts ab. Er geht damit offenbar auch für den Fall, dass weder ein Sendebericht erstellt wird noch eine Fehlermeldung ergeht, von einer ordnungsgemäßen Übertragung aus. Damit fehlt es an der einer sorgfältigen Büroorganisation entsprechenden Weisung an die Beschäftigen, bei einem Übertragungsvorgang mittels Telefax stets einen Sendebericht zu erwarten und diesen auf die Mitteilung einer erfolgreichen Übertragung („Übertragung: ok“) zu überprüfen.
Vorliegend bestand darüber hinaus angesichts des wenige Tage vor der Klageerhebung stattgefundenen Umzugs der Kanzlei und der damit verbundenen möglichen Beeinträchtigungen der Geschäftsabläufe und Kommunikationsmedien besondere Veranlassung, geeignete Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße, namentlich fristgerechte Weiterbearbeitung der übertragenen Angelegenheiten zu treffen (vgl. BSG, B.v. 3.8.2016 – B 6 KA 5/16 B – juris Rn. 16). Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass nach einer Umstellung einer Telekommunikationsanlage vorübergehende Sende- oder Empfangsprobleme vorkommen. Der Bevollmächtigte hätte folglich nach dem Umzug die Empfangs- und Sendemöglichkeiten überprüfen und sein Kanzleipersonal zu besonderer Sorgfalt bei der Übersendungskontrolle anweisen müssen. Hierzu ist nichts vorgetragen; ohnehin lassen die Ausführungen des Bevollmächtigten auf fehlendes Problembewusstsein schließen. Die Fristversäumung erfolgt damit nicht unverschuldet im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO.
e) Darüber hinaus ist der (unzureichende) Vortrag nicht glaubhaft gemacht (§ 60 Abs. 2 S. 2 VwGO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die zur unverschuldeten Fristversäumung führenden Tatsachen, aber auch auf diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrags ergibt. Eine Glaubhaftmachung gelingt, wenn „bei der umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falls mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen“ (BAG, U.v. 7.11.2012 – 7 AZR 314/12 – NJW 2013, 1467/1469); die volle richterliche Überzeugung von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen ist daher nicht notwendig. Bleibt allerdings offen, ob die Fristversäumnis verschuldet war, so ist die Wiedereinsetzung abzulehnen (vgl. Peters in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 56. Ed., Stand: 1.1.2021, § 60 Rn. 38).
Das Gericht hält den geschilderten Ablauf nicht für ausreichend wahrscheinlich. Keiner der vorgetragenen Umstände ist glaubhaft gemacht. Die allein vorgelegte anwaltliche Versicherung des Bevollmächtigten trägt die Glaubhaftmachung der vorgetragenen Behauptungen nicht, weil die maßgeblichen Tatsachen nicht ausschließlich in dessen Wahrnehmungssphäre beheimatet sind und objektive Beweismittel vorhanden (gewesen) sein müssen (vgl. BFH, B.v. 25.5.2011 – VIII R 25/09 – juris Rn. 8; LG Heilbronn, B.v. 9.2.2017 – 8 Qs 2/17 – juris Rn. 7). Vorliegend wäre der Gesamtfaxbericht vom 20. März 2020, dem sich nicht nur das Verbleiben zahlreicher Faxe in der Warteschleife, sondern auch die Einhaltung der zweiwöchigen Einsetzungsfrist entnehmen lassen müsste, vorzulegen gewesen. Entsprechendes gilt für Dokumente über die Beauftragung eines Telekommunikationsunternehmers für die Umstellung der TK-Anlage.
Sollten solche objektiven Beweismittel ausnahmsweise nicht vorhanden (gewesen) sein, wäre zumindest darzulegen gewesen, weshalb die Vorlage nicht möglich ist. Dies ist nicht geschehen. Allein der Umstand, dass die Klageerhebung nunmehr mehrere Jahre zurückliegt, kann, anders als die nunmehr Bevollmächtigte meint, die Beweisnot nicht erklären. Von einem sorgfältigen Rechtsanwalt ist zu erwarten, für den Erfolg eines Wiedereinsetzungsantrags offenkundig erforderliche Dokumente (legt er sie nicht schon mit der Antragstellung bei Gericht vor) in all jenen Verfahrensakten aufzubewahren, für deren Verfahren eine Entscheidung über einen Antrag auf Wiedereinsetzung noch aussteht.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Anwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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