Verwaltungsrecht

Befristung der Ausweisungswirkungen

Aktenzeichen  M 9 K 15.4416

Datum:
21.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a, § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4
EMRK EMRK Art. 8
GG GG Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

Bei der Bestimmung der Befristung der Ausweisungswirkungen sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und die mit der Ausweisung verfolgten spezielpräventiven Zwecke zu berücksichtigen. In einem zweiten Schritt ist als normatives Korrektiv die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (stRspr, VGH München BeckRS 2015, 51945; Beschl. im Eiverfahren v. 25.10.2016 – M 9 S 16.4791 wurde durch VGH München BeckRS 2016, 5570 bestätigt). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist als Anfechtungsklage insgesamt zulässig auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Verkürzung der von der Behörde verfügten Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot – hier Ziffer V. des Bescheids – nur die Verpflichtungsklage statthaft ist (BayVGH, U. v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris m. w. N.). Der vom Kläger gestellte Antrag, den Bescheid im Ganzen aufzuheben, muss gegebenenfalls bei sachgerechter Würdigung seines Klagebegehrens dahin ausgelegt werden, dass für den Fall, dass die Ausweisungsentscheidung im Urteil nicht aufgehoben wird, zumindest eine angemessene Verkürzung der Dauer der Befristung erreicht werden soll. Nach § 88 VwGO darf das Gericht zwar nicht über das Klagebegehren hinausgehen, es ist aber nicht an die Fassung der Klageanträge gebunden, sondern hat das aus dem gesamten Parteivorbringen zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel zu ermitteln (BayVGH, U. v. 28.6.2016, a. a. O.). Vorliegend bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass ein entsprechendes Klageziel verfolgt wird.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom … September 2015 in der Fassung, die er durch die beklagtenseits zu Protokoll erklärte Abänderung von Ziffer V. des Bescheids in der mündlichen Verhandlung vom … Dezember 2016 erhalten hat, verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Kammer nimmt zur Begründung auf die Gründe zu II. des Eilbeschlusses vom … Oktober 2016, M 9 S 16.4791, auf die diesen Beschluss vollumfänglich bestätigende Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, B. v. 22.11.2016 – 10 CS 16.2215 – juris, und auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug, § 117 Abs. 5 VwGO. Bis zum für die hiesige Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ergaben sich keine Änderungen der Sach- und Rechtslage.
Ergänzend wird ausgeführt, dass gegen die Befristung der Ausweisungswirkungen auf nunmehr acht Jahre unter Berücksichtigung der obergerichtlichen Rechtsprechung keine Bedenken bestehen.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BayVGH, U. v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – juris). Diese vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze (BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 1 C 14/12 – juris; U. v. 14.5.2013 – 1 C 13/12 – juris) gelten auch im Rahmen der geänderten Fassung des § 11 AufenthG fort. Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, und soll zehn Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 3 Satz 2 u. 3 AufenthG.
Vorliegend ist auch unter Berücksichtigung des familiären Hintergrunds des Klägers im Bundesgebiet eine Dauer von acht Jahren entsprechend den Ausführungen des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung angemessen. Die für den Kläger zu stellende Gefahrenprognose ergibt nicht nur aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Bande und seiner tragenden Rolle innerhalb dieser Vereinigung, dass von ihm weiterhin eine konkrete Gefahr der Begehung gerade von Eigentumsdelikten im Rahmen organisierter Kriminalität ausgeht. Es steht außerdem zu befürchten, dass er bei schnellerer Rückkehr in sein gewohntes Umfeld und die vorhandenen Strukturen seine bisherigen Verhaltensmuster wieder aufnehmen würde. Auch die Höhe der strafgerichtlichen Verurteilung von sieben Jahren und sechs Monaten spricht als ein Kriterium der Abwägung für die nunmehr festgesetzte Frist. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG steht dem nicht entgegen, da der Kläger aufgrund einer erheblichen strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wurde und von ihm weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine relevante Verbesserung der Prognose im weiteren Verfahren ist vorliegend nicht gegeben, vielmehr hat sich gezeigt, dass der Kläger entgegen seinen Angaben gegenüber den Ausländerbehörden nicht die bosnische, sondern die kosovarische Staatsangehörigkeit besitzt; insoweit hat er Aufenthaltstitel unter unzutreffenden Voraussetzungen erlangt.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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