Verwaltungsrecht

Ausstellung einer Bescheinigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit

Aktenzeichen  10 CS 17.2378, 10 CE 17.2379, 10 C 17.2380

Datum:
15.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4346
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 3 Abs. 2 Nr. 2, § 5 Abs. 1 S. 2, § 11 Abs. 1 S. 11
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Das „Günstigkeitsprinzip“ soll sicherstellen, dass das Aufenthaltsgesetz analoge Anwendung immer dann findet, wenn es u.a. für Drittstaatsangehörige eine bessere Rechtsstellung vermittelt als die (für ihn eigentlich anwendbaren) Vorschriften des Freizügigkeitsgesetzes/EU oder der Freizügigkeitsrichtlinie. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 E 17.1518 2017-11-20 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Verfahren 10 CS 17.2378, 10 CE 17.2379 und 10 C 17.2380 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren 10 CS 17.2378 und 10 CE 17.2379 wird auf jeweils 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller verfolgt mit seinen Beschwerden seine beiden Begehren weiter, eine vorläufige Feststellung zu erhalten, dass er ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet berechtigt sei (10 CS 17.2378, Au 6 S 17.1517), und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig eine Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 FreizügG/EU auszustellen (10 CE 17.2379, Au 6 E 17.1518), sowie Prozesskostenhilfe hierfür unter Beiordnung seines Bevollmächtigten bewilligt zu bekommen.
Der Antragsteller, ein 1976 geborener kosovarischer Staatsangehöriger, erhielt nach seiner letzten Einreise in das Bundesgebiet nach Stellung eines Asylfolgeantrags am 15. April 2016 erstmals eine bis 14. April 2018 befristete Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Mit inzwischen bestandskräftigem Bescheid vom 22. Februar 2017, der eine Abschiebungsandrohung enthält, befristete der Beklagte im Hinblick auf die beendete eheliche Lebensgemeinschaft die Aufenthaltserlaubnis nachträglich zum 1. März 2017. Der Kläger ist Vater eines am 6. Juli 2017 im Bundesgebiet geboren Kindes ungarischer Staatsangehörigkeit, für das er mit der ebenfalls ungarischen Mutter das gemeinsame Sorgerecht ausübt; alle drei wohnen in familiärer Lebensgemeinschaft. Am 1. August 2017 hat der Antragsteller die Ausstellung einer Aufent-haltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgerkindes analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU beantragt. Am 2. Oktober 2017 erhob er entsprechende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung der Aufenthaltskarte. Die Klage gegen den Befristungsbescheid vom 22. Februar 2017 nahm er am 13. November 2017 zurück.
Mit Beschluss vom 20. November 2017 lehnte das Verwaltungsgericht die beiden Anträge in den vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ab. Der Antragsteller sei nicht berechtigt, im Bundesgebiet ohne Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben, da er derzeit keinen Aufenthaltstitel besitze, der ihn hierzu nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berechtige. Einen Anspruch auf vorläufige Ausstellung einer Aufenthaltskarte habe er nicht glaubhaft gemacht; er sei weder Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers im Sinne von Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG noch komme eine Analogie hierzu aus primärem Unionsrecht (Art. 20, 21 AEUV) in Betracht. Es sei derzeit nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit aufgezeigt, dass das Kind des Antragstellers durch die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für seinen drittstaatsangehörigen Vater in einer Weise betroffen werde, die der Unionsbürgerschaft des Kindes die praktische Wirksamkeit nehmen würde.
Zur Begründung seiner Beschwerden trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, er besitze einen seinem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht folgenden Anspruch auf Ausstellung der Erwerbstätigkeits-Bescheinigung, weil er andernfalls gegenüber möglichen Arbeitgebern sein aus dem Freizügigkeitsrecht folgendes Recht auf Erwerbstätigkeit nicht belegen könne. Insoweit ergebe sich aus § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein rechtlicher Vorteil im Sinn von § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts würden den Gehalt der unionsrechtlichen Vergünstigung für Familienangehörige freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger verkennen; der Antragsteller habe jedenfalls zur Leistung von Unterhalt für sein Kind einen Anspruch auf Aufenthalt und Ausübung einer Erwerbstätigkeit, um so durch Fortsetzung der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit den Unterhalt seines Kindes weiterhin sichern zu können. Sein Kind besitze ein von seiner Mutter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht und vermittele dem Antragsteller selbst ein Freizügigkeitsrecht. Der Europäische Gerichtshof habe festgestellt, dass in dem Fall, sollte einem Elternteil mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats, der für einen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich sorge, nicht erlaubt werden, sich mit dem Unionsbürgerkind im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, dessen Aufenthaltsrecht jede praktische Wirksamkeit verlieren würde, da der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kleinkind notwendigerweise voraussetze, dass sich die sorgende Person bei ihm aufhalten dürfe und es ihr ermöglicht werde, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen. Es liege ein mittelbarer Eingriff in das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgerkindes darin, dass ihm vom Antragsgegner angesonnen werde, mit seinen Eltern in den Staat seiner Staatsangehörigkeit umzusiedeln; ob eine Übersiedlung für den Antragsteller überhaupt rechtlich möglich sei, habe das Verwaltungsgericht aufzuklären versäumt. Selbst wenn der Antragsteller kein aus dem Unionsbürgerstatus seines Kindes folgendes Aufenthalts- und Erwerbstätigkeitsrecht hätte, unterfiele er bis auf weiteres dem Freizügigkeitsgesetz/EU (OVG NW, B.v. 20.11.2015 – 18 B 665/15 – juris). Er könne sich auf das Meistbegünstigungsprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU berufen.
Mit Urteil vom 20. Dezember 2017 (Au 6 K 17.1538) verpflichtete das Verwaltungsgericht Augsburg den Antragsgegner, dem Antragsteller die begehrte Aufenthaltskarte auszustellen. Gegen das Urteil hat die Beklagte die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt (10 BV 18.281).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Ausländerakte sowie die Gerichtsakten in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und in den Klageverfahren Bezug genommen.
II.
Sämtliche Beschwerden, die zur gemeinsamen Entscheidung gemäß § 93 Satz 1 VwGO verbunden werden, sind zulässig, bleiben jedoch in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Antragsteller kann weder die begehrte (vorläufige) Feststellung der Zustimmungsfreiheit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit erhalten (1.1) noch besteht ein Anordnungsanspruch, den Antragsgegner zu diesem Zwecke (vorläufig) zur Ausstellung einer Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU zu verpflichten (1.2). Die vom Antragsteller hierfür dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Rechtsschutzziel des Antragstellers läßt sich unter Heranziehung von § 88 VwGO dahingehend ermitteln, dass es ihm darum geht, einer (nachweisbar) erlaubten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet auch schon vor rechtskräftiger Feststellung der geltend gemachten, von seinem ungarischen Kind abgeleiteten Freizügigkeit nachgehen zu können, um dessen Unterhalt und seinen eigenen sichern zu können. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht eine vorläufige Regelung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.
1.1 Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss (BA, S. 7 bis 9, 1.) einen Antrag „analog § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf vorläufige Feststellung“ der Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde zwar als zulässig, jedoch unbegründet angesehen hat, weil der Antragsteller keinen nationalen Aufenthaltstitel, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige, besitze oder beantragt habe, ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Die Forderung der Beschwerde, der Antragsteller müsse so gestellt werden wie der personensorgeberechtigte Vater eines deutschen Kindes, der einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 27 Abs. 5 AufenthG besitze, ist nicht näher begründet worden; jedenfalls hat der Antragsteller eine derartige Aufenthaltserlaubnis weder beantragt noch besitzt er sie. Vielmehr hat die ausländerrechtliche Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit spätestens mit Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 1. August 2017 (Au 6 S 17.433) geendet, mit dem es den gegen den Sofortvollzug des Befristungsbescheids vom 22. Februar 2017 gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt hat (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).
Soweit das Verwaltungsgericht die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für den Fall des Bestehens eines abgeleiteten Freizügigkeitsrechts des Antragstellers schon im Hinblick auf § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU abgelehnt hat, konnte die Beschwerde die Richtigkeit dieser Auffassung nicht erschüttern. Denn das „Günstigkeitsprinzip“ soll sicherstellen, dass das Aufenthaltsgesetz analoge Anwendung immer dann findet, wenn es u.a. für Drittstaatsangehörige eine bessere Rechtsstellung vermittelt als die (für ihn eigentlich anwendbaren) Vorschriften des Freizügigkeitsgesetzes/EU oder der Freizügigkeitsrichtlinie (Oberhäuser in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2015, § 11 FreizügG/EU Rn. 57, 58; Zi. 3.0.1 und 11.1.5.1 AVwV-FreizügG/EU). § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gibt jedoch einem nicht-freizügigkeitsberechtigten Ausländer keine in diesem Sinne bessere Rechtsstellung, denn für Unionsbürger und ihre unter das Freizügigkeitsgesetz/EU fallenden Familienangehörigen reicht als Nachweis, eine Erwerbstätigkeit ohne besondere Erlaubnis ausüben zu dürfen, die Vorlage einer das Freizügigkeitsrecht deklaratorisch wiedergebenden (Dauer-)Aufenthaltskarte nach § 5 FreizügG/EU (vgl. Art. 45 Abs. 3 AEUV; Zi. 2.1 AVwV-FreizügG/EU).
1.2 In dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Ausstellung einer Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder einer Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU zu Recht als gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO nicht hinreichend glaubhaft gemacht angesehen. Hieran ändert auch das Beschwerdevorbringen nichts, weil sich aus den vorgetragenen Gründen nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit ergibt, dass dem Antragsteller der behauptete Anspruch auf (auch nur vorläufige) Verpflichtung des Antragsgegners zur Ausstellung der begehrten Bescheinigung oder Aufenthaltskarte zusteht.
1.2.1 Soweit der Antragsteller seinen Anspruch auf eine Analogie zu § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stützt, ist er in der Beschwerde nicht näher auf die entsprechende Ablehnung durch das Verwaltungsgericht (BA, S. 10,11/ 3. a) eingegangen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass diese Norm, die lediglich regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, Grundlage für einen mit einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig regelungsfähigen Anspruch sein könnte.
1.2.2 Nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs spricht (BVerfG, B.v. 28.9.2009 – 1 BvR 1702/09 – juris Rn. 15, 24; BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 7 CE 13.2063 – juris; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Online-Kommentar, Stand: Juni 2017, § 123 Rn. 74 f.) und ein Anordnungsgrund gegeben ist. Voraussetzung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist mithin grundsätzlich, dass hinsichtlich der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 Rn. 23 f.). Dabei muss unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Grundrechte der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass kein Anordnungsanspruch besteht, umso höher sein, je schwerwiegender die drohenden Nachteile und je weniger wahrscheinlich ihre Rückgängigmachung im Falle eines späteren Obsiegens sind (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 123 Rn. 94; BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris).
Der Antragsteller hat das Bestehen eines Anspruchs auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (analog § 5 Abs. 1 FreizügG/EU), dessen vorläufige Bestätigung bzw. Feststellung er im Wege einer Regelungsanordnung begehrt, nicht mit der nach den dargestellten Maßgaben notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Auch wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2017 einen entsprechenden Anspruch zuerkannt hat, wird bereits durch die Zulassung der – inzwischen eingelegten und begründeten – Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erkennbar, dass die hier entscheidungserhebliche Problematik auf offene Erfolgsaussichten der im Berufungsverfahren anhängigen Klage hindeutet und nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu Gunsten des Antragstellers beantwortet werden kann. Der Antragsteller ist zunächst kein „Familienangehöriger“ im Sinn von § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU seines Kindes; der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (B.v. 20.11.2015 – 18 B 665/15 – juris; ihm folgend VG Aachen, B.v. 4.10.2017 – 4 L 1354/17 – juris Rn. 22), auf den sich der Antragsteller zur Begründung seiner gegenteiligen Meinung beruft, ist durch die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 25.10.2017 – 1 C 34.16 – juris) überholt. Die Entscheidung über die Frage aber, unter welchen Voraussetzungen der Antragsteller als Vater eines – zumindest derzeit – freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers von diesem ein Freizügigkeitsrecht aus primärem Unionsrecht (Art. 21 AEUV) ableiten kann, ist hier in erster Linie abhängig davon, welche Rolle die Herkunft der dem Kind vom Antragsteller bisher zur Verfügung gestellten Existenzmittel spielt und ob sein Kind darauf verwiesen werden kann, mit seiner Mutter und dem Antragsteller das Bundesgebiet zu verlassen und nach Ungarn zu übersiedeln. Zu dieser komplexen Problematik, die vertiefter Betrachtung im Berufungsverfahren bedarf, kann auf die Ausführungen im Urteil vom 20. Dezember 2017 (Au 6 K 17.1538 – S. 14 bis 17, Rn. 44 bis 52) Bezug genommen werden.
1.2.3 Damit kann offenbleiben, ob im Wege einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO überhaupt eine „vorläufige“ und zeitlich befristete, deklaratorische Feststellung eines (umstrittenen) unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts erreicht werden kann (so OVG Hamburg, B.v. 5.1.2012 – 3 Bs 179/11 – juris, für einen Unionsbürger; VG Schleswig, B.v. 21.3.2017 – 8 B 8/17 –, juris, für einen drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers; ablehnend für eine Aufenthaltserlaubnis: VGH BW, B.v. 8.2.2006 – 13 S 18/06 – juris). Für die Notwendigkeit einer „vorläufigen“ Sicherung spricht jedenfalls nicht die vom Antragsteller in den Mittelpunkt seines Rechtsschutzbegehrens gestellte Absicht, im Bundesgebiet (vorläufig) eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausüben zu wollen; die fehlende Berechtigung hierzu folgt aus dem aktuellen aufenthaltsrechtlichen Status des Antragstellers als (zumindest formal) bestandskräftig ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Abschiebung (wohl derzeit) im Hinblick auf die Ausübung der Personensorge für einen neugeborenen Unionsbürger im Bundesgebiet bis zur Klärung der aufenthaltsrechtlichen Situation ausgesetzt ist.
Dahinstehen kann somit die auch im angegriffenen Beschluss nach Verneinung eines Anordnungsanspruchs zu Recht nicht geprüfte Frage, ob für das Begehren des Antragstellers ein Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 Rn. 26) glaubhaft gemacht ist. Im Falle einer Regelungsanordnung, bei der es – wie hier – über die Wahrung des bisherigen Rechtszustands hinaus um die Feststellung oder Begründung einer neuen Rechtsposition (hier: erstmalige Ausstellung einer Aufenthaltskarte) geht, ist gesetzliche Voraussetzung die Abwehr wesentlicher Nachteile (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Es erscheint aber zumindest zweifelhaft, ob der infolge § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingetretene Fortfall des Zugangs zum Arbeitsmarkt die nachfolgende „vorläufige“ Austellung einer Aufenthaltskarte zur Abwehr eines Nachteils tatsächlich erforderlich macht. Jedenfalls wäre ein Anordnungsgrund für eine Regelungsanordnung nur im Falle einer – hier nicht gegebenen – hinreichenden Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg des Hauptsacheverfahrens indiziert (BVerfG, B.v. 28.9.2009 – 1 BvR 1702/09 – juris Rn. 24).
Schließlich braucht auch nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob mit dem Begehren trotz seiner zeitlichen Einschränkung deshalb eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache verfolgt wird, weil die Entscheidung und ihre Folgen für den Entscheidungszeitraum nicht mehr rückgängig gemacht werden können (verneinend: OVG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 15, 16; offengelassen: BayVGH, B.v. 27.6.2013 – 10 CE 13.833 – juris Rn.11; allg. hierzu: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 Rn. 14 m.w.N.).
3. Auch die Beschwerde im Hinblick auf die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten (Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses v. 20.11.2017) bleibt erfolglos. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben dargelegten Gründen schon zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Absatz 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO).
4. Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beiden Beschwerdeverfahren sind nicht wirksam gestellt worden (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 1, 4 ZPO) und wären jedenfalls wegen fehlender Erfolgsaussichten ebenfalls abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für die den einstweiligen Rechtsschutz betreffenden Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Da für die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt, ist insoweit eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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