Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines Epilepsiekranken gegen Androhung der Abschiebung in den Kosovo

Aktenzeichen  M 9 S 19.5935

Datum:
19.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 13727
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Eine antiepileptische Dauertherapie sowie die fachkundige Versorgung eines VP-Shunts sind im Kosovo gewährleistet. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist der Ausländer austherapiert, sodass eine weitere medizinische Behandlung mit dem Ziel einer Heilung oder Verbesserung des Gesundheitszustands nicht mehr möglich ist, ist sein Aufenthalt nicht vorübergehend aus humanitären oder persönlichen Gründen erforderlich. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 2009 geborene Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger und reiste am 23. November 2011 gemeinsam mit seiner Mutter mit einem Visum zum Zweck der medizinischen Behandlung in das Bundesgebiet ein. In der Folgezeit erhielt der Antragsteller ab dem 2. Februar 2012, zuletzt verlängert bis zum 31. Mai 2016, eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zum Zweck der Fortführung der Krankenbehandlung gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Die Mutter des Antragstellers erhielt für diesen Zeitraum eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen als Begleitperson.
Die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte am 31. Mai 2016 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke eines humanitären Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG, sowie die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. In der Folgezeit erhielt der Antragsteller eine zuletzt bis zum 30. September 2019 verlängerte Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG. Eine entsprechende Fiktionsbescheinigung erhielt die Mutter des Antragstellers. Der Vater des Antragstellers lebt mit einem Bruder im Kosovo. Nach Angaben der Bevollmächtigten des Antragstellers beabsichtigte er die Beantragung eines Visums zur Ausübung einer Beschäftigung. In den Akten befindet sich lediglich ein am 25. November 2019 beantragtes Schengenvisums zu Besuchszwecken, gültig vom 9. Dezember 2019 bis zum 18. Januar 2020.
Der Antragsteller ist schwerkrank und wird nach den ärztlichen Attesten lebenslänglich wegen seiner Behinderung Pflege und Versorgung benötigen. Nach dem vorläufigen Arztbericht der Klinik für Kinderchirurgie am Klinikum Sch vom 31. Januar 2012 wurde der Antragsteller mit dem Flugzeug von seiner Familie nach München gebracht und am 23. November 2011 stationär im Klinikum aufgenommen. Diagnostiziert wurde, nach dem Ergebnis der Untersuchungen ein Zustand nach einer nicht therapierten kürzlichen Gehirnhautentzündung, ausgelöst durch Herpes. Der Antragsteller habe als Folge davon lange andauernde epileptische Anfälle bzw. eine Serie von Anfällen in kurzen Zeitabständen (symptomatische fokale Epilepsie mit Status Epilepticus), Bewegungsstörungen aufgrund frühkindlicher Hirnschädigung (Zerebralparese links betont), einen schwachen Muskeltonus und eine Entwicklungsstörung als Defektzustand. Diagnostik und Therapie seien von der Familie privat und zum großen Teil über Spendengelder finanziert worden. In den Folgejahren war der Antragsteller fortlaufend in ärztlicher Behandlung, insbesondere im Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche, Sch1 Klinik V. Auf die Arztbriefe vom 2. Dezember 2013, 13. Mai 2016, 19. Mai 2016, 16. März 2020 der Sch1 Klinik sowie auf die medizinische Stellungnahme des Facharztes für Neuropädiatrie und Epileptologie vom 28. November 2018 wird Bezug genommen. Als Folge der ausgeprägten entzündlich bedingten Hirnschädigung habe der Antragstelle eine schwere therapieresistente Epilepsie verbunden mit einer globalen Entwicklungsstörung entwickelt. Nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff sei ein VP-Shunt erforderlich geworden, der fachkundige Kontrolle benötige. Der Antragsteller habe eine schwere geistige Behinderung (Wasserkopf) und eine trotz medikamentöser Polytherapie schwere therapieresistente Epilepsie. Er benötige lebenslang antiepileptische Medikamente, Physiotherapie und Ergotherapie. Nach dem vorläufigen Arztbrief der Sch1 Klinik vom 20. März 2020 befand sich der Antragsteller dort zuletzt vom 10. März 2020 bis zum 20. März 2020 in stationärer Behandlung wegen einer aktuellen Anfallsverschlechterung, wohl ausgelöst durch eine Liquorabflussstörung, verursacht durch eine Störung des Ventils des Shunts (Blatt 23 Gerichtsakte – GA)
Nachdem die Bevollmächtigte des Antragstellers am 31. Mai 2016 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 25 Abs. 3 AufenthG beantragt hatte, bat die Antragsgegnerin das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Schreiben vom 20. Juni 2016 um Prüfung, ob bei dem Antragsteller zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Republik Kosovo vorlägen. Mit Schreiben vom 1. Februar 2019 teilte das Bundesamt mit, dass aus dortiger Sicht keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote im Sinne der §§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorlägen. Entgegen einer aus dem Albanischen übersetzten Bestätigung einer Apotheke in P. vom 24. Oktober 2014 stünden die benötigten Medikamente bzw. Alternativen der gleichen Wirkstoffgruppe im Kosovo zur Verfügung. Sie seien auf der einschlägigen Medikamentenliste aller staatlich finanzierten Basismedikamente und Wirkstoffe der Republik Kosovo 2014 aufgelistet und somit grundsätzlich erhältlich. Damit sei eine medikamentöse Behandlung des Antragsstellers im Kosovo gewährleistet. Entgegen des in Übersetzung vorgelegten Berichts der Abteilung Neuropädiatrie im Zentrum des Universitätsklinikums des Kosovo in P. vom 5. November 2016 gebe es dort eine kinderneurologische Abteilung, in der therapieresistente symptomatische Epilepsie behandelt werden könne. Die Notfallversorgung eines an Epilepsie erkrankten Patienten sei in den Ambulanzen der sieben in Kosovo vorhandenen Regionalkrankenhäuser möglich. Allerdings sollten Patienten, die im Notfall auf eine schnelle medizinische Behandlung angewiesen seien, ihren Wohnsitz nicht in abgelegenen Gegenden des Kosovo nehmen. Die im Attest vom 28. November 2018 genannten Erkrankungen und regelmäßigen fachkundigen Kontrollen der Shunt-Anlage seien ebenfalls im Universitätsklinikum, pädiatrischer Abteilung, möglich. Der Zugang und die Finanzierbarkeit zu einer adäquaten medizinischen Versorgung sei gewährleistet. Als Kind und chronisch Kranker müssten der Antragsteller oder seine Familie keine Eigenbeteiligung für die Basismedikamente leisten. Die Behandlung im Universitätsklinikum in P. sei kostenfrei. Es gäbe auch die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung. Auf die Stellungnahme und die dort zitierten Quellen vom 1. Februar 2019 wird verwiesen (Blatt 139 f. Behördenakte).
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 31. Mai 2016 ab (Ziff. 1). Die Ausreisepflicht wurde unter Fristsetzung zur Ausreise festgestellt (Ziff. 2) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot bei schuldhafter und erheblicher Überschreitung der Ausreise Frist angedroht (Ziff. 3 des Bescheids). Für de n Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Kosovo oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziff. 4 des Bescheids). Die Mutter des Antragsstellers hat ebenfalls mit Datum vom 10. November 2019 einen entsprechenden Bescheid erhalten. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorlägen, da keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorlägen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG beteiligt worden. Dieses habe mitgeteilt, dass kein Abschiebungshindernis vorläge mit der Folge, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht möglich sei. Die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor, da es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG fehle. Zur Finanzierung des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet seien Verpflichtungserklärungen vom 15. November 2011 vorgelegt worden, die nur bis 14. November 2014 gültig gewesen seien. Weitere ausreichende Finanzierungsnachweise seien nicht vorgelegt worden; der Antragsteller erhalte Sozialleistungen. Inlandsbezogene dringende humanitäre Gründe wegen einer Krankenbehandlung der therapieresistenten Epilepsie sowie der körperlichen und geistigen Behinderung aufgrund einer frühkindlichen Hirnentzündung seien wegen der Möglichkeit der entsprechenden Versorgung und Behandlung insbesondere im Universitätsklinikum P. nicht vorhanden. Ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet sei daher nicht mehr erforderlich. Der Antragsteller beabsichtige einen zeitlich unbegrenzten Aufenthalt zum Zweck der weiteren medizinischen Behandlung und Versorgung. Die Vorschrift des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gelte für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt und sei deshalb nicht einschlägig.
Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG sei im Rahmen des Ermessens abzulehnen, da keine außergewöhnliche Härte aufgrund der individuellen Sondersituation vorliege, aufgrund derer den Antragsteller die Aufenthaltsbeendigung nach Art und Schwere wesentlich härter treffen würde als andere Ausländer im Falle der Ausreise. Die vorliegenden Epilepsiesymptome würden durch die Gabe von Medikamenten behandelt, die keine heilende Wirkung hätten, sondern lebenslänglich zur Linderung eingenommen werden müssten. Dieses Risiko bestehe auch bei anderen Ausländern in vergleichbarer Situation. Die körperliche und geistige Behinderung als Folge der frühkindlichen Hirnentzündung könne ebenfalls adäquat im Kosovo therapiert werden und eine Aufenthaltsbeendigung führe nicht zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustands. Damit überwiege das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das private Interesse des Antragsstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Ein Vertrauenstatbestand sei nicht erkennbar, da eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Krankenbehandlung vorübergehend sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 5. November 2019 erhob die Bevollmächtigte des Antragsstellers Klage (M 9 K 19.5521) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO:
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Der Antragsteller halte sich bereits seit acht Jahren in Deutschland auf und habe aufgrund der andauernden Krankenbehandlung und der Schwere der Erkrankungen Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG fortlaufend erhalten. Im Rahmen der Anhörung seien das Schreiben der Kinderklinik in P. und eine Bestätigung einer Apotheke in P. vorgelegt worden, dass eine Behandlung zwar möglich, die Kosten für die Epilepsie aber von der Familie getragen werden müssten und dass die benötigten Medikamente nicht auf dem pharmazeutischen Markt im Kosovo aufgefunden worden seien. Um eine erneute Beteiligung des Bundesamts unter Berücksichtigung dieser Stellungnahmen sei gebeten worden. Eine erneute Beteiligung wurde nicht durchgeführt. Im Hinblick auf den schlechten Gesundheitszustand des Antragstellers sei auch in Betracht gekommen, die Ausreisefrist solange zu verlängern, bis der Vater im Rahmen eines Arbeitsvisums einreisen könne, damit der Antragsteller die Möglichkeit einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen des Familiennachzugs hätte. Beim Antragsteller läge eine außergewöhnliche Härte vor. Dem Antrag beigefügt ist eine Stellungnahme der Sch1 Klinik vom 8. Mai 2019, wonach ein Absetzen der Medikamente für den Antragsteller lebensbedrohlich sei; diese seien nach der vorliegenden Bestätigung durch eine amtliche Apotheke in P. alle im Kosovo nicht erhältlich. Mit weiteren Schreiben vom 10. November 2019 teilte die Bevollmächtigte mit, dass der Mutter des Antragstellers die Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei und, dass diese wegen der Pflege des schwerstbehinderten Antragsstellers nicht erwerbstätig sein könne. Wenn der Vater des Antragsstellers ein Visum zur Beschäftigung erhalte, könne er den Lebensunterhalt für die Familie sichern.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 19. Januar 2019:
Antragsablehnung.
Die Bestätigung einer Apotheke in P. stamme vom 24. Oktober 2014 und konnte durch die Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. November 2019 nicht bestätigt werden. Der Vater des Antragstellers habe kein Visum zur Beschäftigung erhalten, sondern am 9. Dezember 2019 eines für einen kurzfristigen Aufenthalt zum Familienbesuch. Weitere Anträge bei der Deutschen Botschaft gäbe es laut Aktenlage und Visadatei nicht. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug oder entsprechende Visaanträge seien nicht Verfahrensgegenstand und nicht vorgelegt worden. Auch der angeforderte Mietvertrag fehle. Das Sozialreferat habe mit Schreiben vom 5. Dezember 2019 den Aufenthaltsstatus angefragt; somit seien Sozialhilfeleistungen beantragt worden. Unklar sei auch, wie der Vater des Antragsstellers am 20. November 2019 hier einen Arbeitsvertrag unterschreiben konnte, obwohl er nicht im Bundesgebiet war und am 25. November 2019 den Antrag auf Erteilung eines Visums zum Familienbesuch gestellt habe.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Oktober 2019 bestehen nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen und ausreichenden Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens keine rechtlichen Bedenken.
Der Antragssteller kann keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen. Aus humanitären Gründen soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern ist in der Regel als individuelle Gefahr am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen und einzustufen (BVerwG U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 und ständige Rechtsprechung). Voraussetzung ist, dass die Gesundheitsgefahr erheblich ist. Die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität wie etwa eine wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG besteht eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Bei der Beurteilung, ob sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in eine Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände einzubeziehen. Solche Umstände, die zu so einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers führen können, sind insbesondere das Fehlen einer notwendigen ärztlichen Behandlung oder Medikation im Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards. Auch bei grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung kann ein solches zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis vorliegen, wenn der Betreffende wegen der sonstigen Umstände diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Wenn die notwendige Behandlung oder die Medikamente zwar allgemein zur Verfügung stehen, dem Betreffenden jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen individuell nicht zugänglich sind, besteht ebenfalls eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben (BVerwG U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02). Maßgeblich ist allerdings nur, ob eine ausreichende Behandlung möglich ist und nicht, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat mindestens gleichwertig mit dem hier vorhandenen Standard ist (EGMR U.v. 13.12.2016 – 41738/10 zu Art. 3 EMRK). Im Rahmen des § 25 Abs. 3 AufenthG hat die zuständige Ausländerbehörde die Entscheidung über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG unter vorheriger Beteiligung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu treffen, § 72 Abs. 2 AufenthG.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin rechtsfehlerfrei entschieden, dass im Falle des Antragstellers kein Abschiebungsverbot vorliegt und deshalb bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die umfangreichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid und die darin zitierte und übernommene Einschätzung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Februar 2019 Bezug genommen. Ergänzend dazu gilt folgendes:
Die nach Bescheiderlass vorgelegten medizinischen Stellungnahmen des behandelnden Facharztes vom 9. Januar 2020 und die ärztlichen Bescheinigungen der behandelnden Klinik vom 16. März 2020 und 20. März 2020 bestätigen die zwingende Notwendigkeit, dass der Antragsteller eine ausreichende medizinische Versorgung im Kosovo erhält. Insbesondere ist zwingend erforderlich, dass der VP-Shunt regelmäßig fachkundig kontrolliert wird und die Möglichkeit zu einer neurochirurgischen Intervention im Notfall besteht. Ebenso zwingend notwendig ist nach diesen und allen vorherigen Attesten die Fortführung der medikamentösen Polytherapie wegen der täglichen epileptischen Krampfanfälle. Die Stellungnahmen bestätigen, dass die Therapien lebenslang erforderlich sein werden, dass der Antragsteller wegen der Hirnschädigung in allen Bereichen des täglichen Lebens Hilfe benötigt und dass er sich voraussichtlich nie selber versorgen kann. Bestätigt wird auch die Notwendigkeit regelmäßiger Therapien (physiotherapeutisch, ergotherapeutisch) und die Notwendigkeit einer Überprüfung und Anpassung der Hilfsmittel. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin hat ebenfalls zu Grunde gelegt, dass der schwerstbehinderte Antragsteller eine entsprechende lebenslängliche medizinische und pflegerische Versorgung benötigt. Die nach Bescheiderlass erstellten ausführlichen fachärztlichen Stellungnahmen bestätigen, dass die Antragsgegnerin zutreffende tatsächliche Grundlagen für ihre Entscheidung ermittelt und festgestellt hat. Sie enthalten keine neuen Feststellungen oder Tatsachen.
Die beiden fachärztlichen Stellungnahmen, die auf einer langjährigen Behandlung des Antragstellers beruhen, bestätigen und begründen ausführlich, dass mit einer Besserung nicht zu rechnen ist. Eine medizinische Behandlung mit dem Ziel einer Linderung oder Heilung ist danach nicht möglich und der Antragsteller insoweit austherapiert. Die medizinische Behandlung wird sich auch in Zukunft auf die medikamentöse Versorgung im Rahmen der antiepileptischen Dauertherapie und die fachkundige Versorgung des Shunts beschränken. Die therapeutischen Maßnahmen im Hinblick auf die schwere globale Entwicklungsstörung und Behinderung sind lebenslang notwendig ohne das Aussicht besteht, dass sich die entsprechenden Fähigkeiten des Antragstellers dadurch signifikant verbessern können. Nach dem Arztbericht der Klinik besucht der Antragsteller erst seit März 2020 eine heilpädagogische Schule und wird dort einmal die Woche physiotherapeutisch behandelt. Dies bestätigt, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses im Oktober 2019 keine entsprechende Beschulung oder Förderung hatte, die durch die Beendigung des Aufenthalts unterbrochen worden wäre. Auch ein Wechsel der sozialen oder familiären Bezugspersonen war damit nicht verbunden.
Zweifel daran, dass eine entsprechende medizinische Behandlung im Kosovo durch das Universitätsklinikum des Kosovo in P., Abteilung für Neuropädiatrie, vorgenommen werden kann und die notwendigen Medikamente im Kosovo vorhanden sind, bestehen keine. Die Kammer folgt der Einschätzung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in der Stellungnahme vom 1. Februar 2019, dass der Antragsteller zu dem Personenkreis gehört, der für die Behandlung im Universitätsklinikum und für die Medikamente nichts bezahlen muss. Nach der umfangreichen Stellungnahme des Bundesamts, die auf eine Vielzahl von Erkenntnisquellen gestützt wird sind im Kosovo Basismedikamente zur Behandlung von Epilepsie nach der dortigen „essential drug list der Republik Kosovo“ für den Antragsteller als Kind und chronisch Kranken kostenfrei erhältlich. Das Bundesamt stützt sich dabei nicht alleine auf diese Liste, sondern auf eine Auskunft des Medical Advisors Office Immigration Service der Niederlande vom 6. März 2018 und vom 28. Februar 2018. Soweit seitens des Antragstellers vorgetragen wird, dass nach einer Bestätigung einer Apotheke in P. vom 24. Oktober 2014 die damals vom Antragsteller einzunehmenden Medikamente nicht erhältlich seien, ist diese Stellungnahme veraltet. Darüber hinaus ist es wenig aussagekräftig wenn eine Apotheke in P. dies bestätigt, da ungeachtet dessen, dass diese Bestätigung aus dem Jahr 2014 stammt auch nicht klar ist, welche Auskunft erfragt wurde. Der Bericht der Abteilung Neuropädiatrie am Zentrum des Universitätsklinikums des Kosovo vom 5. November 2016, wonach auf entsprechende Erkundigungen des Vaters des Antragstellers die Auskunft gegeben wurde, dass die gesamte antiepileptische Therapie von den Eltern bezahlt werden müsse, und es kein öffentliches fortgeschrittenes und neurochirurgisches Zentrum für ergänzende Eingriffe gäbe und ein fachärztliches Zentrum zur Rehabilitierung von Kindern mit psychomotorischen Behinderungen fehle, widerspricht schlicht den Erkenntnismitteln, wonach das Universitätsklinikum eine kinderneurologische Abteilung mit allen erforderlichen diagnostischen Verfahren und Behandlungsmöglichkeiten habe. Insofern bestehen etliche Zweifel an der vom Vater des Antragstellers eingeholten Auskunft und ihrer Aktualität.
Die Antragsgegnerin hat die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels ebenfalls zu Recht abgelehnt und ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Antragsteller mit einem sogenannten Jahresvisum zum Zweck der temporären medizinischen Behandlung einreisen könne.
Unter Berücksichtigung dessen, dass der Antragsteller mit einem Visum zur medizinischen Behandlung bereits im November 2011 eingereist ist und gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG fortlaufend Aufenthaltserlaubnisse zur medizinischen Behandlung erhielt, ist mittlerweile nach den vorliegenden medizinischen Stellungnahmen der behandelnden Fachärzte davon auszugehen, dass eine weitere medizinische Behandlung mit dem Ziel einer Heilung oder Verbesserung des Gesundheitszustands nicht mehr möglich ist. Damit fehlt es an der tatbestandlichen Voraussetzung des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, dass der Aufenthalt vorübergehend aus humanitären oder persönlichen Gründen erforderlich ist. Der Antragsteller erstrebt nach Aktenlage einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet. Ungeachtet dessen fehlen die Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts. Die ursprünglich vorgelegten Verpflichtungserklärungen stammen vom November 2011 und wurden nicht verlängert. Die medizinische Behandlung wurde 2012 durch Spenden in Höhe von ca. 25.000 EUR finanziert. Seit diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass die erheblichen Behandlungskosten durch öffentliche Leistungen finanziert wurden. Nach Aktenlage ist ebenfalls offen, wer unabhängig davon für den Lebensunterhalt des Antragstellers und seiner Mutter aufkam; Anhaltspunkte für eine Entscheidung nach § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG bestehen nicht.
Auch die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG wegen des Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte hat die Antragsgegnerin zu Recht abgelehnt. Durch die Aufenthaltsbeendigung ist nicht mit einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers zu rechnen, da seine Pflege und Behandlung im Kosovo möglich und kostenfrei ist. Die Folgen der Ausreise sind für den Antragsteller nicht härter, als für andere Personen in der vergleichbaren Situation, da seine Situation sich hinsichtlich Pflege und Behandlung nicht unzumutbar verschlechtert. Egal wo der Antragsteller lebt wird er lebenslang Medikamente zur Linderung der Epilepsie einnehmen müssen und auf Versorgung und Pflege sowie einer fachärztlichen Betreuung im Hinblick auf den Shunt angewiesen sein. Da auch seine Mutter das Bundesgebiet verlassen muss und er Vater und Bruder im Kosovo hat ist der Antragsteller nicht von seiner Familie getrennt, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine außergewöhnliche Härte vorliegt.
Soweit vorgetragen wird, dass der Vater des Antragstellers ein Visum zum Zwecke der Beschäftigung im Bundesgebiet beantragt hat oder beantragen wollte, trifft dies nach Aktenlage nicht zu. Der Vater des Antragstellers hat lediglich ein Besuchsvisum erhalten und ein solches (wohl) auch nur beantragt. Ungeachtet dessen ist nicht ersichtlich, dass für den Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug in Betracht käme.
Gegen die Androhung eines Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von bis zu einem Jahr sowie gegen die Androhung der Abschiebung in den Kosovo bestehen keine rechtlichen Bedenken. Nach § 50 Abs. 2 AufenthG das Bundesgebiet zu verlassen. Die Abschiebung ist gemäß § 59 AufenthG anzudrohen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.


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