Verwaltungsrecht

Erledigung der Hauptsache durch Nachholen einer Ermessensbegründung

Aktenzeichen  AN 4 K 18.01810

Datum:
7.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2789
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 39 Abs. 1, Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
BeiO § 2 Abs. 3
HKaG Art. 15 Abs. 2, Art. 61, Art. 65

 

Leitsatz

1. Die Hauptsache hat sich objektiv erledigt, wenn dem Klagebegehren rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen ist, wenn also das Rechtsschutzziel in dem Prozess nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht worden ist oder überhaupt nicht mehr erreicht werden kann. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer Anfechtungsklage, die sich allein auf eine fehlerhafte Ermessensbegründung stützt, ist die Grundlage entzogen, wenn im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Begründung der Ermessensentscheidung im streitgegenständlichen Bescheid den Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG genügt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass sich die Hauptsache erledigt hat.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig (1.) und begründet (2.). Die Erledigung ist festzustellen, da die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Hauptsache für erledigt erklärt hat, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, die Hauptsache sich aber tatsächlich erledigt hat.
1. Die geänderte Klage ist als Feststellungsklage zulässig.
Durch die einseitig gebliebene Erledigungserklärung hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers von dem bisherigen Anfechtungsbegehren Abstand genommen und begehrt stattdessen die gerichtliche Feststellung der Erledigung der Hauptsache. An die Stelle des durch den ursprünglichen Klageantrag bestimmten Streitgegenstandes tritt der Streit über die Behauptung des Klägers, seinem Klagebegehren sei durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen worden. Dieser Austausch des Klagebegehrens führt zu einer Änderung des Streitgegenstandes und stellt eine zulässige Klageänderung dar (BVerwG, U.v. 27.2.1969 – VIII C 37, 38/67 – BVerwGE 31, 318; BVerwG, B.v. 30.10.1969 – VIII C 219/67 – BVerwGE 34,159; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 161 Rn. 28). Das Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass der Kläger keine andere Möglichkeit zur Vermeidung der Kostenlast hat (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 161 Rn. 28; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 120).
2. Die Klage ist auch begründet, da sich die Hauptsache durch das Nachholen der Ermessensbegründung erledigt hat.
Die Erledigung der Hauptsache ist festzustellen, wenn sich das ursprüngliche Klagebegehren durch ein nach Klageerhebung eingetretenes Ereignis erledigt hat (BVerwG, B.v. 25.11.1981 – 1 WB 131/80 – BVerwGE 73, 312). Der Beklagte unterliegt, wenn er zu Unrecht die Erledigung des Rechtsstreits bestreitet und demgemäß zu Unrecht an seinem Klageabweisungsantrag festhält (BVerwG, U.v. 27.2.1969 – VIII C 37, 38/67 – BVerwGE 31, 318). Die Hauptsache hat sich objektiv erledigt, wenn dem Klagebegehren rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen ist, wenn also das Rechtsschutzziel in dem Prozess nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht worden ist oder überhaupt nicht mehr erreicht werden kann (BVerwG, U.v. 24.9.2009 – 7 C 2/09 – NVwZ 2010, 189 Rn. 22). Der Kläger muss infolge eines nachträglich eingetretenen Ereignisses sein Klagebegehren nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgen können, seinem Klagebegehren muss vielmehr rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen sein (BayVGH, B.v. 2.12.2019 – 13a ZB 19.32868 – juris Rn. 8). Dies läuft letztlich darauf hinaus, dass die ursprüngliche Klage zumindest jetzt unzulässig oder unbegründet sein muss (Just in Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 4. Aufl. 2016, § 161 Rn. 39; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 161 Rn. 22; Neumann/Schacks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 148f.).
Vorliegend ist dem Klagebegehren des Klägers dadurch die Grundlage entzogen worden, dass in Folge der Vorlage der Leitlinien zur Ermessensausübung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Art. 45 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG) zumindest im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Begründung der Ermessensentscheidung im streitgegenständlichen Bescheid den Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG genügt. Damit ist die Anfechtungsklage des Klägers, die sich allein auf die fehlerhafte Ermessensbegründung stützt, zumindest im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unbegründet. Die Begründung der Ermessensentscheidung im streitgegenständlichen Bescheid genügt nach Vorlage der Leitlinien zur Ermessensausübung durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020 den Anforderungen des Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG. Nach Satz 3 dieser Vorschrift muss die Begründung einer Ermessensentscheidung die Gesichtspunkte erkennen lassen, die die Behörde ihrer Ermessensausübung zugrunde gelegt hat. Die Begründung muss substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar sein (Tiedemann in BeckOK, VwVfG, 46. Ed., Stand 01.01.2020, § 39 Rn. 28 m.w.N.; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 39 Rn. 25). Dabei genügt ein Verweis auf Verwaltungsvorschriften, wenn diese veröffentlicht oder dem Bescheid beigefügt sind und sich aus ihnen die Ermessensgesichtspunkte erkennen lassen (Tiedemann in BeckOK, VwVfG, 46. Ed., Stand 01.01.2020, § 39 Rn. 47). Aus den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Leitlinien zur Ermessensausübung, welche die Beklagte seit dem Jahr 2004 anwendet und auch dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegt hat, geht hinreichend nachvollziehbar hervor, wie die Beklagte bei Teilzeittätigkeit bzw. vorübergehender Unterbrechung der Tätigkeit die Beitragsermäßigung ermittelt. Nach diesen Leitlinien werden für jeden Monat in Abhängigkeit von der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit zwischen 0 und 4 Punkte vergeben, wobei zwischen Angestellten und Selbstständigen unterschieden wird. Anhand der so ermittelten Punktesumme für das Beitragsjahr ergibt sich aus einer Tabelle die Beitragshöhe, wobei zwischen drei Beitragsgruppen unterschieden und in jeder Beitragsgruppe vier Beitragsstufen gebildet werden. Der Kläger fällt mit einer Punktesumme von 18 als Selbstständiger in die 1. Teilzeitstufe mit einem Beitrag von 375,00 EUR. Das Nachholen dieser Begründung war gemäß Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren möglich. Ob die Leitlinien der Beklagten einer rechtlichen Prüfung standhalten, war nicht Gegenstand dieses Erledigungsfeststellungsstreits.
Auch wenn es auf die ursprüngliche Begründetheit der Klage nicht ankommt (BVerwG, U.v. 12.4.2001 – 2 C 16/00 – BVerwGE 114, 149; BVerwG, U.v. 14.1.1965 – 1 C 68/61 – BVerwGE 20,146; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 161 Rn. 28 m.w.N.), ist festzustellen, dass bis zur Vorlage der Leitlinien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Ermessensentscheidung nicht den Anforderung des Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG entsprechend begründet war, da für den Kläger unter den gegeben Umständen nicht nachvollziehbar erkennbar war, wie die Beklagte zu dem Ermäßigungsbetrag von 60,00 EUR gekommen ist. Die Beklagte hat als Ermessensgesichtspunkte im streitgegenständlichen Bescheid die Dauer der Kammermitgliedschaft bzw. der Berufstätigkeit in Monaten und die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit im jeweiligen Beitragsjahr genannt. Sie hat nicht einmal dargelegt, in welcher Weise sich die Dauer der Kammermitgliedschaft bzw. der Berufstätigkeit in Monaten auswirkt, sprich ob z.B. eine lange Kammermitgliedschaft zu einer höheren oder geringeren Ermäßigung führt. Die bloße Nennung dieser Ermessensgesichtspunkte war aus folgenden Gründen nicht ausreichend:
Zum einen war der Mitgliedsbeitrag des Klägers erst zwei Monate vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides mit Bescheid vom 2. Mai 2017 auf 385,00 EUR ermäßigt worden. In diesem Bescheid vom 2. Mai 2017 hatte die Beklagte lediglich den Ermäßigungsgrund der vorübergehenden Unterbrechung der Berufstätigkeit wegen Elternzeit (5 Monate) berücksichtigt und war zu einer Ermäßigung von 50,00 EUR gegenüber dem Regelbeitrag gekommen. Wenn die Beklagte nun im streitgegenständlichen Bescheid neben dem Ermäßigungsgrund der Elternzeit zusätzlich den Ermäßigungsgrund der Teilzeit (7 Monate) berücksichtigte, jedoch trotz dieses zweiten Ermäßigungsgrundes ohne nähere Erläuterung nur eine weitere Ermäßigung in Höhe von 10,00 EUR gewährte, musste dies beim Kläger verständlicherweise den Anschein erwecken, er solle mit einem kleinen Nachlass abgespeist werden. Aus der ursprünglichen Begründung des Bescheides ging nicht hervor, warum trotz einer hinzutretenden Teilzeittätigkeit über sieben Monate mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, die ca. 40% der Vollzeittätigkeit entsprach, lediglich weitere 10,00 EUR Ermäßigung veranlasst waren. Die Beklagte räumte in der mündlichen Verhandlung selbst ein, dass diese weitere Reduzierung von 10,00 EUR letztlich vielleicht zur Klage geführt hat und die Kommunikation hier nicht optimal gelaufen sei.
Zum anderen muss auch berücksichtigt werden, dass der Kläger bereits vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides mit Schreiben vom 4. Mai 2017 gegenüber der Beklagten erklärt hat, dass ihm die Ermäßigung von 50 EUR im Bescheid vom 2. Mai 2017 „willkürlich festgelegt“ erscheine und mit weiterem Schreiben vom 26. Juni 2017 die Beklagte darum gebeten hat, „als Begründung für die festgelegte Beitragsreduktion genaue, nachvollziehbare Angaben über die zugrunde gelegte Rechenweise zu machen.“ Aus diesen Schreiben ging deutlich hervor, dass der Kläger der bisherigen Ermessensausübung durch die Beklagte kritisch gegenüberstand. Der Bitte des Klägers um eine nachvollziehbare Begründung der Ermäßigungsberechnung hätte die Beklagte mit relativ geringem Aufwand nachkommen können, indem sie dem Bescheid ihre Leitlinien zur Ermessenausübung beigefügt hätte. Einer Veröffentlichung der Leitlinien stehen nach eigener Angabe der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch keine Geheimhaltungsaspekte entgegen. Angesichts dieser einfachen Möglichkeit, die Ermessensentscheidung ausführlicher zu begründen, verfängt auch das Argument der Beklagten nicht, sie könne aus Kapazitätsgründen bei der Bearbeitung nicht jeden Bescheid ausführlich begründen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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