Verwaltungsrecht

Beurteilung der Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen nach neuem Recht

Aktenzeichen  10 ZB 15.2066

Datum:
28.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110392
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8
GG Art. 6
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 53 Abs. 1
StGB § 68f Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 – 55 AufenthG in der Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.  (Rn. 8) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die im Rahmen einer spezialpräventiven Ausweisung zu treffende Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten des Ausländers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, muss die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH BeckRS 2012, 59963). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose um so geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (VGH München BeckRS 2012, 59963). (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Hat ein Ausländer in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht eine im Antrag auf Zulassung der Berufung vorgetragene eigene psychische Erkrankung ebenso wenig erwähnt wie eine “massive Suizidalität” seiner Ehefrau und ergeben sich auch sonst aus seinem Vorbringen keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür, kann sein Vortrag ernstliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung nicht begründen. (Rn. 27 – 28) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 25 K 13.3805 2015-07-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 6. August 2013 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung in den Kosovo angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf (zunächst) fünf Jahre befristet wurden. Die Frist wurde in der mündlichen Verhandlung auf drei Jahre verkürzt. Das Verwaltungsgericht hat mit dem Urteil vom 22. Juli 2015 die Klage abgewiesen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
1. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F.) für rechtmäßig erachtet.
Der Kläger habe die zwingenden Ausweisungstatbestände nach § 53 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG (a.F.) erfüllt, genieße aber den besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG (a.F.). Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AufenthG (a.F.) lägen vor, insoweit sei hinsichtlich der abgeurteilten Straftaten und der Umstände der Tatbegehung kein atypischer Fall gegeben, der eine Wiederholungsgefahr ausschließen würde. Die konkrete Wiederholungsgefahr resultiere neben der Schwere der Tat aus einer gewissen Uneinsichtigkeit, die der Kläger hinsichtlich des Tatvorwurfs nach wie vor hege.
Die von der Ausländerbehörde zuletzt getroffene Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Das Gericht verkenne insbesondere nicht die schwierige Lage, die die Ausweisung für den Kläger, vor allem aber auch für seine unzweifelhaft erkrankte Ehefrau bedeute. Jedoch hätten sowohl der Kläger im Kosovo wie auch die Ehefrau in Deutschland mittlerweile erwachsene Kinder, die sich um sie kümmern könnten und müssten.
2. Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant.
Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 22. Juli 2015 unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens – mangels entgegenstehender Übergangsregelung – anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung zu überprüfen. Eine – wie hier – nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
3. Mit seinem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
a) Der Kläger wendet sich zunächst gegen die Annahme einer fortdauernden konkreten Wiederholungsgefahr bezüglich der Begehung weiterer Straftaten. Das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht auf „eine gewisse Uneinsichtigkeit“, die der Kläger bezüglich der ihm vorgeworfenen Straftaten weiterhin hege, berufen. Das Sachverständigengutachten vom 15. November 2013, auf das sich der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 8. Juli 2015 beziehe, sei nunmehr fast zwei Jahre alt und berücksichtige nicht die neuere Entwicklung des Klägers. Unberücksichtigt sei geblieben, dass der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu seinen Straftaten bekannt habe. Auch in die Stellungnahme der Bewährungshilfe vom 8. Juli 2015 würde eine Aussage hinsichtlich einer fortbestehenden Rückfallgefahr hineininterpretiert, die dort so nicht enthalten sei. Aussagen des Klägers von vor drei Jahren seien aufgrund des Zeitablaufs und seines zwischenzeitlichen Schuldbekenntnisses nicht mehr berücksichtigungsfähig. Schließlich habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass der Kläger sich bis zu seiner Verurteilung über 15 Jahre gänzlich straffrei geführt habe.
Durch diese Ausführungen hat der Kläger die Annahme einer fortdauernden Rückfallgefahr nicht durchgreifend in Frage gestellt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.
Das Verwaltungsgericht hat seine Prognose der fortdauernden Rückfallgefahr neben der Schwere der Tat (3 Jahre und 11 Monate Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) insbesondere mit der von ihm festgestellten Uneinsichtigkeit des Klägers begründet und dabei ausführlich dargelegt (UA S. 9-12), wie es zu der Einschätzung der „Uneinsichtigkeit“ gekommen ist.
Es hat sich insoweit zunächst auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 29. Januar 2015 gestützt, mit dem diese entschieden hat, dass die Führungsaufsicht gem. § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB nicht entfällt und ihre Höchstdauer von fünf Jahren nicht abgekürzt wird sowie dass der Kläger der Aufsicht und Leitung der zuständigen Bewährungs- und Führungsaufsichtsstelle unterstellt wird. Die Strafvollstreckungskammer führte hier aus, ein Entfallen der Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 2 StGB sei nicht in Betracht gekommen, da nach den Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten vom 15. November 2013 keinerlei selbstkritischer Umgang des Klägers mit der stattgehabten Delinquenz vorliege und dieser auch kein Interesse an einer Aufarbeitung zeige. Unter Berücksichtigung sämtlicher Faktoren bestehe beim Kläger durchaus noch eine „mäßige“ Gefahr, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe; eine positive Sozialprognose könne nicht mehr gestellt werden. Weiter ergibt sich aus diesem Beschluss, dass das Strafvollstreckungsgericht außerdem noch aktuelle Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Justizvollzugsanstalt einbezogen und den Kläger persönlich angehört hat. Somit hat sich die Strafvollstreckungskammer (und ihm folgend das Verwaltungsgericht) nicht lediglich auf ein zwei Jahre altes Gutachten gestützt, sondern hat eine umfassende Würdigung der gegenwärtigen Situation vorgenommen.
Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2015 ausdrücklich zu seinen Straftaten bekannt hat, trifft nicht zu. Vielmehr hat es diesen Umstand ausdrücklich gewürdigt, ihm allerdings im Rahmen seiner umfassenden Beurteilung nur „zweifelhafte Qualität“ zugemessen (UA S. 12); insoweit hat es auch auf den persönlichen Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung abgestellt.
Entgegen dem Vortrag in der Begründung des Zulassungsantrags hat das Verwaltungsgericht auch nicht in den Bericht der Bewährungshilfe vom 8. Juli 2015 eine Aussage „hineininterpretiert, die so nicht getroffen wurde“, und damit deren Einschätzung, dass ein geringes Rückfallrisiko bestehe, „missbraucht“. Das Gericht hat den Bericht der Bewährungshilfe umfassend gewürdigt (UA S. 10-11), allerdings darauf abgestellt, dass der Kläger auch nach diesem Bericht nur „eine geringe Bereitschaft, sich mit seiner Straftat auseinanderzusetzen,“ zeige, und darauf hingewiesen, dass auch dieser Bericht dem Kläger „immerhin ein geringes Rückfallrisiko“ attestiere. Aus dem Bericht lasse sich nicht sicher der Schluss ziehen, dass der Kläger wirklich das Unrecht seiner Tat eingesehen habe.
Auch die nachgereichte Stellungnahme der Bewährungshilfe vom 11. November 2015 zeigt keine Fehleinschätzungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 9-10) auf. Wenn darauf hingewiesen wird, dass die Führungsaufsicht nicht „trotz“, sondern „wegen“ der vollständigen Verbüßung der Strafe ohne vorzeitige Entlassung auf Bewährung eingetreten sei, ist dem entgegenzuhalten, dass nach § 68f Abs. 2 StGB das Vollstreckungsgericht anzuordnen hat, dass die Führungsaufsicht entfällt, wenn zu erwarten ist, dass die verurteilte Person auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird. Dass dies beim Kläger nicht der Fall ist, hat das Strafvollstreckungsgericht in dem Beschluss 29. Januar 2015 dargelegt. Ebenso relativiert der Vortrag, dass dies in der Praxis der Regelfall sei, nicht den Umstand, dass das Strafvollstreckungsgericht die gesetzliche Höchstdauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren (§ 68c Abs. 1 Satz 1 StGB) nicht abgekürzt hat. Auch wird die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der vom Strafvollstreckungsgericht verfügte Auflagenkatalog sei „streng“, nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bewährungshelferin diese als „Minimalanforderungen“ ansieht.
Im Rahmen der Würdigung der durch die Bewährungshilfe für die Dauer der Führungsaufsicht gestellten Prognose ist auch darauf hinzuweisen, dass es bei einer für eine Ausweisung zu stellenden Gefahrenprognose darum geht, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Zeit der Führungsaufsicht hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose ist insbesondere maßgeblich, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann, sich nicht nur während der Zeit der Führungsaufsicht, sondern längerfristig straffrei zu führen.
Deshalb ist auch dem Vorbringen des Klägers, seine früheren Äußerungen vor knapp drei Jahren (im Rahmen der Anhörung vor Erlass des Ausweisungsbescheides) dürften wegen des Zeitablaufs und seinem nunmehr erfolgten „klaren Schuldbekenntnis“ nicht mehr berücksichtigt werden, nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht war durchaus berechtigt und auch verpflichtet, umfassend die persönliche Entwicklung des Klägers bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung in seine Gefahrenprognose einzustellen.
Das Verwaltungsgericht war auch nicht gehalten, dem Umstand, dass der Kläger vor den dann abgeurteilten Straftaten sich „über 15 Jahre gänzlich straffrei geführt“ habe, in seiner Bewertung maßgebliche Bedeutung zuzumessen. Maßgeblich waren vielmehr die mit dem Urteil vom 2. Dezember 2011 abgeurteilten Straftaten; die Prognose, ob weitere derartige Straftaten des Klägers zu erwarten sind, hatte vor allem daran anzuknüpfen.
b) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise seine Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte im Rahmen der Nachprüfung der Ermessensentscheidung berücksichtigt, die nach neuer Rechtslage auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.
Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seiner Verurteilung gegeben; sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG ebenfalls besonders schwer.
Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig, begegnet auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit. Die vom Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.
Der Kläger bringt insoweit vor, das Verwaltungsgericht habe sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet aufgrund seiner eigenen Erkrankung sowie aufgrund der auch für das Gericht wohl unzweifelhaft vorliegenden Erkrankung seiner Ehefrau zu gering bzw. gar nicht gewichtet. Seine psychische Erkrankung sei unberücksichtigt geblieben. Bei der Würdigung der Erkrankung der Ehefrau sei übersehen worden, dass bei ihr im Falle einer Trennung von ihrem Ehemann eine massive Suizidgefahr bestehe.
Auch damit werden keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt.
Zwar hat das Verwaltungsgericht die Erkrankung des Klägers lediglich insoweit erwähnt, als es „massive Zweifel“ an der Diagnose in der psychologischen Stellungnahme vom 7. Juli 2015 geäußert hat (UA S. 11). Jedoch kann die vorgetragene Erkrankung nicht das Überwiegen des Ausweisungsinteresses in Frage stellen. Die Stellungnahme vom 7. Juli 2015 enthält zwar die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Symptomatik. Auf der Grundlage einer erst am 9. März 2015 aufgenommenen Behandlung enthält es lediglich die Vermutung, Auslöser der Traumatisierung könnten die strafrechtliche Verurteilung und die mehrjährige Inhaftierung sein; eine qualifizierte Darlegung einer erheblichen psychischen Erkrankung (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG) ist darin nicht enthalten. Die im Zulassungsverfahren vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 5. Oktober 2015 enthält keine weiteren substantiierten Darlegungen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger in seiner umfangreichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 22. Juli 2015 seine Erkrankung ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht einmal erwähnt hat.
Entsprechendes gilt auch für den Vortrag, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Würdigung der Erkrankung der Ehefrau deren „massive Suizidalität“ nicht berücksichtigt habe. In der mündlichen Verhandlung am 22. Juli 2015 haben – ebenfalls ausweislich des Sitzungsprotokolls – weder der Kläger noch die als Zeugin vernommene Ehefrau eine Suizidalität ausdrücklich oder der Sache nach erwähnt. Die in der Zulassungsbegründung erwähnte psychologische Kurzstellungnahme vom 2. Mai 2015 äußert letztlich lediglich Vermutungen bezüglich eine „suizidalen Gefährdungspotentials“; in der Kurzstellungnahme vom 5. Oktober 2015 wird festgestellt, dass die Ehefrau hinsichtlich suizidaler Tendenzen glaubhaft distanziert sei, auch hier ist ein suizidales Gefährdungspotential lediglich als Befürchtung dargestellt, wenn sich das psychische Allgemeinbefinden der Ehefrau „nochmals gravierend verschlimmert“.
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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