Verwaltungsrecht

Erschließungsbeitrag für die Herstellung einer Lärmschutzwand

Aktenzeichen  6 ZB 19.10

Datum:
25.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30454
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 72

 

Leitsatz

Ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht liegt nicht vor, wenn es der in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretene Beteiligte unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen, den er in zumutbarer Weise hätte stellen können.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 K 18.1356 2018-11-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. November 2018 – RN 11 K 18.1356 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.269,55 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Immissionsschutzanlage – Lärmschutzwand – entlang der B 11.
Einen ersten Bescheid vom 5. Juli 2010 über 3.983,69 € hatte die beklagte Stadt auf seinen Widerspruch hin durch (Abhilfe-)Bescheid vom 21. Januar 2014 mit der Begründung aufgehoben, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts in zwei Musterverfahren von anderen Anliegern (VG Regensburg, U.v. 10.12.2013 – RN 4 K 12.1944 und 1945) nur die Grundstücke im Bereich des neuen Baugebiets „Auf der Eben II“ beitragspflichtig seien, nicht aber diejenigen im Bereich des alten Baugebiets „Auf der Eben“, wo das Grundstück des Klägers liegt.
Nachdem der Verwaltungsgerichtshof in einem dritten Musterverfahren (VG Regensburg, U.v. 10.12.2013 – RN 4 K 12.1943) auf die Berufung eines erstinstanzlich unterlegenen Grundeigentümers im neuen Baugebiet entschieden hatte, dass die Erschließungswirkung entsprechend § 7 Abs. 2 EBS 2010 nicht auf das neue Baugebiet beschränkt sei, sondern alle Grundstücke erfasse, bei denen die Lärmschutzwand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten an einem Vollgeschoss eine Schallpegelminderung von mindestens 3 db(A) auslöse (BayVGH, U.v. 11.3.2015 – 6 BV 14.280 – BayVBl 2015, 525 Rn. 21), führte die Beklagte eine neue Aufwandsverteilung durch. Auf dieser Grundlage zog sie den Kläger mit Bescheid vom 11. September 2015 – innerhalb der Festsetzungsfrist – (erneut) zu einem Erschließungsbeitrag nunmehr in Höhe von 5.269,55 € heran. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht für unbegründet erachtet und mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen.
2. Die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO, die der Kläger innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebracht hat, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
a) An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht gehindert war, den Kläger erneut zu einem Erschließungsbeitrag heranzuziehen. Entgegen der Zulassungsbegründung lässt sich ein schutzwürdiges Vertrauen auf Verschonung von der Beitragserhebung weder aus der Abrede mit der Beklagten über die Durchführung eines Musterverfahrens noch aus dem Abhilfebescheid vom 21. Januar 2014 herleiten. Das ergibt sich aus den überzeugenden Gründen des erstinstanzlichen Urteils und bedarf keiner weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.
Der Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten über die Durchführung eines Musterverfahrens enthält keine rechtsverbindliche Verpflichtung der Beklagten mit dem vom Kläger unterstellten Inhalt, sie müsse alle (damals Widerspruch führenden) Eigentümer von Grundstücken im alten Baugebiet entsprechend den rechtskräftig gewordenen Urteilen des Verwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2013 in den Verfahren Az. RN 4 K 12.1944 und 1945 behandeln und mithin von einer Beitragserhebung absehen.
Die Vereinbarung war, wie das Verwaltungsgericht eingehend dargelegt hat, nicht beschränkt auf ein Musterverfahren zu einem Grundstück im alten Baugebiet, das durch Urteil des Verwaltungsgerichts 10. Dezember 2013 rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Sie umfasste vielmehr nach dem Schreiben der Beklagten vom 11. Oktober 2010 ausdrücklich auch ein weiteres Verfahren zu einem Grundstück im neuen Baugebiet („.., dass wir dem Musterverfahren Z. und E. zustimmen“), das erst im Berufungsverfahren durch das Senatsurteil vom 11. März 2015 – 6 BV 14.280 – entschieden worden ist. Die Erklärung der Beklagten gegenüber den Prozessbevollmächtigten, den „Ausgang des Verwaltungsstreitverfahrens … für die übrigen Mandanten zugrunde“ zu legen, bezieht sich demnach – ohne jeden Zweifel – auf den Ausgang in beiden Verfahren, um eine rechtskonforme Verteilung des umlagefähigen Aufwands für alle erschlossenen Grundstücke sicherzustellen. Dass die Beklagte die stattgebenden Urteile des Verwaltungsgerichts zu Grundstücken im alten Baugebiet hat rechtskräftig werden lassen und zunächst allein auf deren Grundlage eine neue Beitragsabrechnung durchgeführt hat, obwohl in dem Musterverfahren zum neuen Baugebiet der dort unterlegene Grundstückseigentümer die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt hat, gibt der Vereinbarung keinen neuen, nunmehr auf das Musterverfahren zum alten Baugebiet beschränkten Inhalt.
Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf, nicht mehr zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen zu werden, lässt sich auch nicht auf den Abhilfebescheid vom 21. Januar 2014 stützen, mit dem die Beklagte den ersten Beitragsbescheid auf den Widerspruch des Klägers unter Hinweis auf die rechtskräftigen Urteile des Verwaltungsgerichts in den beiden Verfahren zum alten Baugebiet aufgehoben hat. Während ein rechtskräftiges Urteil oder ein bestandskräftiger Widerspruchsbescheid, mit dem ein Beitragsbescheid wegen fehlender Beitragspflicht aufgehoben wird, den Erlass eines neuen Beitragsbescheids – vorbehaltlich einer Änderung der Sach- oder Rechtslage – verbietet (vgl. BayVGH, U.v. 27.7.2017 – 6 B 17.519 – juris Rn. 20 zum Urteil; U.v. 18.11. 2011 – 6 B 10.2081 – juris – Rn. 15 f. zum Widerspruchsbescheid), bewirkt die positive Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde nach § 72 VwGO kein derartiges Wiederholungsverbot.
Der Abhilfebescheid stellt materiellrechtlich die Aufhebung des Ausgangsbescheids dar; dessen Wirkungen werden – rückwirkend – beseitigt. Das steht aber einem Neuerlass des belastenden Beitragsbescheids nicht entgegen (Rennert in Eyermannn, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 72 Rn. 10). Der Neuerlass stellt auch keine „Aufhebung der Aufhebung“ dar, die sich an den Vorschriften über Rücknahme oder Widerruf eines Verwaltungsakts (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. §§ 130 ff. AO) messen lassen müsste.
Materielles Erschließungsbeitragsrecht verbietet eine erneute Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag ebenfalls nicht. Im Gegenteil verlangt, wie das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung hervorgehoben hat, die in Art. 5a Abs. 1 KAG (§ 127 Abs. 1 BauGB) verankerte Beitragserhebungspflicht von den Gemeinden, den Erschließungsbeitragsanspruch – bis zu dessen Erlöschen oder bis zum Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist – in voller Höhe zu realisieren und deswegen gegebenenfalls auch fehlerhafte Berechnungen zu korrigieren und Differenzen nachzufordern (BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 10; vgl. auch Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 3 Rn. 10).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beachtlichen Verfahrensmangel zuzulassen, auf dem das erstinstanzliche Urteil beruhen kann.
Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mehr die Mühe gemacht, die sachlichen Grundlagen der Erschließungsbeitragsabrechnung für das klägerische Grundstück zu überprüfen, und nicht beachtet, dass nach der vom Sachverständigenbüro vorgelegten graphischen Darstellung die Lärmsituation auf dem Grundstück von den anderen Lärmquellen überlagert werde. Damit wendet er sich gegen die auf das schalltechnische Gutachten vom 11. Dezember 2012 (Plan 5 und 6) gestützte Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Lärmschutzwand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten zu einer – einen beitragsrelevanten Sondervorteil begründenden – Minderung des Beurteilungspegels an der Ostseite des Wohngebäudes auf dem klägerischen Grundstück von 3 bis 6 db(A) führe (S. 16 f. des Urteils).
Soweit mit diesem Vorbringen ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) gerügt werden soll‚ greift das schon deshalb nicht durch‚ weil nicht vorgetragen und auch ausweislich des Verhandlungsprotokolls nicht ersichtlich ist‚ dass der in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretene Kläger einen förmlichen Beweisantrag gestellt hätte. Die Rüge unzureichender Sachaufklärung kann nicht dazu dienen‚ Beweisanträge zu ersetzen‚ die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können‚ jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BVerwG‚ B.v. 6.5.2013 – 4 B 54.12 – juris Rn. 3 m.w.N). Dass sich dem Verwaltungsgericht die jetzt vom Kläger vermissten Ermittlungen auch ohne Stellung eines Beweisantrags von sich aus hätten aufdrängen müssen‚ legt der Zulassungsantrag nicht dar.
Der Verfahrensrüge lässt sich in der Sache auch keine substantiierten Einwände gegen das Ergebnis der Begutachtung für das klägerische Grundstück oder die vom Verwaltungsgericht daraus gezogenen Schlussfolgerungen entnehmen. Deshalb kommt insoweit auch keine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) in Betracht.
3. Die Berufung ist entgegen der Ansicht des Klägers schließlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht in dem Musterverfahren eines Grundeigentümers aus dem neuen Baugebiet die Berufung gegen sein Urteil vom 10. Dezember 2013 – RN 4 K 12.1943 – wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hatte.
Eine Berufungszulassung sieht das Gesetz nur unter den in § 124, § 124a VwGO genannten Voraussetzungen vor, die hier aus den oben genannten Gründen nicht vorliegen. Das Argument der anlagenbezogenen Ungleichbehandlung kann deshalb schon für sich betrachtet nicht überzeugen, zumal in den weiteren Musterverfahren zum alten Baugebiet keine Berufungszulassung erfolgt war. Im Übrigen hatte das Verwaltungsgericht die Berufung im damaligen Urteil wegen für grundsätzlich bedeutsam erachteter Rechtsfragen zugelassen, welche die Erforderlichkeit der Erschließungsanlage betroffen haben (Prognose, „Überkapazität“) und welche durch das Senatsurteil vom 11 März 2015 – 6 BV 14.280 – in dem entscheidungserheblichen Umfang geklärt worden sind. Besteht aber insoweit kein erneuter oder weiterer Klärungsbedarf mehr, kann es nicht gleichheitswidrig sein, die Berufung nunmehr nicht zuzulassen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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