Verwaltungsrecht

Erteilung einer Duldung bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  10 CE 21.392, 10 CE 21.389

Datum:
2.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20855
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8
GG Art. 6, Art. 19 Abs. 4
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 5, § 60a Abs. 2 S. 1, § 81 Abs. 3, Abs. 4
AufenthV § 31 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er grundsätzlich ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass ein Ausländer nicht ein Visum im Ausland beantragen und gleichzeitig im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, ist eine grundsätzlich hinzunehmende reflexhafte Folge der ihm zumutbaren Durchführung eines Visumverfahrens. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Duldung für die Dauer des Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels kann nur ausnahmsweise zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 20.2659 2021-01-18 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerdeverfahren 10 CE 21.392 und 10 CE 21.389 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf insgesamt 3.750,- Euro (1.250,- Euro für das Verfahren 10 CE 21.392 und 2.500,- Euro für das Verfahren 10 CE 21.389) festgesetzt.
V. Die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren werden abgelehnt.

Gründe

I.
Mit den Beschwerden verfolgt der Antragsteller seine vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Eilanträge weiter, die Ausländerbehörde zu verpflichten, ihm einstweilen bis zur Verbescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Duldung zu erteilen und ihm eine Erwerbstätigkeit zu gestatten.
Der Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste 2013 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. April 2018 (bestandskräftig seit 1. Mai 2018) in vollem Umfang abgelehnt wurde. Im Anschluss daran wurde er, zuletzt bis zum 28. Dezember 2020, geduldet. Er besitzt einen gültigen nigerianischen Nationalpass.
Der Antragsteller hat mit einer nigerianischen Staatsangehörigen drei gemeinsame Kinder, die 2015, 2016 und 2020 geboren wurden und ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland besitzen. Er wohnt nicht mit seinen Familienangehörigen zusammen, besitzt jedoch ein Sorgerecht und kümmert sich intensiv um die Kinder.
Mit Strafbefehl vom 7. September 2018 wurde er wegen Bedrohung in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt, weil er die Mutter seiner Kinder mit dem Tod bedroht, sie ins Gesicht geschlagen und gegen einen Stuhl geschubst hatte.
Die Ausländerbehörde lehnte im Jahr 2019 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und verwies auf die Durchführung eines Visumverfahrens. Nachdem der Antragsteller nachgewiesen hatte, dass er sich am 19. Oktober 2019 für einen Termin zur Visumbeantragung am deutschen Generalkonsulat in Lagos registriert hatte, stellte die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 18. November 2019 in Aussicht, bei Vorlage der aktuellen Gehaltsabrechnungen und Nachweis einfacher Sprachkenntnisse (A1 GER) eine Vorabzustimmung für ein Visum zu erteilen. Am 15. Mai 2020 wurde zwischen dem Antragsteller und der Ausländerbehörde vereinbart, dass er bis zum 15. September 2020 den genauen Termin zur Visumbeantragung und das Ausreisedatum mitteile; zudem könne er bei Vorlage des Sprachnachweises eine Vorabzustimmung erhalten. Im Gegenzug werde er weiterhin bis zur Ausreise zwecks Nachholung des Visumverfahrens geduldet.
Am 3. September 2020 ließ der Antragsteller mitteilen, er habe am 25. September 2020 einen Termin beim Generalkonsulat in Lagos. Das sei ihm jedoch erst am 28. August 2020 mitgeteilt worden; die Zeit sei nicht ausreichend, um ein finanzierbares Flugticket zu buchen und eine für die notwendige siebentägige Quarantäne geeignete Unterkunft in Lagos zu finden sowie die notwendigen Tests auf das Corona-Virus zu organisieren. Obwohl die Ausländerbehörde einer Stornierung des Termins nicht zustimmte, ist der Antragsteller nicht ausgereist. Er begründete dies in einem Schreiben damit, dass er am 16. September 2020 habe nach Nigeria fliegen wollen, jedoch seine dreijährige Tochter am 15. September 2020 ins Krankenhaus eingewiesen und erst am 17. September 2020 wieder entlassen worden sei; er habe sie begleiten müssen, weil dies seiner Lebensgefährtin wegen ihres neugeborenen Kindes nicht möglich gewesen sei. Nach dem Krankenhausaufenthalt habe er nicht mehr nach Nigeria fliegen können, weil er aufgrund der pandemiebedingten Quarantänemaßnahmen den Termin nicht mehr hätte einhalten können. Er habe den Termin beim Generalkonsulat storniert und sich sogleich für die Zuteilung eines neuen Termins registriert.
Der Antragsteller erhielt letztmalig eine bis zum 28. November 2020 gültige Duldung. Eine weitere Duldung lehnte die Ausländerbehörde mit Bescheid vom 18. November 2020 ab und räumte dem Antragsteller eine Ausreisefrist bis zum 28. Dezember 2020 ein. Über die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden (Au 1 K 20.2756). Mit weiterem Bescheid vom 4. Dezember 2020 lehnte die Ausländerbehörde den am 4. November 2020 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab; auch über die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden (Au 1 K 20.2658).
Am 10. Dezember 2020 beantragte der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel, ihn bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiter zu dulden, den das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Beschluss vom 18. Januar 2021 (Au 1 E 20.2659) ablehnte.
Das Verwaltungsgericht führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Antragsteller könne sich jedenfalls nicht auf einen Anordnungsanspruch berufen. Die dargelegten Gründe genügten nicht für die Annahme, dass die Ausreise bzw. Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre, wie es § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Erteilung der beantragten humanitären Aufenthaltserlaubnis bzw. Aussetzung der Abschiebung voraussetzten. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise oder Abschiebung wäre nur dann anzunehmen, wenn die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs auf Aufenthaltsrecht nur bei einem Verbleiben des Antragstellers im Bundesgebiet gewährleistet wäre; der Antragsteller habe jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass er ein Bleiberecht im Bundesgebiet ohne vorherige Durchführung eines Visumverfahrens beanspruchen könne und es deshalb aus Rechtsschutzgründen ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner die Abschiebung vorläufig zu untersagen.
Dem Antragsteller stehe voraussichtlich kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Es sei bereits fraglich, ob diese Vorschrift als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden könne, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt seien. Jedenfalls sei die Ausreise des Antragstellers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Die Feststellung allein, der Antragsteller habe möglicherweise einen sich aus Art. 6 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen Daueraufenthalt zur Ausübung der Personensorge für seine Kinder, führe noch nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Soweit die Nachholung des Visumverfahrens im Ausland erforderlich sei, sei dessen Durchführung nicht von vornherein unzumutbar, auch wenn es mit einer vorübergehenden Trennung der Familie verbunden sei.
Das Gericht gehe davon aus, dass ein eventuell bestehendes Daueraufenthaltsrecht des Antragstellers aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet auch bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und der Ausübung des Ermessens im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG durchgreifen müsse, soweit eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft vorliege und diese nur im Bundesgebiet gelebt werden könne. Die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis setze allerdings gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG die Durchführung eines Visumverfahrens und damit die Ausreise des Antragstellers voraus. An die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 GG sei auch das deutsche Generalkonsulat in Lagos bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und bei Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 36 Abs. 2 AufenthG gebunden. Eine grundsätzliche Möglichkeit des Familiennachzugs bestehe damit. Das Gericht sehe keinerlei Veranlassung zu der Annahme, das Generalkonsulat als deutsche Behörde beachte im Rahmen der Durchführung des Visumverfahrens nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Im Fall des Antragstellers seien keine Umstände erkennbar, die eine vorübergehende Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens aus familiären Gründen unzumutbar erscheinen ließen. Es liege primär in seinem Verantwortungsbereich, die Ausreisemodalitäten möglichst familienverträglich zu gestalten. Er habe die mit der Vereinbarung mit der Ausländerbehörde eröffneten Möglichkeiten nicht genutzt und den Termin beim Generalkonsulat in Lagos, welcher laut seinen Angaben am 25. September 2020 hätte stattfinden sollen, nicht wahrgenommen. Bereits am 3. September 2020 habe er mitteilen lassen, dass ihm die Ausreise und die Organisation zur Wahrnehmung des Termins nicht möglich seien. Seine Asylhelferin und seine Lebensgefährtin hätten dies ebenfalls vorgetragen, obwohl die Ausländerbehörde ihn darauf hingewiesen habe, dass er den Termin einhalten könne und müsse. Vor diesem Hintergrund sei bereits fraglich, ob sich der Antragsteller tatsächlich ernsthaft um die Wahrnehmung des Termins beim Generalkonsulat Lagos bemüht habe.
Zwar habe er den Krankenhausaufenthalt seiner Tochter glaubhaft gemacht. Es fehle aber jeder Nachweis dafür, dass er eine Ausreise nach Nigeria für den 16. September 2020 tatsächlich organisiert gehabt habe. Es sei nicht belegt worden, dass er für diesen Tag einen Flug sowie eine Unterkunft in Lagos gebucht gehabt und der für die Einreise nach Nigeria notwendige Corona-Test vorgelegen habe. Ernsthafte Ausreisebemühungen, welche nur durch den unvorhergesehenen Krankenhausaufenthalt seiner Tochter gescheitert seien, seien in keiner Weise glaubhaft gemacht worden.
Er habe es durch sein Verhalten selbst zu verantworten, dass die familienfreundliche Gestaltung des Visumverfahrens gescheitert sei; die nunmehr möglicherweise länger dauernde Trennung von seiner Familie sei ihm deshalb zumutbar. Er befinde sich in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführten und während dieser Zeit von ihrer Familie getrennt seien.
Mit weiterem Beschluss vom 18. Januar 2021 (Au 1 E 20.2809) lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg auch einen am 28. Dezember 2020 gestellten Antrag nach § 123 VwGO, dem Antragsteller vorläufig die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu gestatten und einen entsprechenden Hinweis in die Duldungsbescheinigung aufzunehmen, ab.
Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner am 29. Januar 2021 eingelegten Beschwerden gegen beide Beschlüsse vor, er habe einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG und – zu dessen Sicherung – auf Ausstellung einer Duldung, mit der ihm auch die Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit vorläufig zu gestatten sei.
Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, ob die Erteilung eines Visums an den Antragsteller zu erwarten sei, seien unzutreffend. Ein Visumverfahren familienfreundlich durchzuführen, könne nur unter drei Voraussetzungen gelingen: Es müsse der konkrete Antragsteller die rechtliche Möglichkeit auf Familiennachzug, also eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch haben, es müsse ferner zu erwarten sein, dass die Auslandsvertretung und die zustimmungspflichtige Ausländerbehörde die Anspruchs- und Regelerteilungsvoraussetzungen voraussichtlich bejahen würden, und es müsse der Nachzug prognostisch so schnell realisiert werden können, dass die Dauer der Trennung des Antragstellers von seinen Familienangehörigen, namentlich von den Kindern, absehbar kurz sei.
Das Verwaltungsgericht gehe aber nicht auf seinen Vortrag ein, dass angesichts der restriktiven Vorgaben der Verwaltungsvorschriften und des Visumhandbuchs mit Sicherheit zu erwarten sei, dass das Generalkonsulat die Erteilung eines Visums gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG mit der Begründung, die Erteilung sei nicht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich, ablehnen würde. Gegen eine ablehnende Entscheidung müsse dann Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Berlin mit einer Wartezeit von etwa zwei Jahren eingeholt werden. Außerdem könne eine Ablehnung des Visums auch darauf gestützt werden, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers und seiner Familienangehörigen nicht mehr gesichert sei, denn bei einer Ausreise und ungewiss langen Abwesenheit werde er seinen Arbeitsplatz verlieren und könne daher die Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr nachweisen. Die Erwartung des Verwaltungsgerichts, das Generalkonsulat werde ein Visum erteilen, entbehre damit jeglicher Grundlage; die familienfreundliche Durchführung des Visumverfahrens sei mithin keinesfalls gesichert, sondern eine bloße, ersichtlich substanzlose Hoffnung.
Bezüglich der Ausstellung einer Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG verkenne das Verwaltungsgericht, dass es für den Anspruch auf Ausstellung einer Duldung nicht darauf ankomme, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könne, sondern lediglich darauf, ob seine Abschiebung unmöglich sei. Das Gericht vermische die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG, der auf die Möglichkeit der Ausreise abstelle, und des § 60a AufenthG, der auf die Möglichkeit einer Abschiebung abstelle. Der Antragsteller halte sich immer noch im Bundesgebiet auf und könne angesichts der aufgezeigten rechtlichen Unsicherheiten nicht ausreisen. Solange eine Abschiebung nicht durchgeführt werden dürfe und auch nicht werde, sei er geduldet, und es sei ihm folglich eine Duldungsbescheinigung gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG auszustellen. Das Verwaltungsgericht gehe wohl selbst davon aus, dass der Antragsteller aufgrund seine familiären Beziehungen nicht abgeschoben werden dürfe; trotzdem habe es den Antragsgegner nicht zur Aushändigung einer Duldungsbescheinigung verpflichtet. Dies verletze ihn in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG.
Da seine Identität geklärt und sonstige Versagungsgründe nicht ersichtlich seien, sei ihm auch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu gestatten. Eine Versagung greife auch in die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG seiner Kinder ein, da diese nicht mehr eine finanziell angemessene Unterstützung durch ihren Vater erhielten.
Der Antragsteller beantragt,
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Januar 2021 – Au 1 E 20.2659 und Au 1 E 20.2089 – werden geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig nicht abzuschieben, ihm eine drei Monate gültige Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG auszustellen und ihm hierin sein Recht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu bescheinigen.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten bewilligt.
Der Antragsgegner beantragt,
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Er wiederholt im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und verteidigt die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts. Ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bestehe nicht; die Ausreise des Antragstellers sei weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich. Die Tatsache, dass durch die Nichtwahrnehmung des Termins bei der deutschen Auslandsvertretung in Nigeria ein neuer Termin erforderlich werde und sich der Auslandsaufenthalt des Antragstellers länger als ursprünglich beabsichtigt hinziehe, sei von ihm selbst zu vertreten. Die Ausländerbehörde habe ihm, obwohl hierauf kein Rechtsanspruch bestehe, eine Vorabzustimmung zugesagt gehabt. Soweit vorgebracht werde, dass keine völlige Sicherheit für die Erteilung eines Visums bestehe, werde verkannt, dass es sich bei dem Familiennachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG um eine Ermessensentscheidung handle, und nicht um einen Rechtsanspruch. Der Gedankengang, dass gerade der schwächere Rechtsanspruch zu einer Duldung oder einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG führen müsse, führe die rechtlichen Regelungen ad absurdum. Bei Elternteilen, die einen Antrag auf Familiennachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG im regulären Visumverfahren vom Ausland aus stellten, werde durch den Gesetzgeber eine entsprechende Verfahrensdauer (ohne Vorabzustimmung) hingenommen, und es werde auch immer ein Risiko bestehen, dass der Visumantrag abgelehnt werde. Der Antragsteller befinde sich in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführten und während dieser Zeit von ihrer Familie getrennt seien. Das Ausländeramt habe trotz des Verhaltens des Antragstellers weiterhin eine Vorabzustimmung in Aussicht gestellt, so dass sein Visumverfahren mit deutlich höherer Erfolgsaussicht betrieben werden könne.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Behördenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Beschwerden, die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden wurden, sind unbegründet.
In dem Beschwerdeverfahren 10 CE 21.392 ist das Rechtsschutzziel des Antragstellers nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO dahin auszulegen, dass er eine einstweilige Duldung auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bzw. eine einstweilige Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt (1.). Im Beschwerdeverfahren 10 CE 21.389 erstrebt er die einstweilige Gestattung einer Erwerbstätigkeit (§ 4a Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 1 BeschV) (2.).
Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Überprüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 18. Januar 2021 abzuändern. Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung beziehungsweise auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG unter Gestattung der Erwerbstätigkeit nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen hierfür als nicht erfüllt angesehen hat.
1. Die Beschwerde in dem Beschwerdeverfahren 10 CE 21.392 ist unbegründet. Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bzw. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise dargelegt und glaubhaft gemacht.
a) Dies gilt insbesondere für den Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Der Abschiebung stehen nicht die familiären Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK wegen der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens entgegen.
(aa) Art. 6 GG gewährt keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der Betroffene muss es nicht hinnehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner oder Kind ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – BVerfGE 76, 1 = juris Rn. 96, 102 u. 103).
Mit diesem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient und daher die Nachholung nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen ist. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er beispielsweise − unter Mitwirkung der zuständigen Ausländerbehörde – deren Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5).
Dass der Betroffene ein kleines Kind hat, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Gleiches gilt für die Konstellation, dass der Betroffene ein Kind ausländischer Staatsangehörigkeit mit Bleiberecht im Bundesgebiet hat beziehungsweise ein Kind deutscher Staatsangehörigkeit zum Familienverband des Betroffenen gehört.
Allerdings muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar sein. Dazu muss geklärt sein, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021 – 10 CE 20.2030 – juris Rn. 24; B.v. 22.1.2019 – 10 CE 19.149 – juris Rn. 15; B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.).
(bb) Gemessen an diesen Anforderungen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene Trennung für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Dabei ist – mit dem Verwaltungsgericht − zu Gunsten des Antragstellers von dem Bestehen einer schützenswerten familiären Beistands- und Erziehungsgemeinschaft auszugehen. Allerdings ist im vorliegenden Fall mit Blick hierauf und die entgegenstehenden öffentlichen Interessen eine unzumutbar lange Trennung von der Familie nicht zu befürchten, mit der Folge, dass die Abschiebung des Antragstellers nicht rechtlich unmöglich ist.
Der Antragsteller hat es (schon) bisher selbst in der Hand gehabt, einen Aufenthalt in Nigeria zur Durchführung eines Visumverfahrens und damit die Trennung von seinen Familienangehörigen so kurz wie möglich zu halten; die Ausländerbehörde hat ihm hierzu die entsprechenden Möglichkeiten eingeräumt. Nachdem der Antragsteller auf entsprechendes Drängen der Ausländerbehörde sich am 19. Oktober 2019 für einen Termin zur Visumbeantragung beim deutschen Generalkonsulat in Lagos registriert und mitgeteilt hatte, dies könne bis zum Oktober 2020 dauern, sicherte ihm die Ausländerbehörde am 18. November 2019 die Erteilung einer Vorabzustimmung zu, wenn er noch aktuelle Einkommensnachweise und einen Nachweis über einfache Sprachkenntnisse vorlege. Am 15. Mai 2020 schloss die Ausländerbehörde mit ihm eine Vereinbarung, dass er bis zum 15. September 2020 den genauen Termin für die Visumbeantragung und das Ausreisedatum mitteile; im Gegenzug werde er bis zur seiner Ausreise weiterhin geduldet und könne bei Vorlage des Sprachnachweises eine Vorabzustimmung erhalten. Der Antragsteller hat seinen Teil der Vereinbarung nicht eingehalten, da er nicht zur Wahrnehmung des Termins zur Visumbeantragung nach Nigeria ausgereist ist. Am 28. August 2020 teilte ihm das Generalkonsulat in Lagos den für 25. September 2020 vorgesehenen Termin mit. Der Antragsteller machte schon am 3. September 2020 gegenüber der Ausländerbehörde geltend, die Zeit sei zu kurz, um ein finanzierbares Flugticket zu buchen und eine für die vorgeschriebene siebentägige Quarantäne geeignete Unterkunft in Lagos sowie Corona-Tests zu organisieren; die Ausländerbehörde sah dieses Vorbringen aufgrund eigener Erkundigungen als nicht glaubhaft an. Später teilte er mit, er habe am 16. September 2020 nach Nigeria fliegen wollen, jedoch sei ihm dies nicht möglich gewesen, da er seine aufgrund einer akuten Erkrankung ins Krankenhaus eingewiesene Tochter habe begleiten müssen. Das Verwaltungsgericht hat zwar den Krankenhausaufenthalt als glaubhaft gemacht angesehen, jedoch zu Recht bezweifelt, dass der Antragsteller gerade an diesem Tag habe nach Nigeria reisen wollen. Hierfür hat der Antragsteller, auch im Beschwerdeverfahren, keine Belege vorgelegt, weder für die Buchung eines Fluges noch für eine quarantänegeeignete Unterkunft in Lagos. Es liegt daher nahe, dass er erst später eine geplante Ausreise gerade an dem Tag des Krankenhausaufenthalts seiner Tochter behauptet hat, zumal ein Reisetermin am 16. September 2020 angesichts der Einreise- und Quarantänebestimmungen ohnehin äußerst „knapp“ für einen Vorsprachetermin am 25. September 2020 gewesen wäre. Auch ist angesichts der mehrfachen Behauptungen betreffend einer „zeitlichen Unmöglichkeit“ die nachträgliche Benennung eines angeblichen Reisetermins nicht nachvollziehbar; ebenso sind bereits die Argumente für diese „zeitliche Unmöglichkeit“ nicht nachvollziehbar, da der Antragsteller seit Monaten wusste, dass er nach Nigeria würde reisen müssen, und hierfür finanzielle und sonstige Vorkehrungen hätte treffen können und müssen.
Die in Rede stehende Dauer für die Durchführung des Visumverfahrens ist auch weiterhin absehbar. Der Antragsteller hat selbst vorgetragen und auch glaubhaft gemacht, dass er sich am 22. September 2020 erneut für einen Termin zur Visumbeantragung beim Generalkonsulat in Lagos registriert hat (Bl. 421 der Behördenakte). Daher ist zu erwarten, dass der Antragsteller innerhalb der nächsten Wochen erneut einen Termin zur Visumbeantragung beim Generalkonsulat in Lagos erhalten dürfte, denn die Wartezeit für einen solchen Termin beträgt nach wie vor „ca. ein Jahr“ (E-Mail des Auswärtigen Amtes vom 17.2.2021, Bl. 43 der Beschwerde-Akte). Der Antragsgegner hat auch bekräftigt, dass das Ausländeramt dem Antragsteller zur Beschleunigung des Verfahrens weiterhin eine Vorabzustimmung nach § 31 AufenthV in Aussicht stelle. Der dafür noch fehlende Sprachnachweis dürfte ebenfalls zu erbringen sein, da nach Aktenlage der Sprachtest bereits im September 2020 stattgefunden hat (Bl. 405 der Behördenakte). Der Senat geht im Übrigen auch davon aus, dass die Ausländerbehörde, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er bereit ist, im Hinblick auf einen zu erwartenden Termin zur Visumbeantragung in Lagos rechtzeitig vorher nach Nigeria auszureisen, die ihm bisher gewährte Ausreisefrist noch entsprechend verlängern wird (§ 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).
Die Bearbeitungszeit ab Antragstellung im Fall einer Vorabzustimmung und der Entbehrlichkeit einer Urkundenüberprüfung zur Identitätsfeststellung dauert derzeit „mindestens 5 Wochen“ (E-Mail des Auswärtigen Amtes vom 17.2.2021, Bl. 44 der Beschwerde-Akte).
Soweit der Antragsteller eine Unzumutbarkeit der Trennung daraus herleiten will, dass ihm der Antragsgegner die wirtschaftliche Betätigung erschwere beziehungsweise unmöglich mache, ist das Vorbringen pauschal und unsubstantiiert. So ist es grundsätzlich möglich, die Durchführung des Visumverfahrens in Absprache mit dem Arbeitgeber beziehungsweise einem potentiellen Arbeitgeber zu organisieren, um auf diese Weise nachteilige Folgen für das laufende oder ein zukünftiges Beschäftigungsverhältnis zu vermeiden (vgl. OVG NW, B.v. 5.12.2011 – 18 B 910/11 – juris Rn. 29). Dass ein Betroffener nicht ein Visum im Ausland beantragen und gleichzeitig im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, ist im Übrigen eine grundsätzlich hinzunehmende reflexhafte Folge der ihm zumutbaren Durchführung eines Visumverfahrens.
Die Unzumutbarkeit der Trennung hat der Antragsteller auch nicht durch das mit seinem Schriftsatz vom 16. März 2021 vorgelegte Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 30. September 2019 dargelegt und glaubhaft gemacht. Dieses beschreibt lediglich abstrakt die Urkundenüberprüfung und das Visumverfahren mit Vorabzustimmung zum Familiennachzug. Es bezieht sich nicht auf den konkreten Einzelfall des Antragstellers, ist in Bezug auf die genannten aktuellen Auskünfte des Auswärtigen Amtes teilweise überholt und schließt im Übrigen eine Prüfung anhand der individuellen Person und der konkreten Umstände des Einzelfalls gerade nicht aus („…hängt von den individuellen Gesamtumständen des Falles ab“).
An diesem Befund ändert sich auch nichts dadurch, dass der Antragsteller auf die von der zuständigen Auslandsvertretung zu berücksichtigenden Prüfungsmaßstäbe für die spätere Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG in den Verwaltungsvorschriften und dem Visa-Handbuch des Auswärtigen Amtes, speziell zu dem Begriff der außergewöhnlichen Härte, verweist. Dabei kann offenbleiben, ob und in welchem Umfang in dem streitgegenständlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über die Erteilung einer einstweiligen Duldung bezüglich der Frage der absehbaren tatsächlichen Dauer der Trennung eine Inzidentprüfung der Erfolgsaussichten des weder gestellten noch beschiedenen Antrags auf Erteilung eines solchen Visums beziehungsweise sogar der Erfolgsaussichten von möglichen Rechtsschutzverfahren in Bezug auf den noch nicht erlassenen Rechtsakt der Versagung, für den nach § 52 Nr. 1 Satz 5 VwGO ausschließlich das Verwaltungsgericht Berlin örtlich zuständig ist, möglich oder erforderlich ist. Zum einen setzt der Antragsteller den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem Vorrang und der Bindungswirkung der Verfassungsnorm des Art. 6 GG gegenüber einfachem Gesetzesrecht und Verwaltungsvorschriften in der Sache nichts an Substanz entgegen. Zum anderen geht das allein abstrakt auf die später im Visumverfahren zu prüfende Norm des § 36 Abs. 2 AufenthG bezogene Beschwerdevorbringen des Antragstellers an den hier konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalls vorbei. Der Antragsteller blendet aus, dass der Antragsgegner ihm eine Vorabzustimmung in Aussicht gestellt hat.
Zwar kann die Auslandsvertretung die Erteilung des beantragten Visums trotz Vorabzustimmung mit eigenständigen Erwägungen zu den aufenthaltsrechtlichen Maßstäben ablehnen (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.1985 – 1 A 6/85 − juris Rn. 3 f.; NdsOVG, B.v. 13.3.2006 − 11 ME 313/05 – juris Rn. 13; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Juli 2019, § 6 Rn. 243). Allerdings besteht in der Praxis zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde insoweit regelmäßig Übereinstimmung (vgl. Nr. 6.4.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz v. 26.10.2009: „Eine abschließende Entscheidung über die Erteilung nationaler Visa, bei der die Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV beteiligt worden ist, soll grundsätzlich im Einvernehmen getroffen werden.“; vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021 – 10 CE 2030 – juris Rn. 27). Konkrete Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine derartige Abweichung von dem für den Regelfall vorgesehenen Einvernehmen nahelegen würden, hat die Antragstellerseite weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat.
Ein Anhaltspunkt für eine Abweichung ergibt sich insbesondere auch nicht aus der geäußerten Befürchtung des Antragstellers, ihm werde im Visumverfahren die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts entgegengehalten werden. Denn die insoweit einschlägigen Lebensumstände des Antragstellers sind bekannt und ersichtlich von der in Aussicht gestellten Vorabzustimmung abgedeckt. Auch insoweit ist im Übrigen der verfassungsrechtliche Schutz der familiären Bindungen (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) zu berücksichtigen.
Es spricht daher bei summarischer Prüfung im vorliegenden Fall vieles dafür, dass das Visum wird erteilt werden können (vgl. NdsOVG, B.v. 20.1.2021 – 8 ME 136/20 – juris Rn. 8; vgl. OVG Saarl, B.v. 11.1.2021 – 2 B 371/20 – juris Rn. 13 a.E.).
Der Verweis des Antragstellers auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bayreuth (B.v. 14.12.2020 – B 6 E 20.1227 – juris Rn. 51 ff.) führt insofern nicht weiter, da es in jenem Verfahren an Angaben zu der Dauer des Visumverfahrens mit Vorabzustimmung fehlte und im Übrigen der erörterte Gleichlauf der Vorabzustimmung mit der Entscheidung über das Visum keine Beachtung fand.
Auch unter Berücksichtigung der Kindeswohlinteressen zeigt die Beschwerde somit keine besonderen Umstände für eine Unzumutbarkeit der zeitlich beschränkten und damit nur vorübergehenden Trennung auf. Dass Kinder im Alter von 5 Jahren und 8 Monaten, 4 Jahren und 5 Monaten sowie 9 Monaten betroffen sind, vermag einen derartigen Umstand allein nicht zu begründen, zumal zu berücksichtigen ist, dass es grundsätzlich möglich ist, mit Kindern der einschlägigen Altersgruppe den Kontakt mit Hilfe traditioneller und auch moderner Kommunikationsmittel – wenngleich auf niedrigem Niveau – aufrechtzuerhalten, und diese die vorübergehende Trennung nicht als endgültigen Verlust erfahren müssen (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021− 10 CE 20.2030 − juris Rn. 29 m.w.N.). Diese Möglichkeit besteht auch jedenfalls für die beiden älteren Kinder des Antragstellers. Dass dies nicht möglich sein soll, ist weder substantiiert vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf die finanziellen Auswirkungen der vorübergehenden Trennung für die Familie des Antragstellers. Wie erörtert, ist der Umstand, dass ein Betroffener nicht ein Visum im Ausland beantragen und gleichzeitig im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen und Geld für die Familie verdienen kann, eine grundsätzlich hinzunehmende reflexhafte Folge der zumutbaren Durchführung eines Visumverfahrens. Dass die Familie während der visumbedingten Abwesenheit finanziell nicht abgesichert wäre, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe entgegen § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG das Tatbestandsmerkmal der Abschiebung mit dem der freiwilligen Ausreise unzulässig vermischt, überzeugt nicht. Der Antragsteller hat nicht erläutert, auf welche Passage des angegriffenen Beschlusses das Verwaltungsgericht sich dieser Einwand konkret bezieht. Sollte sich die Rüge auf die zusammenfassende Feststellung des Verwaltungsgerichts bei Rn. 22 des angefochtenen Beschlusses beziehen, geht sie ins Leere, weil das Erstgericht hier die beiden Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vermengt, sondern zutreffend einer Ausreise oder Abschiebung zwingend entgegenstehende Gründe verneint hat.
Angesichts all dessen kann auch offenbleiben, ob und inwieweit ein fortwirkendes, mithin eine längere Trennung verursachendes Verschulden im Rahmen der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Rechtsposition des Kindes (vgl. zur Behinderung von Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung: BVerwG, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18/09 – juris Rn. 22; zu § 30 Abs. 3 Ausl a.F.: B.v. 30.4.1997 − 1 B 74/97 – juris Rn. 4) sowie der gesetzgeberischen Entscheidung in § 60b AufenthG zu berücksichtigen und zu bewerten ist.
b) Der Antragsteller hat auch einen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.
(aa) Grundsätzlich scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus. Der Gesetzgeber hat durch die Vorschrift des § 81 Abs. 4 und 3 AufenthG zum Ausdruck gebracht, dass er nur in den dort genannten Fällen ein Bleiberecht bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde zugesteht. Eine Duldung kann daher nur ausnahmsweise zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Andernfalls würden die genannten gesetzlichen Wertungen unterlaufen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 3.11.2020 − 3 B 262/20 − juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 8.10.2020 – 3 B 186/20 − juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 22.8.2017 − 13 ME 213/17 − juris Rn. 3 m.w.N.; OVG NW, B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 − juris Rn. 6; OVG LSA, B.v. 14.10.2009 − 2 M 142/09 − juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.2.2006 – OVG 7 S 65.05 − juris Rn. 5 m.w.N.). Für eine derartige ausnahmsweise Erteilung ist erforderlich, dass mit hinreichender Sicherheit die geltend gemachte Anspruchsgrundlage einschlägig ist und deren Voraussetzungen gegeben sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30: „ohne dass dies erheblichen Klärungsbedarf aufwirft“; SächsOVG, B.v. 3.11.2020 − 3 B 262/20 − juris Rn. 14: „zugutekommt“; vgl. NdsOVG, B.v. 22.8.2017 − 13 ME 213/17 − juris Rn. 3: „tatsächlich gegebenen … Voraussetzungen“ u. OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.2.2006 – OVG 7 S 65.05 − juris Rn. 5: „extreme Ausnahmefälle“).
(bb) Dass diese Anforderungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf.
Zwar handelt es sich bei dem hier als Bezugspunkt geltend gemachten Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG um einen Aufenthaltstitel des 5. Abschnitts, so dass dem Antragsteller, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde, die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegengehalten werden kann.
Allerdings ist bereits fraglich, ob die von dem Antragsteller unter Hinweis auf seine familiäre Bindungen im Bundesgebiet begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nicht deswegen ausscheidet, weil der Gesetzgeber die Voraussetzungen für einen Aufenthalt aus familiären Gründen in den §§ 27 ff. AufenthG – in einem abgestuften System − abschließend geregelt hat und § 25 Abs. 5 AufenthG insoweit nicht als Auffangtatbestand anwendbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 3; B.v. 27.2.2019 – 10 ZB 18.2188 – juris Rn. 11; B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 4 jeweils m.w.N.). Hierzu hat der Antragsteller im Übrigen nichts vorgetragen, obwohl das Verwaltungsgericht diesen Gesichtspunkt angesprochen hat (vgl. BA Rn. 23).
Jedenfalls fehlt es, wie dargelegt, an der speziellen Erteilungsvoraussetzung der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG.
Selbst wenn man Letzteres abweichend beurteilen würde, ergäbe sich nichts Anderes. Denn dann stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG jedenfalls in einer Situation, in welcher der Betroffene nicht das getan hat, was für eine familienfreundliche Ausgestaltung der Nachholung des Visumverfahrens erforderlich, möglich und zumutbar ist, und dann eine über das zumutbare Maß hinaus dauernde Trennung zu gewärtigen hat, der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG entgegen. Danach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden bedeutet in diesem Zusammenhang ein subjektiv zurechenbares vorwerfbares Verhalten. Dies ist der Fall, wenn die Person durch ein ihrem freien Willen stehendes Verhalten ihre freiwillige Ausreise oder zwangsweise Rückführung verhindert. Dem ausreisepflichtigen Ausländer obliegt es nach § 25 Abs. 5 AufenthG, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, damit etwaige Ausreisehindernisse überwunden werden. Welche Bemühungen ihm hierbei zumutbar sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 19 C 16.670 – juris Rn. 7).
Gemessen daran wäre ein solches Verschulden in einer Situation wie im Fall des Antragstellers zu bejahen. Wie oben bereits ausführlich dargelegt, hat der Antragsteller den ihm eingeräumten Termin zur Visumbeantragung beim Generalkonsulat Lagos am 25. September 2020 nicht wahrgenommen, ohne dass er hierfür plausible Gründe vortragen konnte.
2. Schließlich hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren 10 CE 21.389 einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4a Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 1 BeschV nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Das Verwaltungsgericht hat aus den oben dargelegten Gründen zu Recht darauf hingewiesen, dass es hierfür bereits an einem Anspruch auf eine Duldung (oder auf einen Aufenthaltstitel) fehlt.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und § 39 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. In Verfahren bezüglich der vorläufigen Gestattung einer Erwerbstätigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein Streitwert von 2.500,- Euro anzunehmen; eine (faktische) Vorwegnahme der Hauptsache liegt im konkreten Fall nicht vor.
Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren sind aus den oben genannten Gründen mangels Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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