Verwaltungsrecht

Asylrecht, Herkunftsland: Irak (Sulaimaniya), Flughafenverfahren, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gestattung der Einreise (abgelehnt), Gestattung der Einreise nach richterlicher Ablehnung der Haftverlängerung, Abänderungsantrag

Aktenzeichen  M 4 S7 19.34423

Datum:
29.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29657
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO analog § 80 Abs. 7
VwGO § 123
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 18a Abs. 6 Nr. 4
ZPO § 114 ff.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der analogen Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet im sog. Flughafenverfahren.
Der 20-jährige Antragsteller ist nach seinen Angaben irakischer Staatsangehöriger.
Er landete am … … 2019 aus der Türkei kommend ohne Papiere am Flughafen München und äußerte am selben Tag ein Schutzersuchen.
Am Folgetag informierte die Bundespolizei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) über das Schutzersuchen. Am … … 2019 stellte der Antragsteller einen Asylantrag und wurde am selben Tag nach einer 90-minütigen Belehrung fünf Stunden lang angehört. Mit Bescheid vom 4. September 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab. Mit Bescheid vom 9. September 2019 verweigerte die Bundespolizei dem Antragsteller sodann die Einreise ins Bundesgebiet.
Mit Schriftsatz vom 10. September 2019, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte Klage gegen den Bescheid des Bundesamts auf Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus und weiter hilfsweise auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sowie gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion auf Verpflichtung, die Einreise zu gestatten, erheben (M 4 K …) und zugleich beantragen, die Bundespolizei im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller die Einreise zu gestatten (M 4 E 19. …).
Mit unanfechtbarem Beschluss vom 20. September 2019 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet ab. Es führte im Rahmen der Statthaftigkeit u.a. aus, dass im sog. Flughafenverfahren die statthafte Antragsart nicht der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts sei, sondern – wegen der Regelung in § 18a Abs. 5 Satz 2 AsylG, wonach die Anordnung des Gerichts auf einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 18a Abs. 4 AsylG, dem Ausländer die Einreise zu gestatten, zugleich als Aussetzung der Abschiebung gilt – der Antrag auf einstweilige Anordnung der Gestattung der Einreise und für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts kein Rechtsschutzinteresse gegeben sei. Der Antragsteller habe jedoch einen Anspruch auf Gestattung der Einreise nicht glaubhaft gemacht, weil das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt und diese Ablehnung Bestand habe. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an dem vom Bundesamt auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützten Offensichtlichkeitsurteil. Das Vorbringen des Antragstellers sei in wesentlichen Punkten nicht substantiiert bzw. in sich widersprüchlich. Auf den Beschluss wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO analog).
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2019 teilte die Antragsgegnerin (im Klageverfahren) mit, dass die Rückführung des Antragstellers, der sich noch im Transitbereich des Flughafens befinde, vorbereitet werde. Am … … 2019 ergab ein Besuch bei der irakischen Botschaft, dass diese für irakische Staatsangehörige, die nicht freiwillig ausreisen wollen, keine Reisepapiere ausstellt, wenn es sich nicht um Straftäter handelt.
Mit Beschluss vom 13. November 2019 (Bl. … f.) hob daraufhin das Landgericht … im Verfahren der Bundespolizeidirektion … gegen den Antragsteller einen Beschluss des Amtsgerichts … vom … … 2019 auf (Az.: 65 T …), da für den Betroffenen eine Rückkehrprognose nicht mehr „attestiert“ werden könne. Am … … 2019 leitete die Bundespolizeidirektion den Antragsteller an das Ankunftszentrum für Asylbewerber weiter. Im Klageverfahren teilte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 14. November 2019 mit, dass der Kläger am … … 2019 eingereist sei und erklärte „Punkt 3“ der Klageschrift für erledigt.
Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2019, bei Gericht am selben Tag per Telefax eingegangen, ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte „analog § 80 Abs. 7 VwGO“ beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 4. September 2019 anzuordnen.
Zur Begründung trug die Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen vor, die Einreisegestattung auf der Grundlage von § 18a Abs. 6 Nr. 4 AsylG nach richterlicher Ablehnung der Haftverlängerung löse – anders als eine gerichtliche Anordnung der Einreisegestattung – keine aufschiebende Wirkung der Klage aus, weshalb ein Rechtsschutzinteresse für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Hauptsacheverfahren gegeben sei. Dem Antragsteller sei die Einreise wegen des Haftaufhebungsbeschlusses gestattet worden. Bei „entsprechender Anordnung des Gerichts“ wäre dadurch die aufschiebende Wirkung gemäß § 18a Abs. 5 Satz 2 AsylG eingetreten. Es liege die Vermutung nahe, dass die Abschiebung des Antragstellers betrieben werden solle, obwohl ein Abschiebestopp in den Irak bestehe. Deshalb sei ein „Eilantrag analog § 80 Abs. 5 VwGO“ geboten; bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache könne nicht zugewartet werden.
Der Antragsgegner wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 10. Dezember 2019 gebeten, sich sofort zu dem Antrag zu äußern und die Akten vorzulegen. Am 12. Dezember 2019 und am 13. Dezember 2019 legte der Antragsgegner Behördenakten in elektronischer Form vor. Auf ihren Antrag vom 3. Februar 2020 auf Akteneinsicht übermittelte das Gericht der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 4. Februar 2020 die Behördenakte.
Mit Schriftsatz vom 1. März 2020 ergänzte die Prozessbevollmächtigte ihre Begründung im Klageverfahren. Im Rahmen von grundsätzlichen Ausführungen zur Frage der Glaubwürdigkeit trug sie im Wesentlichen vor, es widerspreche dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem Grundsatz eines fairen Verfahrens, wenn sich die Behörde zur Antragsablehnung auf unsubstantiiertes Vorbringen berufe, wenn der Tatsachenvortrag des Asylantragstellers die „nicht entfernt liegende Möglichkeit“ ergebe, dass die Furcht vor Verfolgung begründet sei, der Antragsteller aber nicht in ihm verständlicher Weise angeleitet werde, wie er seine Fluchtgründe vorbringen müsse. Der Anspruch, eine „wahrheitsgemäße Schilderung eines realen Vorgangs“ sei erfahrungsgemäß durch Korrektheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum gekennzeichnet, gelte nicht uneingeschränkt für Ausländer, zumal im Asylverfahren. Sie habe es außer in wenigen Ausnahmefällen noch nie erlebt, dass Mandanten aus sich heraus und spontan eine lückenlose, auf Anhieb nachvollziehbare Schilderung der maßgeblichen Ereignisse vorgebracht hätten. Die Antworten seien stets zunächst pauschal und das Vorbringen wenig substantiiert gewesen und erst nach wiederholten und erläuternden Hinweisen, es komme auf Einzelheiten an, kämen Details zur Sprache. Die Erfahrung im Asylverfahren zeige, dass die Schilderung nur selten durch Anschaulichkeit und Detailreichtum gekennzeichnet sei. Dies könne daher im Umkehrschluss nicht ein Hinweis auf eine erfundene Geschichte sein. Das Verhalten sei der zum Teil geringen Bildung der Betroffenen geschuldet und deren völlig anderer Auffassung davon, was ein vernünftig denkender Mensch als wesentlich ansehe. Die Antragsteller seien auch häufig mit den Anforderungen an glaubhafte Schilderungen überfordert. Hier führten nur gezielte Fragen weiter und nicht Bemerkungen wie „Haben Sie sonst noch etwas vorzubringen?“. Von einem Ausländer aus einem anderen Kulturkreis könne nicht unbedingt erwartet werden, dass er nach „mehr oder weniger“ präziser Übersetzung der „Belehrung für Erstantragsteller“ wisse, was von ihm erwartet werde. Dies müsse umso mehr gelten, wenn ein Antragsteller – wie vorliegend – vor seiner Anhörung keinen rechtlichen Beistand gehabt habe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in der Lage gewesen sei, die im Informationsblatt dargelegten komplexen Sachverhalte zu erfassen. Die Verpflichtung des Asylantragstellers zur selbstständigen, schlüssigen und detaillierten Schilderung des Sachverhalts korrespondiere mit der verfahrensrechtlichen Fürsorgepflicht des Bundesamts gegenüber dem „Flüchtling“. Auf Fragen der Prozessbevollmächtigten (im Gespräch am … … 2020) habe der Antragsteller spontan eine Anzahl von Details geschildert. Die Richtigkeit des bei der Bundespolizei erstellten Protokolls werde bestritten. Die Angaben des Antragstellers in der Anhörung am 3. September 2019 seien als Ergänzung der Aussage, er werde verfolgt, zu sehen.
Mit Schriftsatz vom 12. März 2020 beantragte die Prozessbevollmächtige
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und ihre Beiordnung als Prozessbevollmächtigte
und übermittelte die am … … 2020 vom Antragsteller unterzeichnete Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Mit Schriftsatz vom 1. April 2021 fragte die Antragsgegnerin nach dem Sachstand im Verfahren, woraufhin das Gericht mit Schreiben vom 6. April 2021 erneut um eine Antragserwiderung bat.
Mit Schriftsatz vom 26. April 2021 im Klageverfahren beantragte die Antragsgegnerin,
den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO abzulehnen,
und nahm im Klageverfahren Stellung. Der Sachvortrag des Antragstellers werde weiterhin als unglaubhaft bewertet. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens und einer als ausreichend angenommenen Intensität der drohenden Gefahren sei es dem Kläger jedenfalls möglich und zumutbar, vor der Gefahr erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung durch die vermeintlichen Verfolger internen Schutz in einem anderen Teil Iraks, insbes. in der Autonomen Region Kurdistan, z.B. in … zu suchen. Es werde auf die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten verwiesen, denen zufolge der Antragsteller bewusst … als Ort der Ausreise gewählt habe, weil er vermutet habe, dass der Einflussbereich seines Verfolgers nicht bis dorthin reiche (Seite 6 des Schreibens vom 1. März 2020). Bezüglich einer innerstaatlichen Fluchtalternative werde auf die Rechtsprechung der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts München Bezug genommen, bspw. auf das Urteil vom 13. März 2020 im Verfahren M 4 K 16.35588.
Mit weiterem Schriftsatz vom 24. Juni 2021 trug die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Klage- und Eilverfahren vor, der Antragsteller habe keine interne Schutzalternative in der Autonomen Region Kurdistan; der Antragsteller habe dort gelebt und sei von der Familie des Mädchens verfolgt worden. Im Fall seiner Rückkehr müsse der Antragsteller mit erneuter Verfolgung durch die Familie des mit ihm befreundeten Mädchens rechnen. Der Antragsteller sei über seinen in Deutschland lebenden Bruder mit seinen Eltern in seiner Heimatstadt in Kontakt und diese berichteten, dass der Vater des Mädchens fast wöchentlich zusammen mit zwei Brüdern vor dem elterlichen Haus auftauche, die Familie beschimpfe und vage bedrohe. Sie verlangten, dass der Antragsteller das Mädchen heirate, um dessen Ehre wiederherzustellen. Die Eltern des Antragstellers vermuteten hierin eine Falle. Sie verstünden das Verhalten des Vaters des Mädchens so, dass er dem Antragsteller etwas antun würde, wenn er nach Hause käme. Die Eltern des Antragstellers seien von dem ständigen Auftauchen der Männer und ihren lautstarken Beschuldigungen gepeinigt und das Verhältnis zu den Nachbarn, die sich gestört fühlten, belastet. Das letzte Telefonat des Antragstellers mit seinen Eltern habe vor ca. drei Monaten stattgefunden. Der Antragsteller lebe in ständiger Angst um seine Familie, leide unter Schlaflosigkeit und Panikattacken. Sich in einem anderen Teil des Iraks niederzulassen, könne der Antragsteller nicht zugemutet werden, weil dort Arabisch gesprochen werde. Der Antragsteller spreche nur Kurdisch und verstehe Arabisch nicht. Im kurdischen Landesteil werde Arabisch, obwohl es die Amtssprache des Iraks sei, nur als Fremdsprache gelehrt. Wegen der Verständigungsschwierigkeiten, weil der Antragsteller keinen Beruf erlernt und keine Kontakte außerhalb der Kurdischen Region habe, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ihn unmöglich, außerhalb seiner Heimatregion eine Arbeit zu finden und sich eine Existenz zu schaffen. Auch wegen der Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie sei es für ungelernte Arbeitskräfte sehr schwierig, ein Auskommen und Unterkunft zu finden.
Auf telefonische Nachfrage am 22. September 2021 teilte das Bundesamt dem Gericht mit, dass es am 26. April 2021 eine Stellungnahme übermittelt habe. Nachdem diese (wohl mangels Angabe des Aktenzeichens des Eilverfahrens seitens der Antragsgegnerin) dem Verfahren nicht zugeordnet und der Berichterstatterin nicht vorgelegt wurde, sagte die Sachbearbeiterin beim Bundesamt eine nochmalige Übermittlung zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakten, auch in den Verfahren M 4 K 19. … und M 4 E 19. …, sowie der vorgelegten Behördenakte.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag zulässige Antrag ist unbegründet.
1.1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, ist zulässig, insbesondere statthaft.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).
Stellt ein Antragsteller nach einer gerichtlichen Entscheidung, die seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO ablehnt, einen weiteren Antrag, so handelt es sich nach überwiegender Auffassung um einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO analog auf Abänderung der ursprünglichen Entscheidung. Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist auch im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit hierfür ein Abänderungsverfahren statthaft (BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 10 CE 19.650 – juris Rn. 17 in einem ausländerrechtlichen Verfahren).
Dem Antragsteller war im vorangehenden gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Beantragung der – wegen § 75 Abs. 1 AsylG an sich statthaften -Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die mit der Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet verbundene Abschiebungsandrohung gemäß § 36 Abs. 4 AsylG, § 80 Abs. 5 VwGO nicht zuzumuten. Ein solcher Antrag wäre nämlich, da es sich um ein sog. Flughafenverfahren gemäß § 18a AsylG gehandelt hat, mangels Rechtsschutzinteresse als unzulässig abgelehnt worden (§ 18a Abs. 5 Satz 2 AsylG). Zugleich ist anerkannt, dass auch in den Verfahren nach § 36 Abs. 4 AsylG, also u.a. in Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO statthaft ist; die Besonderheiten des Verfahrens gemäß § 36 AsylG schließen die grundsätzliche Möglichkeit der Abänderung eines Eilbeschlusses nicht aus (vgl. Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 1. Aufl. 2017, Teil 3. Asylverfahrensrecht Rn. 553, beck-online). Die Analogie ergibt sich daraus, dass die erste gerichtliche Eilentscheidung eine Entscheidung nach § 123 VwGO und nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO gewesen ist.
Das Gericht geht zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass der Abänderungsantrag auch in den Verfahren, die den Regelungen des § 36 AsylG unterliegen, nicht fristgebunden ist (vgl. hierzu Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 80 Rn. 578; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 133).
Damit ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zulässig.
1.2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts hat, § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog.
Das Gericht hat im Abänderungsverfahren zu prüfen, ob tatsächlich veränderte tatsächliche oder rechtliche Umstände geltend gemacht werden oder vorliegen, die sich möglicherweise auf die Entscheidung auswirken können. Als solche veränderten Umstände kommen eine Änderung der Rechtslage, die Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung oder die erstmalige höchstrichterliche Klärung einer strittigen Frage (BVerfG, B.v. 26.8.2004 – 1 BvR 1446/04 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 22.11.2012 – OVG 11 S 63.12 – juris; VGH Mannheim, B.v. 29.1.1992 – 11 S 1995/91 – juris) ebenso in Betracht wie ein neues Sachverständigengutachten, das dem Gericht neue Erkenntnismöglichkeiten zur Sachlage verschafft, aber auch jede sonstige tatsächliche Entwicklung (Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019 Rn. 134, VwGO § 80 Rn. 134). Liegen veränderte Umstände in diesem Sinn vor und wurden sie im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht, hat das Verwaltungsgericht die gleichen Maßstäbe wie bei der ursprünglichen Entscheidung anzulegen und zu prüfen, ob aufgrund der neuen oder veränderten Umstände die Interessenabwägung einen anderen Ausgang nimmt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylG.
Nach dieser Maßgabe gilt Folgendes:
1.2.1. Soweit die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers geltend macht, dass diesem am … … 2019 die Einreise zu gestatten war, führt dies nicht zum Erfolg ihres Antrags.
Es handelt sich bei der Gestattung der Einreise zwar um eine veränderte Tatsachenlage, die auch ohne Verschulden nicht im ursprünglichen Verfahren geltend gemacht wurde. Sie führt jedoch nicht zu erheblichen Zweifeln i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.
Angegriffener Verwaltungsakt und damit Gegenstand der vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Prüfung ist die nach § 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. §§ 34, 35 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung in den Irak. Die Androhung der Abschiebung nach Ablauf einer Ausreisefrist von nur einer Woche setzt tatbestandlich voraus, dass das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Das Gericht hat die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Anlegung des Maßstabs der ernstlichen Zweifel bereits geprüft und bejaht (1.2.1.1.). Im vorliegenden Abänderungsverfahren ist derselbe Maßstab anzuwenden (1.2.1.2.).
1.2.1.1. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung war bereits Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Dass das ursprüngliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Gestattung der Einreise und nicht auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung gerichtet war, steht dem nicht entgegen. Denn das Gericht hat im Rahmen der Prüfung eines glaubhaft gemachten Anspruchs des Antragstellers auf Gestattung der Einreise inzident geprüft, ob und im Ergebnis verneint, dass ernstliche Zweifel an der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG bestehen.
1.2.1.2. Das Verwaltungsgericht hat – wie im Ausgangsverfahren – den Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG anzuwenden, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, im Abänderungsverfahren bzw. im „analogen“ Verfahren einen anderen Prüfungsmaßstab anzulegen.
Der Umstand, dass dem Antragsteller nachträglich die Einreise in das Bundesgebiet gemäß § 18a Abs. 6 Nr. 4 AsylG zu gestatten war, weil eine Verlängerung der Haft nicht angeordnet wurde, wirkt sich jedoch nicht dahingehend aus, dass deshalb nunmehr ernstliche Zweifel an der vom Gericht im Ausgangsverfahren nicht beanstandeten Bewertung des Bundesamts, dass das Vorbringen des Antragstellers in wesentlichen Punkten unsubstantiiert oder in sich widersprüchlich ist, bestehen. Die nachträglich gemäß § 18a Abs. 6 Nr. 4 AsylG zu gestattende Einreise steht mit dem Vortrag des Antragstellers bei seiner Anhörung in keinem Zusammenhang.
1.2.2. Soweit die Prozessbevollmächtigte die Frage der der Glaubhaftigkeit des Vortrags des Antragstellers anders bewertet als das Bundesamt und das Verwaltungsgericht, ist dies im vorliegenden Verfahren von vornherein nicht geeignet, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Denn das Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellt kein Rechtsmittelverfahren dar, sondern ein gegenüber dem ersten Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes selbstständiges neues Verfahren, dessen Gegenstand nicht die Überprüfung dieser Entscheidung, sondern die Neuregelung der Vollziehung des Verwaltungsakts für die Zukunft in einem abweichenden Sinn ist.
Dies ist gilt insbesondere für das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten, der Vortrag des Antragstellers dürfe nicht als unsubstantiiert gewertet werden, wenn sich aus dem Tatsachenvortrag die „nicht entfernt liegende Möglichkeit“ ergebe, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist sowie für das Vorbringen, dass Schilderungen im Asylverfahren erfahrungsgemäß selten durch Anschaulichkeit und Detailreichtum gekennzeichnet seien, weshalb dies im Umkehrschluss nicht zur Einschätzung als erfundene Geschichte dienen könne. Auch die Einschätzung, das Bundesamt müsse den Asylantragsteller in ihm verständlicher Weise „anleiten“, wie er seine Fluchtgründe vorbringen müsse, fällt hierunter. Ebenso wie der Vortrag, es sei die zum Teil nur geringe Bildung – der Antragsteller hat nach seinen Angaben im Irak neun Jahre lang die Schule besucht und war bis zu seiner Ausreise in Aus- bzw. Weiterbildung im IT-Bereich -, der andere Kulturkreis und außerdem zu berücksichtigen, dass der Antragsteller keinen rechtlichen Beistand gehabt habe, zu berücksichtigen.
1.2.3. Soweit die Prozessbevollmächtigte aufgrund ihrer „Anhörung“ des Antragstellers seine Fluchtgründe nunmehr selbst detailreicher schildert, handelt es sich zum einen nicht um neue Tatsachen, und zum anderen war der Antragsteller auch nicht ohne Verschulden an einem früheren Vortrag gehindert. Der Antragsteller wurde 300 Minuten lang angehört. Der Antragsteller hat mit seiner Unterschrift bestätigt, dass ihm die „Wichtige Mitteilung“ ausgehändigt wurde und er eine schriftliche Übersetzung in die Sprache Sorani erhalten hat. Er bestätigte außerdem, den Inhalt verstanden zu haben. Die Belehrung über das Asylverfahren dauerte 90 Minuten. Der Antragsteller erhielt die schriftlichen Unterlagen in seiner Landessprache, sie wurde ihm außerdem noch einmal verbal erläutert. Soweit die Prozessbevollmächtigte ausführt, der Antragsteller sei „eingeschüchtert“ gewesen, ändert dies nichts am Verschulden des Antragstellers, seine Fluchtgründe detailliert bereits bei der Anhörung anzugeben. Schon aus der Dauer der Anhörung ergibt sich, dass der Antragsteller ausreichend Gelegenheit zum Vortrag seiner Verfolgungsgeschichte hatte. Gegen die vorgetragene „Einschüchterung“ des Antragstellers spricht im Übrigen, dass er am … … 2019 mit dem Datenaustausch im Dublin-Verfahren explizit nicht einverstanden war. Der Vortrag, der Antragsteller habe die komplexen Sachverhalte des Informationsblatts nicht erfasst, ist zwar neu, aber nicht unverschuldet, denn der Antragsteller hat mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er den Inhalt verstanden hat.
1.2.4. Der Vortrag, dass das Protokoll der Befragung beim der Bundespolizei am … … 2019 falsch sei, ist nicht neu.
Schon bei seiner Anhörung beim Bundesamt am … … 2019 antwortete der Antragsteller auf die Frage, ob er den Sprachmittler bei der Befragung durch die Bundespolizei am … … 2019 verstanden habe, zunächst, dass der Dolmetscher kein Problem gewesen sei und führte anschließend auf Vorhalt, dass der Antragsteller bei der Befragung am … … 2019 andere Ausreisegründe genannt habe, aus, dass der Sprachmittler alles falsch übersetzt habe. Der Dolmetscher habe gesagt, der Antragsteller müsse unterschreiben und er solle dem Dolmetscher vertrauen. Der Dolmetscher verspreche, dass der Antragsteller nicht nach Kurdistan zurückgeschickt werde, er würde den Antragsteller als Jesiden aus Shengal ausgeben, das sei besser für den Antragsteller, um hier zu bleiben.
1.2.5. Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten, die Eltern des Antragstellers hätten in einem Telefonat geschildert, dass der Vater des Mädchens nach wie vor „fast wöchentlich zusammen mit zwei Brüdern vor dem elterlichen Haus auftauche, die Familie beschimpfe und vage bedrohe“ und verlange, dass der Antragsteller das Mädchen heirate, um dessen Ehre wiederherzustellen, ist zwar neu und ohne Verschulden nicht im vorherigen Verfahren vorgebracht worden. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine tatsächliche Entwicklung, die das Gericht nunmehr zu einer vom vorherigen Verfahren abweichenden Entscheidung veranlasst. Denn hierin liegt letztlich eine Vertiefung des bisherigen unglaubhaften Vorbringens, das durch den nunmehrigen Vortrag nicht an Glaubhaftigkeit gewinnt.
1.2.6. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG stehen der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Auch diese Frage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht anders zu bewerten als im Ausgangsverfahren.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Entscheidung des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen; jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zu § 51 AuslG 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Dies ergibt sich weiter auch daraus, dass die Abschiebungsandrohung nach dem AsylG – anders als nach der ausländerrechtlichen Regelung in § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach dem Erlass einer Abschiebungsandrohung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegensteht – gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG voraussetzt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist. Die Frage, ob der strengere Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG auch hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungsverboten gilt, muss vorliegend nicht entschieden werden. Es liegen nämlich nicht nur keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten vor.
1.2.6.1. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – juris Ls. 1 und Rn. 8 ff.) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Danach darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr anwendbar, sondern auch dann, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66, 105).
Allerdings können eine allgemeine Situation der Gewalt oder schlechte humanitäre Verhältnisse im Abschiebungszielstaat nur dann eine Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK darstellen, wenn ganz außerordentliche Umstände vorliegen. Maßgeblich für das Beweismaß zu Art. 3 EMRK ist der Begriff des „real risk“, der dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 106; VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265.17 – juris Rn. 149). Für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175).
Die Verbürgungen der EMRK begründen im vorliegenden Fall kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht wegen der derzeitigen Sicherheitslage oder wegen den bestehenden humanitären Verhältnissen.
Es ist es zunächst nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in den Irak unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage im Irak droht. Eine allgemeine Situation der Gewalt, die zur Folge hätte, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Nordirak (Kurdistan-Irak) der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, ist nicht anzunehmen. Eine besondere Bedrohungslage durch den IS besteht nach der Erkenntnislage des Gerichts in der autonomen Region Kurdistan-Irak nicht mehr. Der IS ist lediglich im Sommer 2014 kurzzeitig dorthin vorgedrungen. Allerdings konnte der Vormarsch des IS durch die kurdischen Sicherheitskräfte und Luftangriffe der internationalen Koalition gestoppt und der IS aus den kurdischen Gebieten zurückgedrängt werden. Schließlich konnte der IS in den Jahren 2016 und 2017 im gesamten Land territorial eingedämmt werden; das sogenannte „Kalifat“ des IS im Irak wurde in der Fläche besiegt. In der Region Kurdistan-Irak können Kurden unter zumutbaren Bedingungen leben und sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 20 B 18.30800 – juris Rn. 43; VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 17 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 22.1.2021, Stand Januar 2021, S. 16, 20).
Der Antragsteller ist auch nicht subsidiär schutzberechtigt i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, denn ihm droht keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Von einem solchen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kann in der hierfür maßgeblichen Heimatregion des Antragstellers – in Sulaimaniya – nicht ausgegangen werden. Mit der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass in der gesamten Republik Kurdistan-Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt stattfindet (vgl. VG Köln, U.v. 10.9.2019 – 17 K 7760/17.A – juris Rn. 100 ff.; VG Bayreuth, U.v. 12.7.2019 – B 3 K 18.30379 – juris Rn. 64; VG Ansbach, U.v. 8.6.2017 – AN 2 K 16.31196 – juris Rn. 18). Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Antragstellers, nach denen dieser spezifisch betroffen wäre (vgl. zu dieser Anforderung OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 133), sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Schlechte sozioökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
Auch wenn die humanitäre Lage im Irak nach wie vor äußerst angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage mit der überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass am Zielort einer Abschiebung in der Region Kurdistan-Irak keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage besteht, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen im Zielort einer Abschiebung, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen (vgl. VG Aachen, U.v. 3.4.2019 – 4 K 1853/16.A – juris Rn. 25; VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 24 f.), sind für den Antragsteller nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
Vorliegend ist es nicht anzunehmen, dass der Antragsteller solchen Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung ausgesetzt wäre, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald verelenden würden. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Erwerbsbedingungen, insbesondere vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, derzeit für alle Iraker schwierig sind. Der Antragsteller verfügt jedoch über Familie im Irak, hat nach seinen Angaben die Schule abgeschlossen, ist jung und körperlich gesund. Der Aufenthalt in Deutschland kommt dem Antragsteller bei Bewerbungen im Irak ebenfalls zugute (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 22.1.2021, Stand Januar 2021, S. 25). Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller möglicherweise nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, gewissen Übergangszeiten und mit Hilfe durch das familiäre Netzwerk das Existenzminimum für sich wird sicherstellen können. Der Vortrag, dass der Antragsteller kein Arabisch spreche und außerhalb der Kurdischen Autonomieregion seinen Lebensunterhalt nicht werde sichern können, ist unbehelflich, weil das Gericht davon ausgeht, dass der Antragsteller in seine Heimatregion zurückkehren kann. Schließlich besteht für den Antragsteller – insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen, die ihm die Rückkehr erheblich vereinfachen und auch Startschwierigkeiten vermeiden helfen können (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin; s.a. VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 25 f.; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 65). In Erbil und in Bagdad gibt es hierfür sogar Beratungszentren vor Ort (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 22.1.2021, Stand Januar 2021, S. 24).
1.2.6.2. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen. Unerheblich ist allerdings, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 224).
Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, auch nicht unter Berücksichtigung der aktuellen Pandemielage.
Die Pandemie stellt allenfalls eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG dar. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Iraks aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren aufgrund der desolaten Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in den Irak mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt wäre. Er ist schon wegen seines Alters nicht besonders gefährdet. Einschlägige Vorerkrankungen des Antragstellers sind nicht dargelegt, sodass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer ausreichend konkreten Gefährdung des nicht zur Risikogruppe gehörenden Antragstellers bereits nicht ersichtlich ist. Im Übrigen kann der Antragsteller selbst Maßnahmen zu seinem Schutz ergreifen (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 5 ZB 20.31221).
Unabhängig davon steht der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren außerdem die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entgegen. Danach sind nämlich Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 69). Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten.
Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht daher kein Bedarf mehr.
Darüber hinaus fehlt es ohnehin an einer verfassungswidrigen Schutzlücke, da die gegenwärtige ausländerrechtliche Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in den Fassungen vom 3. März 2014 und vom 22. Oktober 2018 verfügt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter und sog. „Gefährder“ aus den Autonomiegebieten oder dem Zentralirak – soweit ersichtlich fällt der Antragsteller nicht hierunter) nicht erfolgt und sein Aufenthalt wie bisher weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 70).
Individuelle Anhaltspunkte in der Person des Antragstellers, die zu einer konkreten Gefahr führen und einer Abschiebung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit die Prozessbevollmächtigte medizinische Beeinträchtigungen des Antragstellers geltend macht – er lebe in ständiger Angst um seine Familie, leide an Schlaflosigkeit und Panikattacken – führt sie selbst aus, dass diese den Antragsteller bislang noch nicht dazu veranlasst haben, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … hat keinen Erfolg, weil der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen der Partei ebenso wahrscheinlich ist wie ihr Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des Antrags- oder Klageverfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife zumindest als offen zu beurteilen sein (BayVGH, B.v. 21.9.2016 – 10 C 16.1164 – juris Rn. 12).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Antrag bietet keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Ungeachtet der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers hat dieser keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Auf die Begründung des ablehnenden Bescheids wird Bezug genommen. Ein Obsiegen des Antragstellers ist nicht ebenso wahrscheinlich wie sein Unterliegen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war daher abzulehnen. Die Erfolgsaussichten des Antrags waren auch im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Frühjahr 2020 nicht positiver zu beurteilen als zum jetzigen, für die Entscheidung über den Antrag maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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