Verwaltungsrecht

Eilrechtsschutz, Antrag unzulässig, Widerspruchsfrist nicht gewahrt, Bekanntgabevermutung an Samstag, Sonn- oder Feiertag, Widerspruch nicht formgerecht, Übermittlung Widerspruchsschreiben mittels GMX Fax & Voice, Widerspruchseinlegung mittels E-Mail mit PDF-Anhang

Aktenzeichen  M 10 S 21.4517

Datum:
7.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40185
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 70 Abs. 1 S. 1
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
VwVfG § 3a Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.580,64 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer.
Die Antragsteller sind als Eheleute gemeinsame Eigentümer einer Zweitwohnung im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin. Mit Bescheiden vom 17. September 2014, 16. Januar 2015 und 15. Januar 2018 erhob die Antragsgegnerin für die Jahre 2010 bis 2018 Zweitwohnungsteuer für diese Wohnung. Die hiergegen zum Verwaltungsgericht München erhobene Klage wurde mit Urteil vom 23. Mai 2019 abgewiesen (Az. M 10 K 18.4551). Die Berufung gegen dieses Urteil wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nur im Hinblick auf die Entscheidung über die Bescheide vom 17. September 2014 und vom 15. Januar 2018 zugelassen, da nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2019 (Az. 1 BvR 807/12, 1 BvR 2917/13 – juris) die in diesen Bescheiden vorgenommene Bemessung der Zweitwohnungsteuer anhand der indexierten Jahresrohmiete verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Im Übrigen (hinsichtlich der Abweisung der Klage gegen den Bescheid vom 16.1.2015 als unzulässig) wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt (BayVGH, B.v. 5.3.2020 – 4 ZB 19.1883 – juris). Über das Berufungsverfahren (Az. 4 B 20.487) ist noch nicht entschieden.
Wegen des als verfassungswidrig erachteten Steuermaßstabs der Jahresrohmiete erließ die Antragsgegnerin eine neue Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (Zweitwohnungsteuersatzung – ZWStS) vom 1. Juli 2020, die zum 1. Januar 2010 in Kraft trat und zur Bemessung der Steuer auf die Jahresnettokaltmiete abstellt.
Auf dieser Grundlage wurden die Antragsteller mit Bescheid vom 22. April 2021 für die Jahre 2010 bis 2014 zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von jährlich 436,11 EUR und für die Jahre 2018 und 2019 zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von jährlich 639,68 EUR herangezogen. Im Bescheid ist bezüglich der Jahre 2010 bis 2014 und des Jahres 2018 vermerkt, dass dieser Bescheid die Bescheide vom 17. September 2014 und 15. Januar 2018 ändert. Ferner setzte die Antragsgegnerin mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag für die Jahre 2020 und 2021 gegenüber den Antragstellern eine Zweitwohnungsteuer in Höhe von jährlich 777,15 EUR fest. Die Bescheide wurden ausweislich eines Aktenvermerks am 22. April 2021 zur Post gegeben (Bl. 8 Behördenakte). In einem Begleitschreiben vom gleichen Tag widerrief die Antragsgegnerin im Hinblick auf den Bescheid vom 16. Januar 2015, der bestandskräftig sei, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2021 erhob die Antragstellerin als Bevollmächtigte ihres Ehemannes sowie im eigenen Namen Widerspruch gegen „den“ am 24. April 2021 zugegangenen Zweitwohnungsteuerbescheid vom 22. April 2021 betreffend die Kalenderjahre 2010 bis 2014 und 2018 bis 2021, wobei im Widerspruchsschreiben eine Übermittlung per Post sowie per Fax vermerkt ist. In der Behördenakte (Bl. 11 ff.) befindet sich eine Kopie des gehefteten und von der Antragstellerin unterschriebenen Widerspruchs samt Anlagen, ohne dass Herkunft oder Zugangszeitpunkt dieser Kopie erkennbar ist. Das Original des Widerspruchs ging ausweislich des Eingangsstempels am 26. Mai 2021 bei der Antragsgegnerin ein (Bl. 15 ff. Behördenakte).
Nach Nichtabhilfe durch die Antragsgegnerin wurde der Widerspruch mit Bescheid des Landratsamtes … vom 15. Juli 2021, zugestellt am 21. Juli 2021, zurückgewiesen, da er unzulässig sei. Die Widerspruchsfrist sei am 25. Mai 2021 abgelaufen; der Widerspruch im Original sei jedoch erst am Folgetag eingegangen. Ein Vorab-Fax sei bei der Gemeinde nach deren Auskunft nicht angekommen. Der vom Landratsamt erbetene Fax-Sendebericht oder Nachweise für eventuelle Wiedereinsetzungsgründe seien nicht übermittelt worden.
Mit Schreiben vom 18. August 2021 widerrief die Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern nochmals u.a. die Aussetzung der sofortigen Vollziehung bezüglich des Bescheids vom 16. Januar 2015. Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Steuerschuld zur Vermeidung von Säumniszuschlägen bis zum 15. September 2021 zu bezahlen.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz der bevollmächtigten Antragstellerin vom 19. August 2021, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 23. August 2021 (Montag), Klage gegen „den“ Zweitwohnungsteuerbescheid vom 22. April 2021 für die Jahre 2010 bis 2014 sowie 2018 bis 2021 (Nr. 1) und gegen den Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2021 (Nr. 2) erhoben. Ferner wird die Feststellung beantragt, dass die Antragsgegnerin aus dem Zweitwohnungsteuerbescheid vom 16. Januar 2015 betreffend die Jahre 2015 bis 2017 keine Belastungen der Antragsteller mehr vornehmen dürfe (Nr. 3). Zudem wird beantragt,
Die sofortige Vollziehbarkeit der Bescheide vom 16. Januar 2015 und 22. April 2021 wird aufgehoben.
Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, die Antragsteller hätten rechtzeitig mit Schriftsatz vom 23. Mai 2021 Widerspruch eingelegt. Dieses Schreiben sei ausweislich des als Anlage vorgelegten Fax-Sendeprotokolls am 23. Mai 2021 um 21:51 Uhr erfolgreich übermittelt worden. Beigelegt (Anlage K2-10) wurde eine Bestätigung von GMX Fax & Voice in Form einer E-Mail vom 23. Mai 2021 um 21:52 Uhr, nach der die Übermittlung der Faxnachricht an die Rufnummer … am 23. Mai 2021 um 21:51 Uhr erfolgreich gewesen sei. Die gesendete Faxnachricht sei dieser E-Mail noch einmal angehängt; der Anhang der E-Mail ist bezeichnet als „fax.pdf“. Zudem berufen sich die Antragsteller unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2019 darauf, dass auf den Bescheid vom 16. Januar 2015, der zwar bestandskräftig sei, aber auf einer verfassungswidrigen Grundlage beruhe, keine Belastungen gestützt werden dürften. Hiergegen habe die Antragsgegnerin mit ihrem Schreiben vom 18. August 2021 verstoßen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragsschrift vom 19. August 2021 Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 6. September 2021 änderte die Antragsgegnerin die Zweitwohnungsteuerfestsetzung im Hinblick auf das Jahr 2021. Da im Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2021 (mangels Bewohnbarkeit) keine Steuerpflicht bestanden habe, werde die Steuer von 777,15 EUR auf 388,58 EUR reduziert.
Mit Schriftsatz vom 28. September 2021 beantragt die Antragsgegnerin:
Der Antrag wird abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021 übermittelte die Antragsgegnerin ihre Akte und verwies zur Begründung ihres Ablehnungsantrags auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg, da er unzulässig ist.
1. Soweit die Antragsteller die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids vom 16. Januar 2015 begehren, ist der Antrag unzulässig, da er nicht statthaft ist.
a) Sofern man diesen Antrag als Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) versteht, ist er nicht statthaft, da der Bescheid vom 16. Januar 2015 bestandskräftig ist.
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist insbesondere nur statthaft, wenn ein belastender Verwaltungsakt vorliegt, der bekannt gegeben worden ist, nicht unanfechtbar und nicht erledigt ist (vgl. Gersdorf in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Ed. 1.7.2021, § 80 Rn. 147).
Der Bescheid vom 16. Januar 2015 ist bestandskräftig, da die Klage gegen diesen Bescheid mangels Zulässigkeit abgewiesen (VG München, U.v. 23.5.2019 – M 10 K 18.4551) und die Berufung insoweit nicht zugelassen worden ist. Der Bescheid ist auch trotz verfassungswidriger Rechtsgrundlage in Bestandskraft erwachsen (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 5.3.2020, a.a.O., juris Rn. 9).
Sofern man den gestellten Antrag auf die Feststellungsklage unter Nummer 3 der Klageanträge beziehen würde, wäre er ebenso nicht statthaft, da ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur im Hinblick auf eine in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage statthaft ist.
b) Auch wenn man den Antrag, die Vollziehbarkeit des Bescheids am 16. Januar 2015 aufzuheben, dahingehend interpretieren würde, dass die Antragsteller sich gegen den Widerruf der diesbezüglichen Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 22. April 2021 und 18. August 2021 wenden, wäre ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht statthaft.
Der mit den Schreiben der Antragsgegnerin ausgesprochene Widerruf der Aussetzung der Vollziehung ist nicht als belastender Verwaltungsakt, gegen den ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft wäre, anzusehen. Er ist rein deklaratorisch zu verstehen und beinhaltet keine Regelungswirkung, da auch die behördlich eingeräumte Aussetzung der Vollziehung jedenfalls mit Unanfechtbarkeit des Bescheids, die hier durch die Nichtzulassung der Berufung eingetreten ist (s.o.), kraft Gesetzes endet, vgl. § 80b Abs. 1 Satz 1, Satz 2 VwGO.
c) Ob man den gestellten Antrag wegen der Begründung der Antragsteller, es dürften keine Belastungen aus dem bestandskräftigen, aber auf einer verfassungswidrigen Grundlage beruhenden Bescheid hergeleitet werden, in einen Antrag nach § 123 VwGO auf Einstellung der Zwangsvollstreckung umdeuten dürfte, ist zweifelhaft, da sich die Antragstellerin als Rechtsanwältin grundsätzlich an den von ihr formulierten Anträgen festhalten lassen muss. Jedenfalls wäre ein solcher Antrag ebenso unzulässig, da nach Aktenlage die Vollstreckung bisher nicht eingeleitet ist. Die Antragsteller wurden lediglich mit Schreiben vom 18. August 2021 unter Fristsetzung aufgefordert, die offenen Zweitwohnungsteuerforderungen zu begleichen.
2. Auch soweit die Antragsteller die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit „des Bescheids“ vom 22. April 2021 begehren, ist der Antrag unzulässig.
Der insoweit gestellte Antrag ist unter Berücksichtigung des Begehrens der Antragsteller gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO zu verstehen als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 22. April 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2021 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO.
Der so verstandene Antrag ist unzulässig, da die Bescheide vom 22. April 2021 nach summarischer Prüfung anhand der vorgelegten Akten sowie des Sachvortrages bestandskräftig sind. Die Frist für die Einlegung des Widerspruchs gegen diese Bescheide nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist nicht gewahrt worden.
Die Widerspruchsfrist beträgt nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO einen Monat, da die Rechtsmittelbelehrungen zu den Bescheiden vom 22. April 2021 ordnungsgemäß erfolgt sind.
Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Bescheide vom 22. April 2021 gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) i.V.m. Art. 10 Nr. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b Kommunalabgabengesetz (KAG) zu laufen, da die Bescheide mit einfachem Brief versandt worden sind.
Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Nach dem Vermerk in der Behördenakte (Bl. 8) wurden die Bescheide vom 22. April 2021 am gleichen Tag zur Post gegeben. Damit gelten sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 25. April 2021 als bekannt gegeben. Insoweit ist es unbeachtlich, dass sie nach dem Vortrag der Antragstellerin tatsächlich früher (am 24.4.2021) zugegangen sind (vgl. Füssenich in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, 18. Ed. 5.10.2021, § 122 AO Rn. 187.1; s. auch zur inhaltsgleichen Regelung in Art. 4 VwZVG: BayVGH, B.v. 23.7.1990 – GrS 1/90 – 19 B 88185 – NJW 1991, 1250).
Der Bekanntgabevermutung am 25. April 2021 steht auch nicht entgegen, dass dies ein Sonntag war.
Zwar verlängert sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (grundlegend: BFH, U.v. 14.10.2003 – IX R 68/98 – NJW 2004, 94) die Dreitagesfrist, wenn das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, auf den nächstfolgenden Werktag. Denn der Dreitageszeitraum in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO sei eine Frist, so dass § 108 Abs. 3 AO Anwendung finde. Gemäß § 108 Abs. 3 AO ende im Fall des Ablaufs einer Frist an einem Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO regle nicht nur den fiktiven Zeitpunkt der Bekanntgabe, sondern auch besondere Substantiierungspflichten für den Steuerpflichtigen. Die Vorschrift zwinge den Steuerpflichtigen dazu, die Zugangsvermutung für jeden einzelnen Tag der Dreitagesfrist durch substantiierte Angaben zu erschüttern. Jedenfalls sei die Norm des § 108 Abs. 3 AO analog anwendbar. Zweck des § 108 Abs. 3 AO sei es, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren. Streitigkeiten, die den Umfang der Berufspflichten von Steuerberatern an Sonn- und Feiertagen beträfen, würden durch eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 3 AO vermieden. Zudem würde durch einen vermuteten Zugang an einem Sonn- oder Feiertag die Rechtsbehelfsfrist unzulässig verkürzt.
Wenn man insoweit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs folgen würde, würde sich im konkreten Fall der Ablauf des Dreitageszeitraums auf den 26. April 2021 verschieben, die Widerspruchsfrist würde am 27. April 2021 beginnen und am 26. Mai 2021 enden. Dann wäre jedenfalls das Original des Widerspruchsschreibens fristgerecht bei der Antragsgegnerin eingegangen.
Aber nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu inhaltsgleichen Regelungen in § 41 Abs. 2 VwVfG, § 4 VwZG und Art. 4 VwZVG tritt die Bekanntgabevermutung auch ein, wenn der dritte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt (vgl. nur: BayVGH, B.v. 23.7.1990, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, B.v. 19.11.1991 – 3 S 2492/91 – juris; OVG NRW, B.v. 7.3.2001 – 19 A 4216/99 – juris). Diese Rechtsprechung ist auch nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 14. Oktober 2003 beibehalten worden (vgl. nur: OVG Lüneburg, B.v. 26.10.2006 – 7 PA 184/06 – juris Rn. 3; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 30.10.2014 – 10 A 11170/13 – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 18.8.2008 – 7 K 2076/08 – juris Rn. 18; offen gelassen zu § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b KAG, aber der Auffassung der Verwaltungsgerichte zuneigend: VG München, B.v. 23.11.2010 – M 10 S 10.4524 – juris). Hauptargument hierfür ist, dass es sich bei dem Dreitageszeitraum nicht um eine Frist, sondern um einen Termin handle. Daher fänden die Parallelvorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts zu § 108 Abs. 3 AO, z.B. § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG, die (nur) den Ablauf einer Frist beträfen, keine Anwendung.
Die Kammer schließt sich auch in der hier vorliegenden besonderen Konstellation, in der eine Gemeinde handelt und über das Kommunalabgabengesetz die Abgabenordnung und damit die Regelung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO Anwendung findet, der überzeugenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit an.
Denn der Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bestimmt in eindeutiger Weise, dass die Bekanntgabevermutung mit dem Ablauf von drei Tagen eintreten soll, unabhängig davon, ob es sich um einen Werk-, Sonn- oder Feiertag handelt. Als einzige Ausnahme („außer“) wird der fehlende oder spätere Zugang normiert. Dies zeigt, dass es unerheblich ist, wenn der Zugang tatsächlich vor Ablauf der drei Tage erfolgt oder wenn der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist (s. hierzu auch: BayVGH, B.v. 23.7.1990, a.a.O.). Zudem wird durch den Dreitageszeitraum keine Frist festgelegt, sondern ein Termin, d.h. ein rechtserhebliches Datum, an dem eine bestimmte Rechtswirkung eintritt. Auch wenn der Zustellungszeitpunkt in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO durch den Ablauf eines Zeitraums definiert wird, liegt keine Frist vor. Eine Frist ist eine abgegrenzte, bestimmte oder jedenfalls bestimmbare Zeitspanne, innerhalb der Leistungen erbracht oder Handlungen vorgenommen werden sollen oder können, zu denen mit der Fristbestimmung Gelegenheit gegeben wird. Im Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO sollen jedoch weder Leistungen oder Handlungen erfolgen noch wird hierzu Gelegenheit gegeben. Es wird vielmehr nur der Zeitpunkt der Zustellung in Abhängigkeit von einem anderen Zeitpunkt, dem Tag der Aufgabe zur Post, festgelegt (vgl. BayVGH, B.v. 23.7.1990, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund passt die Ratio des § 108 Abs. 3 AO, die vermeiden will, dass Leistungen am Samstag, Sonn- oder Feiertag vorgenommen werden müssen, gerade nicht. Ferner dient die Zustellungsvermutung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO der Verwaltungsvereinfachung. Dieser Zweck wird durch das von den Verwaltungsgerichten angenommene Verständnis der Norm besser erreicht, da der Ablauf des Dreitageszeitraums ohne die Zuhilfenahme eines Kalenders bestimmt werden kann (vgl. zu diesem Gedanken auch: BayVGH, B.v. 23.7.1990, a.a.O.; Klotz, DStZ 2011, 332 (334)). Durch eine solche Interpretation der Norm ist auch keine Schlechterstellung des Steuerpflichtigen, der seinen Bescheid mit einfachem Brief erhält, zu befürchten, da sich beispielsweise bei einer Zustellung mittels Postzustellungsurkunde an einem Samstag der Zugangszeitpunkt ebenso nicht auf den nächsten Werktag verschiebt (vgl. BayVGH, B.v. 23.7.1990, a.a.O.). Auch das Argument des Bundesfinanzhofs, es sei eine unzulässige Rechtsschutzverkürzung zu befürchten, greift nicht, da die Rechtsmittelfrist von dem Dreitageszeitraum rechtlich zu unterscheiden ist und sich diese in vollem Umfang an den Zeitpunkt des (vermuteten) Zugangs anschließt. Dies gilt auch, wenn der dritte Tag auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt: Hat der Empfänger den Bescheid bereits vor diesem Zeitpunkt erhalten, gilt dennoch erst der dritte Tag (Samstag, Sonn- oder Feiertag) als Zugangszeitpunkt (vgl. hierzu bereits oben). Dies verlängert die Überlegungsfrist im Hinblick auf die Einlegung eines Rechtsmittels zugunsten des Empfängers (Rechtsmittelfrist und zusätzlich 1 bis 2 Tage). Hat der Empfänger den Bescheid mangels Zustellungsmöglichkeit am Sonn- oder Feiertag erst am nachfolgenden Werktag erhalten, bedeutet dies für ihn keine unzulässige Rechtsschutzverkürzung. Denn er kann den späteren Zugang der Behörde gegenüber nachweisen (z.B. durch Poststempel auf dem Kuvert oder einen Vermerk über den Eingangszeitpunkt) und so die Bekanntgabevermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO widerlegen. Im Anschluss an den Zeitpunkt des (nachgewiesen) verspäteten Zugangs steht ihm die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung. Schließlich wirft die Argumentation des Bundesfinanzhofs zur (jedenfalls) analogen Anwendung des § 108 Abs. 3 AO wegen der besonderen Pflichten des Steuerberaters Fragen nach einer unterschiedlichen Anwendbarkeit des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auf Steuerberater und auf nicht durch einen Steuerberater vertretene Steuerpflichtige auf, was unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz fragwürdig ist (insoweit kritisch auch: Gruber, NJ 2017, 190 (192)).
Unter Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und der damit verbundenen Bekanntgabevermutung am 25. April 2021 begann im vorliegenden Fall die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO am 26. April 2021 zu laufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung, § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) und endete am 25. Mai 2021, einem Dienstag (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Da das Original des Widerspruchs erst am 26. Mai 2021 und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist bei der Antragsgegnerin eingegangen ist, kommt es insoweit entscheidungserheblich darauf an, ob das nach Angaben der Antragstellerin am 23. Mai 2021 fristgerecht übermittelte Vorab-Fax der Schriftform des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt.
Zwar ist nach Aktenlage und aufgrund der Nachfragen der Widerspruchsbehörde kein Vorab-Fax vom 23. Mai 2021 (weder im Faxgerät noch im E-Mail-Postfach) bei der Antragsgegnerin auffindbar. Aber in der chronologisch sortierten Behördenakte findet sich vor dem Originalwiderspruchsschreiben (Bl. 15 ff.) eine Kopie des gehefteten und eigenhändig unterschriebenen Widerspruchsschreibens (Bl. 11 ff.). Zudem haben die Antragsteller zum Nachweis der Übermittlung des Widerspruchs per Fax mittels GMX Fax & Voice einen Sendebericht vorgelegt (Anlage K2-10), der die erfolgreiche Übermittlung am 23. Mai 2021 bestätigt.
Nach dem Vortrag der Antragsteller (vgl. insbesondere Schreiben der Antragstellerin vom 13.7.2021 im Berufungsverfahren, Bl. 43 Widerspruchsakte) ist das Widerspruchsschreiben am 23. Mai 2021 an die Fax-Absendeadresse …@gmx.de und von dieser an …@gmx-gmbh.de gemailt worden. Laut dem Sendebericht war die Übertragung an die Faxnummer der Antragsgegnerin erfolgreich; übermittelt wurde ausweislich des Sendeberichts ein PDF-Anhang. Nach einer Internetrecherche (https://www.gmx.net/produkte/fax-online/ und https://hilfe.gmx.net/fax/index.html und https://hilfe.gmx.net/fax/faxnachrichten/faxempfang.html#textlink_help_fax_faxnachrichten_fax abgerufen am 7.12.2021) wird bei einem Fax mittels GMX das Fax über das Internet versendet. Ein Faxgerät ist hierzu nicht erforderlich; eingehende Faxe werden für Nutzer dieses Dienstes per E-Mail in das E-Mail-Postfach des Empfängers als PDF-Datei zugestellt (vgl. zum Faxen mit dem Anbieter GMX auch: https://www.computerwoche.de/a/ratgeber-faxen-ueber-das-internet,593006,3 abgerufen am 7.12.2021).
Wenn auch bei der Antragsgegnerin ein vorab übermitteltes Widerspruchsschreiben nicht auffindbar ist, ist angesichts des Sendeberichts nicht auszuschließen, dass das GMX-FAX bei der Antragsgegnerin angekommen ist. Da sich in der Behördenakte (Bl. 11 ff.) eine Kopie des gehefteten und unterschriebenen Widerspruchsschreibens, ohne aufgedruckte Fax-Sendedaten und abgeheftet vor dem Original, befindet, spricht mehr dafür, dass das Widerspruchsschreiben vorab nur als PDF-Anhang zu einer E-Mail eingegangen ist und nicht durch das Faxgerät ausgedruckt worden ist. Gegenteiliges ist von den Antragstellern auch nicht vorgetragen worden.
Selbst wenn eine derartige Übermittlung erfolgreich gewesen sein sollte, würde diese Übersendung des Widerspruchsschreibens in einer an eine E-Mail angehängten PDF-Datei nicht den Anforderungen an die Schriftform des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügen. Im Hinblick auf das Erfordernis der Schriftlichkeit des Widerspruchs gelten die gleichen Anforderungen wie bei der Klage, vgl. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Hüttenbrink in BeckOK VwGO, 58. Ed. 1.4.2020, § 70 Rn. 9).
Die erfolgreiche Übermittlung unterstellt, liegt kein die Schriftform des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO wahrendes Fax, Computer-FAX (vgl. hierzu: GmS-OGB, B.v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98 – NJW 2000, 2340 (2341)) oder Online-FAX (vgl. VG München, GB v. 12.2.2019 – M 13 K 17.5759 – BeckRS 2019, 50828 Rn. 39) vor, da nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen das Widerspruchsschreiben zwar als Textdatei mit eingescannter Unterschrift elektronisch übertragen worden ist, aber im Anschluss nicht auf unmittelbare Veranlassung der Antragsteller durch das Faxgerät der Antragsgegnerin ausgedruckt worden ist.
Die Übermittlung des Widerspruchsschreibens in einer an eine E-Mail angehängten PDF-Datei erfüllt nicht die Anforderungen des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG, der die Zulässigkeit der Einreichung elektronischer Dokumente im Widerspruchsverfahren nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO abschließend regelt (vgl. zur Parallelvorschrift in § 55a VwGO: VG München, U.v. 22.4.2021 – M 15 K 19.5987 – juris m.w.N.; B.v. 15.10.2015 – M 15 E 15.2760 – juris; SächsOVG, B.v. 19.10.2015 – 5 D 55/14 – juris; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 81 Rn. 11).
Gemäß § 3a Abs. 2 VwVfG muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein. Alternativ ist nach dem hier alleine in Betracht kommenden § 3a Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 VwVfG die Versendung eines elektronischen Dokuments an die Behörde mit der Versandart nach § 5 Abs. 5 De-Mail-Gesetz zulässig.
Hier ist das elektronische Dokument weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen noch mittels eines De-Mail-Kontos versandt worden.
Damit wäre die antragstellerseitig behauptete Vorab-Übermittlung des Widerspruchs per GMX-Fax am 23. Mai 2021 zwar innerhalb der bis 25. Mai 2021 laufenden Widerspruchsfrist bei der Antragsgegnerin eingegangen, würde aber jedenfalls nicht der Schriftform des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG genügen. Das allein formwirksame Original des Widerspruchsschreibens ist jedoch erst am 26. Mai 2021 und daher nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingegangen. Deswegen sind die Bescheide vom 22. April 2021 mangels rechtzeitiger formwirksamer Einlegung eines Widerspruchs bestandskräftig geworden.
Auch liegen nach Aktenlage und dem Sachvortrag der Antragstellerin keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 i.V.m. § 70 Abs. 2 VwGO vor, die im Übrigen durch die Widerspruchsbehörde hätte gewährt werden müssen. Die Antragstellerin trägt nichts vor, was eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnte, da sie sich lediglich auf die erfolgreiche Übermittlung per GMX-Fax am 23. Mai 2021 beruft, die aber – wie aufgezeigt – jedenfalls nicht formwirksam wäre. Wiedereinsetzungsgründe sind auch nicht erkennbar. Insbesondere befand sich die Antragstellerin nicht in einem Rechtsirrtum, da nicht ersichtlich ist, dass sie angenommen hätte, es finde die oben dargelegte (für die Antragsteller günstigere) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Anwendung. Vielmehr ging die Antragstellerin ausweislich ihres Widerspruchsschreibens vom 23. Mai 2021 selbst davon aus, dass die Widerspruchsfrist nach der Zustellung am 24. April 2021 am 25. April 2021 begann und aufgrund des gesetzlichen Feiertags am 24. Mai 2021 am 25. Mai 2021 endete. Jedenfalls wäre ein entsprechender Rechtsirrtum der Antragstellerin jedoch verschuldet gewesen. Denn bei einer Unklarheit über den Zeitpunkt des Ablaufs einer Frist darf ein sorgfältiger Rechtsanwalt die Frist nicht einfach „ausreizen“. Ein Rechtsanwalt muss vorsorglich so handeln, wie es bei einer für die von ihm vertretene Partei ungünstigen Entscheidung der unklaren Rechtslage zur Wahrung der Belange der Partei notwendig ist. Im Zweifel muss der sichere Weg gewählt werden, also die kürzere Frist beachtet werden (vgl. hierzu: BGH, B.v. 17.10.2000 – X ZR 41/00 – GRUR 2001, 271).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 und 3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013 (1/4 des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts: 6.322,54 EUR ./. 4).


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