Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag auf Erteilung einer Duldung wegen anstehender Ausreise zur Nachholung der Visumserteilung (Nigeria)

Aktenzeichen  10 CE 21.748 ; 10 C 21.752

Datum:
24.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20874
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 52 Nr. 1, § 88, § 93 S. 1, § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 146 Abs. 4 S. 6
ZPO § 294 Abs. 2, § 920 Abs. 2
GG Art. 6, Art. 19 Abs. 4
EMRK Art. 8
AufenthG § 2 Abs. 9, § 10 Abs. 3 S. 1, § 25 Abs. 5, § 36 Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 1, § 60b, § 81 Abs. 3, Abs. 4
AufenthV § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3
BeschV § 4a Abs. 4, § 32 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Art. 6 GG gewährt keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. (Rn. 30) (red. LS Andreas Decker)
2. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. (Rn. 31) (red. LS Andreas Decker)
3. Grundsätzlich scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus. (Rn. 51) (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

Au 1 E 20.2821 2021-02-11 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 21.748 und 10 C 21.752 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 21.748 wird auf 3.750,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit den Beschwerden verfolgt der Antragsteller seine vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Anträge weiter, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm einstweilen eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG beziehungsweise eine Verfahrensduldung bis zur Verbescheidung des zuletzt gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen (10 CE 21.748) sowie ihm Prozesskostenhilfe für das Eilrechtsschutzverfahren zu bewilligen (10 C 21.752), und begehrt zudem erstmals im Beschwerdeverfahren die Erteilung einer einstweiligen Beschäftigungserlaubnis.
Der am … 1984 geborene Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 3. September 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte dort in der Folge einen Asylantrag.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 31. Juli 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Nigeria an.
In der Folge wurde der Antragsteller geduldet, zuletzt mit Duldung vom 27. November 2020, gültig bis zum 16. Dezember 2020.
Der Antragsteller hat zusammen mit einer im Oberallgäu lebenden nigerianischen Lebensgefährtin zwei gemeinsame Kinder, die am 24. Juni 2016 und am 25. Oktober 2018 geboren wurden. Die Mutter der Kinder hat zudem ein weiteres Kind, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Daher sind sowohl die Lebensgefährtin als auch die beiden Kinder des Antragstellers im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen.
Der Antragsteller ist im Bundesgebiet straffällig geworden. Mit Strafbefehl vom 30. Mai 2017 wurde gegen ihn wegen Urkundenfälschung eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verhängt. Bei einer Überprüfung hatte sich herausgestellt, dass es sich bei dem türkischen Passkontrollstempel im Nationalpass des Antragstellers sowie dem Schengenvisum um Totalfälschungen handelt. Der bis zum 31. Juli 2021 gültige Nationalpass des Antragstellers enthält keine Fälschungsmerkmale.
Am 14. November 2019 legte der Antragsteller dem Antragsgegner eine Registrierung für die Zuweisung eines Vorsprachetermins zur Beantragung eines Visums bei dem deutschen Generalkonsulat in Lagos vor. Am 4. Februar 2020 trafen der Antragsteller − im Beisein seines ehemaligen Bevollmächtigten − und der Antragsgegner eine Vereinbarung dahingehend, dass der Antragstellers bis zum 15. September 2020 den Termin zur Beantragung des Visums zur Familienzusammenführung sowie das Ausreisedatum (das kurz vor dem Termin liegen könne) mitteilen und bei Vorlage des Sprachzertifikats A1 eine Vorabstimmung beantragen würde, im Gegenzug würde der Antragsgegner die Duldung übergangsweise bis zur Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens aufrechterhalten und die Vorabzustimmung erteilen.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2020 beantragte der neue Bevollmächtigte des Antragstellers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG.
Mit E-Mail vom 19. November 2020 teilte eine Bekannte dem Antragsgegner mit, dass sie vergessen habe, den Termin bei dem Generalkonsulat in Lagos rechtzeitig zu stornieren.
Am 7. Dezember 2020 stellte der Antragsteller zudem einen Antrag auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 17. Dezember 2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Duldung (Nr. 1 d. Bescheidstenors) sowie auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis (Nr. 2) ab.
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2020 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht neben der Erhebung der Klage – zusammengefasst − beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG eine Duldung zu erteilen. Das Generalkonsulat in Lagos habe ihm mit E-Mail vom 12. November 2020 einen Termin am 19. November 2020 zugewiesen, den er wegen der siebentägigen Quarantäne nach Einreise nicht habe einhalten können.
Im Zuge des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 20. Januar 2021 unter anderem mit, dass der Antragsteller nach Auskunft des Generalkonsulats auf einen kurzfristig stornierten Termin eingebucht worden sei, dieser dann aber mitgeteilt habe, dass er sich noch im Bundesgebiet aufhalten würde. Daraufhin habe man ihm mitgeteilt, dass er sich nach Eintreffen in Nigeria erneut mit dem Generalkonsulat in Verbindung setzen solle, so dass ein neuer zeitnaher Termin vergeben werden könne. Dies sei allerdings nach Auskunft des Generalkonsulats nicht geschehen.
Mit angegriffenem Beschluss vom 11. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers (Nrn. I. d. Beschlusstenors) sowie dessen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Nr. IV.) abgelehnt. Zur Begründung führt es im Wesentlichen an, dass die Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG und die Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht wegen Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens infolge überlanger Trennung von der Familie und damit der Verletzung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich seien. Der Antragsteller habe es zu verantworten, dass die aufgrund der Vorabzustimmung kürzere familienfreundliche Gestaltung des Visumverfahrens gescheitert sei, da er sich weder um seine Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens noch um den Nachweis von Sprachkenntnissen bemüht habe. Die möglicherweise längerdauernde Trennung von der Familie sei ihm zumutbar. Das Verwaltungsgericht gehe von einer absehbaren Erteilung des Visums aus. Im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG seien die Auslandsvertretung und im Falle eines Rechtsstreits das Verwaltungsgericht Berlin bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und der Ausübung des Ermessens an Art. 6 GG gebunden. Das Visumverfahren diene in erster Linie der im öffentlichen Interesse stehenden Identitätsklärung des Betroffenen. Der Antragsteller könne im Vorfeld des Vorsprachetermins zusätzlich zum Reisepass weitere Unterlagen für die Identitätsklärung und die Urkundenüberprüfung vorlegen. Die Bearbeitungszeit liege insofern in der Hand des Antragstellers. Art. 20 AEUV sei nicht verletzt. Abgesehen davon, dass keine rechtlich geschützte Beziehung zwischen dem deutschen Kind und dem Antragsteller bestehe, sei nicht ersichtlich, dass das deutsche Kind de facto gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union dauerhaft zu verlassen.
Mit Schriftsatz vom 2. März 2021 hat der Antragsteller hiergegen Beschwerde eingelegt der Sache nach mit den Anträgen,
den Antragsgegner − unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 11. Februar 2021 − zu verpflichten, ihm bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG eine für drei Monate gültige Duldung zu erteilen und „ihm hierin sein Recht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu bescheinigen“, sowie ihm für das Eilrechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung führt er an, es stehe mit Sicherheit zu erwarten, dass das Generalkonsulat die Erteilung eines Visums gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG ablehnen werde, und zwar aufgrund der restriktiven Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz, hier der Nrn. 36.2.2., 36.2.2.3 und 36.2.2.7 VwV-AufenthG, sowie wegen der Aussagen im Visa-Handbuch des Auswärtigen Amtes zu den Anforderungen an die Annahme einer außergewöhnlichen Härte, zu der längeren Bearbeitungszeit und der besonderen Bedeutung der Sicherung des Lebensunterhalts. Das Verwaltungsgericht sei auf den Konflikt zwischen der Bindung an Art. 6 GG und den für § 36 Abs. 2 AufenthG geltenden Verwaltungsvorschriften, wonach die Betreuungsbedürftigkeit minderjähriger Kinder keinen Härtefall darstelle, nur sehr spärlich eingegangen. Gegen die ablehnende Visum-Entscheidung müsste der Antragsteller dann Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Berlin mit aktuellen Wartezeiten von circa zwei Jahren suchen. Abgesehen davon könnte die Ablehnung der Erteilung des Visums (wohl) ermessensfehlerfrei auf eine fehlende Sicherung des Lebensunterhalts gestützt werden. Die im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigte Mutter der Kinder des Antragstellers kümmere sich um diese und könne keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Es sei nahezu unmöglich, dass der Antragsteller von Nigeria aus einen gesicherten Lebensunterhalt werde nachweisen können, wenn er unabsehbar lange in Nigeria sei und für einen potentiellen Arbeitgeber die Rückkehr nicht feststünde. Die Annahme einer Visumerteilung entbehre damit jeglicher Grundlage. Bei einer Ausreise würde dem Antragsteller das Zusammenleben mit seinen Kindern daher auf unabsehbar lange Zeit unmöglich (unter Verweis auf: VG Bayreuth, B.v. 14.12.2020 – B 6 E 20.1227). Außerdem habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass es für die Erteilung einer Duldung nicht darauf ankomme, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könne, sondern ob seine Abschiebung unmöglich sei, und damit die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG mit denen des § 60a AufenthG vermischt. Letztendlich gehe das Verwaltungsgericht, wie dessen Formulierung zum Gebot der Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 GG bei Entscheidungen der Ausländerbehörde zeige, selbst davon aus, dass der Antragsteller nicht abgeschoben werden könne. Die Versagung der Duldung verletze den Antragsteller in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Mit der Versagung der Duldung sei es dem Antragsteller auch nicht mehr erlaubt, seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, mit welcher er im Rahmen seiner Möglichkeiten auch finanziell für seine Familie gesorgt habe. Die Versagung der Duldung verletze den Antragsteller in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG und greife auch in die Grundrechte seiner Kinder aus Art. 6 Abs. 1 GG ein, da diese nicht mehr eine finanziell angemessene Unterstützung durch ihren Vater erführen. Ergänzend bezieht sich der Antragsteller auf eine E-Mail des Auswärtigen Amtes vom 30. September 2020 zu der Erteilung eines Visums gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG mit Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde.
Mit Schreiben vom 31. März 2021 hat der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Er verweist insbesondere darauf, dass bei Vorlage einer Vorabzustimmung mit einer Bearbeitungszeit des Visumantrags von circa fünf Wochen zu rechnen sei. Voraussetzung sei, dass der Onlinetermin bei der Auslandsvertretung (Wartezeit derzeit ein Jahr) zur Vervollständigung der Dokumente genutzt und die gegebenenfalls erforderliche Urkundenüberprüfung in der Wartezeit erfolgreich abgeschlossen werde. Die zuständige Ausländerbehörde habe eine Vorabzustimmung in Aussicht gestellt. Der Antragsteller habe durch eigenes Verhalten das Visumverfahren verlangsamt. Der Antragsteller gehe fehl, wenn er den Anspruch auf Erteilung einer Duldung daraus herleite, dass keine hundertprozentige Sicherheit auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG bestehe. Der Antragsteller verkenne dabei, dass es sich bei § 36 Abs. 2 AufenthG um eine Ermessensentscheidung handele. Sonst wäre immer eine Duldung oder ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, wenn der Betroffene mit der Möglichkeit rechnen müsste, dass sein Visumverfahren erfolglos bliebe oder dieses aus seiner Sicht unangemessen dauern würde. Das würde die Vorschriften zum Familiennachzug ad absurdum führen. Bei Elternteilen, die einen Antrag auf Familiennachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG im regulären Visumverfahren aus dem Ausland stellten, habe der Gesetzgeber eine entsprechende Verfahrensdauer (ohne Vorabzustimmung) hingenommen. Der Antragsteller befinde sich in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die das Visumverfahren ordnungsgemäß durchführten und während dieser Zeit von ihrer Familie getrennt seien. Mit Schreiben vom 14. Juni 2021 hat der Antragsgegner sein Vorbringen ergänzt und eine E-Mail des deutschen Generalkonsulats vom 11. Juni 2021 adressiert an den Antragsteller vorgelegt, in dem es diesem einen neuen Termin zur Vorsprache für die Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung am 12. Juli 2021 mitteilt.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2021 hat der Antragsteller ausgeführt, dass trotz des Vorsprachetermins am 12. Juli 2021 ungewiss sei, ob und wann dem Antragsteller ein Visum ausgestellt würde, und sich vorrangig die Rechtsfrage nach der Auslegung des § 36 Abs. 2 AufenthG stelle.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet.
a) Die Beschwerden sind zulässig.
Dabei ist die Beschwerde in dem Beschwerdeverfahren 10 CE 21.748 mit Blick auf das Rechtsschutzziel des Antragstellers nach § 88 VwGO dahin auszulegen, dass neben der einstweiligen Beschäftigungserlaubnis eine einstweilige Duldung auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG beziehungsweise eine einstweilige Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt wird.
b) Die Beschwerden sind jedoch unbegründet.
Das Beschwerdevorbringen in dem Beschwerdeverfahren 10 CE 21.748, auf dessen Überprüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, Nrn. I bis III. des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 11. Februar 2021 abzuändern (aa). Die Beschwerde gegen Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts ist ebenfalls unbegründet, weil aus den im Beschwerdeverfahren 10 CE 21.748 von dem Senat angeführten Gründen Prozesskostenhilfe für das Eilrechtsschutzverfahren nicht zu bewilligen ist (bb).
aa) Die Beschwerde in dem Beschwerdeverfahren 10 CE 21.748 ist unbegründet. Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG beziehungsweise § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG sowie auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 4a Abs. 4 AufenthG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 BeschV nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise dargelegt und glaubhaft gemacht.
(1) Dies gilt insbesondere für den Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Der Abschiebung stehen nicht die familiären Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK wegen der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens entgegen.
(a) Art. 6 GG gewährt keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der Betroffene muss es nicht hinnehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner oder Kind ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – BVerfGE 76, 1 = juris Rn. 96, 102 u. 103).
Mit diesem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient und daher die Nachholung nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen ist. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er beispielsweise − unter Mitwirkung der zuständigen Ausländerbehörde – deren Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5).
Dass der Betroffene ein kleines Kind hat, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Gleiches gilt für die Konstellation, dass der Betroffene ein Kind ausländischer Staatsangehörigkeit mit Bleiberecht im Bundesgebiet hat beziehungsweise ein Kind deutscher Staatsangehörigkeit zum Familienverband des Betroffenen gehört.
Allerdings muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar sein. Dazu muss geklärt sein, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021 – 10 CE 20.2030 – juris Rn. 24; B.v. 22.1.2019 – 10 CE 19.149 – juris Rn. 15; B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.).
(b) Gemessen an diesen Anforderungen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene Trennung für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Dabei ist – mit dem Verwaltungsgericht − zu Gunsten des Antragstellers von dem Bestehen einer schützenswerten familiären Beistands- und Erziehungsgemeinschaft auszugehen. Allerdings ist im vorliegenden Fall mit Blick hierauf und die entgegenstehenden öffentlichen Interessen eine unzumutbar lange Trennung von der Familie nicht zu befürchten, mit der Folge, dass die Abschiebung des Antragstellers nicht rechtlich unmöglich ist.
Die in Rede stehende Dauer für die Durchführung des Visumverfahrens ist in dem vorgenannten Sinn absehbar. Hierbei ist maßgeblich, dass die zuständige Ausländerbehörde dem Antragsteller in Aussicht gestellt hat, nach Mitteilung des Vorsprachetermins bei der zuständigen Auslandsvertretung, der Übermittlung eines Nachweises für die Ausreise, üblicherweise in Form eines Flugtickets, und der Vorlage eines A1-Sprachzertifikats die für die Erteilung des Visums nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 AufenthV erforderliche Vorabzustimmung zu erteilen und die Frist zur Ausreise an den Ausreisetermin anzupassen (s.o.). Der Antragsgegner ist von dieser Bereitschaft zur Erteilung einer Vorabzustimmung in der Folge auch nicht abgerückt, sondern hat im Gegenteil daran ausdrücklich festgehalten (vgl. Senatsakte, Bl. 51 ff.). Nach der zuletzt vom Antragsgegner vorgelegten Mitteilung des Auswärtigen Amtes vom 11. Juni 2021 hat der Antragsteller – entsprechend dem bereits ausgesprochenen Ersatzangebot − einen Vorsprachetermin bei der zuständigen Auslandsvertretung für die Beantragung des Visums für den 12. Juli 2021 erhalten. Dazu beträgt die Bearbeitungszeit ab Antragstellung im Fall einer Vorabzustimmung und der Entbehrlichkeit einer Urkundenüberprüfung zur Identitätsfeststellung circa fünf Wochen (vgl. Senatsakte, Bl. 56: „mindestens 5 Wochen“).
All dem setzt die Beschwerde tatsächlich nichts entgegen (s.o.). Dazu hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass es ihm unmöglich oder unzumutbar ist, die genannten Voraussetzungen für eine familienverträgliche Ausgestaltung der Dauer des Visumverfahrens zu erfüllen, die er im Übrigen in der Beschwerde nicht angreift und die sämtlich in seiner Sphäre liegen. Dies ist indes gemessen an seinem Begehren, mit dem er eine einstweilige Erweiterung seines Rechtskreises erreichen will, und den Maßgaben des §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO erforderlich.
Abgesehen davon hat der Antragsteller selbst am 4. Februar 2020 im Beisein seines Bevollmächtigten seine Bereitschaft zur Erfüllung dieser Voraussetzungen erklärt und hat folglich seither Kenntnis davon, dass er sich hierum bemühen muss. Der Flugverkehr von und nach Nigeria wurde wiederaufgenommen (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021 – 10 CE 20.2030 – juris Rn. 19). Der Antragsteller, der sich seit dem 3. September 2015, mithin seit nahezu sechs Jahren, im Bundesgebiet aufhält, kann sowohl im Bundesgebiet und auch im Zielstaat (vgl. https://www.goethe.de/ins/ng/de/spr/prf/anm.html) ein A1-Sprachzertifikat für einfache Sprachkenntnisse erwerben (vgl. § 2 Abs. 9 AufenthG). Soweit der Antragsteller eine Unzumutbarkeit der Trennung daraus herleiten will, dass ihm diese die wirtschaftliche Betätigung erschwere beziehungsweise unmöglich mache, ist das Vorbringen pauschal und unsubstantiiert. So ist es grundsätzlich möglich, die Durchführung des Visumverfahrens in Absprache mit dem Arbeitgeber beziehungsweise einem potentiellen Arbeitgeber zu organisieren, um auf diese Weise nachteilige Folgen für das laufende oder ein zukünftiges Beschäftigungsverhältnis zu vermeiden (vgl. OVG NW, B.v. 5.12.2011 – 18 B 910/11 – juris Rn. 29). Dass ein Betroffener nicht ein Visum im Ausland beantragen und gleichzeitig im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, ist im Übrigen eine grundsätzlich hinzunehmende reflexhafte Folge der ihm zumutbaren Durchführung eines Visumverfahrens.
Die Unzumutbarkeit der Trennung hat der Antragsteller auch nicht durch das Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 30. September 2020 dargelegt und glaubhaft gemacht. Dieses beschreibt lediglich abstrakt die Urkundenüberprüfung und das Visumverfahren mit Vorabzustimmung zum Familiennachzug. Es bezieht sich nicht auf den konkreten Einzelfall des Antragstellers, ist in Bezug auf die genannten aktuellen Auskünfte des Auswärtigen Amtes teilweise überholt und schließt im Übrigen, worauf auch der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat, eine Prüfung anhand der individuellen Person und der konkreten Umstände des Einzelfalls gerade nicht aus (vgl. Senatsakte, Bl. 44: „…hängt von den individuellen Gesamtumständen des Falles ab“).
An diesem Befund ändert sich auch nichts dadurch, dass der Antragsteller auf die von der zuständigen Auslandsvertretung zu berücksichtigenden Prüfungsmaßstäbe für die spätere Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG in den Verwaltungsvorschriften und dem Visa-Handbuch des Auswärtigen Amtes, speziell zu dem Begriff der außergewöhnlichen Härte, verweist. Dabei kann offenbleiben, ob und in welchem Umfang in dem streitgegenständlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über die Erteilung einer einstweiligen Duldung bezüglich der Frage der absehbaren tatsächlichen Dauer der Trennung eine Inzidentprüfung der Erfolgsaussichten des weder gestellten noch beschiedenen Antrags auf Erteilung eines solchen Visums beziehungsweise sogar der Erfolgsaussichten von möglichen Rechtsschutzverfahren in Bezug auf den noch nicht erlassenen Rechtsakt der Versagung, für den nach § 52 Nr. 1 Satz 5 VwGO ausschließlich das Verwaltungsgericht Berlin örtlich zuständig ist, möglich oder erforderlich ist. Zum einen setzt der Antragsteller den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem Vorrang und der Bindungswirkung der Verfassungsnorm des Art. 6 GG gegenüber einfachem Gesetzesrecht und Verwaltungsvorschriften in der Sache nichts an Substanz entgegen. Zum anderen geht das allein abstrakt auf die später im Visumverfahren zu prüfende Norm des § 36 Abs. 2 AufenthG bezogene Beschwerdevorbringen des Antragstellers an den hier konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalls vorbei. Der Antragsteller blendet aus, dass der Antragsgegner ihm eine Vorabzustimmung in Aussicht gestellt hat (s.o.).
Zwar kann die Auslandsvertretung die Erteilung des beantragten Visums trotz Vorabzustimmung mit eigenständigen Erwägungen zu den aufenthaltsrechtlichen Maßstäben ablehnen (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.1985 – 1 A 6/85 − juris Rn. 3 f.; NdsOVG, B.v. 13.3.2006 − 11 ME 313/05 – juris Rn. 13; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Juli 2019, § 6 Rn. 243). Allerdings besteht in der Praxis zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde insoweit regelmäßig Übereinstimmung (vgl. Nr. 6.4.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz v. 26.10.2009: „Eine abschließende Entscheidung über die Erteilung nationaler Visa, bei der die Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV beteiligt worden ist, soll grundsätzlich im Einvernehmen getroffen werden.“; vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021 – 10 CE 2030 – juris Rn. 27). Konkrete Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine derartige Abweichung von dem für den Regelfall vorgesehenen Einvernehmen nahelegen würden, hat die Antragstellerseite weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat.
Ein Anhaltspunkt für eine Abweichung ergibt sich insbesondere auch nicht aus der geäußerten Befürchtung des Antragstellers, ihm werde im Visumverfahren die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts entgegengehalten werden. Denn die insoweit einschlägigen Lebensumstände des Antragstellers sind bekannt und ersichtlich von der in Aussicht gestellten Vorabzustimmung abgedeckt. Auch insoweit ist im Übrigen der verfassungsrechtliche Schutz der familiären Bindungen (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) zu berücksichtigen.
Es spricht daher bei summarischer Prüfung im vorliegenden Fall vieles dafür, dass das Visum wird erteilt werden können (vgl. NdsOVG, B.v. 20.1.2021 – 8 ME 136/20 – juris Rn. 8; vgl. OVG Saarl, B.v. 11.1.2021 – 2 B 371/20 – juris Rn. 13 a.E.).
Der Verweis des Antragstellers auf die genannte verwaltungsgerichtliche Entscheidung führt insofern nicht weiter, da es in jenem Verfahren an Angaben zu der Dauer des Visumverfahrens mit Vorabzustimmung fehlte und im Übrigen der erörterte Gleichlauf der Vorabzustimmung mit der Entscheidung über das Visum keine Beachtung fand (vgl. VG Bayreuth, B.v. 14.12.2020 – B 6 E 20.1227 – juris Rn. 51 ff.).
Auch unter Berücksichtigung der Kindeswohlinteressen zeigt die Beschwerde keine besonderen Umstände für eine Unzumutbarkeit der zeitlich beschränkten und damit nur vorübergehenden Trennung auf. Dass Kinder im Alter von zweieinhalb und fast fünf Jahren betroffen sind, vermag einen derartigen Umstand allein nicht zu begründen (s.o.), zumal zu berücksichtigen ist, dass es grundsätzlich möglich ist, mit Kindern der einschlägigen Altersgruppe den Kontakt mit Hilfe traditioneller und auch moderner Kommunikationsmittel – wenngleich auf niedrigem Niveau – aufrechtzuerhalten, und diese die vorübergehende Trennung nicht als endgültigen Verlust erfahren müssen (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021− 10 CE 20.2030 − juris Rn. 29 m.w.N.). Diese Möglichkeit besteht auch für die Kinder des Antragstellers. Dass dies nicht möglich sein soll, ist jedenfalls weder substantiiert vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf die finanziellen Auswirkungen der vorübergehenden Trennung für die Familie des Antragstellers. Wie erörtert, ist der Umstand, dass ein Betroffener nicht ein Visum im Ausland beantragen und gleichzeitig im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen und Geld für die Familie verdienen kann, eine grundsätzlich hinzunehmende reflexhafte Folge der zumutbaren Durchführung eines Visumverfahrens. Dass die Familie während der visumbedingten Abwesenheit finanziell nicht abgesichert wäre, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nach alledem ist nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht ersichtlich, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers und mit ihr das deutsche Kind das Gebiet der Europäischen Union verlassen muss, so dass der Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, nicht gefährdet sein kann (vgl. BA S. 14). Dass und inwieweit neben den geltend gemachten Spezialverbürgungen noch Raum für Art. 2 Abs. 1 GG verbleiben soll, hat der Antragsteller nicht aufgezeigt, wobei hierfür die vorstehenden Erwägungen entsprechend gelten.
Der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe entgegen § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG das Tatbestandsmerkmal der Abschiebung mit dem der freiwilligen Ausreise unzulässig vermischt, erschließt sich dem Senat nicht. Der Antragsteller hat nicht erläutert, auf welche Passage des angegriffenen Beschlusses das Verwaltungsgericht sich dieser Einwand konkret bezieht. Sollte sich die Rüge auf die zusammenfassende Feststellung des Verwaltungsgerichts auf Seite 9 des angefochtenen Beschlusses beziehen, geht sie ins Leere, weil das Erstgericht hier die beiden Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vermengt, sondern zutreffend einer Ausreise oder Abschiebung zwingend entgegenstehende Gründe verneint hat.
Angesichts all dessen kann auch offenbleiben, ob und inwieweit ein fortwirkendes, mithin eine längere Trennung verursachendes Verschulden im Rahmen der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Rechtsposition des Kindes (vgl. zur Behinderung von Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung: BVerwG, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18/09 – juris Rn. 22; zu § 30 Abs. 3 Ausl a.F.: B.v. 30.4.1997 − 1 B 74/97 – juris Rn. 4) sowie der gesetzgeberischen Entscheidung in § 60b AufenthG zu berücksichtigen und zu bewerten ist.
(2) Der Antragsteller hat auch einen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.
(a) Grundsätzlich scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus. Der Gesetzgeber hat durch die Vorschrift des § 81 Abs. 4 und 3 AufenthG zum Ausdruck gebracht, dass er nur in den dort genannten Fällen ein Bleiberecht bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde zugesteht. Eine Duldung kann daher nur ausnahmsweise zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Andernfalls würden die genannten gesetzlichen Wertungen unterlaufen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 3.11.2020 − 3 B 262/20 − juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 8.10.2020 – 3 B 186/20 − juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 22.8.2017 − 13 ME 213/17 − juris Rn. 3 m.w.N.; OVG NW, B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 − juris Rn. 6; OVG LSA, B.v. 14.10.2009 − 2 M 142/09 − juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.2.2006 – OVG 7 S 65.05 − juris Rn. 5 m.w.N.). Für eine derartige ausnahmsweise Erteilung ist erforderlich, dass mit hinreichender Sicherheit die geltend gemachte Anspruchsgrundlage einschlägig ist und deren Voraussetzungen gegeben sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30: „ohne dass dies erheblichen Klärungsbedarf aufwirft“; SächsOVG, B.v. 3.11.2020 − 3 B 262/20 − juris Rn. 14: „zugutekommt“; vgl. NdsOVG, B.v. 22.8.2017 − 13 ME 213/17 − juris Rn. 3: „tatsächlich gegebenen … Voraussetzungen“ u. OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.2.2006 – OVG 7 S 65.05 − juris Rn. 5: „extreme Ausnahmefälle“).
(b) Dass diese Anforderungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf.
(aa) Zwar handelt es sich bei dem hier als Bezugspunkt geltend gemachten Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG um einen Aufenthaltstitel des 5. Abschnitts, so dass dem Antragsteller, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde, die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegengehalten werden kann.
(bb) Allerdings ist bereits fraglich, ob die von dem Antragsteller unter Hinweis auf seine familiäre Bindungen im Bundesgebiet begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nicht deswegen ausscheidet, weil der Gesetzgeber die Voraussetzungen für einen Aufenthalt aus familiären Gründen in den §§ 27 ff. AufenthG – in einem abgestuften System − abschließend geregelt hat und § 25 Abs. 5 AufenthG insoweit nicht als Auffangtatbestand anwendbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 3; B.v. 27.2.2019 – 10 ZB 18.2188 – juris Rn. 11; B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 4 jeweils m.w.N.). Hierzu hat der Antragsteller im Übrigen nichts vorgetragen, obwohl das Verwaltungsgericht diesen Gesichtspunkt angesprochen hat (vgl. BA S. 9 u.).
(cc) Jedenfalls fehlt es an der speziellen Erteilungsvoraussetzung der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG (s.o.).
(dd) Selbst wenn man Letzteres abweichend beurteilen würde, ergäbe sich nichts anderes. Denn dann stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG jedenfalls in einer Situation, in welcher der Betroffene nicht das getan hat, was für eine familienfreundliche Ausgestaltung der Nachholung des Visumverfahrens erforderlich, möglich und zumutbar ist, und dann eine – über das zumutbare Maß hinaus dauernde (quod non – s.o.) − Trennung zu gewärtigen hat, der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG entgegen. Danach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden bedeutet in diesem Zusammenhang ein subjektiv zurechenbares vorwerfbares Verhalten. Dies ist der Fall, wenn die Person durch ein in ihrem freien Willen stehendes Verhalten ihre freiwillige Ausreise oder zwangsweise Rückführung verhindert. Dem ausreisepflichtigen Ausländer obliegt es nach § 25 Abs. 5 AufenthG, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, damit etwaige Ausreisehindernisse überwunden werden. Welche Bemühungen ihm hierbei zumutbar sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 19 C 16.670 – juris Rn. 7).
Gemessen daran wäre ein solches Verschulden in einer Situation wie im Fall des Antragstellers zu bejahen. Der Antragsgegner hat in dem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht – insofern von Antragstellerseite unwidersprochen (vgl. BA S. 6 f.) – vorgetragen, das zuständige Generalkonsulat habe den Antragsteller nach dem versäumten ersten Vorsprachetermin darüber informiert, dass er sich nach Eintreffen in Nigeria erneut mit dem Generalkonsulat in Verbindung setzen solle, damit ein neuer zeitnaher Termin vergeben werden könne, ohne dass er dies jedoch in der Folge − trotz der in Aussicht gestellten Vorabzustimmung des Antragsgegners − getan hätte (vgl. BA S. 8). Daran ändert auch die E-Mail einer Bekannten des Antragstellers vom 19. November 2020 nichts. Das Verwaltungsgericht hat dies zutreffend dahingehend gewertet, dass der Antragsteller sich nicht hinreichend bemüht hat und er daher eine mögliche längere Trennung selbst zu verantworten hat. Der Antragsgegner hat diesen Gesichtspunkt im Beschwerdeverfahren nochmals bekräftigt (vgl. Senatsakte, Bl. 54). Dem hat der Antragsteller ebenfalls nichts entgegengesetzt. Insbesondere hat er keine Angaben dazu gemacht, dass und inwieweit ihm das Eingehen auf dieses Ersatzangebot unmöglich oder unzumutbar gewesen ist. Mit seinem Vorgehen hat der Antragsteller das vereinbarte nahtlose Ineinandergreifen von Duldung bis zur Ausreise, Ausreise, Vorsprachetermin bei der Auslandsvertretung, Vorabzustimmung und anschließende verkürzte Bearbeitungszeit verhindert. Dass das Ersatzangebot der zuständigen Auslandsvertretung belastbar war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass diese dem Antragsteller nach (konkret auf ihn bezogener) Kontaktaufnahme durch die zuständige Ausländerbehörde erneut einen Vorsprachetermin, namentlich am 12. Juli 2021, angeboten hat.
(3) Schließlich hat der Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4a Abs. 4 AufenthG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 BeschV nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Zum einen mangelt es an der hierfür vorausgesetzten Duldung (s.o.). Zum anderen fehlt es insoweit bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, weil der Antragsteller es versäumt hat, zuvor einen Antrag bei der Behörde zu stellen (vgl. Behördenakte, Bl. 399: „Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG“), und sein Begehren erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat (vgl. VG Augsburg, Gerichtsakte, Bl. 4: „Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG“).
bb) Die Beschwerde gegen Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts (10 C 21.752) ist unbegründet, weil der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus den in dem Beschwerdeverfahren (10 CE 21.748) genannten Gründen mangels Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen ist.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CE 21.748 beruht auf dem Umstand, dass das Begehren des Antragstellers erstmals neben dem Streitgegenstand der Erteilung einer einstweiligen Duldung auch den Streitgegenstand der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis umfasst, die beide zu addieren sind. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und § 39 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 21.752 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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