Verwaltungsrecht

Erfolglose Beschwerde gegen eine das Begehren nach vorübergehender Aussetzung der Abschiebung (Duldung) ablehnende gerichtliche Eilentscheidung

Aktenzeichen  10 CE 18.993

Datum:
19.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14558
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 6
GG Art. 6 Abs. 1, Abs. 2
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Allein der Umstand, dass Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht nicht aus, um die Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens unter Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie nach dem GG und der Achtung des Familienlebens nach der EMRK zu begründen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 18.197 2018-04-09 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 18.993 und 10 C 18.994 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Unter Abänderung der Nr. IV. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. April 2018 wird der Streitwert für das Eilverfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 1.250 Euro festgesetzt.
V. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihre in erster Instanz erfolglosen Anträge weiter, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, eine Abschiebung der Antragstellerin für zunächst mindestens zwölf Monate auszusetzen (1.), und ihr für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen (2.).
Die zulässigen Beschwerden, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbindet, sind unbegründet.
1. Die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren 10 CE 18.993 eingelegte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass ein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung; § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) gerichteter Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) bzw. nicht vorliegt. Es ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass selbst ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG allein noch nicht auf eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG führe, weil die Antragstellerin nicht mit dem erforderlichen Visum gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG eingereist (allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und das der Behörde gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bezüglich des Absehens vom Visumerfordernis eingeräumte Ermessen in ihrem Fall nicht auf Null reduziert ist. Dabei hat es zutreffend auf die Bedeutung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung und das daraus folgende gewichtige öffentliche Interesse an der Einhaltung dieses Verfahrens zur Erreichung des Ziels einer wirksamen Einwanderungskontrolle verwiesen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 11.1.2011 – 1 C 23.09 – juris Rn. 31, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 – 1 C 1.16 – juris Rn. 36). Eine Ermessensreduzierung auf Null aufgrund besonderer Umstände hat das Verwaltungsgericht insbesondere auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 8 EMRK verneint.
Demgegenüber rügt die Antragstellerin, die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann, der bei einer Baufirma fest angestellt sei und ca. 2.000 Euro netto monatlich verdiene, und ihrer am 20. Mai 2017 geborenen Tochter L., die von ihr noch gestillt werde, würde bei einer Nachholung bzw. Durchführung des Visumverfahrens in unzumutbarer Weise auseinandergerissen. Das Visumverfahren in der deutschen Botschaft in Pristina (Kosovo) dauere ein Jahr und länger; selbst für die Vereinbarung eines Termins bei der Botschaft seien mindestens sechs Monate zu veranschlagen. Sie könne daher weder darauf verwiesen werden, sich zur Durchführung dieses Verfahrens auf unabsehbare Zeit von ihrer Tochter und ihrem Ehemann zu trennen, noch die familiäre Lebensgemeinschaft (vorübergehend) im gemeinsamen Herkunftsland Kosovo zu führen. Denn letzteres sei infolge der schlechten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse dort tatsächlich unmöglich. Dies habe das Verwaltungsgericht verkannt und den Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG nicht hinreichend berücksichtigt. Aufgrund dieser Umstände ergebe sich eine Ermessensreduzierung auf Null.
Mit diesem Beschwerdevorbringen hat die Antragstellerin jedoch keine besonderen Umstände ihres Einzelfalls dargetan bzw. glaubhaft gemacht, aufgrund derer die Nachholung des Visumverfahrens für sie derzeit oder gar dauerhaft nicht zumutbar wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht darauf abgestellt, dass weder Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Einreise und Aufenthalt gewährleisten und dies auch für den Nachzug zu berechtigterweise in Deutschland lebenden Familienangehörigen gilt. Zwar braucht es ein betroffener Ausländer mit Blick auf Art. 6 GG nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung seiner familiären Bindungen daran gehindert zu werden, bei seinen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen Aufenthalt zu nehmen. Allein der Umstand, dass die Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht jedoch für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 19 CS 14.1576 – juris Rn. 41, B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 u.a. – juris Rn. 67; BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 – 1 C 1.16 – juris Rn. 36). Hat der nachziehende Ehegatte – wie die Antragstellerin – ohne dies rechtfertigende Gründe das nationale Visumverfahren umgehen wollen, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (BVerwG a.a.O.). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass weder die Dauer des Visumverfahrens vom Kosovo aus noch die ca. ein Jahr alte Tochter der Antragstellerin und ihres Ehemanns als besondere Umstände des Einzelfalls zu werten sind, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar machten. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es im Verantwortungsbereich der Antragstellerin liege, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Bezüglich der Dauer des Visumverfahrens und der Wartezeiten beispielsweise für eine Terminbestätigung der deutschen Botschaft in Pristina befindet sich die Antragsteller im Übrigen in keiner anderen Situation als andere Betroffene, die in Fällen der Familienzusammenführung das Visumverfahren ordnungsgemäß vom Kosovo aus durchführen müssen.
2. Die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das einstweilige Rechtsschutzverfahren der Antragstellerin ist ebenfalls unbegründet. Aus den dargelegten Gründen ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die mit dem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3. Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren 10 CE 18.993 mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht vor.
Die Kostenentscheidung für die Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht, da weder Gerichtskosten anfallen noch Kosten erstattet werden können (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4, § 127 Abs. 4 ZPO).
Die Streitwertfestsetzung für das einstweilige Rechtsschutzverfahren der Antragstellerin in beiden Rechtszügen beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, bei Duldungen in der Hauptsache den halben Auffangwert zugrunde zu legen (vgl. auch Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon regelmäßig wiederum die Hälfte anzusetzen (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 18.994 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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