Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag einer senegalesischen Staatsangehörigen mangels Anspruch auf Erteilung einer Duldung wegen Passlosigkeit

Aktenzeichen  M 10 E 16.3220

Datum:
4.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein tatsächliches Abschiebehindernis im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG liegt nur im Falle fortdauernder Passlosigkeit vor, wenn nach den Erfahrungen der Ausländerbehörde eine Abschiebung ohne Reisedokumente nicht möglich ist oder ein Abschiebeversuch gescheitert ist (vgl. VG München BeckRS 2016, 49270). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Bei Passlosigkeit liegt ein tatsächliches Abschiebehindernis nicht vor, wenn durch zumutbare Anstrengungen das festgestellte Hindernis von dem Ausländer überwunden werden kann, insbesondere durch Mitwirkung bei der Passbeschaffung. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Rückkehrern wird die Einreise in den Senegal erlaubt, wenn die abgeschobene Person ihre senegalesische Staatsangehörigkeit nicht leugnet; anstelle regulärer Reisedokumente genügt für senegalesische Abzuschiebende daher ein „Sauf Conduit“ der senegalesischen Botschaft. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege einstweiliger Anordnung eine Duldung.
Die Antragstellerin ist senegalesische Staatsangehörige und zu einem unbekannten Zeitpunkt in die Bundesrepublik eingereist. Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz wurden im Januar 2016 abgelehnt, sie wurde zur Ausreise aufgefordert.
Am … Juni 2016 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin eine Duldung.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 und 20. Juli 2016 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab. Eine Duldung komme nur in Frage, wenn das bei der Regierung von Oberbayern laufende PEP-Verfahren negativ verlaufe.
Am … Juli 2016 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin per Telefax die einstweilige Verfügung beantragt, die Antragsgegnerin zu verurteilen, der Antragstellerin eine Duldung zu erteilen.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Antragstellerin verfüge nicht über einen Reisepass und ihr sei daher gem. § 60a Abs. 2 AufenthG eine Duldung zu erteilen. Das anhängige PEP-Verfahren stehe einer Duldungserteilung nicht entgegen.
Mit Schreiben vom 11. August 2016, bei Gericht eingegangen am 18. August 2016, ist die Antragsgegnerin dem Antrag entgegengetreten und hat beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, die Antragsgegnerin sei durch ein innenministerielles Schreiben gebunden, Angehörigen sicherer Herkunftsstaaten keine Duldung zu erteilen. Eine Duldung werde erst erteilt, wenn fortdauernde Schwierigkeiten bei der Pass- oder Passersatzpapierbeschaffung bestätigt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- bzw. die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Ein Anordnungsanspruch, der durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gesichert werden könnte, ist nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Wesentliche Nachteile sind u.a. wesentliche rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Nachteile, die der Antragsteller in Kauf nehmen müsste, wenn er das Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 123, Rn. 23). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgeblich sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Eine einstweilige Anordnung ist nicht nur zu erlassen, wenn mit zweifelsfreier Sicherheit feststeht, dass das materielle Recht besteht, dessen Sicherung der Antragsteller im Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erstrebt oder dessen Regelung er im Sinn von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erreichen will. Es genügt vielmehr, dass das Bestehen dieses Rechts überwiegend wahrscheinlich ist, so dass der Rechtsschutzsuchende in der Hauptsache voraussichtlich obsiegen würde (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N.). Grundsätzlich darf das Eilverfahren die Hauptsache nicht vorwegnehmen.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Denn ein tatsächliches Abschiebehindernis im Sinne der Vorschrift liegt nur vor im Falle fortdauernder Passlosigkeit, wenn nach den Erfahrungen der Ausländerbehörde eine Abschiebung ohne Reisedokumente nicht möglich ist oder ein Abschiebeversuch gescheitert ist (vgl. VG München, U.v. 25.2.2016 – M 10 K 15.385 – juris, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 11. Edition, Stand: 15.08.2016, § 60a AufenthG Rn. 10). Dies hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Sie hat allein – von der Antragsgegnerin unbestritten – dargelegt, dass sie aktuell über keine Ausweispapiere verfüge. Zudem liegt bei Passlosigkeit ein tatsächliches Abschiebehindernis nicht vor, wenn durch zumutbare Anstrengungen das festgestellte Hindernis von dem Ausländer überwunden werden kann, wie etwa durch die Mitwirkung bei der Passbeschaffung (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, a.a.O. Rn. 11). Derartige Anstrengungen hat die Antragstellerin nicht vorgebracht.
Darüber hinaus wird Rückkehrern schon die Einreise in den Senegal erlaubt, wenn die abgeschobene Person ihre senegalesische Staatsangehörigkeit nicht leugnet; anstelle regulärer Reisedokumente genügt für senegalesische Abzuschiebende auch ein „Sauf Conduit“ der senegalesischen Botschaft (Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Republik Senegal, Stand 21.11.2015).
2. Auch eine Duldung im E. Weg nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kommt nicht in Betracht. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG für eine Ermessensduldung wurden vom Antragsteller weder dargelegt noch sind solche Gründe sonst ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben