Verwaltungsrecht

Darlegungsanforderungen an den Zulassungsgrund anlässlich des Antrags auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  21 ZB 16.30144

Datum:
12.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 106559
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3
VwVfG § 51 Abs. 3
VwGO § 86, § 138

 

Leitsatz

1 Die Anwendung eines durch ein Obergericht aufgestellten Rechtssatzes im Einzelfall begründet keine Divergenzrüge, wenn das Verwaltungsgericht dabei keinen tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, der dem erstgenannten Rechtssatz entgegenstehen könnte. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO gehört nicht zu den nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 VwGO im Asylrechtsstreit relevanten Verfahrensmängeln. Ein Aufklärungsmangel begründet auch grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß nach § 138 Nr. 3 VwGO noch einen sonstigen in § 138 VwGO genannten Verfahrensmangel. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 14.30593 2016-05-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Mai 2016 hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wurde entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht hinreichend dargelegt.
Die Darlegung der Divergenz erfordert zunächst die genaue Benennung des Gerichts und die zweifelsfreie Angabe seiner Divergenzentscheidung. Darzulegen ist sodann, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
1.1 Die Klägerbevollmächtigte beruft sich für die geltend gemachte Abweichung auf einen im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. März 2012 (Az. 13a B 10.30172 – juris Rn. 23) aufgestellten Rechtssatz. Dort wird zur Auslegung des § 51 Abs. 3 VwVfG im Rahmen des Wiederaufgreifens des Verfahrens hinsichtlich der Feststellungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Folgendes ausgeführt: „Die bloße Behandlung wegen noch nicht in vollem Umfang diagnostizierter und näher geklärter Beschwerden kann in der Regel nicht die Obliegenheit begründen, sogleich ein Folgeschutzgesuch zu stellen, um nicht später mit sämtlichem Vorbringen zu einer Erkrankung präkludiert zu sein (BVerfG v. 20.12.2006 – NVwZ 2007, 1046).“
Davon abgesehen, dass die behauptete Divergenz nicht dieselbe Rechtsvorschrift betrifft, hat das Verwaltungsgericht seinem Urteil diesen Rechtssatz zugrunde gelegt, indem es Folgendes ausführt (vgl. UA S. 10): „Wird ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend gemacht, weil eine zielstaatsbezogene erhebliche Erkrankung vorliegt, so wird man in der Regel vor einer endgültigen und zuverlässigen Diagnosestellung nicht von einem Beginn des Fristlaufs ausgehen können. Es kommt insoweit aber immer auf den Einzelfall und die Art und Schwere der Erkrankung an (vgl. Funke/Kaiser im GK zum AsylG, Stand Mai 2015, § 71 Rn. 291 m.w.N.).“
„Gemessen an diesen Grundsätzen“ (UA S. 10) kommt das Verwaltungsgericht unter Würdigung der im Einzelnen vorgelegten ärztlichen Atteste im vorliegenden Einzelfall zu dem Ergebnis, mit der Diagnose „(schwere) depressive Episode“ sei der Kläger gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG ausgeschlossen. Die Klägerbevollmächtigte habe davon bereits spätestens mit Arztbrief vom 23. Oktober 2012 Kenntnis erlangt und die Asylrelevanz habe auf der Hand gelegen. Der am 26. Juli 2013 beim Bundesamt eingegangene Wiederaufgreifensantrag sei insoweit verspätet erfolgt.
Das Vorbringen der Klägerbevollmächtigten rechtfertigt schon deshalb nicht die Divergenzrüge, weil das Verwaltungsgericht keinen das Urteil tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, der dem genannten Rechtssatz entgegenstehen könnte. Vielmehr wendet sich die Klägerbevollmächtigte konkret gegen die Anwendung dieser Grundsätze durch das Verwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall.
1.2 Auch die Ausführungen der Klägerbevollmächtigten, die sich auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Januar 2014 (Az.: 13a ZB 13.30379) stützen, zeigen keine Divergenz auf.
Zu der erstmals im Attest der Danuvius-Klink vom 11. Juni 2013 enthaltenen Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1)“ hat das Verwaltungsgericht die Ablehnung der Wiederaufgreifensvoraussetzungen nicht auf § 51 Abs. 3 VwVfG (Fristablauf) gestützt, sondern darauf, dass insoweit weder eine Änderung der Sachlage noch ein neues Beweismittel vorliege (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VwVfG). Das ärztliche Attest basiere auf dem unglaubhaften Verfolgungsvortrag des Klägers (vgl. rechtskräftiges Urteil des VG München vom 1.12.2009) und biete schon allein deswegen keine Basis für die Annahme einer krankheitsbedingten Änderung der Sachlage bzw. für die Annahme eines neuen Beweismittels (UA S. 11).
Zur Begründung der Divergenzrüge beruft sich die Klägerbevollmächtigte auf folgende Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 24. Januar 2014 (Az.: 13a ZB 13.30379, Rn. 4), die im Zusammenhang mit dem Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Gestalt einer Verletzung rechtlichen Gehörs stehen: „Die vom Verwaltungsgericht angenommene Unglaubwürdigkeit des Klägers hinsichtlich des Trauma auslösenden Geschehens kann die Ablehnung des Beweisantrags ebenfalls nicht begründen, da sich das Gericht im Ergebnis über die vorgelegten Stellungnahmen hinweggesetzt hat, ohne den Sachverhalt weiter aufzuklären und ohne die für eine selbständige abschließende Beurteilung erforderliche eigene Sachkunde zu besitzen oder darzulegen.“
Die Klägerbevollmächtigte, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, beruft sich mit ihrem Vortrag, „das Verwaltungsgericht dürfe sich nicht über vorgelegte Stellungnahmen hinwegsetzen, ohne den Sachverhalt weiter aufzuklären“, der Sache nach auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das Verwaltungsgericht. Die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO gehört jedoch nicht zu den nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO im Asylrechtsstreit relevanten Verfahrensmängeln. Ein Aufklärungsmangel begründet auch grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß nach § 138 Nr. 3 VwGO noch einen sonstigen in § 138 VwGO genannten Verfahrensmangel (BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 ZB 15.30091 – juris; OVG NRW, B.v. 25.5.2016 – 19 A 1191/15.A – juris; SächsOVG, B.v. 19.7.2016 – 3 A 32/15.A – juris).
Eine Berufungszulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht die abschließende Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG nicht vor. Das Prozessrecht nimmt insoweit in Kauf, dass auch fehlerhafte erstinstanzliche Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 78 Rn. 13).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angegriffene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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