Verwaltungsrecht

Aufhebung von Eingliederungsverwaltungsakten nach deren Erledigung

Aktenzeichen  L 11 AS 162/17

Datum:
14.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 13775
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 39 Abs. 2, § 40 Abs. 1
SGB X § 44

 

Leitsatz

1 Während eines laufenden Klageverfahrens gegen einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt ergehende weitere Verwaltungsakte mit gleichem Regelungsgegenstand für andere Zeiträume werden nicht zum Gegenstand des laufenden Verfahrens. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat sich ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt erledigt, fehlt es im Zugunstenverfahren am Sachbescheidungsinteresse im Rahmen des Verwaltungsverfahren. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 17 AS 80/16 2016-10-06 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.10.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Es liegt ein wirksames Urteil des SG vor, das den Klägern ausweislich der Postzustellungsurkunden auch zugestellt worden ist. Die Übersendung von unbeglaubigten Protokollabschriften ändert daran nichts. Dass das Urteil des SG in der mündlichen Verhandlung am 06.10.2016 erlassen worden ist, wird durch die in den Akten des SG befindliche Niederschrift, die eine öffentliche Urkunde darstellt, bewiesen. Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und von der Vorsitzenden der 17. Kammer am SG sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§ 122 SGG, §§ 159, 160 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Die Kläger haben bislang keinen Antrag in der Sache gestellt, sondern vielmehr lediglich die Zurückverweisung des Verfahrens an das SG ohne Hauptverhandlung beantragt. Eine Zurückverweisung an das SG durch das Berufungsgericht kommt jedoch nur in den Fällen des § 159 Abs. 1 SGG in Betracht. Danach kann der Senat den Rechtsstreit an das SG zurückverweisen, wenn das SG selbst in der Sache nicht entschieden hat (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG) oder das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und die Notwendigkeit einer umfangreichen und aufwendigen Beweisaufnahme aufgrund des Mangels gegeben wäre (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Da aber eine Beweisaufnahme nicht notwendig und die Entscheidung des SG zutreffend ist, sieht der Senat keinen Anlass, die Sache an das SG zurückzuverweisen. Da keine Frist versäumt worden ist, bedurfte es auch keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Eine Feststellung der Nichtigkeit des „Abtrennungsbeschlusses des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.02.2016 in dem Verfahren S 17 AS 77/16“ kommt ebenfalls nicht in Betracht, da ein solcher Beschluss nicht vorliegt. Das SG hat die mit der Klageschrift vom 29.01.2016 geltend gemachten fünf Klageanträge nach Eingang in einzelnen Klageverfahren erfasst. Auch wenn es für die Trennung mehrerer in einer Klage erhobener Ansprüche eines zu begründenden Beschlusses bedarf (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 145 Abs. 1 ZPO), sind die Kläger im vorliegend gerichtskostenfreien Verfahren durch diese Auftrennung nicht beschwert. Das SG hat in den Klageverfahren S 17 AS 77/16 und S. 17 AS 80 bis 83/16 über sämtliche Begehren entschieden, so dass im Ergebnis jedenfalls auch ein möglicher Verfahrensfehler nicht dazu führen würde, dass die jeweiligen Entscheidungen darauf beruhen könnten.
Da die von den Klägern ausdrücklich gestellten Anträge damit ins Leere gehen, waren sie unter Berücksichtigung des Begehrens der Kläger nach § 123 SGG auszulegen (zur Auslegung: Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 123 Rn 3). Im Verfahren vor dem SG hatten die Kläger sinngemäß beantragt, den Beklagten zur Rücknahme der EG-VAe ab dem 11.12.2013 zu verpflichten. Soweit die Kläger gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt haben, ist erkennbar, dass sie dieses Begehren im Berufungsverfahren weiterverfolgen wollen. Streitgegenstand ist daher eine Verpflichtung des Beklagten die EG-VAe zwischen dem 11.12.2013 und 05.11.2015 im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens zurückzunehmen. Zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass EG-VAe nach Klageerhebung keinen zulässigen Streitgegenstand darstellen, da diese mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Klagegegenstand geworden sind. Auch ist eine Klage gegen einen Verwaltungsakt, der noch nicht erlassen ist, grundsätzlich nicht zulässig, zumal die begehrten Überprüfungsentscheidungen den vorhergehenden Erlass eines Verwaltungsaktes zwingend voraussetzen. Einer vorbeugenden Unterlassungsklage hinsichtlich weiterer EG-VAe – wollte man das Klagebegehren der Kläger dahingehend auslegen – würde das notwendige qualifizierten Rechtsschutzinteresses fehlen, da die Kläger auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden können (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 54 Rn 42a). Den Klägern ist es aber ohne weiteres zumutbar, sich mittels Widerspruch und Anfechtungsklage gegen (künftige) EG-VAe zu wehren. Sollten diese rechtswidrig sein, kann unter Einleitung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG angeordnet werden. Es bedarf damit nicht der Gewährung eines vorbeugenden Rechtsschutzes.
Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte zur Aufhebung der EG-VAe verpflichtet wird (§ 44 SGB X iVm § 40 Abs. 1 SGB II). Ein entsprechender Überprüfungsantrag geht bereits deshalb ins Leere, da sich die EG-VAe allesamt bereits durch Ablauf ihres Gültigkeitszeitraums erledigt haben (§ 39 Abs. 2 SGB X). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II idF vom 13.05.2011 soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Kommt eine EGV nicht zustande, sollen die Regelungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgen (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II idF vom 13.05.2011). Alle EG-VAe, die der Beklagte erlassen hatte, hatten einen bestimmten Gültigkeitszeitraum. Der EG-VA vom 05.11.2015 hatte zuletzt eine Laufzeit bis längsten 04.05.2016. Damit wird deutlich, dass mit dem Ablauf des Tages, für den der jeweilige EG-VA längstens gelten sollte, sich dieser jeweils durch Zeitablauf erledigt hat (§ 39 Abs. 2 4. Alt SGB X), da die Kläger nicht mehr geltend machen können, durch diesen EG-VA beschwert zu sein. Den EG-VAen kommt daher keine Rechtswirkung mehr zu (vgl zur Erledigung von EGVen: BSG, Urteil vom 15.06.2016 – B 4 AS 45/15 R – juris). Im Zeitpunkt der Entscheidung des SG waren alle gegenständlichen EG-VAe bereits erledigt.
Einem Antrag auf Rücknahme der EG-VAe würde daher schon das Fehlen eines Sachbescheidungsinteresses, welches die Funktion des Rechtsschutzinteresses bzw Rechtsschutzbedürfnisses im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erfüllt (vgl BVerfG, Urteil vom 06.08.1996 – 9 C 169/95 – BVerfGE 101, 323; Urteil des Senats vom 21.12.2016 – L 11 AS 386/14 ZVW – juris), entgegenstehen. Dafür ist auch unerheblich, dass der Beklagte Verstöße gegen die Verpflichtungen der Kläger aus den EG-VAen als Anlass für die Feststellung von Sanktionen und die Minderung des Anspruchs auf Alg II herangezogen hat, insbesondere auch deshalb, weil im Rahmen einer Überprüfung der Minderungen die Rechtmäßigkeit der EG-VAe zu prüfen wäre (vgl zur Meldeaufforderung: BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 R – juris). Die Rechtmäßigkeit der EG-VAe ist insofern als Vorfrage für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Pflichten aus dem EG-VA inzident zu überprüfen, weil sich der EG-VA als solcher durch Zeitablauf erledigt hat.
Unabhängig davon, dass die Kläger eine Überprüfung der EG-VAe im Rahmen von Fortsetzungsfeststellungsklagen nicht begehrt haben, hätte es für die Zulässigkeit einer solchen Klage auch an einem erforderlichen berechtigten Interesse für die Feststellung der Rechtswidrigkeit bedurft (vgl BSG, Urteil vom 15.06.2016 – B 4 AS 45/15 R – juris), welches weder ersichtlich noch vorgebracht worden ist. Die Kläger können insofern auf ein Verfahren im Hinblick auf die Sanktionsbescheide verwiesen werden, in denen – wie oben ausgeführt – die Rechtmäßigkeit der EG-VAe inzident zu klären ist.
Die Kläger haben damit keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung der EG-VAe, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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