Verwaltungsrecht

Beschwerde (einstweiliger Rechtsschutz), Zwangsgeldandrohung, wiederholende Verfügung (verneint)

Aktenzeichen  8 CS 21.2294

Datum:
16.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3159
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4
VwZVG Art. 19, 21a, 29, 31, 36

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 10 S 21.704 2021-08-11 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen eine Zwangsgeldandrohung.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks, von dem der Bewuchs einer Thujahecke sowie sonstiger Pflanzenteile in die öffentliche Verkehrsfläche hineinragt. Seit Herbst 2017 kam es wegen der Beschneidung der Hecke wiederholt zu Schriftwechseln zwischen den Beteiligten.
Die Antragsgegnerin verpflichtete den Antragsteller u.a. mit Bescheid vom 20. Mai 2020 zum Rückschnitt des vor seinem Anwesen in die öffentliche Verkehrsfläche hinausragenden Bewuchses in waagerechter Richtung bis zur Grundstücksgrenze, in der Höhe bis 2,50 m und im Park- bzw. Fahrbereich von 4,50 m. Dabei sei zu berücksichtigen, dass diese Höhe auch bei einem Absenken des Bewuchses, z. B. bei Regenfällen, nicht unterschritten werde (Ziff. I). Die sofortige Vollziehung der Ziff. I wurde angeordnet (Ziff. II). Für den Fall der nicht fristgemäßen oder nicht vollständigen Erfüllung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht (Ziff. III). Mit Beschluss vom 24. September 2020 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung wegen einer unangemessen kurzen Frist von zehn Tagen zur Beseitigung des Bepflanzungsüberwuchses an.
Zuletzt erging am 16. März 2021 der folgende Bescheid:
„I. Herr H. … … wird verpflichtet, den von seinem Grundstück in die öffentliche Verkehrsfläche hinausragenden Bewuchs bis auf die Grundstücksgrenze zurückzuschneiden, wie es sich aus Ziff. I des Bescheids der Stadt N. … vom 20. Mai 2020 ergibt.
Falls binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheids die Verpflichtung nicht erfüllt wird, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR fällig. (…)“
Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Auf seinen Eilantrag hin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. August 2021 die aufschiebende Wirkung seiner Klage im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung in Ziffer I des Bescheids mit der Begründung angeordnet, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht vorlägen und die gesetzte Zwangsgeldandrohungsfrist rechtswidrig sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht die begehrte Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht anhand des Rechtsschutzziels und zugunsten des anwaltlich nicht vertretenen Antragsstellers dahin ausgelegt, dass er sich allein gegen die in Ziffer I des Bescheids vom 16. März 2021 enthaltene Zwangsgeldandrohung richtet, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a VwZVG).
Auch in Ansehung der von der Antragsgegnerin innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe erweist sich die Auffassung des Erstgerichts als zutreffend, dass die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Das mit Bescheid vom 16. März 2021 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR zur Erfüllung der im selben Bescheid verfügten Verpflichtung zum Pflanzenrückschnitt ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig.
1. Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 36 Abs. 1 VwZVG. Sie ist ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid über eine Geldforderung (Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG), der unter Fristsetzung angedroht werden muss (Art. 36 Abs. 1 VwZVG). Zwar müssen im Zeitpunkt der Androhung die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG, insbesondere die Vollstreckbarkeit des Grundverwaltungsakts, noch nicht gegeben sein, wohl aber mit Beginn der zur Erfüllung vorgegebenen Frist (vgl. BayVGH, U.v. 22.6.1977 – 9 XV 74 – BayVBl. 1978, 54 f. = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – NVwZ-RR 2002, 608 = juris Rn. 14; Giehl/Adolf/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand Januar 2021, Art. 31 Anm. II).
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Vollstreckung nicht vorlagen, da der zugrundeliegende Verwaltungsakt weder sofort vollziehbar noch unanfechtbar war. Hierzu im Einzelnen:
a) Das Erstgericht hat richtigerweise den im Bescheid vom 16. März 2021 angeordneten Pflanzenrückschnitt als Grundverfügung der Zwangsgeldandrohung angesehen. Die Antragsgegnerin kann nicht mit ihrem erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwand durchdringen, dass der Bescheid vom 16. März 2021 keine eigenständige Anordnung zur Beseitigung des Pflanzenüberwuchses enthielt, sondern allein die im Bescheid vom 20. Mai 2020 ausgesprochene Verpflichtung wiederholte.
Unter einer wiederholenden Verfügung wird die Erklärung einer Behörde verstanden, mit der sie auf einen früher erlassenen Verwaltungsakt hinweist oder eine vorangegangene Entscheidung wiederholt, ohne dass eine erneute Sachentscheidung ergeht (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1961 – VI C 123.59 – BVerwGE 13, 99 = juris Rn. 13; B.v. 10.8.1995 – 7 B 296.95 – ZOV 1995, 384 = juris Rn. 2; B.v. 25.2.2016 – 1 WB 33.15 – NZWehrr 2016, 169 = juris Rn. 35; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, Anh § 42 Rn. 29; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 57). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall im Wege der Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 28.3.1996 – 7 C 36.95 – ZOV 1996, 372 = juris Rn. 11; OVG NRW, U.v. 5.10.2020 – 8 A 240/17 – DÖV 2021, 360 = juris Rn. 58).
Ausgehend davon enthält der Bescheid vom 16. März 2021 unter Berücksichtigung seines Wortlauts und seines Inhalts eine eigenständige Verpflichtung zum Pflanzenrückschnitt. Dem Adressaten wird vor allem durch die gewählte Einleitung in Ziffer I des Tenors „wird verpflichtet, den (..) Bewuchs bis auf die Grundstücksgrenze zurückzuschneiden (…)“ der Eindruck vermittelt, dass eine neue Anordnung ergeht.
Zwar ist der Antragsgegnerin beizupflichten, dass sie ausdrücklich auf den Bescheid vom 20. Mai 2020 Bezug genommen hat. Daraus allein lässt sich jedoch nicht zugleich ableiten, dass keine neue Regelung getroffen wurde. Der in Ziffer I des Bescheids vom 16. März 2021 ausgesprochene Hinweis bezieht sich von seiner Formulierung her nur auf die Art und Weise, wie der Rückschnitt zu erfolgen hat. Die Bezugnahme erweckt daher den Eindruck, dass sie der näheren Konkretisierung des Umfangs der zu erfüllenden Pflicht dienen sollte. Es kommt nicht unmissverständlich zum Ausdruck, dass damit die im früher erlassenen Verwaltungsakt ausgesprochene Verpflichtung wiederholt wird. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht der Umstand, dass die Antragsgegnerin nach eigenem Bekunden keine neue Sachentscheidung treffen wollte. Denn es kommt nicht auf den inneren Willen der Behörde an, sondern allein darauf, wie der Empfänger die Erklärung unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände bei objektiver Würdigung verstehen musste. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und deren objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zu ermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2019 – 5 A 4.18 – BVerwGE 167, 163 = juris Rn. 22 m.w.N.).
Auch aus den Gründen des Bescheids geht nicht deutlich hervor, dass die Antragsgegnerin keine erneute Entscheidung in der Sache treffen wollte. So wurde nicht lediglich wortwörtlich der Bescheid vom 20. Mai 2020 wiederholt, sondern die Antragsgegnerin lieferte eine abweichende Begründung. Mit Formulierungen wie „Deshalb entschließt sich die Stadt zum weiteren Einschreiten“ hat sie zusätzlich den Eindruck erweckt, erneut tätig zu werden. Bestärkt wurde dieser Anschein noch dadurch, dass laut Begründung die Antragsgegnerin „die Anordnung in Nr. I mit Verwaltungszwang durchsetzen“ kann. Da ein Datumsbezug fehlt, kann ein objektiver Empfänger dies nur so verstehen, dass sich die Anordnung im streitgegenständlichen Bescheid befindet. Aus dem Zusammenhang ergibt sich indes nicht, dass – wie von der Antragsgegnerin vorgetragen – die Ziffer I des Bescheids vom 20. Mai 2020 gemeint sein sollte. Auch die weitere Begründung belegt dies nicht. Im Gegenteil wird im vorherigen Abschnitt bloß der Bescheid vom 13. Oktober 2020 erwähnt und im nächsten Absatz nur „im Übrigen“ „zur Vermeidung von Wiederholungen“ auf die Begründung des Bescheids vom 20. Mai 2020 verwiesen.
Der Antragsgegnerin ist zwar zuzugeben, dass bei einer Gesamtschau und im Vergleich mit den früher erlassenen Bescheiden, Anhaltspunkte (wie z.B. die fehlende Rechtsgrundlage oder der unterlassende Sofortvollzug) dafür vorliegen, dass sie keine Anordnung mit Regelungswirkung erlassen wollte, sondern eine wiederholende Verfügung bzw. eine isolierte Zwangsgeldandrohung beabsichtigt war. Maßgebend bezüglich der Frage, ob die Behörde eine erneute Sachentscheidung getroffen hat, ist jedoch – wie bereits erwähnt – allein der erklärte und nicht der innere Wille der Behörde (BVerwG, U.v. 10.10.1961 – VI C 123.59 – BVerwGE 13, 99 = juris Rn. 13). Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 12.1.1973 – VII C 3.71 – BVerwGE 41, 305 = juris Rn. 16; U.v. 18.6.1980 – 6 C 55.79 – BVerwGE 60, 223 = juris Rn. 22; U.v. 5.11.2009 – 4 C 3.09 – BVerwGE 135, 209 = juris Rn. 21; U.v. 28.11.2019 – 5 A 4.18 – BVerwGE 167, 163 = juris Rn. 22; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG § 35 Rn. 73a).
b) Das Verwaltungsgericht hat richtigerweise festgestellt, dass die Zwangsgeldandrohung rechtswidrig ist, weil der im Bescheid vom 16. März 2021 enthaltene Grundverwaltungsakt bislang nicht i.S.v. Art. 19 Abs. 1 VwZVG vollstreckt werden kann: Die Verpflichtungsanordnung ist noch nicht bestandskräftig und die gegen sie erhobene Anfechtungsklage entfaltet gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, da ein Sofortvollzug nicht angeordnet wurde.
c) Folgerichtig hat das Verwaltungsgericht schließlich die mit der Zwangsgeldandrohung verbundene Frist von vier Wochen ab Zustellung des Bescheids als rechtswidrig beurteilt, weil es an einer billigen und zumutbaren Frist gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG fehlt, innerhalb derer der Antragsteller der Handlungsanordnung nachkommen konnte.
2. Die Beschwerde der Antragsgegnerin war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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