Verwaltungsrecht

Billigkeitsentscheidung bei der Rückforderung von Dienstbezügen

Aktenzeichen  B 5 K 17.195

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8027
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBesG Art. 15 Abs. 2
BayBG Art. 21 Abs. 4
BGB § 818 Abs. 3, § 819 Abs. 1, § 820 Abs. 1 S. 2
BeamtStG § 45 S. 1
BayDG Art. 11 Abs. 3
VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Billigkeitsentscheidung ist notwendiger und untrennbarer Bestandteil einer besoldungsrechtlichen Rückforderungsentscheidung. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Billigkeitsentscheidung hat die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung zur Folge. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Legt ein festgestelltes Krankheitsbild die Annahme nahe, dass dieses auch wesentliche (Mit-) Ursache für das zur Rücknahme der Ernennung führende Verhalten war, so ist dies bei der Ermessensentscheidung über die Billigkeit der Rückforderung zu berücksichtigen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ermessensentscheidung über die Billigkeit der Rückforderung ist ferner die nachwirkende Fürsorgepflicht des Dienstherrn zu berücksichtigen. (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Fehlen in der Rückforderungsentscheidung zentrale, die Ermessensausübung entscheidend prägende Erwägungen oder wurden diese fehlerhaft gewichtet, so können diese nicht im gerichtlichen Verfahren nachträglich eingeführt werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Landesamts für Finanzen vom 14. Februar 2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
2. Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
a) Der Bescheid ist zwar formell rechtmäßig und verstößt entgegen der Rechtsauffassung des Klägers (vgl. Schriftsatz vom 9.10.2017 S. 16) insbesondere nicht gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 37 Abs. 1 des Bayer. Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG). Es mag zwar sein, dass der streitgegenständliche Bescheid die Rückzahlungsmodalitäten offen lässt. Eine Teilregelung dergestalt, dass noch weitere Verwaltungsakte zur Abarbeitung des gesamten Verfahrensgegenstandes eines Verwaltungsverfahrens erforderlich sind, ist jedoch dann unschädlich, wenn es für den Adressaten erkennbar ist, dass es sich nur um eine Teilregelung handelt (vgl. Ruffert in Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, Rn. 29 zu § 37; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, Rn. 15 zu § 37 jeweils m.w.N.). Gemessen daran, unterliegt der Rückforderungsbescheid keinen durchgreifenden Zweifeln. Denn der Beklagte hat in Abschnitt II. Nr. 6 des Bescheids ausdrücklich klargestellt, dass im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Klägers und seiner Familie „von der Festlegung eines Zahlungstermins vorerst abgesehen (werde) und die Regelung der Zahlungsmodalitäten einem gesonderten Bescheid vorbehalten“ bleibe. Ergänzend hat der Beklagte weitere ausgeführt, dass „im Hinblick auf die Zahlungsmodalitäten (…) im Rahmen des oben genannten gesonderten Bescheides eine ergänzende Ermessensentscheidung getroffen“ werde. Damit war für den Kläger ohne weiteres erkennbar, dass der Beklagte mit dem Bescheid nur eine Teilregelung vorgenommen hat.
b) Der Bescheid erweist sich aber als materiell rechtswidrig.
aa) Der Beklagte hat zwar sein Rückforderungsverlangen zu Recht auf Art. 15 Abs. 2 des Bayer. Besoldungsgesetzes (BayBesG) in Verbindung mit Art. 21 Abs. 4 des Bayer. Beamtengesetzes (BayBG) und mit § 818 Abs. 3 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gestützt. Nach der erstgenannten Vorschrift regelt sich die Rückforderung zu viel gezahlter Besoldung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin ihn hätte erkennen müssen. Von der Rückforderung kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden. Darüber hinaus können nach Art. 21 Abs. 4 BayBG im Falle einer auf § 12 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) gestützten Rücknahme der Ernennung die Leistungen des Dienstherrn belassen werden.
In diesem Zusammenhang geht der Beklagte zutreffend davon aus, dass im Fall des Klägers eine Zuvielzahlung von Bezügen vorliegt, weil ein Rechtsgrund für ihre Zahlung nicht bestanden hat. Denn der dem Kläger mit der Ernennung zum 1. Oktober 2010 zustehende Besoldungsanspruch ist durch die mit Bescheid vom 19. Mai 2015 erfolgte (rechtskräftige) Rücknahme der Ernennung mit Wirkung für die Vergangenheit entfallen. Es bestand zwar für die Fortzahlung der Bezüge nach der Entlassung des Klägers aufgrund der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entlassungsverfügung vom 26. Oktober 2012 und seiner Klage gegen die Rücknahme der Ernennung mit Bescheid vom 19. Mai 2015 ein vorläufiger Rechtsgrund. Dieser Rechtsgrund ist jedoch mit dem Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 14. September 2015, mit dem das Gericht den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter Abänderung seines Beschlusses vom 21. Juli 2015 abgelehnt hatte (Az. B 5 S 15.628), sowie dem rechtskräftigen Urteil des Bayer. Verwaltungsgericht Bayreuth vom 14. September 2015 (Az. B 5 K 15.424; vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 2.3.2016 – 3 ZB 15.2401 – juris), mit dem das Gericht die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Entlassungsverfügung vom 19. Mai 2015 abgewiesen hat, mit rückwirkender Kraft entfallen (st.Rspr.: BVerwG, U.v. 12.6.1966 – II C 197.62 – BVerwGE 24, 92/98; BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12.81 – NJW 1983, 2042; BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 11/99 – BVerwGE 109, 365/369; vgl. auch: NdsOVG, B.v. 1.9.2014 – 5 LA 240/13 – juris Rn. 10).
bb) Auch hat der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dem Kläger für die Zeit, in der dieser tatsächlich seinen Dienst verrichtet hat, d.h. vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Oktober 2012, die erhaltenen Dienstbezüge in Höhe von 73.194 Euro zu belassen, und hat diese Entscheidung auf Art. 21 Abs. 4 BayBG gestützt. Denn nach dieser Vorschrift hat der Dienstherr in Fällen, in denen – wie hier – das von den Beteiligten beabsichtigte Beamtenverhältnis von Anfang an nicht bestanden hat, weil die Ernennung nichtig war oder zurückgenommen worden ist, im Zuge seiner Entscheidung über die Rückforderung der dem vermeintlichen Beamten gezahlten Bezüge zu entscheiden, welche Beträge diesem belassen werden. Diese Bestimmung ermächtigt den Dienstherrn nicht zur Rückforderung, sondern setzt die bei Nichtigkeit einer Ernennung grundsätzlich bestehende Rückforderbarkeit der rechtsgrundlos gezahlten Bezüge voraus. Maßgebend für die Entscheidung sind die Verhältnisse während des Zeitraums, für den Dienstbezüge gezahlt worden sind (so zur gleichlautenden Vorschrift in § 14 Abs. 2 Satz 2 LBG NW: BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 11/99 – BVerwGE 109, 365/368 ff.; vgl. auch: SächsOVG, U.v. 14.2.2017 – 2 A 169/16 – juris Rn. 20 ff.).
Gemessen daran, ist die Entscheidung des Beklagten, dem Kläger (nur) die für die Zeit, in der dieser tatsächlich seinen Dienst verrichtet hat, d.h. vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Oktober 2012, die erhaltenen Dienstbezüge zu belassen, sachgerecht. Denn Art. 21 Abs. 3 BayBG normiert den Rechtsgedanken, das, was in der Zeit der Dienstverrichtung des vermeintlichen Beamten im Verhältnis nach außen und im Innenverhältnis zum Dienstherrn geschehen ist, aufrechtzuerhalten. Die Vorschrift berücksichtigt demnach, dass der vermeintliche Beamte ebenso wie der wirksam ernannte Beamte seine Arbeitskraft dem Dienstherrn tatsächlich zur Verfügung gestellt und Leistungen erbracht hat (BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 11/99 – BVerwGE 109, 365/368 f.; vgl. auch: SächsOVG, U.v. 14.2.2017 – 2 A 169/16 – juris Rn. 20 ff.; Plog/Wiedow, BBG, Stand Februar 2018, Rn. 19 zu § 15 BBG). Maßgebliches und sachgerechtes Kriterium für die Entscheidung über das Belassen der erhaltenen Dienstbezüge ist somit, dass der vermeintliche Beamte tatsächlich Dienst geleistet hat. Das war bei dem Kläger unstreitig bis zum 31. Oktober 2012 der Fall. Unabhängig von der Frage, ob und wann der Kläger für die Folgezeit (1.11.2012 – 30.9.2015) dienstfähig war oder nicht, und losgelöst von dem zwischen den Beteiligten umstrittenen Aspekt, ob, wann und mit welchen Motiven der Kläger dem Dienstherrn in dieser Zeit seine Arbeitsleistung angeboten hatte und ob der Beklagte dieses Angebot zu Recht wegen einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses abgelehnt hatte, fand in diesem Zeitraum unstreitig keine Dienstverrichtung im Sinne einer tatsächlichen Leistungserbringung für den Dienstherrn statt. Die Entscheidung des Beklagten, dem Kläger die Bezüge aus diesem Grund nicht zu belassen, ist daher sachgerecht und rechtlich nicht zu beanstanden. Aus dem Umstand, dass der Beklagte dem Kläger für den erstgenannten Zeitraum (1.10.2010 – 31.10.2012) die Dienstbezüge auch für die in dieser Zeit unstreitig angefallenen Krankheitstage belassen hat, kann die Klägerseite keinen Anspruch auf Belassung der Bezüge auch für den Folgezeitraum (1.11.2012 – 30.9.2015) herleiten. Denn diese Entscheidung war ersichtlich von Fürsorgegesichtspunkten und von dem Aspekt der Verwaltungspraktikabiliät nicht aber von dem Gedanken getragen, generell von der tatsächlichen Dienstleistung als Voraussetzung für die Belassung der Dienstbezüge abzurücken.
cc) Weiterhin ist der Kläger zwar unstreitig entreichert (§ 818 Abs. 3 BGB), weil er die Bezüge im Rahmen der allgemeinen Lebensführung aufgebraucht hat. Der Kläger ist für drei Kinder unterhaltspflichtig; seine Ehefrau ist nicht berufstätig. Zutreffend kommt aber der Beklagte zu dem Ergebnis, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, weil er den Mangel des Rechtsgrundes kannte (§ 819 Abs. 1, § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder kennen musste (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG). Denn dem Kläger waren unstreitig die der Rücknahme der Ernennung zugrunde liegenden Umstände bekannt. Er hat im Rahmen seiner Einstellungsuntersuchung beim Gesundheitsamt im April 2008 bewusst und gewollt und in der Absicht, auf diese Weise seine Ernennung zum Beamten herbeizuführen, zunächst gegenüber seinem ersten Dienstherrn, der Stadt … und später gegenüber dem Beklagten als seinem zweiten Dienstherrn eine Fehlvorstellung über seine Gesundheit hervorgerufen (zu einer vergleichbaren Fallkonstellation siehe: BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 11/99 – BVerwGE 109, 365/370). Das erkennende Gericht hat rechtskräftig festgestellt (VG Bayreuth, U.v. 14.9.2015 Az. B 5 K 15.424), dass der Kläger seine Ernennung durch eine arglistige Täuschung herbeigeführt hat.
In nicht zu beanstandender Weise gelangt der Beklagte ferner zu der Einschätzung, dass sich der Kläger auch nicht ausnahmsweise auf den Wegfall der Bereicherung berufen könne. Soweit die Klägerseite vorträgt, der Kläger könne sich wegen einer Verletzung der Fürsorgepflicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, weil die Regierung von … das StMIBV nicht frühzeitig über die Möglichkeit einer Rücknahme der Ernennung informiert habe (S. 4 des Schriftsatzes vom 4.5.2017), führt das zu keiner anderen Beurteilung. Zwar kann die Rücknahme der Ernennung gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 2 BayBG nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem die oberste Dienstbehörde von der Ernennung und dem Rücknahmegrund Kenntnis erlangt hat, erfolgen. Erforderlich für den Fristbeginn ist jedoch die sichere Kenntniserlangung aller subjektiven und objektiven gesetzlichen Voraussetzungen der Rücknahme durch die oberste Dienstbehörde, ohne dass es auf die Kenntnis anderer Behörden – hier also der Regierung von … – ankäme (Baßlsperger in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Mai 2017, Rn. 12 zu Art. 21 BayBG). Gemessen daran, ist die Frist für die Rücknahmeerklärung hier aber eingehalten worden, weil die Regierung von … das StMIBV erst mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 informiert und das StMIBV am 19. Mai 2015 die Rücknahme der Ernennung verfügt hat (vgl. insoweit auch: BayVGH, B.v. 2.3.2016 – 3 ZB 15.2401 – juris Rn. 4 f.).
dd) Die Rückforderung der nach Zustellung der Rücknahmeverfügung vom 19. Mai 2015 vom Beklagten geleisteten Dienstbezüge ist nicht wegen § 814 BGB ausgeschlossen, weil diese Norm im Bereich der Rückforderung überzahlter Dienstbezüge nach Art. 15 BayBesG nicht gilt. Die Rückforderung regelt sich zwar gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBesG nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, zu denen auch § 814 BGB gehört. Der Verweis auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs greift jedoch nur soweit, als es um die Rechtsfolgen des Rückzahlungsanspruches geht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rückforderung benennt Art. 15 BayBesG mit der Formulierung „zuviel gezahlt“ eigenständig und abschließend. § 814 BGB regelt nicht den „Umfang der Erstattung“ (vgl. § 49a Abs. 2 Satz 1 VwVfG), sondern schließt den Bereicherungsanspruch dem Grunde nach aus. Eine solche Ergänzung des Rechtsgrunds lässt Art. 15 Abs. 2 BBesG nicht zu (so zur gleichlautenden Vorschrift in § 12 Abs. 2 BBesG: BVerwG, U.v. 28.2.2002 – 2 C 2.01 – juris Rn. 18; vgl. auch SächsOVG, U.v. 14.2.2017 – 2 A 169/16 – juris Rn. 26).
ee) Zur Überzeugung des Gerichts begegnet jedoch die Billigkeitsentscheidung gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Für diese Einschätzung sprechen folgende Erwägungen: Gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise von der Rückforderung abgesehen werden. Für die gleichlautende Vorschrift in § 12 Abs. 2 Satz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) hat das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes ausgeführt (U.v. 26.4.2012 – 2 C 15/10 – NVwZ-RR 2012, 930/932):
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bezweckt eine Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen.
(…)
Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG hat die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG zur Folge. Ein Rückforderungsbescheid darf nicht ergehen, ohne dass eine Billigkeitsentscheidung getroffen worden ist. Eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch (…). Die Billigkeitsentscheidung betrifft nicht lediglich die Vollziehung oder Vollstreckung des Rückforderungsbescheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs und ist deshalb zwingend vor der Rückforderung zu treffen (…) Neben dem vollständigen oder teilweisen Absehen von der Rückzahlung kommen die Stundung der Rückzahlungsforderung oder die Einräumung von Ratenzahlungen in Betracht (…). Vor der Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG steht lediglich die Höhe der Überzahlung fest, nicht aber, ob, in welcher Höhe und mit welchen Modalitäten diese Überzahlung auch einen Rückforderungsanspruch nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG begründet. Die Billigkeitsentscheidung ist damit notwendiger und untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung.“
Dieser Rechtsprechung schließt sich das Verwaltungsgericht an. Gemessen daran, erweist sich die getroffene Billigkeitsentscheidung des Beklagten, dem Grunde nach an der Rückforderung in Höhe von 114.843,58 Euro festzuhalten, vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt dem Beklagten bekannten finanziellen, familiären und gesundheitlichen Situation des Klägers als fehlerhaft.
Dabei ist zwar zunächst zu berücksichtigen, dass der Beklagte – in einem ersten Schritt – in nicht zu beanstandender Weise selbst von dem Vorliegen von Billigkeitsgründen ausgegangen ist. Die sich sodann – in einem zweiten Schritt – anschließende Ermessensausübung des Beklagten (zur Struktur der gleichlautenden Vorschrift in § 15 Abs. 2 Satz 3 BBesG als Koppelungstatbestand: Kathke in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Stand September 2017, Rn. 118 zu § 15 BBesG m.w.N.) weist zur Überzeugung des Gerichts aber Ermessensfehler auf, weil der Beklagte zentrale Belange nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt bzw. unzutreffend gewichtet hat.
So hat der Beklagte in seiner Ermessensentscheidung zwar zutreffend den Umstand berücksichtigt, dass der Kläger den Grund für die Überzahlung durch seine „arglistige Täuschung bei der Ernennung in das Beamtenverhältnis gelegt habe“ und ist zu dem Ergebnis gekommen, dieses Verhalten wiege so schwer, dass seine „schwierige persönliche Situation demgegenüber in den Hintergrund tritt“. Bei dieser Einschätzung bleibt aber gänzlich unberücksichtigt, dass gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die in dem psychiatrischen Gutachten des Bezirkskrankenhauses … vom 2. September 2014 diagnostizierte psychische Erkrankung Ursache für das Verhalten des Klägers sein könnte. Es mag zwar sein, dass das Gutachten – entsprechend dem Gutachtensauftrag – in erster Linie das Verhalten des Klägers, welches zu dem Verweis vom 26. März 2012 geführt hat, in den Blick genommen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist (vgl. Gutachten vom 2.9.2014, S. 13), das gerügte Fehlverhalten habe nicht auf charakterlichen Mängeln beruht, sondern sei Folge der damals ausgeprägt bestehenden psychischen Erkrankung (Zwangserkrankung, ICD 10: F 42.2). Gleichwohl kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Gutachten – ebenso wie das dem Beklagten vom Kläger vorgelegte und von Frau Dr. … erstellte nervenärztliche Attest vom 3. Januar 2013 – sowohl eine seit dem Jugendalter bei dem Kläger bestehende Zwangserkrankung mit Zwangsgedanken und -handlungen diagnostiziert (vgl. Gutachten vom 2.9.2014, S. 10) als auch eine seit dem Jahr 1998 erfolgte mehrjährige psychotherapeutische Intervention als „wenig erfolgreich“ einstuft (vgl. Gutachten vom 2.9.2014, S. 11). Angesichts der Tatsache, dass das Gutachten (a.a.O., S. 12) aufgrund der durchgeführten testpsychologischen Untersuchung der Persönlichkeitsstruktur des Klägers „auffällige klinische Skalen“ vor allem in den Bereichen „Zurückgezogenheit“, „Depression“, „Hypochondrie“ und „Misstrauen“ feststellt und zugleich konstatiert, das korrespondiere „mit der Anamnese des sich wiederholt ungerecht behandelt Fühlens und des ‚Kämpfens gegen Ungerechtigkeiten‘“ (ebda.), liegt die Annahme nahe, dass dieses Krankheitsbild auch wesentliche (Mit-)Ursache für das zur Rücknahme der Ernennung führende Verhalten des Klägers war.
Darüber hinaus hat der Beklagte nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt, dass, selbst wenn von einem nicht krankheitsbedingten, zur Rücknahme der Ernennung führenden Fehlverhalten des Klägers auszugehen sein sollte, gemäß § 45 Satz 1 BeamtStG (vgl. auch § 78 Satz 1 BBG) eine nachwirkende Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Beendigung des Beamtenverhältnisses besteht. Es mag zwar sein, dass Inhalt und Umfang dieser Fürsorgepflicht für die Zeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses maßgeblich davon bestimmt werden, auf welche Art und Weise das Beamtenverhältnis sein Ende gefunden hat (Plog/Wiedow, BBG, Stand Februar 2018, Rn. 52 zu § 78 BBG). Jenseits der vorgenannten Erwägung, dass das Fehlverhalten des Klägers möglicherweise krankheitsbedingt war, hätte der Beklagte aber im Rahmen seiner Ermessenserwägungen berücksichtigen müssen, dass einem früheren Beamten selbst in Fällen eines gravierenden, disziplinarrechtlich zu einer Dienstentfernung führenden Fehlverhaltens in Gestalt eines Dienstvergehens (§ 47 BeamtStG) für die Dauer von sechs Monaten ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 v.H. der Dienstbezüge, die bei Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zustehen, gewährt wird (Art. 11 Abs. 3 Satz 1 des Bayer. Disziplinargesetzes (BayDG), wobei zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine Verlängerung ausdrücklich möglich ist (Art. 11 Abs. 3 Satz 3 BayDG).
Zudem hätte der Beklagte – ebenfalls unter dem Aspekt seiner nachwirkenden Fürsorgepflicht – auch zwingend berücksichtigen müssen, dass eine nachträgliche Bewilligung von Sozialleistungen aufgrund des in § 11 Abs. 2 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) geregelten Zuflussprinzips ausscheiden könnte. Entsprechende Erwägungen hat das Landesamt für Finanzen zwar in seinem ersten Entscheidungsvorschlag, von einer Rückforderung in voller Höhe abzusehen (Stellungnahme des LfF vom 22.8.2016), angestellt, diesen Umstand in seinem zweiten Entscheidungsvorschlag, der Grundlage für den streitgegenständlichen Bescheid war, jedoch nicht aufgeführt (Stellungnahme des LfF vom 27.10.2016). Der Verweis des Klägers (und seiner Familie) auf den Bezug der mit den o.g. Unwägbarkeiten behafteten Sozialleistungen erweist sich vor allem im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) als problematisch (so für den Fall der Verweisung des früheren Beamten bei nichtiger Ernennung auf Gewährung reiner Ermessensleistungen: Baßlsperger in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Mai 2017, Rn. 24 f. zu § 11 BeamtStG).
Schließlich hätte der Beklagte – wiederum im Sinne seiner nachwirkenden Fürsorgepflicht – auch in seine Ermessenserwägungen einstellen müssen, ob angesichts der Tatsache, dass das zur Rücknahme der Ernennung führende Fehlverhalten ausschließlich auf den Kläger zurückzuführen war, zwingend auch die familienbezogenen Bestandteile der Dienstbezüge, d.h. insbesondere der Familienzuschlag für die minderjährigen Kinder zurückzufordern waren.
Bei den vorstehenden Aspekten handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um zentrale, die Ermessensausübung entscheidend prägende Erwägungen. Ein nachträgliches Einführen dieser fehlenden bzw. fehlerhaft gewichteten Ermessenserwägungen scheidet zur Überzeugung des Gerichts aus, weil es sich hierbei nicht um ein nach § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren zulässiges Ergänzen der Ermessenserwägungen, sondern um eine von § 114 Satz 2 VwGO nicht gedeckte Auswechselung der die Billigkeitsentscheidung tragenden Gründe handelt.
Der Beklagte wird im weiteren Verfahrensgang zu prüfen haben, ob angesichts dieses Gesamtbildes nicht gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass jede andere Ermessensentscheidung, als das gänzliche Absehen von einer Rückforderung rechtswidrig wäre. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte auf der Grundlage weitestgehend identischer, auch dem streitgegenständlichen Bescheid zugrundeliegenden Erkenntnisgrundlagen und Zukunftsprognosen im Vorfeld seiner – wie oben dargelegt – ermessensfehlerhaften Entscheidung zunächst zu dem Ergebnis gekommen war, von einer Rückforderung in voller Höhe abzusehen (Stellungnahme des LfF vom 22.8.2016), später hiervon aber vollumfänglich abgerückt war (Stellungnahme des LfF vom 27.10.2016), hat. Bereits in diesem Zusammenhang hatte das Landesamt für Finanzen selbst in seinem zweiten Entscheidungsvorschlag vom 27. Oktober 2016 – insoweit gleichlautend mit dem ersten Entscheidungsvorschlag vom 22. August 2016 – ausdrücklich festgestellt:
„Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, dass sich die wirtschaftliche Situation der Familie (…) verbessert. Aufgrund der verschiedenen Gerichtsverfahren ist die Familie überschuldet. Die Möglichkeit, dass Herr (…) nochmals eine Arbeitsstelle findet, bei der das Einkommen für den Lebensunterhalt der Familie und zur Schuldentilgung ausreicht, ist aufgrund seines Alters, seiner psychischen Erkrankung bzw. Behinderung und eines Lebenslaufes sehr unwahrscheinlich.“
Diese Einschätzung teilt das Gericht vollumfänglich.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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