Verwaltungsrecht

Erfolgloses, gegen die Ablehnung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels gerichtetes vorläufiges Rechtsschutzverfahren

Aktenzeichen  10 CS 20.1220

Datum:
15.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14522
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146 Abs. 4
AufenthG § 9 Abs. 2, § 14 Abs. 1, § 25 Abs. 4, § 26 Abs. 4

 

Leitsatz

1: Dringende humanitäre oder persönliche Gründe bzw. ein erhebliches öffentliches Interesse am vorübergehenden weiteren Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet i.S.v. § 24 Abs. 4 S. 1 AufenthG liegen auch dann nicht vor, wenn gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren von erheblichem Umfang anhängig und er zur Vorbereitung dieses Verfahrens auf die laufende Zusammenarbeit mit seinem Strafverteidiger angewiesen ist. Für gegebenenfalls erforderliche Aussagen im Rahmen des Ermittlungsverfahren reicht in der Regel die Möglichkeit des visumfreien Kurzaufenthalts aus. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2: Einem Anspruch eines Ausländers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG stehen Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegen, wenn der Betroffene bereits zehn Einträge über strafrechtliche Verurteilungen im Bundeszentralregister aufweist, selbst wenn er vor seiner letzten Verurteilung erhebliche Aufklärungshilfe geleistet hat, er seither als Vertrauensmann der Polizei geführt wird und seine Bewährungszeit verkürzt worden ist. (Rn. 6 – 7) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 9 S 19.4435 2020-04-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 29. August 2019 gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. August 2019 erfolgte Ablehnung des Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vom 17. Juni 2019 und die Abschiebungsandrohung nach Bosnien-Herzegowina.
Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 29. August 2019 gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu Recht abgelehnt, weil der Antragsteller keinen Rechtsanspruch auf Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels hat.
Einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil der Antragsteller schon aufgrund seiner unerlaubten Einreise ins Bundesgebiet (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) am 2. Februar 2020 gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig und ein erhebliches öffentliches Interesse, das seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern würde, nicht ersichtlich sei. Der Antragsteller habe als Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina bei seiner Einreise am 2. Februar 2020 den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht (mehr) besessen; eine titelfreie, d.h. visumfreie Einreise sei nur bei einem Kurzaufenthalt, nicht jedoch bei dem vom Antragsteller beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland möglich. Dem stehe auch ein unter Umständen fehlender Vorsatz des Antragstellers, der lediglich die Strafbarkeit entfallen lasse, nicht entgegen. Ein erhebliches öffentliches Interesse wegen Beeinträchtigung seiner Verteidigungsmöglichkeiten als Beschuldigter im laufenden Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Bestechung sei nicht erkennbar; hierfür reiche die Möglichkeit einer visumfreien Einreise für bis zu 90 Tage aus.
Der mit der Beschwerde erhobene Einwand, ein erhebliches öffentliches Interesse im Sinne von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG liege vor, weil gegen den Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft München I ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren von erheblichem Umfang anhängig, er zur Vorbereitung dieses Verfahrens auf die (laufende) Zusammenarbeit mit seinem Strafverteidiger angewiesen und eine visumfreie Einreise für bis zu 90 Tage hierfür keinesfalls ausreichend sei, greift nicht durch. Denn abgesehen davon, dass nach dieser Bestimmung eine Aufenthaltserlaubnis nur für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden kann (vgl. Maaßen/Kluth in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2019, AufenthG § 25 Rn. 63 m.w.N.), der Antragsteller ausweislich seines Antrags vom 17. Juni 2019 jedoch einen Daueraufenthalt begehrt (Bl. 914 ff. der Behördenakte), werden damit weder dringende humanitäre oder persönliche Gründe noch erhebliche öffentliche Interessen für eine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet dargelegt. Die Antragsgegnerin hat im angefochtenen Bescheid vielmehr zu Recht ausgeführt, dass die weitere Aufenthaltsgewährung nicht im Sinne von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlich sei, weil gegen den Antragsteller noch keine Anklage erfolgt sei, eine Abschiebung gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ohnehin nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft erfolgen dürfe (zu dieser allein der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses dienenden Bestimmung: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 11.15 – juris Ls 1 und Rn. 24) und für gegebenenfalls im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erforderliche Aussagen des Antragstellers die Möglichkeit eines visumfreien Kurzaufenthalts bestehe.
Soweit der Antragsteller eine illegale Einreise bestreitet und diesbezüglich wegen besonderer familiärer und beruflicher Umstände auf die Notwendigkeit von Reisen ins Ausland und die antragsgemäße Aushändigung seines Reisepasses durch die Behörde verweist, setzt er sich schon nicht in einer dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise mit der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts zur unerlaubten Einreise nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auseinander.
Einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG hat das Verwaltungsgericht verneint, weil dem beim Antragsteller Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstünden. Die prognostische Sicherheitsgefährdung durch den Antragsteller folge insbesondere aus seiner rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht M. vom 22. Juni 2016 wegen 19 Fällen des Missbrauchs von Wegstreckenzählern in Tatmehrheit mit 18 Fällen des Betrugs in Tatmehrheit mit zwölf Fällen der Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie den wiederholten Straftaten des Antragstellers wegen fahrlässigen und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die vom Antragsteller geltend gemachte Kooperation mit der Polizei nach seiner letzten strafrechtlichen Verurteilung lasse die Wiederholungsgefahr nicht wegfallen. Bei Abwägung dieser Sicherheitsgefährdung mit den zu berücksichtigenden Bindungen des Antragstellers, der sich seit 2001 in Deutschland aufhalte, überwiege das durch den Ausweisungsgrund berührte öffentliche Interesse.
Demgegenüber stehen nach dem Beschwerdevorbringen Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht entgehen, weil dieser bereits vor der Verurteilung vom 22. Juni 2016 erhebliche Aufklärungshilfe geleistet habe und in der Folge als Vertrauensperson der Polizei geführt worden sei. Eine ausreichende Bewährung ergebe sich schon aus dem Umstand, dass bei ihm aufgrund seines Verhaltens die Bewährungszeit verkürzt und die (Rest-)Strafe erlassen worden sei. Damit wird jedoch die Bewertung des Verwaltungsgerichts, eine noch fortbestehende konkrete Wiederholungsgefahr ergebe sich gerade mit Blick auf die Vielzahl vom Antragsteller begangener fahrlässiger und vorsätzlicher Straftaten, nicht durchgreifend infrage gestellt. Denn ausweislich der Gründe des Strafurteils des Amtsgerichts vom 22. Juli 2016 wies das Bundeszentralregister zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Einträge über strafrechtliche Verurteilungen (u.a. wegen ausländerrechtlicher Delikte, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Betrugs) überwiegend zu Geldstrafen, zuletzt wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, auf. Auch aktuell wird nach dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung noch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller (wegen Bestechung) geführt.
Dass das Verwaltungsgericht demgegenüber das im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zu berücksichtigende private Interesse des Antragstellers falsch gewichtet hätte, ist weder mit der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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