Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung mangels Vorliegen eines Verfahrensmangels

Aktenzeichen  9 ZB 17.30407

Datum:
20.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7252
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 2, § 138 Nr. 3
GG Art. 103
AufenthG § 60 Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1 Die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG sind auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach dem Wortlaut des § 60a Abs. 2c S. 2 und 3 AufenthG genügt das Attest einer psychologischen Psychotherapeutin zur Glaubhaftmachung einer die Abschiebung beeinträchtigenden psychischen Erkrankung nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, „ob die Vorgaben zu den qualitativen Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung in der Neuregelung des § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG Anwendung finden“, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung mehr, weil die Frage bereits beantwortet ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 15.31317 2017-01-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 GG) wegen der Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 9. Januar 2017 bedingt gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris Rn. 4 m.w.N.). Das gilt auch für einen – wie hier – hilfsweise gestellten Beweisantrag (vgl. BVerfG, B. v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13 m.w.N.). Dass ein Beweisantrag nicht unbedingt gestellt ist, entbindet das Gericht lediglich von der verfahrensrechtlichen Pflicht des § 86 Abs. 2 VwGO, über ihn vorab durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden, nicht aber von den sonst für die Behandlung von Beweisanträgen geltenden verfahrensrechtlichen Bindungen, wenn sie sich als erheblich erweisen (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 a.a.O.).
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hilfsweise beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass sie „an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) sowie an einer schweren depressiven Episode (ICD-10: F 32.2) sowie schweren körperlichen Beschwerden infolge einer Genitalverstümmelung leidet“, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Das Verwaltungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen des Urteils vom 10. Januar 2017 das Erfordernis weiterer Sachverhaltsermittlungen entsprechend dem gestellten Beweisantrag u.a. mit der selbstständig tragenden Begründung verneint, dass das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer Depression nicht substantiiert worden seien. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG werde vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Die gesetzliche Vermutung könne nur durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung widerlegt werden, die den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entspreche. Die vorgelegten Befunde genügten diesen Anforderungen nicht. Die außerdem geltend gemachten körperlichen Beschwerden der Klägerin im Zusammenhang mit einer erlittenen Genitalverstümmelung stellten für sich genommen keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG dar und seien daher nicht entscheidungsrelevant.
Zur Begründung ihres Zulassungsantrags trägt die Klägerin u.a. vor, dass die Vorlage eines ausführlichen Befundberichts einer psychologischen Psychotherapeutin entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Substantiierung des Beweisantrages ausreichend sei, weil § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Anwendung finde. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte und auch des erkennenden Senats, das die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris Rn. 6 m.w.N.). Aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und der Erwägung des Gesetzgebers ergibt sich, dass mit der Einführung des § 60a Abs. 2c AufenthG durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) im Wesentlichen die Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (10 C 8/07 – juris Rn. 15) nachvollzogen wurde. Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen, und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch lässt die Begründung zur Einführung des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG erkennen, dass der Gesetzgeber mit diesen Regelungen die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernis insgesamt erschweren wollte. Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG (BayVGH, B.v. 26.4.2018 a.a.O Rn. 7).
Die hieran anknüpfende Auffassung des Verwaltungsgerichts, Atteste von Psychologen und Psychotherapeuten stellten keine ärztlichen Bescheinigungen im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG dar, stützt sich auf neuere Rechtsprechung nach Einführung des § 60a Abs. 2c AufenthG, die im Urteil vom 10. Januar 2017 auch teilweise benannt ist (OVG LSA, B.v. 30.8.2016 – 2 O 31/16 – juris Rn. 9). Nach dem Wortlaut des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG genügt das Attest einer psychologischen Psychotherapeutin zur Glaubhaftmachung einer die Abschiebung beeinträchtigenden psychischen Erkrankung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 10 ZB 18.32973 – juris Rn. 1 ff.; SächsOVG, B.v. 9.5.2018 – 3 B 319/17 – juris Rn. 9; NdsOVG, B.v. 7.9.2018 – 10 LA 343/18 – juris Rn. 11; OVG Bremen, B.v. 13.6.2018 – 2 LA 50/17 – juris Rn. 7). Im Übrigen verneint das Verwaltungsgericht hinsichtlich der vorgelegten Befunde auch unabhängig vom jeweiligen Erfordernis der Ausstellung durch einen Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG.
Auf das weitere Zulassungsvorbringen zum Vorliegen eines Verfahrensmangels, welches sich auf die Frage der Notwendigkeit der Glaubhaftmachung traumaauslösender Ereignisse gegenüber dem Tatrichter sowie die Frage der hinreichenden Schwere der geltend gemachten psychischen Erkrankungen im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG und damit auf im Urteil des Verwaltungsgerichts zusätzlich angeführte Gründe für die Ablehnung des Beweisantrags bezieht, kommt es somit nicht mehr an. Dem im Zulassungsverfahren vorgelegten fachärztlichen Attest vom 24. Februar 2017 wäre allenfalls in einem Folgeverfahren gemäß § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG Bedeutung beizumessen (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 9 ZB 18.32420 – juris Rn. 6 m.w.N.).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2019 – 9 ZB 18.31719 – juris Rn. 2). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Die als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, „ob die Vorgaben zu den qualitativen Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung in der Neuregelung des § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Anwendung finden“, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung mehr, weil die Frage bereits beantwortet ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen unter dem vorhergehenden Gliederungspunkt wird verwiesen.
Die außerdem aufgeworfene Frage, „ob eine ausreichende Versorgungs- und Behandlungsmöglichkeit für Personen mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen in Sierra Leone gegeben ist“, ist nicht entscheidungserheblich bzw. in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig, weil das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, wie sich ebenfalls aus den obigen Ausführungen ergibt, für die Klägerin im Zulassungsverfahren gerade nicht als nachgewiesen angesehen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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