Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung mangels grundsätzlicher Bedeutung

Aktenzeichen  11 ZB 17.31010

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 505
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, § 80, § 83b
VwGO § 154 Abs. 2

 

Leitsatz

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist erfolglos, wenn keiner der Zulassungsgründe auch nur in Ansätzen hinreichend dargelegt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 K 16.31419 2017-05-02 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7). Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht.
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob sie als Angehörige der ethnischen Minderheit der Russen in der Ukraine sowie der Kläger zu 1. als Kriegsdienstverweigerer einer sozialen Gruppe nach Art. 10 Abs. 1d der Richtlinie 2011/95/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU, ABl Nr. L 337 S. 9) angehören. Als russischsprechende Ukrainer unterlägen sie einer besonderen Gefährdung und Benachteiligung. Nach dem ACCORD-Bericht vom 29. November 2016 hätten Angehörige von Minderheitengruppen wie die Roma Schwierigkeiten, sich als Binnenvertriebene registrieren zu lassen. Dabei handle es sich nicht nur um ein Phänomen bei den Roma. Aus einem Artikel im Internet vom 3. November 2016 über die ukrainischen Bemühungen, die russische Sprache aus den Medien zu drängen, werde deutlich, „dass eine unzulässige Anknüpfung an ethnische Merkmale als russisch-sprechender Ukrainer in der Ukraine“ bestehe. Die Benachteiligungen beträfen alle Lebensbereiche. Ferner gebe es nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH, B.v. 15.2.2016 – 11 ZB 16.30012 – juris) in der Ukraine keine konkrete rechtliche Grundlage für die Handhabung von Wehrdienstverweigerungen. Vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Lage in der Ukraine sei unklar, ob dem Kläger zu 1. der Rechtsweg tatsächlich offenstehe und keine unverhältnismäßige Bestrafung oder diskriminierende Strafverfolgung drohe und wie lange der ukrainische Oberste Gerichtshof für Zivil- und Strafrecht seine nicht gesicherte Rechtsprechung aufrechterhalte. Einer willkürlichen Rechtsprechungspraxis sei Tür und Tor geöffnet. Diese Rechtsprechungspraxis und das Fehlen einer rechtlichen Grundlage widersprächen dem Grundgedanken von rechtlichem Gehör, der Garantie von Rechtschutzprinzipien, dem ordre public und verstießen gegen Art. 35 der ukrainischen Verfassung.
Mit diesem Vortrag ist nicht annähernd hinreichend dargelegt und belegt, dass die Kläger als russischsprechende Ukrainer oder russische Volkszugehörige einer alle Lebensbereiche umfassenden bzw. asylrelevanten Benachteiligung ausgesetzt sind, und ebenso wenig dargelegt, welche rechtlichen Schlussfolgerungen aus der behaupteten Anknüpfung an ethnische Merkmale zu ziehen sind. Schon der aus angeblichen Bestrebungen, die russische Sprache aus den Medien zu drängen, und aus der zitierten Formulierung in einem Bericht von ACCORD über eine diskriminierende Behandlung von Minderheiten wie der Roma bei der Registrierung der Binnenvertriebenen gezogene Schluss ist nicht nachvollziehbar. Ferner wird nicht aufgezeigt, inwiefern der aufgeworfenen Frage über ihren Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.
Auch die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage, ob der Kläger zu 1. als „Kriegsdienstverweigerer“ einer sozialen Gruppe im Sinne von Art. 10 Abs. 1d RL 2011/95/EU angehört, haben die Kläger nicht schlüssig dargelegt. Diese Frage stellte sich dem Verwaltungsgericht schon nicht, weil es davon ausgegangen ist, dass der Kläger zu 1. keinen Einberufungsbefehl erhalten und deshalb keine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung und außerdem auch keine Einberufung zu befürchten hat, weil eine Mobilisierung nicht vorgesehen ist und er drei minderjährige Kinder hat. Für ihre Behauptung, dass staatliche ukrainische Stellen Männer rechtswidrig zum Wehrdienst einziehen würden, haben die Kläger keinerlei Erkenntnisse benannt, die die Feststellungen und die Wertung des Verwaltungsgerichts als unzutreffend oder zumindest zweifelhaft erscheinen ließen, obwohl es nach ihrer Darstellung solche Erkenntnisse gebe. Dem vorgelegten Urteil eines ukrainischen Strafgerichts vom 28. Mai 2015 lässt sich nichts entnehmen, was diese Behauptung stützen würde. Soweit ihren insoweit unklaren Ausführungen entnommen werden soll, dass sie eine rechtswidrige staatliche Einberufungspraxis aus Rekrutierungsbemühungen der Kräfte der selbsternannten Volksrepublik Donezk (DNR), also des Kriegsgegners in der Ostukraine, ableiten, wäre dies nicht nachvollziehbar. Zu Recht hat das Gericht eine etwaige Gefahr einer Einberufung durch separatistische Kräfte nicht als Verfolgung von staatlicher ukrainischer Seite angesehen. Sofern sie mit der Herstellung dieses Zusammenhangs meinen sollten, dass eine asylrelevante Verfolgung oder Gefährdung (im Sinne von § 3c Nr. 2 oder 3, § 4 Abs. 3 AsylG) auch von separatistischen Kräften der DNR ausgehen kann, wäre dies nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht, zum Teil im Weg der Bezugnahme gemäß § 77 Abs. 2 AsylG, angenommen hat, dass die Kläger in Landesteilen, die unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehen, vor Nachstellungen nicht-staatlicher militärischer Kräfte und Kriegshandlungen sicher wären. Dem haben sie lediglich die Behauptung entgegengesetzt, dass sie wegen ihrer Herkunft und ihrer Kirchenmitgliedschaft keine inländische Fluchtalternative hätten, ohne sich mit der durch aktuelle Erkenntnisse belegten Einschätzung des Gerichts auseinanderzusetzen, dass sie als Binnenvertriebene aus den umkämpften Gebieten dort Aufnahme finden könnten und ihnen weder als Anhänger des früheren Staatschefs Janukowitsch noch als Angehörige einer evangelischen Freikirche eine Verfolgung drohe. Insoweit haben sie sich auf keinen Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 AsylG berufen. Nachdem ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach dieser abschließenden Sonderregelung kein Grund für die Zulassung der Berufung sind, genügt es indes nicht, die erstinstanzliche gerichtliche Wertung lediglich mit einer gegenteiligen Behauptung anzugreifen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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