Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung eines kubanischen Staatsangehörigen im Asylstreitverfahren

Aktenzeichen  15 ZB 20.32403

Datum:
21.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38218
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen erschüttert worden sind (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 17 K 20.30047 2020-10-07 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger, ein kubanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Januar 2020, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt wurde, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Kuba oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 7. Oktober 2020 wies das Verwaltungsgericht Ansbach die vom Kläger erhobene Klage mit den gestellten Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Januar 2020 zu verpflichten, ihn als asylberechtigt anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der ausschließlich vom Kläger geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 2.10.2020 – 15 ZB 20.31851 – juris Rn. 3).
Die von der Klägerseite als grundsätzlich angesehene Frage:
„Ist staatlich gebilligtes Handeln gegen die LGBT-Community als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 1 u. 2 Alt. 2 AsylG zu werten, auch wenn auch andere Gruppen (etwa politische Oppositionsgruppen) diskriminiert werden?“
rechtfertigt nach den vorgenannten Maßstäben keine Berufungszulassung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
Der Kläger trägt hierzu mit seiner Antragsbegründung vor, das Verwaltungsgericht habe den spezifischen Charakter des vorliegenden staatlichen Handelns verkannt, soweit es einerseits ein grundsätzliches Verfolgungsmerkmal feststelle, weil es sich bei der kubanischen LGBT-Community um eine soziale Gruppe handele, und es ferner als zutreffend ansehe, dass der kubanische Staat politische Meinungsäußerungen – auch des Klägers – gezielt unterbinde, dann aber andererseits dennoch eine asylrelevante Verfolgungshandlung verneine, weil es sich vorliegend um kein spezifisch gegen LGBT gerichtetes Handeln handele, sondern sämtliche Gruppen hiervon betroffen seien. LGBT sei es in Kuba nur gestattet, sich in dem von der Staatsführung anerkannten Rahmen politisch zu betätigen und Meinungsäußerung zu betreiben. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei aber nicht die Vergleichsgruppe entscheidend – also die Frage, welche Gruppen noch unter staatlichem Handeln zu leiden hätten -, sondern die Tatsache, dass die LGBT-Community bereits selbst Subjekt diskriminierenden staatlichen Handelns sei. Soweit das Verwaltungsgericht festgestellt habe, dass ihm – dem Kläger – die Anwendung des im kubanischen Strafgesetzbuch vorgesehenen Tatbestands der „Gefährlichkeit“ aufgrund seiner wiederholten Teilnahme an nicht genehmigten LGBT-Demonstrationen drohen könne, dann aber auch hier die Verfolgungsqualität verneine, weil das drohende Strafverfahren keine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG darstelle, habe es den Umstand verkannt, dass er – der Kläger – genau in seiner Eigenschaft als homosexueller Mann von der Anwendung der Strafnorm betroffen sei. Die Frage sei klärungsbedürftig, weil die von der genannten Strafnorm Betroffenen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 u.a.) als eine soziale Gruppe anzusehen seien. Für die Praxis sei aber nicht das Bestehen der Strafnorm, sondern die Frage ihrer Anwendung in der Praxis relevant. Er – der Kläger – habe insofern individualisiert vorgetragen, dass er eine entsprechende Bestrafung befürchte und halte dies auch nicht für ausgeschlossen. Die aufgeworfene Frage sei unabhängig vom Einzelfall zu klären und klärungsfähig. Sie sei ferner auch für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam. Bei gebotener Annahme der drohenden Bestrafung als Verfolgungshandlung sei dies als relevanter Verstoß gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 3 EMRK anzusehen.
Mit dieser Argumentation vermag der Kläger die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht zu erfüllen.
Das Verwaltungsgericht führt in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils vom 7. Oktober 2020 (Seiten 11 f. der Urteilsausfertigung, im Folgenden UA) aus, dass aus Erkenntnismitteln ersichtlich sei, dass sich die Situation homosexuell lebender Menschen in Kuba als sozialer Gruppe i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 letzte Alt. AsylG über die letzten Jahre kontinuierlich und spürbar verbessert habe, wenngleich Homosexualität in der kubanischen Gesellschaft noch immer verpönt sei und gerade auch das öffentliche Ausleben homosexueller Zuneigung zwischen Menschen nicht gern gesehen werde. Das Verwaltungsgericht geht a.a.O. ferner unter Rekurs auf diverse Erkenntnismittel davon aus, dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, dass der kubanische Staat gegen Kundgebungen der LGBT-Community in diskriminierender Weise resp. aus Gründen der Verfolgung schwuler und lesbischer Menschen vorgegangen sei. Es sei wahrscheinlicher, dass die vom Kläger thematisierte Demonstration am 10. Mai 2019 aufgelöst wurde, weil sie ungenehmigt gewesen sei. Die Durchsetzung des gegebenen Ordnungsrahmens – hier des kubanischen Versammlungsrechts, dem alle Bürger Kubas unabhängig von asylerheblichen Merkmalen unterworfen seien – stelle für sich genommen keine asylrelevante Verfolgungshandlung dar und erweise sich insbesondere nicht als solche diskriminierend i.S. von § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG. Unabhängig davon, dass der Kläger das Verwaltungsgericht nicht von der Härte der staatlichen Reaktion ihm gegenüber habe überzeugen können (vgl. Seiten 13 und 14 UA), sei es zu der Überzeugung gelangt, dass der kubanische Staat den Kläger im Hinblick auf seine vorgetragenen Betätigungen für die Rechte der LGBT-Community in Kuba nicht als Regimekritiker angesehen habe, den es mit allen staatlichen Mitteln zu bekämpfen gelte (Seiten 14 ff. UA). Die Verhaftungen hätten auch nach dem klägerischen Vortrag ausschließlich im Zusammenhang mit der fehlenden staatlichen Genehmigung der dann aufgelösten, teilweise in Gewalt endenden Versammlungen gestanden. Hinsichtlich der vom Kläger angegebenen Treffen der Organisatoren der Versammlungen und Plakataktionen, an denen er nach eigenen Angaben beteiligt gewesen sei, habe es nach seinem eigenen Vortrag kein besonderes staatliches Verfolgungsinteresse gegeben. Die Treffen seien nach seinen eigenen Angaben vielmehr problemlos möglich gewesen.
Mit diesen Argumenten hat sich die Antragsbegründung speziell zur Untermauerung der Entscheidungserheblichkeit der als grundsätzlich angesehenen, auf die angebliche Diskriminierung der LGBT-Community zugeschnittenen Frage nicht im Einzelnen auseinandergesetzt. Mit den vorgenannten tragenden Erwägungen stellt das Verwaltungsgericht im Übrigen auf die höchstrichterlich geklärte Sichtweise ab, wonach eine ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht – hier die durch kubanisches Ordnungsrecht auferlegte Pflicht, Demonstrationen anzumelden – nicht als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 10 C 50.07 – BVerwGE 133, 203 = juris Rn. 24; B.v. 24.4.2017 – 1 B 22.17 – NVwZ 2017, 1204 = Rn. 14). Gleichzeitig geht es auf Basis des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts in der Sache nicht entscheidungserheblich um die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob „staatlich gebilligtes diskriminierendes Handeln gegen die LGBT-Community als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 1 u. Nr. 2 Alt. 2 AsylG zu werten“ ist. Unabhängig davon, dass der Kläger mit seiner Antragsbegründung schon nichts gegen die Sachverhaltsbewertung des Verwaltungsgerichts vorbringt, wonach das Vorgehen gegen die die LGBT-Community nicht aus Gründen diskriminierender Verfolgung homosexueller Menschen, sondern zur Durchsetzung des Ordnungs- und Versammlungsrechts (Anmeldungsgebot) erfolgt sei, lässt sich im Asylprozess die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge, die sodann bereits für sich genommen den Zugang zum Berufungsverfahren eröffnen würde, bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Im Asylverfahrensrecht ist aber der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht eröffnet (siehe § 78 Abs. 3 AsylG), sodass Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen nur über die – begrenzt eröffnete – Verfahrensrüge möglich sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 17; B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33307 – juris Rn. 14; B.v. 11.1.2019 – 14 ZB 18.31863 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Insgesamt geht es damit nicht entscheidungserheblich um die Frage einer asylerheblichen staatlichen Diskriminierung Homosexueller und / oder Oppositioneller in Kuba im Zusammenhang einer aktiven Betätigung in der Organisation LGBT. Mit seiner Fragestellung und seiner Argumentation in der Antragsbegründung wendet sich der Kläger daher in der Sache ausschließlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung bzw. gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts, ohne damit jedoch eine über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit einer entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage hinreichend darzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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