Verwaltungsrecht

Einstellung des Asylverfahrens nach Untertauchen des Asylbewerbers

Aktenzeichen  W 8 S 19.30421

Datum:
4.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4439
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 66 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Hält sich ein Asylbewerber für die Dauer von 12 Tagen an einem unbekannten Ort auf, erfüllt er den Tatbestand des Untertauchens, weil es dafür in Anlehnung an die Vorschrift des § 66 Abs. 1 Nr. 2 AsylG genügt, wenn der Betreffende eine Woche unbekannten Aufenthalts ist (BayVGH BeckRS 2018, 17233). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die in § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG enthaltene Vermutung des Nichtbetreibens des Verfahrens setzt nicht voraus, dass der Zustand des Untertauchens auch dann noch vorliegt, wenn das Bundesamt seine Einstellungsentscheidung trifft. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird sowohl für das vorliegende Sofortverfahren als auch für das Hauptsacheverfahren W 8 K 19.30376 abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 1. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Januar 2019 einen Asylantrag.
Die Ausländerbehörde teilte dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zunächst am 17. Januar 2019 mit, dass der Antragsteller seit 10. Januar 2019 untergetaucht sei. Des Weiteren teilte sie dem Bundesamt am 1. Februar 2019 mit, dass der Antragsteller seit 25. Januar 2019 untergetaucht sei, sowie am 8. Februar 2019, dass der Antragsteller vom 25. Januar bis 6. Februar 2019 untergetaucht gewesen und am heutigen Tag (8.2.2019) wieder im Ankerzentrum erschienen sei.
Mit Bescheid vom 5. Februar 2019 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Nr. 1) sowie dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Marokko aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 19.30376 Klage erheben und – neben Prozesskostenhilfe – im vorliegenden Verfahren am 28. Februar 2019 beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. Februar 2019 gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Februar 2019, zugestellt am 11. Februar 2019, nach § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Der Vortrag der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller seit dem 25. Januar 2019 untergetaucht sei, sei falsch. Es werde nicht bestritten, dass der Antragsteller nicht dauerhaft in seinem Zimmer in der zugewiesenen Einrichtung aufzufinden gewesen sei, aber er habe sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten. Der Antragsteller habe am 24. Januar 2019 einen Termin bei der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken wahrgenommen und sei zuletzt am 19. Februar 2019 dort vor Ort gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 8 K 19.30376) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG) gegen die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom 5. Februar 2019 anzuordnen, bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag ist schon unzulässig.
Der Antrag ist wegen Versäumung der Antragsfrist unzulässig. Der laut Behördenakte am 6. Februar 2019 zur Post aufgegebene Bescheid wurde laut Antragstellerbevollmächtigten am 11. Februar 2019 zugestellt. Der bei Gericht am 28. Februar 2019 eingegangene Sofortantrag wahrt die zweiwöchige Antragsfrist (vgl. VG Ansbach, B.v. 25.1.2019 – AN 17 S 19.30019 – juris; VG Würzburg, B.v. 24.3.2017 – W 5 S 17.31216 – juris m.w.N.) offenkundig nicht.
Des Weiteren ist zweifelhaft, ob der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis hat, da dem Antragsteller mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 30 Abs. 5 Satz 2 AsylG eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes zur Verfügung steht. Die streitige Rechtsfrage (vgl. jeweils m.w.N. VG Ansbach, B.v. 25.1.2019 – AN 17 S 19.30019 – juris; VG Berlin, B.v. 16.1.2019 – 34 L 442.18 A – juris; VG Würzburg, B.v. 24.3.2017 – W 5 S 17.31216 – juris; VG Würzburg, B.v. 10.2.2017 – W 6 S 17.30513) braucht vorliegend nicht abschließend entschieden zu werden.
Abgesehen von der Unzulässigkeit des Antrags ist dieser auch unbegründet.
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist anzumerken, dass der Antragsteller gegen seine Mitwirkungspflichten, über die er seitens der Antragsgegnerin korrekt belehrt wurde, verstoßen hat, weil er wiederholt untergetaucht ist, zuletzt vom 25. Januar 2019 bis 6. Februar 2019, wie die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin mitgeteilt hat. Infolgedessen gilt der Antrag als zurückgenommen, weil der Antragsteller sein Verfahren nicht betrieben hat. Das Nichtbetreiben wird unter anderem vermutet, wenn er untergetaucht ist (§ 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG). Es liegt ein fiktiver Fall der Antragsrücknahme vor.
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass sich der Antragsteller zuletzt im Zeitraum vom 25. Januar 2019 bis 6. Februar 2019, also 12 Tage, nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten hat. Der Antragsteller hat selbst eingeräumt, dass er in diesem Zeitraum nicht dauerhaft in seinem Zimmer in der ihm zugewiesenen Einrichtung aufzufinden gewesen sei, wenn auch in unmittelbarer Nähe. Der Umstand, dass er zuvor am 24. Januar 2019 einen Termin bei der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken wahrgenommen habe und auch zuletzt am 19. Februar 2019 vor Ort gewesen sei, ändert nichts am Untertauchen im streitgegenständlichen Zeitraum. Denn für ein Untertauchen genügt es, wenn der Betreffende für einen gewissen Zeitraum nicht auffindbar ist. Hier hat sich der Antragsteller an einem den zuständigen Behörden unbekannten anderen Ort – wenn auch womöglich auf dem Unterkunftsgelände in einem anderen Zimmer – aufgehalten. Der Begriff des Untertauchens i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist damit erfüllt. Denn nach der Gesetzesbegründung gilt ein Ausländer i.S. der genannten Vorschrift als untergetaucht, wenn er für die staatlichen Behörden nicht auffindbar und damit auch nicht erreichbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 4 B 18.30514 – juris).
Der Antragsteller hat selbst nicht vorgebracht, dass er sich im Zeitraum vom 25. Januar 2019 bis 6. Februar 2019 an einem den zuständigen Behörden jederzeit bekannten und für diese jederzeit auffindbaren Ort aufgehalten hat. Der Antragsteller hat insbesondere nicht glaubhaft dargetan, dass er den Wechsel seines konkreten Aufenthaltsortes der zuständigen Ausländerbehörde im Vorhinein bekannt gegeben, geschweige denn mit dieser abgestimmt habe. Der Tatbestand des Untertauchens ist wie ausgeführt auch erfüllt, wenn sich der Betreffende womöglich auf dem Gelände der Unterkunft bzw. innerhalb der Unterkunft eigenmächtig in anderen Räumlichkeiten und dadurch an einem für die Behörden unbekannten Ort aufhält.
Weiter erfüllt die Dauer von 12 Tagen den Tatbestand des Untertauchens, weil es dafür in Anlehnung an die Vorschrift des § 66 Abs. 1 Nr. 2 AsylG genügt, wenn der Betreffende eine Woche unbekannten Aufenthalts ist (BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 4 B 18.30514 – juris).
Des Weiteren ist auch unschädlich, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides wieder aufgetaucht war. Denn die in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG enthaltene Vermutung des Nichtbetreibens des Verfahrens setzt nicht voraus, dass der Zustand des Untertauchens auch dann noch vorliegt, wenn das Bundesamt seine Einstellungsentscheidung trifft. Denn die Vorschrift knüpft durch ihren eindeutigen Wortlaut nicht auf den Zeitpunkt der lediglich deklaratorischen Entscheidung nach § 32 AsylG, sondern auf den vorherigen Zeitpunkt des Entstehens der widerlegbaren Vermutung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG und die dort zugleich eintretende Rechtswirkung der Rücknahmefiktion nach § 33 Abs. 1 AsylG an. Ist ein Asylbewerber infolge der unangemeldeten Abwesenheit für die zuständigen Stellen nicht mehr auffindbar, so treten die Vermutungs- und Fiktionswirkung des § 33 Abs. 1 und 2 AsylG unmittelbar kraft Gesetzes ein, sobald die für ein Untertauchen begriffsnotwendige einwöchige Mindestdauer des unbekannten Aufenthalts erreicht ist. Auch aus § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG ergibt sich nicht, dass das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des Untertauchens, dessen Erfüllung in der Vergangenheit eine dauerhafte Rechtsfolge wie die Fiktion der Antragsrücknahme bewirkt hat, noch bis zur abschließenden Entscheidung im Gerichtsverfahren gegeben sein müsste (BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 4 B 18.30514 – juris).
Nach alledem war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Nach dem Vorstehenden war mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache auch der Prozesskostenhilfeantrag sowohl im vorliegenden Sofortverfahren als auch im Hauptsacheverfahren W 8 K 19.30376 abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).
Abschließend wird noch angemerkt, dass es dem Kläger unbenommen bleibt, bei der Antragsgegnerin einen Antrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen.


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