Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage wegen fehlender Inanspruchnahme internen Schutzes

Aktenzeichen  Au 6 K 17.35376

Datum:
15.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 3c, § 3e, § 4 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Familie der Klägerin kann mangels Territorialgewalt kein territorial relevanter privater Verfolger im Sinne des § 3c AsylG sein. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der türkischen Staat ist grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig gegenüber bedrohten Frauen. (Rn. 27 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch wenn eine Zwangsverheiratung und erst recht ein daran anknüpfender sog. „Ehrenmord“ bzw. eine sog. „Blutrache“ einen ernsthaften Schaden iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG darstellen kann, ist die Klägerin auf den von ihr bis zu ihrer Ausreise nicht in Anspruch genommenen internen Schutz zu verweisen (§ 3e iVm § 4 Abs. 3 S. 1 AsylG). (redaktioneller Leitsatz)
4 Die erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Klägerin würde im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 21. November 2018 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG, da bereits die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG die Asylzuerkennung ausschließt.
Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – BVerwGE 100, 23). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – DVBl 1996, 729) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen sicheren Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann. Dies ist vorliegend wegen der Einreise mit dem Pkw aus Italien nach Deutschland der Fall. Die Anerkennung als Asylberechtigte scheidet daher nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG aus. Ausnahmen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylG liegen nicht vor, zumal es sich mangels Datenbanktreffer wohl um ein gefälschtes Schengen-Visum für die Einreise nach Italien gehandelt hat, das nicht zuständigkeitsbegründend für Deutschland sein kann (vgl. zur hier gerade nicht vorliegenden Voraussetzung eines echten, wenn auch durch Täuschung erlangten Visums Art. 12 Abs. 5 VO 604/2013/EU).
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris) entspricht.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Die Klägerin hat keine staatliche Verfolgung in der Türkei als Individualverfolgung geltend gemacht.
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten zu folgen, wonach die Klägerin keine fluchtrelevanten an sie individuell gerichteten staatlichen Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert hat, sondern lediglich die Drohungen ihrer Familie aus der Türkei. Diese ist allerdings mangels Territorialgewalt kein territorial relevanter privater Verfolger im Sinne des § 3c AsylG.
aa) Für eine Verfolgung durch Unterlassen seitens des türkischen Staates bestehen keine Anhaltspunkte, denn dieser ist grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig gegenüber bedrohten Frauen (dazu sogleich).
Der türkische Staat wurde von der Klägerin aber vor ihrer Ausreise gar nicht um Schutz angegangen und hatte daher weder Anlass noch Möglichkeiten, ihr Schutz zu gewähren. Von einem Unterlassen kann daher mangels Handlungsoption keine Rede sein, worauf die Beklagte im Ergebnis auch ihre Argumentation stützt.
Bekannt ist, dass der Schutz von Frauen vor Gewaltdelikten in der Türkei noch große Defizite aufweist. Mit einem im März 2012 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Frauen und Familienangehörigen vor häuslicher Gewalt haben nun zwar auch unverheiratete Frauen Anspruch auf staatlichen Schutz. Insgesamt bleiben jedoch die praktische Umsetzung der gesetzlichen Regelungen lückenhaft und die Zufluchtsmöglichkeiten für von Gewalt betroffene Frauen etwa in staatlichen Frauenhäusern ungenügend (vgl. Lagebericht ebenda S. 19; zu Zwangsverheiratungen und „Ehrenmorden“ S. 21 f.):
Das Heiratsalter ist im Jahr 2002 gesetzlich auf 17 Jahre für beide Geschlechter festgelegt worden (mit richterlichem Beschluss und Zustimmung der Eltern 16 Jahre). Diese Vorschrift wird allerdings häufig durch eine von einem Imam vollzogene, amtlich nicht anerkannte, Trauung umgangen. Nach Angaben des türkischen Amts für Statistik ist der Prozentsatz der 16-19 jährigen Frauen bei zivilen Eheschließungen zwischen 2006 und 2013 von 28% auf 24% gesunken. Einer Ende 2014 veröffentlichten Studie der Hacettepe-Universität zufolge wurden 3,3% der heute zwischen 20-49 jährigen Frauen in der Türkei im Alter unter 15 Jahren verheiratet, 20,8% vor ihrem 18. Geburtstag. Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass das Alter von minderjährigen Mädchen zunehmend nach oben „korrigiert“ werde, um eine zivile Heirat zu ermöglichen (vgl. Lagebericht ebenda S. 21).
In der Türkei kommt es immer noch zu so genannten „Ehrenmorden“, d. h. insbesondere zu der Ermordung von Frauen oder Mädchen, die eines sog. „schamlosen Verhaltens“ aufgrund einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines „Verbrechens in der Ehe“ verdächtigt werden. Dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein. Auch Männer werden – vor allem im Rahmen von Familienfehden (Blutrache) – Opfer von sog. „Ehrenmorden“, z. T. weil sie „schamlose Beziehungen“ zu Frauen eingehen bzw. sich weigern, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Zu diesen Morden gibt es keine offiziellen statistischen Angaben; sie wurden seit 2008, als das Amt für Menschenrechte für das Jahr 2007 183 „Ehrenmorde“ an Frauen registrierte, nicht weitergeführt. Dem Anfang 2007 veröffentlichten Bericht einer „Ehrenmord“-Kommission des Parlaments zufolge kam es in den Jahren 2001 bis 2006 zu 1.190 sog. „Ehrenmorden“ und Blutrachedelikten, davon 710 an Männern und 480 an Frauen/Mädchen. Die generell bei Gewalt gegen Frauen steigenden Zahlen der letzten Jahre können ein Hinweis sein, dass mehr Straftaten bekannt und verfolgt werden bzw. Frauen eher bereit sind, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Diese Tendenz wird auch durch belastbare Aussagen des Menschenrechtsvereins İnsan Hakları Derneği (IHD) gestützt (vgl. Lagebericht ebenda S. 21 f.; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 71 ff.). Mädchen, die aufgrund einer Vergewaltigung ihre Jungfräulichkeit verloren haben, sind oft unmittelbar bedroht (vgl. Lagebericht ebenda S. 22). Nach den letzten verfügbaren Angaben des Generaldirektorats für Frauenstatusfragen sind 2007 und 2008 insgesamt 1.985 Frauen infolge häuslicher Gewalt gestorben. Polizeilich erfasst wurden im Zeitraum Februar 2010 bis August 2011 rund 80.000 Fälle häuslicher Gewalt. NROs gehen jedoch grundsätzlich davon aus, dass sich nur eine von acht Frauen bei häuslicher Gewalt überhaupt an Außenstehende wendet. Eine im Januar 2009 vom Generaldirektorat veröffentlichte Studie zu Gewalt an Frauen in der Familie kommt zu dem Schluss, dass jede fünfte Frau ab 15 Jahren von körperlicher Gewalt und jede dritte von sexuellen Übergriffen betroffen ist. Jede siebte Frau gab zudem an, als Kind (unter 15) sexuell missbraucht worden zu sein (vgl. Lagebericht ebenda S. 22).
Regierung und Nichtregierungsorganisationen bestätigen, dass sich die Polizeiarbeit beim Umgang mit Gewaltopfern verbessert hat. Dennoch wurde Erhebungen türkischer Frauen-NROs zufolge 2011 73% der um staatlichen Schutz bittenden Frauen die Unterstützung verwehrt. Eine im Juli 2012 vorgestellte Studie des türkischen Innenministeriums bestätigt, dass Behörden und Polizei auf kommunaler Ebene häufig nur unzureichend über die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt informiert sind. Seit 2005 müssen Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern, soweit es ihre finanzielle Kapazität erlaubt, Frauenhäuser einrichten. Tatsächlich existieren nach Angaben des türkischen Familienministeriums Ende 2017 insgesamt 137 staatliche Frauenhäuser mit einer Kapazität von insgesamt 3.443 Plätzen. Nach Aussage staatlicher Stellen stehen diese Einrichtungen auch Rückkehrern zur Verfügung (vgl. Lagebericht ebenda S. 22).
Insoweit ist die Klägerin – wie von der Beklagten in ihrem Bescheid ausführlich und nachvollziehbar gewürdigt – zunächst auf diese Möglichkeiten staatlichen Schutzes zu verweisen, die sie bisher nicht beantragt bzw. beansprucht hat. Zudem ist die Klägerin als gebildete Frau auch eher in der Lage, in einer türkischen Großstadt alleine zu leben, wie sie dies mit ihrer geplanten Einschreibung an einer Universität und Aufnahme eines Studiums auch vor ihrer Ausreise geplant hatte.
bb) Für eine Verfolgung durch aktives Handeln seitens des türkischen Staates bestehen erst recht keine Anhaltspunkte.
Gegen ein landesweites staatliches Verfolgungsinteresse sprechen der ihr am 30. November 2015 in … wegen Verlusts neu ausgestellter Nüfus (BAMF-Akte Bl. 46 f. mit Übersetzung Bl. 92) und der am 2. November 2015 in … ausgestellte und bis 2. November 2025 gültige Reisepass. Angesichts der nicht erst aber besonders seit dem Putschversuch im Juli 2016 bekannt strengen Erteilungsvoraussetzungen für Reisepässe und der Grenzkontrollen (dazu unten), ist nicht von einer staatlichen Verfolgung durch aktives staatliches Handeln auszugehen.
b) Die Klägerin hat keine staatliche Verfolgung als Gruppenverfolgung in der Türkei geltend gemacht. Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung liegen auch sonst nicht vor (vgl. in std. Rspr. VG Augsburg, U.v. 13.11.2018 – Au 6 K 17.33234 – juris Rn. 26 ff.).
c) Schließlich steht der nicht staatlich verfolgten Klägerin eine sichere inländische Zuflucht in der Westtürkei offen.
Die erwerbsfähige Klägerin ist – wie vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid ausgeführt – grundsätzlich im Stande, ihr Existenzminimum – ggf. unter (ergänzender) Zuhilfenahme staatlicher Unterstützung (vgl. unten zur Existenzsicherung zu § 60 Abs. 5 AufenthG) in zumutbarer Weise zu sichern. Dass der Familienverband in Deutschland sogar reisemotivierend war für die Reise von Italien nach Deutschland und ihr Onkel sie bereits im Bundesgebiet gegen ihre übrige Familie unterstützt, hat die Klägerin selbst angegeben. Zusätzlicher Schutz z.B. in Frauenhäusern ist kapazitätsmäßig in den städtisch geprägten Siedlungsregionen der Westtürkei auch eher erreichbar als im kurdisch dominierten und traditionell geprägten Südosten der Türkei (vgl. oben).
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Sie hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Auch wenn eine Zwangsverheiratung (vgl. BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 15.30241 – NVwZ 2016, 1271 f. Rn. 18 ff.) und erst recht ein daran anknüpfender sog. „Ehrenmord“ bzw. eine sog. „Blutrache“ einen ernsthaften Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG darstellen kann, ist die Klägerin hier auf den o.g. internen und von ihr bis zu ihrer Ausreise nicht in Anspruch genommenen internen Schutz zu verweisen (§ 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Der Klägerin steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.25.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
aa) Die erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Klägerin würde im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären (vgl. bereits oben zur zumutbaren inländischen Fluchtalternative). Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert (in std. Rspr. VG Augsburg, U.v. 9.10.2018 – Au 6 K 17.33922 – juris Rn. 89 ff.).
bb) Die Klägerin würde im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen einer Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
In der Türkei finden Einreisekontrollen für alle Personen statt. Bei dieser Personenkontrolle können türkische Staatsangehörige mit einem gültigen türkischen, sie zur Einreise berechtigenden Reisedokument die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen auch auf Inlandsflügen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier (vgl. Lagebericht ebenda S. 29). Die Einreisekontrollen wurden bereits im Zuge der Flüchtlingskrise verstärkt, nicht erst seit dem Putschversuch (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3), nun aber gezielter mit Listen mutmaßlicher Gülen- oder PKK-Anhänger (Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 2). Ein abgelehnter kurdischer Asylbewerber läuft bei der Rückkehr nicht Gefahr, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit verhaftet zu werden; hat er sich in Deutschland für kurdische Rechte oder Organisationen aktiv eingesetzt oder z.B. regelmäßig an pro-kurdischen Demonstrationen teilgenommen, erhöht dies das Risiko (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3 f., 28 f.; auch SFH ebenda S. 2, 3, 10 f.).
Da die Klägerin vor dem Putsch auf dem Luftweg kontrolliert die Türkei verlassen hat, ist nicht damit zu rechnen und auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie mit dem Putsch in Verbindung gebracht würde. Die Einreisekontrollen als solche stellen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
b) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Kläger nicht vor. Wegen des hohen medizinischen Standards in der Türkei (vgl. oben zu § 60 Abs. 5 AufenthG) wären dort auch psychotherapeutische Behandlungen, wie von der Klägerin geltend gemacht, erreichbar.
5. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG – mangels noch stärker zu berücksichtigender schutzwürdiger Belange der Klägerin – als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben