Verwaltungsrecht

Entwässerungseinrichtung eines Kirchengebäudes

Aktenzeichen  20 ZB 19.1879

Datum:
11.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19505
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 lit. a
AO § 227
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Bei dem Kriterium der Unbilligkeit handelt es sich im Rahmen des § 227 AO um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Ergibt demnach die Rechtsanwendung, dass die Einziehung der Abgabe nicht unbillig ist, ist ein entsprechender Antrag abzulehnen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gemeinde ist nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 KAG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, alle Grundstücke im Geltungsbereich ihres Ortsrechts im Hinblick auf ihre Beitragspflichtigkeit gleich zu behandeln. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Normausprägung der Kommunalabgabengesetze der Länder lässt sich entnehmen, dass sich die Landesgesetzgeber in sachlich, also grundstücksbezogen, begründeten Härtefällen eher der Billigkeitsentscheidung einer Stundung nach § 222 AO, die nicht zum Erlöschen der Abgabeschuld führt, öffnen, als der des Erlasses nach § 227 AO. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 11 K 18.1551 2019-08-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 30.997,24 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor oder werden schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt.
1.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils werden mit dem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt.
a. 
Das Zulassungsvorbringen, das sich auf die Wiederholung der bereits erstinstanzlich vorgetragenen Rechtsauffassung beschränkt, legt hinsichtlich der für eine Erlassentscheidung erforderlichen „Unbilligkeit“ keine neuen Anhaltspunkte dar, die eine Abweichung von den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts rechtfertigen könnten. Insoweit fehlt es bereits an dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Erhebung des festgesetzten Beitrags nicht unbillig im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 227 AO sei und der Kläger keinen Rechtsanspruch auf den begehrten Erlass der Beitragsforderung habe. In der neueren Rechtsprechung des BFH und des BVerwG ist geklärt, dass es sich – entgegen der Annahme des Klägers – bei dem Kriterium der Unbilligkeit im Rahmen des § 227 AO um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterliegt (Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 163 Rn. 20a unter Verweis auf den Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 – GmS-OGB 3/70 – BStBl 1972, 603 – juris Rn. 29 ff.; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand April 2020, § 227 AO Rn. 22 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH, z.B. BFH Großer Senat, B.v. 28.11.2016 – GrS 1/15 – BStBl. 2017, 393, juris Rn. 106 und 105 zur Rechtsprechung des BVerwG). Ergibt demnach die Rechtsanwendung, dass die Einziehung der Abgabe nicht unbillig ist, ist ein entsprechender Antrag abzulehnen. Eine Ermessensausübung der zuständigen Behörde darüber hinaus findet im Anwendungsbereich des § 227 AO nicht statt. Dieser Rechtsauffassung tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen.
Das Verwaltungsgericht ist weiterhin zutreffend davon ausgegangen, dass die seitens des Klägers allein geltend gemachte sachliche Unbilligkeit nicht vorliege, weil sich die Heranziehung des Kirchengebäudes zum Herstellungsbeitrag für die Entwässerungseinrichtung der Beklagten aus geltendem Satzungsrecht ergebe. Auch nach dem derzeit gültigen Satzungsrecht der Beklagten (§ 2 BGS/EWS v. 27.2.2019), das mit dem zum Zeitpunkt der Entstehung der streitgegenständlichen Beitragsforderung gleichlautend ist (§ 2 BGS/EWS v. 17.11.2014), unterliegen alle bebauten Grundstücke, für die ein Recht zum Anschluss an die Entwässerungseinrichtung besteht, der Beitragspflicht. Es kann – insbesondere angesichts der unverändert gebliebenen Satzungsbestimmung des § 2 BGS/EWS – nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte den Umstand, dass von dieser Satzungsbestimmung auch Kirchengebäude betroffen sind, nicht gesehen hat. Vielmehr ist sie nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, alle Grundstücke im Geltungsbereich ihres Ortsrechts im Hinblick auf ihre Beitragspflichtigkeit gleich zu behandeln (vgl. zu kirchlichen Grundstücken (Friedhofsgrundstück im Erschließungsbeitragsrecht) BVerwG, U.v. 4.5.1979 – IV C 25.76 – BeckRS 1979, 00892 Rn. 37 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 4.10.1965 – 1 BvR 498/62 – BVerfGE 19, 129 (133)). Diesem Umstand trägt die Satzungsbestimmung Rechnung. Die Heranziehung zum Beitrag erfolgt daher in Erfüllung des Abgabentatbestands und erschöpft sich darin. Es kommt gerade nicht zu einem „Überhang“, also zu einer Beitragserhebung, die dem Sinn der beitragsauslösenden Satzungsbestimmung derart zuwiderlaufen würde, dass sie über eine Billigkeitsentscheidung in Form des Erlasses ausgeglichen werden müsste (vgl. Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungs- und Unternehmensrecht, Stand August 2020, Teil III, Frage 27 Anm. 9).
b. 
Das weitere Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht setze seine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle des Stadtrats der Beklagten, geht ins Leere, weil bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 227 AO nicht erfüllt sind.
c. 
Da der Kläger keinen Anspruch auf den begehrten Erlass hat, begegnet die Annahme des Verwaltungsgerichts, es komme auf die Frage der formellen Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides, insbesondere auf die Organzuständigkeit, nicht an, keinen rechtlichen Bedenken. Streitgegenstand der Versagungsgegenklage nach § 113 Abs. 5 VwGO im Hauptantrag ist allein das Bestehen eines Anspruchs auf Erlass der Beitragsschuld bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlass; die Aufhebung des Versagungsbescheides aus Gründen formeller Rechtswidrigkeit kann daneben nicht isoliert geltend gemacht werden (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 30; Schübel-Pfister in Eyermann, a.a.O., § 113 Rn. 40 m.w.N.).
Nachdem weder ein Anspruch auf den begehrten Erlass noch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlassantrag besteht, macht die Aufhebung der ablehnenden Entscheidung keinen Sinn, da sie den Kläger seinem Rechtsschutzziel nicht näher zu bringen vermag. Eine Konstellation, in der eine isolierte Aufhebung der ablehnenden Entscheidung für zulässig erachtet wird (vgl. Rennert in Eyermann, a.a.O., § 121 Rn. 30 a.E.) liegt ersichtlich nicht vor.
d. 
Einen prozessual durchsetzbaren Anspruch der „Entscheidungen der richtigen Stelle“ hat der Kläger nur, soweit ihm ein materieller Anspruch zusteht. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil nach der nicht substantiiert angegriffenen rechtlichen Würdigung des Verwaltungsgerichts kein Fall der Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO vorliegt. Ein Anspruch auf den Vollzug der Beschlüsse des Stadtrats der Beklagten vom 12. Dezember 2016 und 24. Juli 2017 steht dem Kläger aber schon deshalb nicht zu, weil Beschlüsse des Gemeinderats als Akte der Willensbildung interne Vorgänge sind, solange sie nicht durch ihren Vollzug Außenwirkung erlangen. Sie begründen grundsätzlich keine Rechte Dritter (Wachsmuth in PdK Bayern, BayGO, Stand Mai 2015, Art. 51 Erl. 4.).
e. 
Letztlich kann der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere aufgrund des Umstandes, dass während der fortdauernden tatsächlichen Nutzung als Kirchengebäude ein Anschlussbedarf an die Entwässerungseinrichtung nicht entstehen dürfte, durch die Gewährung einer Stundung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 222 AO der noch offenen Beitragsforderung Rechnung getragen werden. Der Normausprägung der Kommunalabgabengesetze der Länder lässt sich entnehmen, dass sich die Landesgesetzgeber in sachlich, also grundstücksbezogen, begründeten Härtefällen eher der Billigkeitsentscheidung einer Stundung nach § 222 AO, die nicht zum Erlöschen der Abgabeschuld führt, öffnen, als der des Erlasses nach § 227 AO. Dies zeigt sowohl die Regelung des Art. 13 Abs. 3 KAG für landwirtschaftliche Grundstücke, als auch beispielsweise § 7b Abs. 2 bis 6 des Thüringer KAG. Die Möglichkeit eines Erlasses nach § 227 AO haben die Landesgesetzgeber in Fällen sachlicher Härte hingegen nicht weiter aufgegriffen, sondern es bei der allgemeinen Verweisung in die Abgabeordnung belassen.
Eine Stundung kann demnach aber nur nach besonderer Prüfung der Umstände des Einzelfalls in Betracht kommen.
2.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird nicht dargelegt. Die Frage, ob der Anspruch aus einem Abgabeschuldverhältnis erlassen werden kann, ist – wie das Zulassungsvorbringen selbst ausführt – immer eine Frage des Einzelfalls und einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren schon aus diesem Grund nicht zugänglich (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Auf die Frage, ob der Oberbürgermeister als zuständiges Organ der Beklagten gehandelt hat, kam es, wie oben unter 1. c. dargestellt, für die angegriffene Entscheidung nicht an, so dass dieser Frage die für die Grundsatzbedeutung erforderliche Klärungsfähigkeit fehlt (Happ a.a.O.).
3.
Schließlich ist auch eine Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht dargelegt. Insofern bleibt bereits im Unklaren, inwieweit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf einer Abweichung von der genannten Rechtsprechung beruhen sollte (Happ a.a.O. § 124a Rn. 73). Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht mangels des Vorliegens einer Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO nicht, so dass kein Fall des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.


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