Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Straffälligkeit

Aktenzeichen  10 ZB 19.2488

Datum:
24.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14539
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
EMRK Art. 8
GG Art. 6

 

Leitsatz

Hat die Straffälligkeit ihre Ursache in einer Suchtmittelabhängigkeit oder wurde sie dadurch – etwa durch eine alkoholbedingte Enthemmung – gefördert, so kann ohne die erfolgreiche Absolvierung einer entsprechenden Therapie nicht vom Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen werde. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 19.368 2019-09-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein russischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 16. Januar 2019 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Wiedereinreise für vier Jahre untersagt und seine Abschiebung angeordnet bzw. angedroht wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist nicht der Fall.
Der Kläger wurde am 11. Oktober 2017 wegen Vergewaltigung, Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt; seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Das Verwaltungsgericht hat bei der im Rahmen der Ausweisung (§ 53 Abs. 1 AufenthG) zu treffenden Gefahrenprognose festgestellt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Kläger erneut erheblich straffällig werde, und dabei in seiner eingehenden Begründung darauf hingewiesen, dass das Strafgericht, das Bezirkskrankenhaus, in dem der Kläger untergebracht war, und die Strafvollstreckungskammer, die eine Aussetzung der Restfreiheitsstrafe abgelehnt hatte, ebenfalls von einer hohen Rückfallgefahr ausgegangen seien. Der Kläger habe seine Entziehungstherapie abgebrochen und sei auch in der Strafhaft disziplinarisch belangt worden. Als weiterer Risikofaktor komme noch eine im Bezirkskrankenhaus festgestellte (weitere) psychische Erkrankung, deren Behandlung der Kläger bisher verweigert habe, hinzu.
Der Kläger bringt in der Begründung seines Zulassungsantrags insoweit lediglich vor, er sei durch seine Haftstrafe, die er sich zur Lehre habe dienen lassen, auch beeindruckt; es sei ihm klar, dass er Deutschland definitiv verlassen müsse, sollte er sich einen weiteren Rechtsverstoß leisten.
Mit dieser pauschalen und unsubstantiierten Behauptung kann er aber die vom Verwaltungsgericht getroffene Gefahrenprognose nicht in Frage stellen. Auf die maßgeblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu der abgebrochenen Entziehungstherapie hinsichtlich seines langjährigen Rauschmittel- und Alkoholkonsums sowie der nicht behandelten psychischen Störung geht der Kläger nicht ein. Hat jedoch, wie beim Kläger, die Straffälligkeit ihre Ursache in einer Suchtmittelabhängigkeit, oder wurde sie dadurch – etwa durch alkoholbedingte Enthemmung – gefördert, so kann ohne die erfolgreiche Absolvierung einer entsprechenden Therapie nicht vom Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden (stRspr des Senats, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 12.11.2019 – 10 ZB 18.2467 – juris Rn. 8; B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 11 ff.).
Hinsichtlich der selbständig tragenden („Unabhängig davon…“, UA Rn. 31) generalpräventiven Erwägungen des Verwaltungsgerichts trägt der Kläger nichts vor.
Auch in Bezug auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Interessen an der Ausreise des Ausländers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet (§ 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG) hat der Kläger keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit vorgetragen. Er bringt vor, das Verwaltungsgericht habe zwar zu Recht die Sicht der beiden Kinder in den Vordergrund gestellt, dabei aber andererseits kaum Raum für seine eigenen Interessen am Umgang mit den beiden Söhnen gelassen. Auch ihm selbst sei der Umgang mit den beiden Kindern sehr wichtig, Kontakte mit ihnen von höchster Bedeutung. Auch seine Ex-Ehefrau weise auf diese Bindung hin. Nach der Haftentlassung habe er vor, den Umgang mit den Kindern regelmäßiger zu pflegen; sie stellten seinen familiären und sozialen Lebensmittelpunkt in Deutschland dar. Nachträglich teilte er noch mit, er habe im Einverständnis mit seiner Ex-Ehefrau die Aufhebung des gerichtlich angeordneten Kontaktverbots beantragt, um sich besser um die Kinder kümmern zu können.
Der Vortrag, dass das Verwaltungsgericht die Interessen der Kinder in den Vordergrund gestellt, aber seine eigenen Interessen am Umgang mit den Kindern vernachlässigt habe, ist nach den Ausführungen in den Urteilsgründen nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht ist bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit am Maßstab von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Ausweisung des Klägers seine familiären Beziehungen insbesondere zu den beiden Söhnen berührt, und dass dabei „maßgeblich auch“ auf deren Sicht abzustellen ist (UA Rn. 36), und hat dann im Einzelnen die Interessen sowohl der Kinder wie auch die (gleichlaufenden) Interessen des Klägers an einem gegenseitigen Kontakt geprüft und abgewogen (UA Rn. 37 u. 43). Soweit das Verwaltungsgericht auf das noch bestehende Kontaktverbot zu seiner Ex-Ehefrau hingewiesen hat, das den Umgang mit den Kindern erheblich erschwere, ändert auch sein Antrag auf dessen Aufhebung noch nichts an der Sachlage. Er trägt selbst vor, dass er lediglich beabsichtigt, den Kontakt zu den Kindern, der durch nur gelegentliche Besuchs- und Briefkontakte während seiner Inhaftierung über zwei Jahre und fünf Monate nur in geringem Umfang stattgefunden hat, „regelmäßiger zu pflegen“. Durch diese Absichtsbekundung wird aber eine Fehlgewichtung durch das Verwaltungsgericht nicht aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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