Verwaltungsrecht

Bitte im Rahmen der Corona-Pandemie um Auskunft zu Aufenthaltszeiten von Mitarbeitern zur Kontaktverfolgung kein Verwaltungsakt

Aktenzeichen  20 CS 21.706

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4735
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
BayVwVfG Art. 35
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1. Die Mitteilung des Landratsamts, das Gesundheitsamt werde eine 14-tägige Quarantäne anordnen, stellt keine Regelung dar, wenn sie nur den Hintergrund der Bitte um Auskunft über Aufenthaltszeiten erläutert. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bitte des Landratsamts, Daten (hier: Namen und Aufenthaltszeiten der einzelnen Mitarbeiter in betroffenen Hallen) mitzuteilen, ist nicht als förmliche Auskunftsverpflichtung mit Verwaltungsaktsqualität zu bewerten, wenn es sich um eine schlichte Maßnahme zur behördlichen Informationsgewinnung im Rahmen der Sachverhaltsermittlung handelt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 18 S 21.375 2021-03-06 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die Antragstellerin, die ein Unternehmen für Verpackungs-, Palettier- und Robottechnik betreibt, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine aus ihrer Sicht vom Antragsgegner ihr gegenüber angeordneten Quarantäne von Mitarbeitern und Herausgabe von Mitarbeiterdaten.
2. Mit E-Mail vom 28. Februar 2021 teilte das Landratsamt Ansbach (Gesundheitsamt) der Antragstellerin Folgendes mit:
„Sehr geehrter Herr Dr. R.,
sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für das konstruktive Telefonat.
Der infizierte Mitarbeiter war laut eigenen Angaben vom 22.02.2021 bis 25.02.2021 am Arbeitsplatz. Da davon auszugehen ist, dass er in diesem Zeitraum ansteckend war, ordnet das Gesundheitsamt Ansbach für alle Mitarbeiter, die sich im Zeitraum 22.02.2021 bis 25.02.2021 kumulativ mehr als eine Schicht = 8 Stunden in Halle 1 und/oder 2 aufgehalten haben, eine 14-tägige häusliche Quarantäne ab dem letzten Kontakttag an. Für alle anderen Personen, die sich in o.g. Zeitraum kumulativ weniger als eine Schicht = 8 Stunden in Halle 1 und/oder 2 aufgehalten haben, trifft das Gesundheitsamt Ansbach Einzelfallentscheidungen. Bitte teilen Sie uns daher bei allen Mitarbeitern eine kumulative Aufenthaltszeit in den betroffenen Hallen während des o.g. Zeitraumes mit.
Bitte tragen Sie die benötigten Daten in folgende Liste ein: https://cloud.landkreisansbach.de/index.php/s/MnEyCmLmtYg8R6F Bitte informieren Sie alle betroffenen Mitarbeiter über die Notwendigkeit der häuslichen Quarantäne. Das Gesundheitsamt Ansbach wird sich mit den betroffenen Bürgern sobald wie möglich in Verbindung setzen.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!“
3. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat den Eilantrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Verfügungen des Gesundheitsamtes Ansbach vom 28. Februar 2021 anzuordnen, hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Verfügungen des Gesundheitsamts Ansbach vom 28. Februar 2021 rechtswidrig seien und sie in ihren Rechten verletzten, mit Beschluss vom 6. März 2021 abgelehnt. Der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unstatthaft, weil kein Verwaltungsakt vorliege. Der Hilfsantrag nach § 123 VwGO sei unzulässig, weil sich das Feststellungsbegehren auf Verfügungen richte, die nicht vorlägen.
4. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtschutzbegehren weiter.
5. Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und beantragt deren Zurückweisung.
6. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
A.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung.
1. Das Verwaltungsgericht hat den Hauptantrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Recht abgelehnt. Die E-Mail des Landratsamts vom 28. Februar 2021 ist entgegen der Auffassung der Beschwerde mangels Regelungswirkung unter keinem Gegenstand (Quarantäneanordnung; Herausgabe von Mitarbeiterdaten) als Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG zu qualifizieren.
a) Ob eine behördliche Erklärung als Willenserklärung anzusehen ist und sie – wenn das der Fall ist – eine Regelung i.S.d. Art. 35 BayVwVfG enthält und welchen Inhalt diese hat, bestimmt sich nach den gemäß §§ 133, 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Rechtsvorschriften (vgl. BVerwG, B.v. 24.7.2018 – 6 B 75.17 – juris Rn. 8). Maßgebend ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwG, B.v. 19.9.2013 – 9 B 20.13 u.a. – juris Rn. 11). Auch die Begleitumstände, unter denen die Willenserklärung abgegeben wurde, sind bei der Auslegung zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 31.5.2012 – 3 C 12.11 – NVwZ-RR 2012, 628 – juris Rn. 16).
b) Ausgehend davon ist die E-Mail vom 28. Februar 2021 mangels Regelungsgehalt nicht als Verwaltungsakt nach Art. 35 BayVwVfG zu qualifizieren.
aa) Soweit die Beschwerde die Regelung einer Quarantäneverpflichtung auf den Wortlaut „ordnet … eine 14-tägige häusliche Quarantäne an“ stützen will, nimmt sie den Gesamtinhalt des behördlichen Schreibens nicht ausreichend in den Blick. Mit der angegriffenen E-Mail hat das Gesundheitsamt die Antragstellerin gebeten, die Aufenthaltszeiten aller Mitarbeiter in den betroffenen Hallen mitzuteilen. Das Schreiben endet mit dem Hinweis, dass sich das Gesundheitsamt mit den Betroffenen sobald wie möglich in Verbindung setzen wird. Dieser Inhalt steht im Einklang mit der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 25. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 151), die regelt, dass die Quarantäne durch Mitteilung des Gesundheitsamts gegenüber den betroffenen Personen, dass sie nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert-Koch-Instituts Kontaktperson der Kategorie 1 sind, begründet wird (vgl. dort Nr. 1.1 und 2.1.1). Die Anordnung der Quarantäneverpflichtung einer Vielzahl von Mitarbeitern (nur) gegenüber dem Arbeitsgeber ist auch in diesem Kontext unschlüssig. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 4 f.), dass mit der Mitteilung, das Gesundheitsamt „ordne eine 14-tägige Quarantäne an“, keine Regelung getroffen, sondern der Hintergrund der Bitte um Auskunft (Aufenthaltszeiten) erläutert wurde. Zugleich wurde die Antragstellerin darüber informiert, dass (erst) auf Basis ihrer Auskunft zu den Aufenthaltszeiten jedem Mitarbeiter (als Adressaten) mitgeteilt wird, dass er als Kontaktperson der Kategorie 1 eingestuft wird, sodass diesen gegenüber entsprechend der Bestimmung in der Allgemeinverfügung vom 25. Februar 2021 eine 14-tägige häusliche Quarantäne angeordnet wird.
Dass die Quarantänepflicht der Mitarbeiter der Antragstellerin die Aufrechterhaltung ihres Betriebs faktisch erheblich beeinträchtigt, ist für die Auslegung, ob mit der behördlichen Erklärung vom 28. Februar 2021 eine Quarantäne angeordnet wurde, ohne Belang. Noch viel weniger kann aus der faktischen Betroffenheit der Antragstellerin in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitet werden, dass die behördliche Erklärung ihr gegenüber eine Duldungsverfügung enthielte. Soweit sich die Antragstellerin für ihre gegenteilige Annahme auf Art. 19 Abs. 4 GG beruft, verkennt sie, dass die Verwaltungsgerichtsordnung auch gegen Nicht-Verwaltungsakte prozessuale Rechtschutzmöglichkeiten vorhält (vgl. auch Rachor/Graulich in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Abschnitt E.II Rn. 36). Auch das Beschwerdevorbringen, wegen des Rechtsscheins einer förmlichen Anordnung liege ein Verwaltungsakt zumindest im prozessrechtlichen Sinn vor, trägt nicht. Von einem Nicht-Verwaltungsakt kann – anders als von einem nichtigen Verwaltungsakt (vgl. dazu BVerwG, U.v. 20.3.1964 – VII C 10.61 – VerwRspr 1964, 938) – ein solcher Rechtsschein, der ein Rechtsschutzinteresse für ein Anfechtungsbegehren vermittelt, nicht ausgehen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 16; Pietzcker/Marsch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 42 Abs. 1 Rn. 19).
bb) Auch die „Bitte“ des Landratsamts, die benötigten Daten (Aufenthaltszeiten der einzelnen Mitarbeiter in den betroffenen Hallen) mitzuteilen, ist nicht als förmliche Auskunftsverpflichtung mit Verwaltungsaktsqualität zu bewerten. Es handelt sich hierbei um eine schlichte Maßnahme zur behördlichen Informationsgewinnung im Rahmen der Sachverhaltsermittlung (§ 25 IfSG und § 24 BayVwVfG) und nicht um eine eigenständige Anordnung. Der Erklärung ist nicht zu entnehmen, dass mit ihr die erbetene Auskunftserteilung belastend verfügt worden wäre (vgl. auch Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 28). Noch viel weniger ergibt sich, dass eine solche für den Fall ihrer Nichtmitwirkung vollziehbar gemacht werden sollte (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – DAR 2016, 104 – juris Rn. 39).
2. Die Ablehnung des auf vorläufige Feststellung nach § 123 VwGO gerichteten Hilfsantrags, dass die „Verfügungen“ des Gesundheitsamts Ansbach vom 28. Februar 2021 rechtswidrig sind und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen, erweist sich jedenfalls im Ergebnis (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 146 Rn. 29b) als zutreffend. § 123 Abs. 5 VwGO steht dem Hilfsantrag zwar nicht entgegen, soweit er unter der Bedingung gestellt wurde, dass der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mangels Verwaltungsakt als unstatthaft abgewiesen wird. Aber selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin annähme, dass ein auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nicht-Verwaltungsakte gerichteter Antrag nach § 123 VwGO zulässig ist, hat sie keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, inwiefern die behördliche Information über eine nachfolgend (durch Mitteilung der Einstufung als Kontaktperson der Kategorie 1) beabsichtigte Quarantäneanordnung sowie die Bitte um Auskunft zu den Aufenthaltszeiten der Mitarbeiter in den Hallen rechtswidrig sein könnten.
3. Das Vorbringen der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe ihr rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil ihr der Schriftsatz des Antragsgegners erst nach Erlass des ablehnenden Beschlusses am 8. März 2021 übermittelt worden sei, sodass sie sich hierzu nicht habe äußern können, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. In der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts ist ein Zuleitungsschreiben an die Antragstellerin nebst Sendebericht vom 5. März 2021 enthalten (vgl. dort S. 139 f.). Abgesehen davon wäre ein Gehörsverstoß geheilt, weil die Antragstellerin ihre Einwände im Beschwerdeverfahren vorgebracht hat und der Senat den Fall – innerhalb des durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gezogenen Rahmens – in gleichem Umfang wie das Erstgericht prüft (vgl. BVerfG, B.v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – NJW 2020, 534 = juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 20.5.2020 – 8 CS 20.772 – juris Rn. 18).
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; sie orientiert sich an der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben