Verwaltungsrecht

Die Strafbarkeit der Homosexualität im Senegal führt nicht zwingend zur Annahme der Verfolgung Homosexueller

Aktenzeichen  B 4 K 16.31942

Datum:
22.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 3c Nr. 3, § 3e Abs. 1, § 29a Abs. 1
RL 2011/95/EU Art. 9 Abs. 1, Abs. 2, Art. 10 Abs. 1 lit. d
GG GG Art. 16a Abs. 3 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

Angesichts der Weisungslage betreffend die Strafverfolgungs- und Anklagepraxis bei Homosexualität sowie der geringen Anzahl von Verurteilungen ist die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung oder Verurteilung als verschwindend gering einzuschätzen, auch wenn man berücksichtigt, dass von dem Asylbewerber eine Geheimhaltung seiner Homosexualität im Herkunftsland oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung nicht erwartet werden kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet, weil der Bescheid des Bundesamtes vom 16.12.2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG), noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG), noch auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 AsylG), noch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG.
Gemäß § 29a Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat im Sinne des Artikels 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Gemäß Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG können durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Gemäß Art. 16a Abs. 3 Satz 2 GG wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
Senegal ist gemäß § 29a Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II AsylG ein sicherer Herkunftsstaat.
Zwar sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sowie die Demonstration von Homosexualität in der Öffentlichkeit strafbar (Bericht des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG, Stand: August 2015, vom 21.11.2015 (im Folgenden: AA), S. 10) mit der Folge, dass Homosexuelle in Senegal als eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d der EU-Qualifikations-RL bzw. des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG anzusehen sind (EuGH, Urteil vom 07.11.2013 – C-199/12 bis 201/12 -, juris). Nach Art. 319 des senegalesischen Strafgesetzbuchs wird derjenige, der einen „unzüchtigen oder widernatürlichen Akt“ mit einer Person seines Geschlechts begeht, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Hinzu kommt eine Geldstrafe von umgerechnet zwischen 150 € und 2.300 €. Ist einer der Partner dabei 21 Jahre oder jünger, wird stets die Höchststrafe verhängt (AA, S. 10; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 17.06.2016, BT-Drs. 18/8819 (im Folgenden: ABR), Frage 29).
Allein die Tatsache, dass der Kläger homosexuell ist, begründet aber noch nicht die Annahme, ihm drohe abweichend von der allgemeinen Lage in Senegal politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG, § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG.
Der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, stellt als solcher noch keine Verfolgungshandlung in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 Buchstabe c der EU-Qualifikations-RL bzw. des § 3 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 AsylG dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar (EuGH, a.a.O.).
Zur Anwendungspraxis des Art. 319 Strafgesetzbuch lässt sich dem Bericht des Auswärtigen Amtes (AA, Seiten 10 und 12) sowie der Antwort der Bundesregierung (ABR, Frage 29) entnehmen, dass der Artikel in Einzelfällen angewandt wird. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes wurden im August 2015 sieben junge Männer, die nach Presseberichten „auf frischer Tat gestellt“ wurden, zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten verurteilt. Laut Antwort der Bundesregierung vom 17.06.2016 gab es seit 2005 bis heute sieben Verurteilungen. Weiter wird dort ausgeführt, dass im Dialog der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit der senegalesischen Regierung über die Abschaffung des Art. 319 Strafgesetzbuch erreicht wurde, dass die Regierung der Republik Senegal die Polizei- und Ermittlungsbehörden angewiesen hat, keine Strafverfolgung oder Anklage nur mehr wegen des Artikels 319 zu betreiben. Auch aus dem Bericht von Amnesty International (Amnesty Report 2016 Senegal) ergeben sich die Verurteilungen von sieben Männern wegen „widernatürlicher Handlungen“ zu sechs Monaten Haft und einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten im August 2015 sowie die Verurteilung eines Mannes ebenfalls wegen „widernatürlicher Handlungen“ zu sechs Monaten Gefängnis im Juli 2015.
Angesichts der Weisungslage betreffend die Strafverfolgungs- und Anklagepraxis sowie der geringen Anzahl von Verurteilungen ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass gerade der Kläger strafrechtlich verfolgt und verurteilt wird, als verschwindend gering einzuschätzen, auch wenn man berücksichtigt, dass von dem Asylbewerber eine Geheimhaltung seiner Homosexualität im Herkunftsland oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung nicht erwartet werden kann (EuGH, a.a.O.).
Der Kläger hat eine homosexualitätsbedingte Verfolgung persönlich weder in eigener Person noch im Freundes- oder Bekanntenkreis erlebt. Grund für seine Ausreise im Jahr 2009 war nicht etwa die Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden, sondern die ihm gebotene Möglichkeit, in Deutschland zu studieren. Demgemäß kann er sich nur allgemein auf die Lage Homosexueller in Senegal berufen, wie sie sich seiner Meinung nach darstellt.
Die in seinem Schriftsatz vom 01.02.2017 zitierten Internetmeldungen begründen nicht die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger damit rechnen muss, in Senegal wegen seiner sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt zu werden oder Übergriffen Dritter schutzlos ausgeliefert zu sein. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass der Kläger eine auf Dauer angelegte Partnerschaft mit einem Mann eingeht und offen mit diesem zusammenlebt.
Die Schilderung des Ereignisses an der Universität in Dakar am 21.03.2016 belegt die Fähigkeit und Bereitschaft sowohl des Sicherheitspersonals der Universität als auch der Polizei, einen Homosexuellen vor einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu schützen. Die Meldung vom 01.08.2015 der Verurteilung eines bekannten senegalesischen Kolumnisten wegen homosexueller Akte zu sechs Monaten Gefängnis bestätigt nur, was sich auch aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes ergibt, nämlich dass es in Einzelfällen noch zu homosexualitätsbedingten Verurteilungen kommt. Eine einzelne Verurteilung auf Grund besonderer Umstände – die Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit dem öffentlichen Vorwurf einer Vergewaltigung – begründet aber nicht die Annahme einer generellen Gefahr für Homosexuelle, ebenfalls festgenommen und verurteilt zu werden, sobald sie ihre sexuelle Orientierung nicht mehr geheim halten. Der Bericht vom 27.12.2015 über die Festnahme von 11 Männern, die als Teil einer ungefähr 20 Menschen zählenden Hochzeitsgesellschaft an einer Hochzeitsfeier für ein schwules Paar teilgenommen hätten, dessen Vermählung in einer Schule des Ortes gefeiert worden sei, sagt über die genauen Umstände der Festnahme gerade dieser 11 Männer nichts aus. Die Wahl eines öffentlichen Gebäudes als Veranstaltungsort für eine homosexuelle Hochzeitsfeier lässt aber nicht auf eine verbreitete begründete Furcht vor strafrechtlicher oder sonstiger Verfolgung schließen. Außerdem zeigt die Veranstaltung einer Hochzeitsfeier, dass ein Zusammenleben zweier Männer in einer Partnerschaft offensichtlich möglich ist.
Soweit der Kläger geltend macht, er müsse auch mit Gewalttätigkeit von seinen Nachbarn und seiner Familie rechnen, es sei sogar nicht ausgeschlossen, dass ihn seine Familie umbringe oder umbringen lasse, um die „Schande“ zu tilgen, muss er sich zunächst auf die Möglichkeit verweisen lassen, nicht in sein bisheriges Umfeld, sondern in einen anderen Landesteil Senegals zurückzukehren (§ 3e Abs. 1, § 4 Abs. 3 AsylG).
Davon abgesehen findet Diskriminierung durch nichtstaatliche Akteure in der Öffentlichkeit sowie im familiären Rahmen zwar statt und wird vom Staat billigend in Kauf genommen (AA, Seite 12), nicht jede von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende Diskriminierung stellt aber eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG oder einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG dar. Der Bundesregierung sind Berichte bekannt, wonach Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Opfer physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, geworden sind und der Staat nicht in der Lage oder willens war, Schutz davor zu bieten (§ 3a Abs. 2 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 3c Nr. 3 AsylG). Dies betrifft aber vor allem zu Haftstrafen verurteilte Personen, die auf Grund der Überfüllung der Haftanstalten in Gemeinschaftszellen untergebracht und dort Opfer sexueller Gewalt werden (Antwort der Bundesregierung vom 17.06.2016, Frage 30). Zu diesem gefährdeten Personenkreis gehört der Kläger nicht, und es liegt an ihm, die von ihm angestrebte Bürgerrechtsarbeit für Homosexuelle so dezent zu gestalten, dass er nicht Gefahr läuft, zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden.
Im Übrigen kann Personen, die ihre Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit in Senegal öffentlich machen, die Verletzung anderer Menschenrechte, einschließlich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, durch nichtstaatliche Akteure drohen, wobei derartige Menschenrechtsverletzungen vor allem Personen betreffen, die sich aktiv für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen (Antwort der Bundesregierung vom 17.06.2016, Frage 35). Auch wenn der Schutz der Angehörigen von Minderheiten durch staatliche Stellen nicht immer mit der gebotenen Entschlossenheit und angemessenen Durchsetzungskraft erfolgt (Antwort der Bundesregierung vom 17.06.2016, Frage 35), ist einschränkend zu berücksichtigen, dass nach Art. 9 Abs. 1 Buchstaben a und b der EU-Qualifikations-RL bzw. § 3a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AsylG eine Verletzung von Grundrechten nur dann eine Verfolgung darstellt, wenn sie von einer bestimmten Schwere ist (EuGH, a.a.O.). Nach diesen Bestimmungen muss eine Handlung, um als Verfolgung zu gelten, (Buchstabe a bzw. Nr. 1) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder (Buchstabe b bzw. Nr. 2) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Buchstabe a bzw. Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nicht jede Verletzung der Grundrechte eines homosexuellen Asylbewerbers ist notwendigerweise so schwerwiegend (EuGH, a.a.O.). Insbesondere ist festzustellen, dass die Grundrechte, die spezifisch mit der sexuellen Ausrichtung verbunden sind – wie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 14 EMRK -, nicht zu den Grundrechten gehören, von denen keine Abweichung möglich ist (EuGH, a.a.O.).
Erkenntnisse, dass (außerhalb von Haftanstalten) die einem Homosexuellen von nichtstaatlichen Akteuren drohenden Menschenrechtsverletzungen den Schweregrad einer Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG bzw. eines ernsthaften Schadens in Gestalt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG erreichen, liegen nicht vor. Insbesondere lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass homosexuelle Familienmitglieder von ihren Angehörigen „zur Tilgung der Schande“ getötet werden können, ohne dass der senegalesische Staat, auch wenn er Diskriminierungen billigend in Kauf nimmt, in der Lage und willens wäre, einen solchen „Ehrenmord“ zu verhindern.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die vom Kläger geäußerten Befürchtungen, insbesondere seine Annahme, er könne in Senegal nicht gefahrlos mit einem Mann partnerschaftlich zusammenleben, weder auf persönliche negative Erfahrungen noch auf die allgemeine Auskunftslage als objektive Grundlage gestützt werden können.
Die Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgewiesen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben