Verwaltungsrecht

Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen der zweiten Generation

Aktenzeichen  M 24 K 15.4577

Datum:
14.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ARB 1/80 ARB 1/80 Art. 7 S. 1
GG GG Art. 6 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11, § 53 Abs. 1, Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Höhe der verhängten Straft (Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten) und das in den Straftaten (Handel mit BTM und schwere räuberische Erpressung) zum Ausdruck kommende Maß der Gefährdung der Allgemeinheit rechtfertigt eine Ausweisung auch dann, wenn es sich um einen Ausländer der 2. Generation handelt. (redaktioneller Leitsatz)
Sind positive Entwicklungen des Ausländers in der Haft und Anhaltspunkte für eine grundlegende persönliche Wandlung nicht erkennbar, fehlt es weiterhin an einer persönlichen und wirtschaftlichen Integration, so geht vom Auszuweisenden eine schwerwiegende Wiederholungsgefahr aus, so dass die Ausweisung zur Wahrung der Grundinteressen der Gesellschaft unerlässlich ist. (redaktioneller Leitsatz)
Die geschützten Belange des Privat- und Familienlebens begründen dann kein schwergewichtiges Bleibeinteresse, wenn die Ehe gescheitert ist und Kontakt zu den nichtehelichen Kindern nicht besteht bzw. nicht zu einer persönlichen Verbundenheit geführt hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 8. September 2015 in der Fassung, die er durch die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 vorgenommene Änderung der Ziffer 2 samt ergänzender Ermessenserwägungen erhalten hat. Die Klage ist in erster Linie auf die Aufhebung des Bescheids gerichtet (Anfechtungsklage). Sie beinhaltet zudem im Hinblick auf die in Ziffer 2 des Bescheids enthaltene Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung (§ 11 Aufenthaltsgesetz – AufenthG -) als „Minus“ hilfsweise auch einen Verpflichtungsantrag auf Verkürzung der Befristung für den Fall, dass die Ausweisung Bestand hat (BVerwG, U. v. 14.2.2012 – 1 C 7.11 – juris Rn. 34).
2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U. v. 15.11.2007 – 1 C 45/06 – juris Rn. 12). Der Bescheid ist daher am Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu messen, da der Gesetzgeber insoweit keine Übergangsregelung vorgesehen hat.
3. Die Anfechtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 8. September 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
3.1. Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
3.1.1. Die Rechtsgrundlage für die Ausweisungsverfügung ergibt sich aus den §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung. Seit der Neuregelung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Abwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (amtliche Begründung vom 25.2.2015, BT-Drucks. 18/4097, S. 49; BayVGH, B. v. 03.03.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 9; VGH BW, U. v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 49; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht (BayVGH, B. v. 03.03.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 9; B. v. 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – juris Rn. 14).
Einschlägig im vorliegenden Fall sind §§ 53 Abs. 1 und 3 AufenthG, Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie § 54 Abs. 1 Nr. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
Nach der Grundsatznorm des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. § 53 Abs. 3 AufenthG stellt verschärfte Anforderungen an die Ausweisung des dort genannten privilegierten Personenkreises. Für Ausländer, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, werden damit die Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in das nationale Recht übernommen. Die für Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entwickelten Anwendungs- und Auslegungsgrundsätze sind für Assoziationsberechtigte im Rahmen der Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG zu beachten. Der mit der grundlegenden Neuregelung des Ausweisungsrechts einhergehende Systemwechsel von einer Ermessensausweisung zu einer gebundenen, am Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu messenden Abwägungsentscheidung beinhaltet bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung im Sinne der Stand-Still-Klauseln des Assoziationsrechts (VGH BW, U. v. 13.1.3016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 150).
3.1.2. Der Kläger ist Assoziationsberechtigter gemäß Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, da er als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers mindestens während eines Zeitraumes von drei Jahren, als dieser dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörte, bei diesem seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hatte. Aus der Aufstellung der Rentenversicherungsbeiträge des Vaters des Klägers (Bl. 383 der Behördenakte – BA – ) ist dessen Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt während des maßgeblichen Mindestzeitraums von drei Jahren, während dessen der Kläger seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seinen Eltern hatte und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war, zweifelsfrei zu entnehmen.
Grundlage für die Ausweisung ist daher § 53 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 AufenthG, mit der Folge, dass der Kläger nur ausgewiesen werden darf, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (3.1.3.) und die Abwägung der widerstreitenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist, d. h. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt (3.1.4.).
3.1.3. Bei der Prüfung der Frage, ob das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ist zu berücksichtigen, dass § 53 Abs. 3 AufenthG wegen der Bezugnahme auf das „persönliche Verhalten“ eine Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen erlaubt, d. h. die Ausweisung muss dem Zweck dienen, einer vom Auszuweisenden ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für ein Grundinteresse zu begegnen.
3.1.3.1. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass das persönliche Fehlverhalten des Klägers ein Grundinteresse der Gesellschaft betrifft. In Anbetracht der Höhe der verhängten Strafe sowie der Art der begangenen Delikte ist diese Annahme gerechtfertigt. Anlass für die Ausweisung war die Verurteilung des Klägers wegen schwerer räuberischer Erpressung und verschiedener vorsätzlicher Delikte im Zusammenhang mit der Einfuhr und dem Verkauf von Marihuana zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten.
Im Hinblick auf die Höhe der Strafe kann als Anhaltspunkt die gesetzliche Gewichtung der Ausweisungsinteressen in § 54 AufenthG herangezogen werden. Der Unterscheidung zwischen schwer- bzw. besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen liegt eine typisierende Einschätzung der Gewichtigkeit der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zugrunde. Im Assoziationsrecht sind keine Maßstäbe vorgegeben, die der vom deutschen Gesetzgeber vorgenommenen Einschätzung entgegenstehen (Hailbronner, AuslR, Stand 2016, § 53 Rn. 168). Der Gesetzgeber hat bereits eine rechtskräftige Verurteilung wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren für besonders schwerwiegend befunden (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Es sind keine Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich, die im Einzelfall ein Abweichen von der gesetzlichen Gewichtung gebieten. Die gegen den Kläger verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ist mit fünf Jahren und drei Monaten mehr als doppelt so hoch ausgefallen wie in der gesetzlichen Typisierung vorausgesetzt. In Bezug auf die schwere räuberische Erpressung hat das Strafgericht vor Gesamtstrafenbildung allein schon eine Strafe in Höhe von 3 Jahren und 6 Monaten für schuldangemessen erachtet.
Neben der Höhe der verhängten Strafe ist auch die Art der begangenen Straftaten von Bedeutung, insbesondere das in der Straftat zum Ausdruck kommende Maß der Gefährdung der Allgemeinheit. Durch den gewerbsmäßigen illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ist die Allgemeinheit regelmäßig in besonderem Maße im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit des Einzelnen sowie auf die Einhaltung der Rechtsordnung in besonderem Maße gefährdet. Gerade der strafbare Handel mit Betäubungsmitteln, auch zur Finanzierung der eigenen Sucht, der die Abhängigkeit anderer Drogenkonsumenten aufrecht erhält oder verstärkt und der auf eine Erweiterung des Kundenkreises von bisher nicht abhängigen Personen angelegt ist, führt zu erheblichen Gefahren für die Gesellschaft, deren Abwehr im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung besondere Maßnahmen gegenüber Ausländern rechtfertigt. Die Verhinderung von weiteren Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität stellt deshalb ein überragend wichtiges Interesse der Gesellschaft dar (vgl. BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 19, 20 m. w. N.; BayVGH, U. v. 27.9.2012 – 10 B 10.1084 – juris Rn. 50). Auch die schwere räuberische Erpressung betrifft eine Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft dar. Indem der Kläger sich daran beteiligt hat, eine aus illegalen Drogengeschäften stammende „Forderung“ mit Gewalt durchzusetzen, hat er nicht nur die körperliche Integrität eines anderen gefährdet, sondern außerhalb der Rechtsordnung Selbstjustiz geübt und damit die Einhaltung der Rechtsordnung gefährdet. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger nicht Drahtzieher der Aktion war, sondern als Mittäter von einem anderen hierzu veranlasst wurde. Gleichwohl ist zu sehen, dass der Tatbeitrag gewichtig genug war, um eine Verurteilung als Täter und den Ausspruch einer beträchtlichen Freiheitsstrafe zu rechtfertigen.
3.1.3.2. Das Gericht geht davon aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine vom persönlichen Verhalten des Klägers ausgehende Wiederholungsgefahr besteht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; BayVGH, B. v. 03.03.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 11; B. v. 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – juris Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U. v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
Im vorliegenden Fall sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind wegen der oben dargestellten Schwere des Fehlverhaltens und des hohen Gewichts der bedrohten Schutzgüter nicht hoch anzusetzen.
Bei der Prognose der Wiederholungsgefahr ist zunächst von Bedeutung, dass der Kläger seit dem Jahr 2004 wiederholt straffällig geworden ist. Die Liste seiner Vorstrafen umfasst verschiedenartige Delikte mit im Hinblick auf die Schwere steigender Tendenz. Weder die ausländerrechtliche Ermahnung im Jahr 2009 noch die Tatsache, dass der Kläger unter Bewährung stand, haben ihn von der Begehung weiterer Delikte abhalten können. Der Einwand des Bevollmächtigten, es handle sich bei den Taten um jugendtypische Dummheiten mag für das Fahren ohne Führerschein und den Besitz einer Schreckschusspistole gelten. Bei der aufenthaltsrechtlichen Gefahrenprognose bleiben diese Vergehen gleichwohl nicht außer Betracht. Sie mögen für sich genommen kein allzu großes Gewicht aufweisen, sind aber im Zusammenhang mit der Vielzahl weiterer Straftaten zu sehen. In der Gesamtbetrachtung ist eine sich über Jahre erstreckende kriminelle Vergangenheit zu sehen, die die Prognose der Begehung weiterer Straftaten trägt.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Motivation für den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln nicht nur die Finanzierung der damaligen eigenen Sucht war, sondern gerade auch die Finanzierung des Lebensunterhalts. Mit dem Bemühen, seinen Lebensunterhalt ohne Berufsausbildung durch reguläre Arbeit zu bestreiten, war der Kläger gescheitert. Abhängige Beschäftigungsverhältnisse waren nicht von langer Dauer, aus selbstständiger Tätigkeit sind Schulden zurückgeblieben, so dass er im regulären Erwerbsleben nicht hat Fuß fassen können. Es liegt nahe, dass er sich aus der ungünstigen Erwerbslage heraus dem Drogenhandel als Einnahmequelle zugewandt hat. Diese Situation hat sich nicht zum Besseren gewendet. Zwar hat der Kläger im Verfahren Bescheinigungen über Arbeitsplatzangebote vorgelegt, doch bieten diese keine sichere Gewähr dafür, dass der Arbeitsplatz zum noch unbestimmten Termin der Haftentlassung auch tatsächlich zur Verfügung steht, und geeignet ist, dem Kläger ein in Anbetracht seiner diversen finanziellen Verpflichtungen (Unterhalt für zwei Kinder, Schuldentilgung) hinreichendes Einkommen zu sichern. Möglichkeiten, seine Aussichten auf dem Arbeitsmarkt durch Aus- bzw. Weiterbildungsangebote während der Haft zu verbessern, hat der Kläger nicht in Anspruch genommen. Aus dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt (JVA) vom 22. Januar 2016 geht hervor, dass der Kläger im Dezember 2015 einen Antrag auf Teilnahme an einem Fernlehrgang zur Erreichung der Mittleren Reife gestellt habe. Ihm sei daraufhin geraten worden, erst interne Maßnahmen auszuschöpfen, da er nur über einen einfachen Hauptschulabschluss verfüge. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger diese internen Möglichkeiten in Anspruch genommen hat. Die unverändert schlechten Erwerbsaussichten wirken sich ungünstig auf die Rückfallgefährdung aus.
Das Gericht vermag auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine grundlegende persönliche Wandlung des Klägers im Sinne einer Abkehr von seiner kriminellen Vergangenheit zu erkennen. Allein die Tatsache, dass der Kläger erstmals eine langjährige Haftstrafe verbüßt, spricht nicht gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Zwar kann im Allgemeinen die erstmalige Verbüßung einer (längeren) Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B. v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 15; BayVGH, B. v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 12 m. w. N.). Im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung liegen beim Kläger aber keine hinreichenden konkreten Anhaltspunkte für eine solche Minderung der Gefahr eines neuen Straffälligwerdens vor. Zwar hat der Kläger ausweislich des Schreibens der JVA vom 22. Januar 2016 an einem Deliktaufarbeitungsprogramm teilgenommen und die JVA bescheinigt insoweit, der Kläger habe von der Gruppe profitieren können und sich zunehmend selbstkritischer in diese eingebracht. An anderer Stelle hält die JVA-Stellungnahme vom 22. Januar 2016 aber auch fest, von den mit seiner Behandlung befassten Bediensteten werde der Kläger aktuell als unnahbar mit überhöhtem Kraftgefühl, fordernd, hitzig und anstaltserfahren beschrieben. Sein Verhalten gegenüber Bediensteten sei unbeherrscht und er wolle imponieren. Sonstige positive Entwicklungen sind nicht erkennbar. Vielmehr muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er nicht zum ersten Mal unerlaubt ein Mobiltelefon samt Ladegerät in seinem Besitz hatte und damit gegen Anstaltsregeln verstoßen hat. Sein Einwand, er habe das Telefon nur benutzt, um mit seiner Ehefrau und seinem Kind Kontakt zu haben, konnte anhand der Anrufliste eindeutig widerlegt werden. Es wurden Disziplinarmaßnahmen verhängt (Führungsbericht der JVA vom 4. November 2015).
3.1.4. Die Ausweisung erweist sich zur Überzeugung des Gerichts nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gemäß § 53 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 AufenthG vorzunehmenden Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen für die Wahrung des bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft als unerlässlich.
Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Unerlässlich im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG ist die Ausweisung dann, wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt (vgl. BVerwG, U. v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 21; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Art. 14 ARB 1/80 Rn. 42). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen (BVerwG, U. v.13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn.26). In diesem Zusammenhang sind auch die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien zu beachten (vgl. EGMR, U. v. 2.8.2001 – Nr. 54273/00, Boutif/Schweiz – InfAuslR 2001, 476 und U. v. 18.10.2006 – Nr. 46410/99, Üner/Niederlande – NVwZ 2007,1279). Dazu gehören die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; die Dauer seines Aufenthalts im Land, aus dem er ausgewiesen werden soll; die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; den Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Ausländer ausgewiesen werden soll.
Im Ausgangspunkt sind bei der Abwägung die vom Gesetzgeber in den §§ 54 und 55 AufenthG als besonders schwerwiegend bzw. schwerwiegend gewichteten Ausweisungsinteressen zu berücksichtigen. Anschließend ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von den gesetzlichen Wertungen abweichen und eine einzelfallbezogene Korrektur gebieten. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungs- und das Bleibeinteresse begründen (vgl. VGH BW, U. v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 141 f.)
3.1.4.1. Im Fall des Klägers liegt wegen seiner Verurteilung zu eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Auf die oben gemachten Ausführungen zum besonderen Gewicht der Straftat und der beeinträchtigten Schutzgüter sowie zur Wiederholungsgefahr wird Bezug genommen.
Ergänzend ist bei der Gewichtung des Ausweisungsinteresses zu sehen, dass die Verurteilung, die die Beklagte zum Anlass für die Ausweisung genommen hat, die letzte in einer Kette von strafrechtlichen Verfehlungen ist, die dem Kläger zur Last zu legen sind. Erstmals im jugendlichen Alter von 13 Jahren wurde er im Jahr 2004 wegen Fahrens ohne Führerschein zur Verantwortung gezogen. Im selben Jahr erfolgte eine zweite Verurteilung ebenfalls wegen Fahrens ohne Führerschein. Im Jahr 2008 wurde der Kläger nach Erwachsenenstrafrecht wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe (Schreckschusspistole) zu einer Geldstrafe verurteilt. Ebenfalls 2008 verhängte das Strafgericht eine Bewährungsstrafe von einem Jahr wegen diverser Diebstahlsdelikte und Hehlerei. Während der noch laufenden Bewährungszeit machte sich der Kläger des Tankbetruges und schließlich der Taten schuldig, die der letzten Verurteilung zugrunde liegen. Die Delikte weisen eine große Bandbreite auf und im Hinblick auf die Schwere der Verfehlungen eine steigende Tendenz. Der Kläger ist in regelmäßigen Abständen straffällig geworden und zeigte sich unbeeindruckt von drohenden Konsequenzen. Weder die Bewährungszeit noch die Belehrung über ausländerrechtliche Folgen strafrechtlicher Verfehlungen konnten den Kläger davon abhalten, straffällig zu werden. Die verschiedenartigen Delikte deuten darauf hin, dass der Kläger generell nicht gewillt ist, die Rechtsordnung zu achten. Selbst nach Erlass der Ausweisungsverfügung gelang es ihm nicht, sich in der Haft an die geltenden Regeln zu halten, wegen des unerlaubten Besitzes eines Mobiltelefons mussten Maßnahmen der Disziplinierung verhängt werden. Es bestehen keine hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger daran gelegen ist, sich zukünftig rechtstreu zu verhalten.
Dazu kommen die schlechten Voraussetzungen in der Person des Klägers, nach der Haftentlassung für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Der Kläger verfügt lediglich über einen einfachen Hauptschulabschluss und hat keine Berufsausbildung. Sein bisheriges Bemühen, durch reguläre Arbeit seinen Lebensunterhalt zu sichern, ist weitgehend fehlgeschlagen. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Jahre der Haft für schulische oder berufliche Bildung zu nutzen. Diese Chance hat der Kläger nicht zu ergreifen gewusst. Auch die finanzielle Situation seiner Eltern ist angespannt, so dass nicht damit gerechnet werden kann, dass der Kläger insoweit mit wirtschaftlicher Unterstützung rechnen kann. Zudem hat der Kläger Schulden zu tilgen und Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen beiden Kindern zu erfüllen. Die angespannte finanzielle Situation erhöht die Gefahr, rückfällig zu werden. Dies schlägt bei der Gewichtung des Ausweisungsinteresses zu Buche.
3.1.4.2. Dem Ausweisungsinteresse steht ein vom Gesetzgeber ebenfalls als besonders schwerwiegend gewichtetes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. In die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls sind auf Seiten des Bleibeinteresses außerdem die familiären Beziehungen des Klägers einzubeziehen und zu bewerten:
Die Ehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen ist von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt, solange sie besteht. Bei der Gewichtung der Ehe als Bleibeinteresse ist allerdings zu sehen, dass die Ehe in Kenntnis der Strafbarkeit eingegangen und erst in der Haft geschlossen wurde. Sie konnte daher nicht im Sinne einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft in Form eines echten Zusammenlebens verwirklicht werden. Sie ist außerdem im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als gescheitert zu betrachten. Die Ehefrau ist entschlossen, sich scheiden zu lassen und hat die Scheidung bereits beantragt, was deren Gewicht im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden Abwägung mindert.
In Bezug auf das Vaterschaftsverhältnis (Art. 6 Abs. 2 GG) des Klägers zu seiner unehelichen Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit ist bei der Bewertung der Gewichtigkeit zu sehen, dass die inzwischen 3-jährige Tochter, die aus der Beziehung zu seiner damaligen Lebensgefährtin stammt, erst wenige Tage vor der Inhaftierung des Klägers geboren wurde. Kurze Zeit später nahm der Kläger die Beziehung zu seiner späteren Ehefrau auf und beendete den Kontakt zu Mutter und Tochter. Eine Wieder – bzw. Neuaufnahme der Beziehung zur Tochter versuchte der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt im Herbst 2015 zu erreichen, als seine Ehe im Scheitern begriffen war. Die Kindsmutter brach den Kontakt aber nach wenigen Wochen wieder ab, als sie erfahren hatte, dass der Kläger seiner Ehefrau gegenüber schriftlich geäußert habe, dass er sie und seine Tochter nur benutzt habe, um sein Bleiberecht zu sichern. Die Mutter wünscht keinen Kontakt mit dem Kläger, hat das alleinige Sorgerecht für die Tochter und lebt mit dieser – mit Einverständnis des Jugendamts – an einem vor dem Kläger und seiner Familie geheim gehaltenen Ort. Entscheidend für den Schutz des Art. 6 GG ist die tatsächliche persönliche Verbundenheit von Eltern und Kind, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Eine solche Verbundenheit ist zwischen dem Kläger und seiner Tochter nicht zustande gekommen.
Entsprechendes gilt für die Beziehung zu seinem 4-jährigen Sohn. Die erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachte Vaterschaft des Klägers wurde ausweislich der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen mit Beschluss des Amtsgerichts … auf Grundlage eines Abstammungsgutachtens bereits im April 2015 festgestellt. Erst seit November 2015 besteht etwa einmal im Monat Besuchskontakt von Vater und Sohn in der Haft. Eine Erklärung zum gemeinsamen Sorgerecht hat bisher zwar die Mutter, nicht aber der Kläger abgegeben. Insgesamt erwecken die Gesamtumstände den Eindruck, dass der Kläger nicht ernsthaft bemüht ist, ein persönliches Verhältnis zu seinem Sohn aufzubauen, sondern die Vaterschaft angesichts der drohenden Ausweisung zu seinen Gunsten zu nutzen versucht. Aus Sicht des Kindeswohls ist zu sehen, dass die wenigen kurzen Besuche im etwa monatlichen Abstand seit November 2015 bei einem nun 4-jährigen Kind nicht ausreichen dürften, um eine tatsächliche persönliche Verbundenheit zu entwickeln.
Auch aus der Beziehung zu seinen in Deutschland lebenden Eltern kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten, da er als volljähriger junger Mann auf deren Beistand nicht mehr angewiesen ist.
Neben den familiären Beziehungen ist im vorliegenden Fall auf Seiten des Bleibeinteresses auch das Maß der Verwurzelung des Klägers in Deutschland zu berücksichtigen (Art. 2 Abs. 1 GG und 8 EMRK). Der Kläger ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, hier zur Schule gegangen und beherrscht die deutsche Sprache. Gleichwohl ist er wirtschaftlich und sozial in geringem Maße integriert. Darauf hat die Beklagte zu Recht hingewiesen. So ist es dem Kläger nicht gelungen, sich in Deutschland wirtschaftlich zu integrieren, da er mangels einer Berufsausbildung Schwierigkeiten hatte, am regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, und ihm aus selbstständiger Tätigkeit Schulden verblieben sind. Indem er sich dem illegalen Drogenhandel zugewandt hat, hat er sich schließlich vom regulären Erwerbsleben gelöst. Wie oben ausgeführt hat er sich auch in der Haft nicht um Weiterbildung bemüht, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Andererseits ist zwar zu sehen, dass der Kläger als Ausländer zweiter Generation auch zur Türkei als solcher bislang keine Verwurzelung aufzuweisen hat. Allerdings ist an der Integration des Klägers in sein hiesiges türkisch geprägtes soziales Umfeld nicht zu zweifeln. Soweit ersichtlich, bewegt sich der Kläger sowohl beruflich als auch privat nahezu ausschließlich in einem türkisch-stämmigen sozialen Umfeld. Seine Ehefrau wie auch die Mütter seiner Kinder sind türkischer Abstammung. In sozialen Medien kommuniziert der Kläger in türkischer Sprache und die potentiellen Arbeitgeber, die eine Anstellung für die Zeit nach der Inhaftierung in Aussicht stellten, sind ebenfalls dem türkischen sozialen Umfeld zuzuordnen. Unter diesen Umständen kommt dem Gedanken der Verwurzelung in Deutschland vorliegend kein besonderes Gewicht zu.
3.1.4.3. Unter Abwägung aller Umstände erweist sich die Ausweisung daher im vorliegenden Fall unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als unerlässlich. Neben der besonderen Schwere der der Verurteilung zugrunde liegenden Taten und der oben erläuterten erheblichen Wiederholungsgefahr, die sich insbesondere aus den zahlreichen Vorstrafen und den Schwierigkeiten einer Eingliederung in das Erwerbsleben ergibt, spielt auf Seiten der Ausweisungsinteressen auch eine gewichtige Rolle, dass der Kläger sich insgesamt über einen erheblichen Zeitraum in der Vergangenheit nicht rechtstreu verhalten hat. Er hat nicht nur seit 2004 wiederkehrend Straftaten verschiedener Art begangen, sondern sich auch in der Haft mehrfach nicht an die Anstaltsregeln gehalten. Somit überwiegt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er seit Geburt in Deutschland lebt, und über familiäre Bindungen verfügt, im Ergebnis das Ausweisungsinteresse. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger sich in seiner Heimat erst ein soziales Umfeld und ein wirtschaftliches Auskommen aufbauen muss. Dies ist ihm als knapp 30-jährigem jungen Mann, der die türkische Sprache beherrscht, unter Würdigung der Gesamtumstände jedoch zumutbar.
Die Ausweisungsverfügung ist daher zu Recht ergangen.
3.2. Die in Ziffern 3 – 5 des angefochtenen Bescheids getroffenen Regelungen sind nicht zu beanstanden. Mit wirksamer Ausweisung erlischt der Aufenthaltstitel des Klägers nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Der Kläger ist ausreisepflichtig gem. § 50 Abs. 1 AufenthG. Die Ausreisepflicht ist auch vollziehbar im Sinne von § 58 Abs. 2 AufenthG, da die Beklagte die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet und das Gericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 14. April 2016 abgelehnt hat. Die Anordnung der Abschiebung aus der Haft heraus ist gem. §§ 58 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 3 Nr. 1, 59 Abs. 5 AufenthG ohne Fristsetzung möglich. Die hilfsweise erlassene Abschiebungsandrohung genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 59 AufenthG.
4. Die als „Minus“ in der gegen die Ausweisungsverfügung regelmäßig hilfsweise enthaltene Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 AufenthG bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 8. September 2015 in seiner in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 geänderten Fassung getroffene Entscheidung, die Wiedereinreise für 6,5 Jahre zu untersagen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
4.1. Einschlägige Rechtsgrundlage ist § 11 AufenthG in seiner seit 1. August 2015 geltenden Fassung. Gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG ist das aus § 11 Abs. 1 AufenthG folgende Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG wird über die Länge der Frist – anders als in der alten Fassung der Vorschrift – nach Ermessen entschieden. Die Ermessensentscheidung ist nach Maßgabe des § 114 VwGO (eingeschränkt) gerichtlich überprüfbar.
4.2. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Die behördliche Entscheidung hält sich in dem von § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Rahmen. Danach darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich dann in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U. v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42; BayVGH, U. v. 22.1.2013 – 10 B 12.2008 – juris Rn. 64; BayVGH U. v. 25.8. 2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
Im vorliegenden Fall ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass die Frist fünf Jahre überschreiten darf, da der Kläger wegen einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist und von ihm – wie oben erörtert – eine schwerwiegende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter ausgeht. Weiter hat sie die Prognose angestellt, dass das persönliche Fehlverhalten des Klägers, das der spezialpräventiv begründeten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr grundsätzlich für einen Zeitraum von 10 Jahren zu tragen vermag. In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass es sich nicht um einen einmaligen Fehltritt handelt, sondern um das letzte Glied einer Kette von Straftaten, und dass der Kläger auch während der Haft keinen Anhaltspunkt dafür geliefert hat, dass er sich seither zum Besseren gewandelt hat, sondern durch Verstöße gegen die Anstaltsregeln aufgefallen ist.
In einem zweiten Schritt hat die Ausländerbehörde unter Berücksichtigung der nach den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 und 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK zu beachtenden persönlichen Belange des Klägers die Höchstfrist auf 6,5 Jahre reduziert. Sie hat insbesondere die bereits oben erörterten familiären Beziehungen des Klägers in vertretbarer Weise in ihre Erwägungen einbezogen. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sie der Ehe des Klägers vermindertes Gewicht beigemessen hat, da sie in Kenntnis der Straffälligkeit erst in der Haft geschlossen, nicht als tatsächliche Lebensgemeinschaft geführt worden ist und außerdem mit Einleitung des Scheidungsverfahrens als gescheitert betrachtet werden kann. Die Ausführungen zu einer etwaigen Scheinehe, die nicht in den Schutzbereich des Art. 6 GG fallen würde, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich fallengelassen. Im Hinblick auf die familiären Beziehungen zu seinen beiden Kindern hat die Beklagte ihre Erwägungen in der mündlichen Verhandlung ergänzt. Die Behörde stellt zutreffend auf das Kriterium der fehlenden tatsächlichen persönlichen Verbundenheit von Vater und Kind ab. Für das erst nach Bescheidserlass bekannt gewordene zweite Kind des Klägers hat die Beklagte die Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlungen ergänzt und im Ergebnis zutreffend darauf hingewiesen, dass die bisher erfolgten fünf Besuche in der JVA, da sie nur für ein paar Stunden in fremder Umgebung stattfanden, zu keiner emotionalen Bindung an den bisher unbekannten Vater geführt haben, zumal gerade die Unterbrechungen zwischen den Besuchen einer Bindung entgegenstehen.
Eine Verletzung verfassungsmäßiger Wertentscheidungen oder Vorgaben aus Art. 8 EMRK vermag das Gericht bei Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls nicht zu erkennen. Im Ergebnis erscheint die festgesetzte Frist von 6,5 Jahren auch im Hinblick auf das Kindeswohl nicht unverhältnismäßig. Bei voller Verbüßung der Haftstrafe wäre der Kläger laut vorgelegter Haftzeitübersicht spätestens am … Dezember 2018 auf freiem Fuß. Eine sofortige Ausreise vorausgesetzt endete das Einreise- und Aufenthaltsverbot am … Mai 2025. Seine Kinder wären zu diesem (spätesten) Zeitpunkt 12- bzw. 13-Jahre alt, und in einem Alter, in dem die Aufnahme einer Vater-Kind-Beziehung noch möglich ist. In der Zwischenzeit könnte Kontakt, sofern gewollt, durch Besuche in der Haft oder Besuche in der Türkei bzw. durch die Nutzung kommunikativer Medien aus der Distanz gepflegt werden. Dies erscheint im Hinblick auf die bisher nicht existente persönliche Verbundenheit auch unter dem Blickwinkel des Kindeswohls zumutbar.
5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
6. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-i. V. m. Nr. 8.2. des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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