Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungantrag wegen Nutzungsänderung eines Speichers in  sechste Wohneinheit

Aktenzeichen  1 ZB 17.2545

Datum:
20.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9428
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, § 124 a

 

Leitsatz

1. Eine divergenzfähige Entscheidung liegt grundsätzlich nur vor, wenn sie ihrer Art nach da-rauf angelegt ist, eine Rechts- oder Tatsachenfrage abschließend zu entscheiden, was bei Beschlüssen, in denen die Sach- und Rechtslage nur summarisch geprüft wurde, nicht gegeben ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ernstliche Zweifel zur Rechtferigung der Berufungszulassung sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG BeckRS 2004, 21684). (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 16.4678 2017-11-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Speichers in einem bestehenden Mehrfamilienhaus in eine sechste Wohneinheit sowie für die Errichtung mehrerer Nebenanlagen. Das Landratsamt hat die Baugenehmigung wegen entgegenstehender Festsetzungen im Bebauungsplan der Beigeladenen abgelehnt. Die daraufhin erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 8. November 2017, dem Klägerbevollmächtigten am 23. November 2017 zugestellt, abgewiesen. Das Gericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Bauvorhaben der wirksame einfache Bebauungsplan der Gemeinde entgegenstehe. Die Unwirksamkeit einer einzelnen Festsetzung (Ziffer 7) im Bebauungsplan führe hier nicht zu dessen Gesamtunwirksamkeit.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor beziehungsweise sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Berufung ist nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Der von den Klägern für eine Divergenz herangezogene Einstellungs- und Kostenbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juli 2009 (Az. 1 B 09.609) ist keine Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Eine divergenzfähige Entscheidung liegt grundsätzlich nur vor, wenn sie ihrer Art nach da-rauf angelegt ist, eine Rechts- oder Tatsachenfrage abschließend zu entscheiden. Beschlüsse, in denen die Sach- und Rechtslage nur summarisch geprüft wurde, können eine Divergenz nicht begründen (vgl. BFH, U.v. 12.1.2011 – I K 1/10 – juris Rn. 9 zu § 138 Abs. 1, § 11 Abs. 2 FGO; BayVGH, B.v. 3.2.2020 – 3 ZB 18.2352 – juris Rn. 13; B.v. 9.8.2018 – 1 ZB 17.30447 – juris Rn. 2 zu § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG; Buchheister in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 132 Rn. 63 für Kostenentscheidungen nach § 161 Abs. 2 VwGO). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juli 2009 (Az. 1 B 09.609) erging in entsprechen-der Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO als Einstellungsbeschluss in Folge überein-stimmender Erledigungserklärungen. Im Rahmen der nach § 161 Abs. 2 VwGO getroffenen Kostenentscheidung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausweislich der Gründe dieses Beschlusses lediglich eine überschlägige Überprüfung der Sach- und Rechtslage vorgenommen. Eine abschließende Entscheidung über eine Rechts- oder Tatsachenfrage – insbesondere zur Frage der Gesamtwirksamkeit des Bebauungsplans – ist gerade nicht erfolgt. Der in entsprechender Anwendung von § 173 VwGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO erfolgte Ausspruch, dass das erstinstanzliche Urteil wirkungslos geworden ist, hat lediglich Klarstellungscharakter (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1961 – III C 137.61 – BVerwGE 13, 174), so dass sich auch hieraus entgegen der Auffassung der Kläger eine Divergenzfähigkeit des Beschlusses nicht ableiten lässt.
2. Der weiter angeführte Zulassungsgrund der ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wurde nicht innerhalb der Begründungsfrist den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durch-schlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils verlangt zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO eine substanzielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes. Eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2017 – 1 ZB 14.1681 – juris Rn. 4; B.v. 26.9.2016 – 15 ZB 16.1365 – juris Rn. 8; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 62 f.). „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist unter ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substanziierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2016 – 15 ZB 14.2686 – juris Rn. 22).
Der innerhalb der offenen Darlegungsfrist erfolgte Vortrag genügt diesen Anforderungen nicht. Die Begründung im Zulassungsantrag vom 18. Dezember 2017 erschöpfte sich im Wesentlichen in dem Versuch, eine Divergenz zu dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs vom 30. Juli 2009 1 B 09.609 aufzuzeigen. Eine inhaltlich substantielle Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, insbesondere zu der Ausführung des Verwaltungsgerichts, wonach in entsprechender Anwendung von § 139 Halbs. 2 BGB die Unwirksamkeit der Ziffer 7 des Bebauungsplans nicht zu einer Unwirksamkeit der streitentscheidenden weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans führt, ist nicht erfolgt. Der schlichte Verweis auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist unzureichend. Zum einen handelt es sich dort um keine sichere Aussage („dürfte“), zum anderen betrafen das Urteil vom 30. Juli 2009 (1 B 09.610) und der Beschluss vom 30. Juli 2009 eine Bebauung „in zweiter Reihe“. Mit der Frage, ob die Satzung für eine Bebauung „in erster Reihe“ teilwirksam sein kann (abgrenzbarer Anwendungsbereich, mutmaßlicher Wille der Gemeinde) hat sich der Senat nicht auseinandergesetzt. Dies wäre Aufgabe des Zulassungsantrags gewesen; es sind die Gründe darzutun, aus denen sich die Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellung ergeben.
Die nach Ablauf der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgten weiteren Ausführungen des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 31. Januar 2018 vermögen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar können die Zulassungsgründe nach Ablauf der zweimonatigen Frist noch ergänzt werden. Eine verfahrensrechtlich beachtliche Ergänzung setzt allerdings voraus, dass der konkrete zu ergänzende Zulassungsgrund in offener Frist bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 1 ZB 15.1897 – juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53).
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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