Verwaltungsrecht

Beseitigungsanordnung – Renaturierung eines Wiesengrundstückes

Aktenzeichen  9 ZB 18.1263

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32505
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 76 S. 1
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es nicht, von einer Beseitigung abzusehen, solange sich nicht verlässlich absehen lässt, dass der Legalisierung einer baulichen Anlage nichts entgegensteht, oder sich doch zumindest deutliche, überwiegende Anhaltspunkte in dieser Richtung ergeben. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die mit der Beseitigung einer baulichen Anlage verbundenen Kosten spielen für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Beseitigungsanordnung keine Rolle, da derjenige, der ohne die erforderliche Genehmigung eine Anlage errichtet oder ändert, das Risiko einer baurechtswidrigen Ausführung selbst zu tragen hat. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO können die Zulassungsgründe nur dann ergänzt werden, wenn der konkret zu ergänzende Zulassungsgrund in offener Frist bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt wurde. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 17.1228 2018-03-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Beseitigungsanordnung und eine damit verbundene Anordnung zur Renaturierung eines Wiesengrundstücks.
Mit Bescheid vom 8. September 2017 ordnete das Landratsamt A … gegenüber dem Kläger an, den auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung E … errichteten Lagerplatz einschließlich der Zufahrt und der Kraftfahrzeugstellplätze bis spätestens drei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids vollständig zu beseitigen und das Wiesengrundstück zu renaturieren. Das Verwaltungsgericht hat auf seine Klage hin den Bescheid vom 8. September 2017 aufgehoben, soweit in Nr. 1 für die Beseitigung des Lagerplatzes und die Renaturierung des Wiesengrundstücks eine Frist von drei Monaten ab Unanfechtbarkeit des Bescheids festgelegt wurde und soweit in Nr. 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,– Euro angedroht wurde. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren insoweit weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich solches nicht.
1. Die Behauptung des Klägers, dass es in Bezug auf die Anordnung zur Renaturierung des Wiesengrundstücks an der Bestimmtheit fehle, weil nicht klar sei, was diesbezüglich vom Kläger verlangt werde, führt zu keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils.
Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass insbesondere für den Adressaten des Verwaltungsakts die von der Behörde getroffene Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach richten kann. Dabei reicht es aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen – ggf. durch Auslegung – unzweifelhaft ermitteln lässt (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 9 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat – ohne dass dies vom Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen angegriffen worden wäre – Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO als Rechtsgrundlage für die mit der Beseitigungsanordnung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids verbundene Anordnung, „das Wiesengrundstück zu renaturieren“, angesehen. Es hat die betreffende Anordnung dabei zu Recht dahingehend verstanden, dass es dem Landratsamt um die Wiederherstellung des Zustands des Außenbereichsgrundstücks vor der Durchführung der Baumaßnahmen des Klägers, insbesondere um die Wiederbegrünung geht. Die Renaturierung eines Wiesengrundstücks kann schon begrifflich nur zum Ziel haben, auf dem betreffenden Grundstück wieder einen ursprünglich vorhandenen Wiesenbewuchs zu erhalten. Auch was eine Wiese ist, nämlich eine grasbewachsene Fläche, ist nicht zweideutig und weder mit dem Zulassungsvorbringen, eine Renaturierung könne beispielsweise auch dadurch erfolgen, das andere Pflanzen gesetzt werden, als ursprünglich vorhanden waren, noch damit, dass der ursprüngliche Zustand nicht hinreichend dokumentiert sei, ernstlich in Zweifel gezogen.
2. Soweit der Kläger vorträgt, dass die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung und die zugleich geforderte Renaturierung nicht verhältnismäßig seien, weil eine in Kürze eintretende Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens, insbesondere in Anbetracht des geforderten erheblichen tatsächlichen und finanziellen Aufwandes, ein Zuwarten gebiete, wird sein Zulassungsvorbringen schon dem Darlegungsgebot (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht gerecht. Zu fordern ist insoweit eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil (BayVGH, B.v. 8.12.2017 – 9 ZB 17.882 – juris Rn. 7). Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung den erstinstanzlichen Vortrag des Klägers, wonach die Änderung des Flächennutzungsplans und die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans von der Gemeinde beabsichtigt sei, berücksichtigt, ihn im Hinblick auf den Stand des Verfahrens zur Änderung des Flächennutzungsplans (vorgesehene Auslegung im April 2018) und das noch nicht eingeleitete Bebauungsplanverfahren aber nicht als durchgreifend angesehen, weil nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einem absehbaren Zeitraum mit einer Legalisierung des Vorhabens gerechnet werden könne. Dem tritt das Zulassungsvorbringen, wonach nach Wirksamwerden des Flächennutzungsplans – die Abwägung solle im August 2018 erfolgen – in Bezug auf einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan nicht mit größeren rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten sowie mit einer zügigen Umsetzung zu rechnen sei, nicht substantiiert entgegen. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts ist unabhängig davon auch nicht zu beanstanden, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es nicht gebietet, von der Beseitigung abzusehen, solange sich nicht verlässlich absehen lässt, dass einer Legalisierung nichts entgegensteht, oder sich doch zumindest deutliche, überwiegende Anhaltspunkte in dieser Richtung ergeben (vgl. OVG NW, B.v. 14.5.2018 – 20 B 117/18 – juris Rn. 15). Letztlich hat sich die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts auch in der Weise bestätigt, dass ein ursprünglicher Entwurf für die Änderung des Flächennutzungsplans, nach dem der Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks des Klägers als Sondergebiet mit der Zweckbestimmung „Gartenbau/Alte Ziegelei“ dargestellt werden sollte, mit dem am 21. Juni 2019 bekanntgemachten Flächennutzungsplan unbestritten nicht realisiert wurde.
3. Auch soweit der Kläger unabhängig von der Frage einer möglichen baldigen Legalisierung Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung damit zu begründen versucht, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung den existenzbedrohenden Aufwand für die Beseitigungs- und Renaturierungsmaßnahmen unberücksichtigt gelassen habe, kann er nicht durchdringen.
Das Verwaltungsgericht hat die streitgegenständliche Anordnung der Beseitigung zutreffend als geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig angesehen. Entgegen der Ansicht des Klägers hatte es dabei keine Veranlassung, auf den mit der Beseitigung der baulichen Anlage verbundenen (Kosten-)Aufwand einzugehen. Dieser spielt für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Beseitigungsanordnung keine Rolle, da derjenige, der ohne die erforderliche Genehmigung eine Anlage errichtet oder ändert, das Risiko einer baurechtswidrigen Ausführung selbst zu tragen hat (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2019, Art. 76 Rn. 245 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 21). Andernfalls hätte es der Betroffene auch in der Hand, durch hohen Kostenaufwand die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände zu verhindern (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.1999 – 20 B 98.2403 – juris Rn. 23).
Für die die Renaturierung betreffende Anordnung ist schon nicht dargelegt, dass mit der Wiederherstellung einer Wiese nach Beseitigung der rechtswidrig errichteten baulichen Anlage und all ihrer Bestandteile ein existenzbedrohender Aufwand verbunden sein soll.
4. Das im Zulassungsverfahren erst mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 19. November 2018 Vorgetragene, wonach das Bauvorhaben nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB zulässig sei, kann nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil es nach Ablauf der sich aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ergebenden Frist zur Darlegung der Zulassungsgründe eingegangen ist. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehene Urteil des Verwaltungsgerichts war den Bevollmächtigten des Klägers mittels Empfangsbekenntnis am 11. Mai 2018 zugestellt worden, so dass die Darlegungsfrist von zwei Monaten am 11. Juli 2018 endete. Nach Ablauf dieser Frist können die Zulassungsgründe nur dann ergänzt werden, wenn der konkret zu ergänzende Zulassungsgrund in offener Frist bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2014 – 14 ZB 13.2658 – juris Rn. 19). Dies ist hier aber nicht der Fall, weil der Kläger die nunmehr behauptete bauplanungsrechtliche Zulässigkeit seines Bauvorhabens innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO im Zulassungsverfahren nicht angesprochen, sondern hinsichtlich einer zukünftigen Genehmigungsfähigkeit lediglich auf noch nicht eingetretene bauleitplanerische Entwicklungen hingewiesen hat. Der Vortrag neuer, selbständiger Zulassungsgründe nach Ablauf der Frist – und seien es auch „nur“ weitere als die bereits dargelegten Gründe für ernstliche Zweifel – ist ausgeschlossen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG; sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, die sich nach dessen Begründung zum Streitwertbeschluss an Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert und gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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