Verwaltungsrecht

Ausweisung nach Nigeria

Aktenzeichen  W 10 K 20.30990

Datum:
19.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28666
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
EURL 2013/32 Art. 46 Abs. 6
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage entscheidet das Gericht gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ein Einverständnis der Beteiligten ist hierzu nicht erforderlich. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 18. August 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Bundesamt hat den Zweitantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Denn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor. Überdies hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG.
1. Der Asylantrag des Klägers ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG unzulässig, weil er nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt.
Die gemäß § 71a Abs. 1 AsylG für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG vorausgesetzte Zuständigkeit der Beklagten ist aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO gegeben (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16, Shiri – juris). Es sprechen auch keine unionsrechtlichen Rechtsvorschriften gegen die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässigen Zweitantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG, weil die Art. 2 Buchst. q), 33 Abs. 2 Buchst. d) und Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (Verfahrensrichtlinie n.F.) auch einen Folgeantrag erfassen, welcher auf ein in einem anderen Mitgliedstaat unanfechtbar abgeschlossenes Asylverfahren folgt (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 22.10.2018 – 12 N 70.17 – juris Rn. 7; VG Karlsruhe, U.v. 13.3.2019 – A 1 K 3235/16 – juris Rn. 26; VG Osnabrück, U.v. 27.2.2018 – 5 A 79/17 – juris Rn. 38; VG München, U.v. 7.2.2013 – M 11 K 12.30661 – juris Rn. 21; Dickten in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, AsylG, § 71a Rn. 1b; differenzierend VG Hamburg, B.v. 14.7.2016 – 1 AE 2790/16 – juris Rn. 11 ff.). Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG, insbesondere eine entscheidungsrelevante Veränderung der dem Erstverfahren zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, nicht vor. Hierzu wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheids vom 18. August 2020, welchen sich das Gericht aufgrund eigener Überzeugung anschließt (§ 77 Abs. 2 AsylG), sowie auf die Gründe des Beschlusses vom 7. September 2020 (Az.: W 10 S 20.30991), denen der erkennende Einzelrichter aus eigener Überzeugung folgt, verwiesen.
2. Zugunsten des Klägers liegen auch nicht die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigerias oder der Elfenbeinküste vor. Auch insoweit verweist das Gericht zunächst auf die zutreffenden Gründe des Bescheids vom 18. August 2020, welchen es aus eigener Überzeugung folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Verwiesen wird zudem auf den Beschluss vom 7. September 2020 (Az.: W 10 S 20.30991), dem der erkennende Einzelrichter aufgrund eigener Überzeugung folgt, und in dem insbesondere Folgendes ausgeführt wird:
„In der Abschiebungsandrohung darf grundsätzlich jeder Staat als Zielstaat bezeichnet werden, in den eine Abschiebung grundsätzlich durchgeführt werden kann (OVG Saarland, B.v. 15.4.2015 – 2 A 343/14 – juris Rn. 10 m.w.N.). Rechtlich zulässig ist es deswegen an sich auch, mehrere Zielstaaten der Abschiebung alternativ in der Abschiebungsandrohung zu benennen (VGH BW, B.v. 24.9.2007 – 11 S 561/07 – juris Rn. 6 m.w.N.). Der Ausländer darf auch in einen Staat abgeschoben werden, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt (Pietzsch in: BeckOK Ausländerrecht, 26. Ed. 1.7.2020, § 34 AsylG Rn. 31). Eine rechtmäßige Abschiebungsandrohung liegt jedoch nur dann vor, wenn diese einen Zielstaat bezeichnet, welcher zur Rückübernahme der betroffenen Person bereit oder verpflichtet ist. Zwar muss die Bereitschaft des Zielstaats zur Rückübernahme der betreffenden im Zeitpunkt der Abschiebungsandrohung – anders als bei der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG – nicht feststehen. Vielmehr darf das Bundesamt in der Abschiebungsandrohung auch einen Zielstaat bestimmen, für den die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung in absehbarer Zeit nicht feststeht, soweit in Bezug auf diesen Staat keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – juris Rn. 4). Eine Abschiebungsandrohung ist aber rechtswidrig und daher aufzuheben, wenn eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheinen (BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13).
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt weder hinsichtlich Nigeria noch Côte d´Ivoire zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Bei der Prüfung der Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG ist grundsätzlich zu unterstellen, dass die einzelnen Mitglieder einer Kernfamilie nur im Familienverband in das Herkunftsland zurückkehren (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 19); dies gilt sogar, wenn einem Familienmitglied bereits unanfechtbar ein Schutzstatus zuerkannt oder zu dessen Gunsten ein Abschiebungsverbot festgestellt wurde (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 19). Infolgedessen war hier darauf abzustellen, dass der Kläger zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern entweder nach Nigeria oder Côte d´Ivoire zurückkehren wird. Unter diesen Umständen wäre der Kläger in Nigeria nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgesetzt (aa)). Dies gilt auch unter dem Aspekt einer extremen Gefahrenlage im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 i.V.m. § 60a Abs. 1 AufenthG (bb)). Hinsichtlich der Elfenbeinküste gelangt das Gericht zu derselben rechtlichen Einschätzung (cc) und dd)).
Soweit der Kläger vorträgt, mit seiner Familie in Deutschland leben zu wollen und von dieser nicht getrennt werden zu dürfen, vermag dies in keinem Fall ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu begründen. Denn der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK begründet nur ein sogenanntes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, für dessen Prüfung allein die Ausländerbehörde vor einer tatsächlichen Abschiebung zuständig ist.“
Ergänzend hierzu ist noch Folgendes auszuführen:
Soweit die Klägerbevollmächtigte vorträgt, es bestehe keine tatsächliche Möglichkeit, den Kläger, der ausschließlich über die nigerianische Staatsangehörigkeit verfüge, in die Elfenbeinküste abzuschieben, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Nach Maßgabe vorgenannter Grundsätze kommt es nicht darauf an, dass die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung in nächster Zeit aufgrund der Bereitschaft des Zielstaats zur Rückübernahme feststeht, solange in Bezug auf diesen Staat keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – juris Rn. 4; Pietzsch in: BeckOK Ausländerrecht, 26. Ed. 1.7.2020, § 34 AsylG Rn. 31). Eine Abschiebungsandrohung ist vielmehr erst dann rechtswidrig und aufzuheben, wenn eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheinen (BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13). Die zwangsweise Abschiebung bzw. freiwillige Rückkehr in die Elfenbeinküste ist vorliegend schon deshalb nicht auf unabsehbare Zeit praktisch unmöglich, da der Kläger ausweislich seiner Anhörung am 10. August 2020 einen Aufenthaltstitel für die Elfenbeinküste – nach dessen behauptetem Verlust – zumindest rechtlich innehat und sogar die ivorische Staatsangehörigkeit beantragen könnte. Es steht demgemäß nicht sicher fest, dass der ivorische Staat den Kläger trotz dessen Aufenthaltserlaubnis, des jahrelangen tatsächlichen Aufenthalts in der Elfenbeinküste und der Möglichkeit der Beantragung der ivorischen Staatsangehörigkeit auf unabsehbare Zeit nicht wiederaufnehmen würde (vgl. Pietzsch in: BeckOK Ausländerrecht, 26. Ed. 1.7.2020, § 34 AsylG Rn. 31). Ob ein die zwangsweise Abschiebung ermöglichendes bilaterales Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Elfenbeinküste tatsächlich besteht, ist hingegen als tatsächliches Abschiebungshindernis grundsätzlich von der Ausländerbehörde zu prüfen und damit im vorliegenden Verfahren ohne Belang. Da der vorgenannte Ausnahmefall nicht vorliegt, verbleibt es somit bei der grundsätzlichen Verteilung der Prüfungskompetenzen (Bruns in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG, § 60a Rn. 12; Dollinger in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG, § 60a Rn. 78). Die Regelung der Abschiebungsandrohung in die Elfenbeinküste läuft als notwendige Grundlage für die spätere Abschiebung somit gerade nicht leer. Ob diese tatsächlich vollzogen werden kann, ist im nachgelagerten ausländerrechtlichen Verfahren zu prüfen.
a) Es liegt weder ein Abschiebungsverbot nach Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, noch ein Abschiebungsverbot nach Art. 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigerias vor. Auch insoweit verweist das Gericht auf die zutreffenden Gründe des Bescheids vom 18. August 2020, welchen es aus eigener Überzeugung folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), sowie auf den Beschluss vom 7. September 2020 (Az.: W 10 S 20.30991), dem der erkennende Einzelrichter aufgrund eigener Überzeugung folgt, und in dem insbesondere Folgendes ausgeführt wird:
„aa) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt hinsichtlich Nigerias nicht vor. Nach der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat nur in begründeten Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer dieser Vorschrift widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 m.w.N.). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der EMRK auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu unterhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprächen (vgl. BVerwG, a.a.O., unter Verweis auf EGMR, U.v. 27.5.2008 – N./Vereinigtes Königreich, Nr. 2656/05 – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42, juris Leitsatz). Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich demgegenüber keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen ableiten (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 25). Daher können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse die Garantie aus Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staats, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an welchem die Abschiebung endet (BVerfG, a.a.O., unter Verweis auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, juris Leitsatz).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind die humanitären Bedingungen in Nigeria nicht derart ungünstig, dass sie zur Feststellung der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen könnten.
Zwar ist dem Gericht bekannt, dass das Leben der Menschen in Nigeria von problematischen wirtschaftlichen Verhältnissen, einer schwierigen Versorgungslage und hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist. Etwa zwei Drittel der nigerianischen Bevölkerung lebt in extremer Armut (vgl. EASO, Country of Origin Information Report; Nigeria Country Focus, Juni 2017, S. 16). Der größte Teil der Bevölkerung ist von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite, die von dem Ölreichtum des Lands profitiert, und der Masse der Bevölkerung verteilt. Viele Menschen haben keinen oder nur erschwerten Zugang zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert ebenso wenig wie kostenlose medizinische Versorgung, die allen nigerianischen Staatsangehörigen zugänglich ist. Mittellose Personen sind regelmäßig auf die Unterstützung der Familie angewiesen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, vom 16.1.2020, Stand: September 2019, S. 16). Gleichwohl liegt keine derart unzureichende Versorgungslage vor, die einen besonderen Ausnahmefall im genannten Sinne begründet, zumal die allgemeine Versorgungslage zwar deutlich hinter europäischen Standards zurückbleibt, sich insbesondere in den Großstädten aber tendenziell verbessert.
Im Übrigen hat das erkennende Gericht auch keine Zweifel daran, dass der 37 Jahre alte, bis auf die gelegentlichen Schmerzen in der Brust gesunde und erwerbsfähige Kläger, der in der Elfenbeinküste und auf seiner Reise nach Deutschland bereits als Mechaniker und Feldarbeiter gearbeitet hat und in Nigeria mit mehreren Geschwistern, Onkeln und Tanten noch über eine familiäre Anschlussmöglichkeit verfügen dürfte, im Anschluss an eine Rückkehr zusammen mit seiner Ehefrau, die eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen und als Kleidungsverkäuferin gearbeitet hat, das Existenzminimum für sich und seine Familie erwirtschaften können wird. Zusammen mit den in Europa gemachten Erfahrungen wird der Kläger somit zumindest mit Hilfe seiner Familie und in einer der nigerianischen Großstädte in der Lage sein, das Existenzminimum für sich, seine Frau, die vier und drei Jahre alten Töchter und den ein halbes Jahr alten Sohn zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als er im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann.
An diesem Ergebnis ändert auch die vom Kläger behauptete drohende Beschneidung seiner Töchter durch seinen Bruder nichts. Jedenfalls besteht für die Familie die Möglichkeit, in Nigeria internen Schutz zu suchen. Dort gibt es nämlich weder ein landesweites Meldewesen, noch ein zentrales Fahndungssystem, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Bruder die Familie ohne deren eigenes Zutun auffinden können wird. Vielmehr ist es in den allermeisten Fällen möglich, sogar in der näheren Umgebung „unterzutauchen“ (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt vom 28.1.2019; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria, Stand: 20.5.2020, S. 54, 64 f.).
bb) Individuelle Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigerias sind nicht ersichtlich. Scheidet bereits die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aus, so liegt in der Regel erst recht keine extrem zugespitzte Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung (Extremgefahr) vor.“
Ergänzend hierzu ist noch Folgendes auszuführen:
An Vorstehendem ändert auch die weltweite COVID-19-Pandemie nichts, zumal der Kläger nicht substantiiert vorgebracht hat, dass und inwieweit ihm persönlich aufgrund der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen könnte. Die Sperrwirkung der §§ 60a, 60 Abs. 7 AufenthG wird damit nicht durchbrochen.
Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bzw. allgemein zugänglichen Quellen gibt es in Nigeria im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt 61.440 bestätigte Corona-Fälle. Davon sind 56.611 Personen genesen. Außerdem gibt es 1.125 Todesfälle, wobei Nigeria eine zunehmend realistischere Kurve aufweist, auch wenn bei den Angaben die Dunkelziffer nach wie vor hoch sein und die Zahl der an dem Virus Infizierten bzw. Gestorbenen deutlich höher liegen mag (Stand: 19.10.2020; vgl. etwa Nigeria Centre for Disease Control https://covid19.ncdc.gov.ng/ oder https:// www…info/coronavirus/country/nigeria/; Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern (im Folgenden: Länderinformation COVID-19-Pandemie) vom Juni 2020, S. 27 ff.; BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage (im Folgenden: Kurzinformation zu COVID-19) vom 9.7.2020, S. 1, 3, 12 sowie vom 10.6.2020, S. 2; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 10, 14 ff.; Spiegel vom 26.6.2020, https://www…de/politik/ausland/coronavirus-in-nigeria-viele-infizierte-und-tote-koennten-nicht-registriert-sein-a-376a1144-607a-4503-9632-236168d397da). Jedoch bleibt der nigerianische Staat nicht tatenlos, wobei in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedliche Maßnahmen getroffen werden (vgl. Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie vom Juni 2020, S. 27 ff.; BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 9.7.2020, S. 12 sowie vom 23.3.2020, S. 2). So gelten angesichts der Corona-Pandemie in Nigeria in bestimmten Landesteilen bzw. Staaten – gerade in Hotspots – teilweise strenge bzw. strengere Ausgangssperren und Quarantäneregelungen, die von den nigerianischen Sicherheitskräften auch überwacht werden. Die Regierung hat hingegen mittlerweile etwa die Ausgangssperre für Lagos und Abuja wieder aufgehoben, allerdings an anderen Stellen (etwa in Kano) zeitweise verlängert und erweitert. Seit 1. Juni 2020 gilt landesweit eine nächtliche Ausgangssperre von 22:00 bis 4:00 Uhr, die seit 4. September 2020 auf 0:00 bis 4:00 Uhr verkürzt ist. Ebenso gilt weiterhin die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im öffentlichen Raum. Der Inlandsflugverkehr wurde am 8. Juli 2020 eingeschränkt wieder aufgenommen, die Flughäfen Abuja und Lagos sind ab dem 5. September 2020 wieder für den regulären, internationalen Flugverkehr geöffnet. Geschäfte, Banken, Märkte, Hotels und Unternehmen sind unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen wieder geöffnet. Freizeitparks, Fitnessstudios und Kinos dürfen bei halber Kapazität öffnen, Restaurants dürfen wieder im Außenbereich bewirten. Bars und Nachtclubs bleiben aber weiterhin geschlossen. Menschenansammlungen mit nun mehr als 50 Personen sind grundsätzlich untersagt, Bundesstaaten können jedoch religiöse Versammlungen von mehr als 50 Personen unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen zulassen. (vgl. Auswärtiges Amt, Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 19.10.2020, https://www…de/de/aussenpolitik/laender /nigeria -node/nigeriasicherheit/205788; Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie vom Juni 2020, S. 28 f.; BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 10.6.2020, S. 1 ff., 7 ff.; Handelsblatt vom 2.6.2020, https://www…com/politik/international/pandemie-das-corona-virus-verschaerft-die-wirtschaftlichen-und-sozialen-probleme-afrikas/ 25873896.html; New York Times vom 17.5.2020, https://www…com/2020/05/17/world/africa/coronavirus-kano-nigeria-hotspot.html; merkur.de vom 16.4.2020 https://www…de/welt/coronavirus-afrika-news-nigeria-sued-afrika-uganda-katastrophe-experte-warnung-pandemie-covid-19-who-zr-13606904.html; n-tv.de vom 15.4.2020, https://www…de/panorama/Corona-Krise-entfacht-Gewalt-in-Niger…61. html).
Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert und wohl mehr als die Hälfte der geplanten Staatseinnahmen verloren gehen (vgl. Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie vom Juni 2020, S. 28 f.; BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 9.7.2020, S. 6 sowie vom 10.6.2020, S. 3, 8 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; Handelsblatt vom 2.6.2020, a.a.O.) und kurz- oder mittelfristig mit Verknappungen von Gütern des täglichen Bedarfs zu rechnen sein dürfte (Auswärtiges Amt, Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 19.10.2020, https://www…de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung ausgegangen werden kann. Für den Eintritt einer dahingehenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Nigeria fehlen dem Gericht zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurden verschiedene Maßnahmen zur Koordinierung und Unterstützung des „Nigeria Centre for Disease Control“ ergriffen. Ebenso gibt es Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel und Saatgut verteilt. Geschäfte, Banken, Märkte und Unternehmen dürfen mit Auflagen öffnen. Trotz der Verknappung von Gütern des täglichen Bedarfs bestehen für das Gericht derzeit keine greifbaren Anhaltspunkte für einen Mangel an Lebensmitteln, der über das übliche Maß hinausgehen würde (vgl. Auswärtiges Amt, Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 19.10.2020, https://www…de/de/ aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788; BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 9.7.2020, S. 9, 13 sowie vom 10.6.2020, S. 3, 8 f.; Nigeria Centre for Disease Control vom 8.6.2020 https://ncdc.gov.ng/ news/253/100-days-of-nigeria-covid-19-response; Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie vom Juni 2020, S. 28 f.). Darüber hinaus hat der Internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar gewährt (vgl. IWF vom 28.4.2020, https://www…org/ en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-nigeria-imf-executive-board-approves-emergency-support-to-address-covid-19, abgerufen am 19.10.2020). Das Gericht geht zudem davon aus, dass gerade der für viele Nigerianer als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach dem Aufheben der vorübergehenden, nicht landesweit gleich strikten und im Übrigen bereits wieder gelockerten Ausgangsbeschränkungen, auch dem Kläger wieder zur Verfügung stehen wird (vgl. Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie vom Juni 2020, S. 28 f.; BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 10.6.2020, S. 3 ff., 8 f.; Handelsblatt vom 2.6.2020, a.a.O.; Africa News vom 1.6.2020, https://www…com/2020/06/01/nigeria-coronavirus-hub-updates-covid-19/; Konrad-Adenauer-Stiftung vom 29.4.2020, https://www…de/de/ laenderberichte/detail/-/content/nigeria-seit-vier-wochen-im-lockdown).
Gegebenenfalls kann der Kläger auf private Hilfsmöglichkeiten oder Hilfsorganisationen zurückgreifen, sodass er nicht völlig mittellos wäre und sich in Nigeria etwa auch mit Medikamenten, Desinfektionsmitteln oder Gesichtsmasken versorgen könnte. Zudem könnten dem Kläger bei Bedarf auch Medikamente, Desinfektionsmittel oder Gesichtsmasken für eine Übergangszeit mitgegeben werden (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr für den Kläger, sich in Nigeria mit SARS-CoV-2 zu infizieren, nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht ist, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung die begründete Furcht ableiten lässt, er werde in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage.
Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist für den Kläger im Hinblick auf die Verbreitung des „Coronavirus“ für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Der 37 Jahre alte Kläger ohne erkennbare relevante Vorerkrankungen gehört nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (vgl. Robert Koch-Institut, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf; https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, Stand: 29.7.2020). Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Fallzahlen und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht in Nigeria derzeit nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört. Er muss sich letztlich, wie hinsichtlich etwaiger anderer Erkrankungen, wie etwa Malaria, HIV, Masern, Cholera, Lassa-Fieber, Meningitis oder Tuberkulose, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und eines schweren Verlaufs teilweise um ein Vielfaches höher liegt als bei dem „Coronavirus“ (vgl. Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Stand: Juni 2020, S. 25 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19, Stand: 11.6.2020, S. 14 f.; vgl. zu Malaria OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4479/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 26.2.2020 – A 4 K 7158/18 – juris), im Bedarfsfalle auf die Möglichkeiten des – zugegebenermaßen mangelhaften – nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems verweisen lassen (vgl. Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Stand: Juni 2020, S. 25 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 20.5.2020, S. 55 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16.1.2020, Stand: September 2019, S. 22 ff.).
Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ansteckungsgefahr mit dem „Coronavirus“ auch in Nigeria nicht in allen Landesteilen gleich hoch ist. Vielmehr gibt es erhebliche regionale Unterschiede beim Risiko, angesteckt zu werden (vgl. Bundesamt, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Stand: Juni 2020, S. 27 f.; BFA, Kurzinformation zu COVID-19, Stand: 10.6.2020, S. 5 f., 8 sowie Stand: 23.3.2020, S. 2; New York Times vom 17.5.2020, aktualisiert am 23.7.2020, https://www…com/2020/05/17/world/africa/ coronavirus-kano-nigeria-hotspot.html). Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Wie schon ausgeführt, hat das Gericht zum derzeit maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine triftigen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen in Folge der Covid-19-Pandemie in Nigeria in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrer eine extreme Gefahr im oben zitierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Gerade angesichts der regionalen Unterschiede und des unterschiedlichen Vorgehens der einzelnen Bundesstaaten bestehen weiterhin ausreichende Möglichkeiten, sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, so dass eine Rückkehr nach Nigeria zumutbar ist. Wie bereits ausgeführt ist bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung ein Mangel, der über das übliche Maß hinausgehen würde, derzeit nicht erkennbar (BFA, Kurzinformation zu COVID-1, Stand: 9.7.2020, S. 13 sowie Stand: 10.6.2020, S. 9).
Nach alledem gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die Wirtschafts- und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe, trotz Gegensteuerns des nigerianischen Staats und trotz lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtern würde, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie sicherzustellen (vgl. VG Cottbus, B.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A – juris; U.v. 29.5.2020 – 9 K 112/19.A – juris). Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie – nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
b) Unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze liegen auch hinsichtlich der Elfenbeinküste keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insoweit verweist das Gericht auf die zutreffenden Gründe des Bescheids vom 18. August 2020, welchen es aus eigener Überzeugung folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), sowie auf den Beschluss vom 7. September 2020 (Az. W 10 S 20.30991), an dem der erkennende Einzelrichter aufgrund eigener Überzeugung festhält, und in dem insbesondere Folgendes ausgeführt wird:
„Die für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG erforderlichen außergewöhnlichen Umstände in der Person des Klägers, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Klägers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05, U.v. 28.6.2011 – 8319/07), sind vom Kläger weder vorgetragen, noch ersichtlich. Mit seiner Berufserfahrung als Automechaniker kann davon ausgegangen werden, dass der bis auf die gelegentlichen Schmerzen in der Brust gesunde, 37 Jahre alte, arbeitsfähige Kläger in der Elfenbeinküste in der Lage sein wird, sich und seiner Familie zumindest in einer Großstadt wie Abidjan eine den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechende Existenz aufzubauen. Für die aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in der Elfenbeinküste wird auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
An diesem Ergebnis ändert auch die vorgetragene Verfolgung aufgrund der familiären Nähe zu Unterstützern von Laurent Gbagbo nichts, nachdem sich die innenpolitische Lage nach der Festnahme Gbagbos beruhigt hat und eine Verfolgung aller Anhänger Gbagbos nicht vorliegt. Zudem hat der Kläger angegeben, selbst politisch nicht aktiv gewesen zu sein. Auch hinsichtlich der behaupteten drohenden Beschneidung der Töchter durch die Familie der Mutter gelangt das Gericht zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen, denen sich das Gericht aufgrund eigener Überzeugung anschließt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
dd) Individuelle Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Elfenbeinküste liegen ebenfalls nicht vor. Scheidet die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aus, so liegt – wie bereits ausgeführt – in der Regel erst recht keine extrem zugespitzte Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung (Extremgefahr) vor.“
An Vorstehendem ändert auch bezüglich der Elfenbeinküste die weltweite COVID-19-Pandemie nichts, zumal der Kläger nicht substantiiert vorgebracht hat, dass und inwieweit ihm persönlich aufgrund der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen könnte. Die Sperrwirkung der §§ 60a, 60 Abs. 7 AufenthG wird damit nicht durchbrochen.
Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bzw. allgemein zugänglichen Quellen gibt es in Côte d´Ivoire im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt 20.301 bestätigte Corona-Fälle. Davon sind 19.983 Personen genesen. Außerdem gibt es 121 Todesfälle, wobei die Dunkelziffer nach wie vor hoch sein und die Zahl der an dem Virus Infizierten bzw. Gestorbenen deutlich höher liegen mag (Stand: 19.10.2020; vgl. etwa https://www…info/coronavirus/country/Côte-d-ivoire/; BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage (im Folgenden: Kurzinformation zu COVID-19) vom 9.7.2020, S. 1, 3, 12 sowie vom 10.6.2020, S. 2; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 10, 14 ff). Jedoch bleibt auch der ivorische Staat nicht tatenlos (BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 9.7.2020, S. 9 f.). Ab dem 22. März 2020 waren sämtliche Land-, See- und Luftgrenzen der Elfenbeinküste für den Personenverkehr geschlossen, seit dem 1. Juli 2020 ist die Luftgrenze für Passagierflüge aber wieder geöffnet. Am 23. März 2020 wurde der nationale Notstand ausgerufen und seitdem regelmäßig verlängert, die innerhalb des Landes verhängten Reisebeschränkungen zwischen dem Großraum Abidjan und dem Rest des Landes wurden inzwischen jedoch ebenso wie die zunächst verhängte Ausgangssperre wieder aufgehoben. Es gelten allerdings weiterhin Maßnahmen zur Beschränkung von Kontakten und Versammlungen sowie eine allgemeine Maskenpflicht im öffentlichen Raum (Auswärtiges Amt, Côte d´Ivoire: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 19.10.2020, https://www…de/de/ aussenpolitik/laender/Côtedivoire-node/Côtedivoiresicherheit/209460). Zur Linderung der wirtschaftlichen Nöte der Bevölkerung hat die Regierung einen Solidaritätsfond aufgesetzt, der Gelder an Haushalte auszahlt (UNICEF, Côte d’Ivoire – COVID-19 Situation Report #17, Reporting Period: 15 to 28 August 2020 vom 28.8.2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/ UNICEF%20Cote%20d%27Ivoire%20-%20COVID-19%20-%20SitRep%2017%20reporting%20period%2015%2028%20August%202020%20%28EN%29.pdf, abgerufen am 19.10.2020).
Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in der Elfenbeinküste aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert und ein Rückgang des Wirtschaftswachstums von den erwarteten 7,2 Prozent auf im besten Falle 3,6 Prozent erwartet wird (https://www…de/gtai-de/trade/specials/special/ côte-d-ivoire/côte-d-ivoire-erwartet-vorerst-keine-rezession-235762, Stand: 13.5.2020, abgerufen am 19.10.2020), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung ausgegangen werden kann. Für den Eintritt einer dahingehenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in der Elfenbeinküste fehlen dem Gericht zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des ivorischen Staates erkennbar ist. Es gibt bereits ein erstes Konjunkturpaket in einem Umfang von 1.700 Milliarden CFA (rund 2,5 Milliarden Euro), um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern (https://www…de/gtai-de/trade/specials/special/côte-d-ivoire/côte-d-ivoire-erwartet-vorerst-keine-rezession-235762, Stand: 13.5.2020, abgerufen am 19.10.2020) sowie den bereits genannten Solidaritätsfond (vgl. auch BFA, Kurzinformation zu COVID-19 vom 9.7.2020, S. 7 f.). Hinweise auf einen Mangel in Bezug auf die Nahrungsmittel- und Wasserversorgung, der über das übliche Maß hinausgehen würde, sind nicht bekannt. Darüber hinaus hat der Internationale Währungsfonds Soforthilfen für die Elfenbeinküste in Höhe von 886,2 Millionen US-Dollar gewährt (vgl. IWF vom 17.4.2020, https://www…org /en/News/Articles/2020/04/17/pr20172-cote-divoire-imf-exec-board-approves-us-886-2m-disbursement-address-covid19-pandemic, abgerufen am 19.10.2020). Das Gericht geht zudem davon aus, dass gerade der für viele Ivorer als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach Aufhebung der inländischen Reisebeschränkungen und Ausgangssperren auch dem Kläger wieder zur Verfügung stehen wird. (Auswärtiges Amt, Côte d´Ivoire: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 19.10.2020, https://www…de/de/ aussenpolitik/laender/Côtedivoire-node/Côtedivoiresicherheit/ 209460).
Gegebenenfalls kann der Kläger auch auf private Hilfsmöglichkeiten oder Hilfsorganisationen zurückgreifen, sodass er nicht völlig mittellos wäre und sich in Côte d´Ivoire etwa auch mit Medikamenten, Desinfektionsmitteln oder Gesichtsmasken versorgen könnte. Zudem könnten dem Kläger, wie bereits dargelegt, bei Bedarf auch Medikamente, Desinfektionsmittel oder Gesichtsmasken für eine Übergangszeit mitgegeben werden (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Es gibt darüber hinaus auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr für den Kläger, sich in der Elfenbeinküste mit SARS-CoV-2 zu infizieren, nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht ist, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung die begründete Furcht ableiten lässt, er werde in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage.
Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist für den Kläger auch im Hinblick auf die Verbreitung des „Coronavirus“ in der Elfenbeinküste derzeit nicht erkennbar. Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Fallzahlen und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht derzeit auch in Côte d´Ivoire nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört. Er muss sich letztlich auch in der Elfenbeinküste im Bedarfsfall auf die Möglichkeiten des ivorischen Gesundheits- und Sozialsystems unter Einhaltung persönlicher Schutzmöglichkeiten verweisen lassen.
Wie schon ausgeführt, hat das Gericht zum derzeit maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine triftigen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen in Folge der Covid-19-Pandemie in der Elfenbeinküste in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrer eine extreme Gefahr im oben zitierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Das Gericht geht deshalb nach Würdigung der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel davon aus, dass dem Kläger weiterhin ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um sich und seiner Familie das notwendige Existenzminimum zu erwirtschaften, so dass eine Rückkehr in die Elfenbeinküste zumutbar ist.
3. Im Übrigen entspricht die gesetzte Ausreisefrist den gesetzlichen Vorgaben, nachdem die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist im Fall der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Bundesamt ausgesetzt wurde.
Zwar bestehen hinsichtlich der Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG, welche nach der Festsetzung unter Ziffer 4 des Bescheids mit der Bekanntgabe beginnt, unionsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Effektivität des nach Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie n.F.) vorgesehenen Rechtsschutzes (vgl. EuGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16, Gnandi – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris). Art. 46 Abs. 6 RL 2013/32/EU bestimmt unter anderem im Fall der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet im Sinne des Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU, dass das mitgliedstaatliche Gericht befugt ist, entweder auf Antrag oder von Amts wegen über ein Bleiberecht des Klägers zu entscheiden, wenn diese Entscheidung gegebenenfalls die Beendigung des Bleiberechts zur Folge hat und dieses insoweit bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. Im Hinblick darauf und auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass dann, wenn die Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG mit der Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung beginnt, die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte nicht in vollem Umfang gewährleistet sind (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris). Insbesondere hindert der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zwar nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG den Vollzug der angedrohten Abschiebung (Vollzugshemmung). Unberührt bleibt davon jedoch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht. Deshalb ist § 59 Abs. 1 Sätze 6 und 7 AufenthG, welcher auf den Wegfall der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht bzw. der Abschiebungsandrohung abstellt, nicht anwendbar (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 39).
Das Bundesamt hat jedoch im vorliegenden Fall die Vollziehung der Abschiebungsandrohung bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ausgesetzt und verfügt, dass der Lauf der Ausreisefrist bis zu diesem Zeitpunkt bzw. im Falle der fristgerechten Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines ablehnenden Beschlusses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes „ausgesetzt“ ist. Diese Formulierung kann nach dem objektiven Empfängerhorizont dahingehend ausgelegt werden, dass das Bundesamt verschiedene Zeitpunkte für den Beginn der einwöchigen Ausreisefrist festgesetzt hat, nämlich für den Fall der Klageerhebung bzw. Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes bzw. für den Fall, dass keine Rechtsbehelfe eingelegt werden, den Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsbehelfsfristen. Damit hat das Bundesamt in unionrechtskonformer Weise den Zeitpunkt, in welchem die Ausreisefrist anläuft, auf einen Zeitpunkt festgesetzt, in welchem das Verwaltungsgericht den Sofortvollzug der Abschiebungsandrohung bestätigt oder fristgerechte Rechtsbehelfe nicht mehr eingelegt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 61).
4. Letztlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung keine Bedenken. Ermessensfehler sind weder ersichtlich, noch vorgetragen.
5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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