Verwaltungsrecht

Frage der Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung

Aktenzeichen  S 49 KA 469/16

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131571
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 95 Abs. 5 S. 1, Abs. 6 S. 1
SGB X § 13 Abs. 1 S. 3
Ärzte-ZV § 27

 

Leitsatz

1 Wenn eine Behörde nach einem fristgemäßen Widerspruch eines Rechtsanwalts gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 SGB X den schriftlichen Nachweis der Vollmacht verlangt, darf sie den Widerspruch mangels Nachweis nur dann als unzulässig zurückweisen, wenn sie hierfür eine Frist gesetzt und auf die drohende Verwerfung als unzulässig hingewiesen hat (ebenso BayLSG BeckRS 2016, 69570). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Entscheidung über die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung nach § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V handelt es sich um eine ausnahmslos nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilende gebundene Entscheidung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Einem Antrag auf Anordnung des Ruhens der Zulassung nach § 95 Abs. 5 S. 1 SGB V ist als milderes Mittel nur stattzugeben, wenn die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit „in angemessener Frist zu erwarten“ wäre. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist weitgehend zulässig. Allein für den zusätzlich gestellten Feststellungsantrag, dass die Zulassung nicht zum 31.12.2015 entzogen wurde, ist das notwendige Feststellungsinteresse nicht ersichtlich. Der Beschluss des Zulassungsausschusses ist im Beschluss des Beklagten aufgegangen, die Klägerin kann bereits mit Aufhebung des Beschlusses des Beklagten ihr Rechtsschutzziel erreichen.
In der Sache erweist sich die Klage aber als unbegründet. Der Beklagte hat den Widerspruch der Klägerin gegen die Zulassungsentziehung im Ergebnis zu Recht zurück gewiesen. Auch wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig nicht vorlagen, war der Widerspruch der Klägerin jedenfalls nicht begründet.
Aus § 13 SGB X, der auch auf das Verfahren vor dem Beklagten Anwendung findet, ergibt sich, dass die Klägerin sich vor dem Beklagten durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen konnte und der Bevollmächtigte seine Vollmacht nur auf Verlangen schriftlich nachzuweisen hatte. Entgegen der Ansicht des Beklagten war die Widerspruchseinlegung ohne Beifügung einer Vollmacht deshalb nicht per se unwirksam. § 13 SGB X sieht vor, dass der Beklagte die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verlangen durfte, entgegen der Ansicht des Beklagten reichte insoweit aber die Übersendung per Fax aus (Vgl. Pitz in juris-PK-SGB X, § 13 SGB X, Rn. 8.3 mwN). Nach der Rechtsprechung (vgl. dazu mit weiteren Nachweisen Bayerisches LSG, Beschluss vom 03.06.2016, L 7 AS 233/16 B ER) erfordern die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs dann, wenn sich eine Behörde trotz der Möglichkeit, bei Rechtsanwälten in Anlehnung an § 73 Abs. 6 S. 5 SGG von der Anforderung einer Vollmacht bei fristgemäßem Widerspruch abzusehen, entschließt, eine schriftliche Vollmacht zu verlangen, dass der Widerspruch nur dann als unzulässig zurückgewiesen werden kann, wenn die Behörde eine Frist gesetzt und auf die drohende Verwerfung als unzulässig hingewiesen hat.
An diesen Voraussetzungen fehlt es, soweit für das Gericht aus den Akten ersichtlich, vorliegend. Zutreffend ist zwar die Rechtsansicht des Beklagten, dass die Klägerbevollmächtigten durch den Insolvenzverwalter nicht wirksam bevollmächtigt werden konnten. Allein die Geschäftsführer der Klägerin konnten die Klägerin betreffend die Zulassung und damit auch die Zulassungsentziehung, wirksam vertreten und diesbezüglich Vollmacht erteilen. Insoweit wird auf das im Rechtsstreit S 49 KA 408/15 zwischen den Beteiligten ergangene Urteil verwiesen. Die Einlegung des Widerspruchs durch die zu diesem Zeitpunkt nur vom Insolvenzverwalter bevollmächtigten Klägerbevollmächtigten war somit schwebend unwirksam und bedurfte der rückwirkenden Genehmigung durch die einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Klägerin, was am 17.05.2016 mit Vollmachterteilung geschah. Von Seiten des Beklagten wurde der Klägerin aber weder eine Frist zur Vorlage einer wirksamen Vollmacht gesetzt noch eine Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig angekündigt, wie das von der Rechtsprechung gefordert wird. Wenn von der Anforderung einer Fristsetzung in der Rechtsprechung auch teilweise abgesehen wird, weil § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X diese gerade nicht errichte (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.06.2015, L 4 R 3235/14 mwN), so lässt sich aus den dem Gericht vorliegenden Beklagtenakten jedenfalls die Ankündigung einer Abweisung des Widerspruchs als unzulässig nicht entnehmen. Insbesondere im Schreiben des Vorsitzenden des Beklagten vom 22.12.2015 wurde eine Abweisung des Widerspruchs als unzulässig nicht angekündigt. Die vorgelegte Vollmacht wurde lediglich „zurückgewiesen“, zum weiteren Verlauf des Verfahrens wurden keine Angaben gemacht. Auch wurde im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens die Ladung zur Sitzung des Beklagten allein an die Klägerbevollmächtigten zugestellt, die auch Adressat des Bescheides des Beklagten waren. Nicht einzuordnen und in der mündlichen Verhandlung nicht weiter aufzuklären war aber der Vortrag der Klägerbevollmächtigten im Gerichtsverfahren, der Vorsitzende des Beklagten habe schon vor und auch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, der Widerspruch sei unzulässig. Da der Widerspruch jedenfalls in der Sache unbegründet war, konnte diese Frage im Ergebnis offengelassen werden.
Die Entziehung der Zulassung durch den Zulassungsausschuss war rechtlich nicht zu beanstanden, die Zurückweisung des Widerspruchs verletzte die Klägerin deshalb im Ergebnis nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage der streitigen Zulassungsentziehung ist § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V iVm § 27 Ärzte-ZV. Nach dieser, auch für MVZ geltenden Regelung, ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Da es sich bei der Entscheidung über die Entziehung der Zulassung um eine ausnahmslos nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilende, gebundene Entscheidung handelt, konnte das Gericht vorliegend über die Begründetheit des Widerspruchs entscheiden und musste nicht an den Beklagten, der in der Sache nicht entschieden hat, zurückverweisen.
Vorliegend ist jedenfalls die in § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V vorgesehene Voraussetzung, dass das MVZ der Klägerin seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübt, erfüllt, so dass die Zulassung schon deshalb zu entziehen war. Unstreitig sind im MVZ seit 30.06.2015 keine Ärzte mehr tätig, auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten nicht.
Die Entziehung der Zulassung ist vorliegend auch verhältnismäßig, insbesondere war dem Antrag auf Anordnung des Ruhens der Zulassung nach § 95 Abs. 5 SGB V nicht stattzugeben und als milderes Mittel ein Ruhen der Zulassung anzuordnen. Dies würde nämlich schon nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 5 S. 1 SGB V voraussetzen, dass die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit „in angemessener Frist zu erwarten“ wäre. Bei Beantwortung der Frage, ob dies der Fall ist, hat der Beklagte keinen Beurteilungsspielraum. Das Gericht hat deshalb auch nicht hinsichtlich der Prognose, ob in angemessener Frist mit einer Wiederaufnahme der Tätigkeit zu rechnen ist, an den Beklagten zurückzuverweisen. Für die Kammer sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass von Seiten der Klägerin (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten) eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit auch nur beabsichtigt war. Wie der Zulassungsausschuss in seinem Beschluss ausgeführt hat, befand sich die Klägerin in Liquidation, das MVZ verfügte über keine Arztstellen mehr. Aus dem Protokoll der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 23.11.2015 ergibt sich, dass der Klägerbevollmächtigte den Antrag vom 23.11.2015 auf Ruhen der Zulassung mit dem Hinweis auf das inzwischen beim Bayerischen LSG unter dem Aktenzeichen L 12 KA 79/16 anhängige Verfahren begründete und ausführte, dass bis zur Entscheidung das MVZ erhalten werden solle. Auch dies zeigt, dass eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit weder beabsichtigt noch in Betracht gezogen wurde, sondern die Zulassung des MVZ lediglich als Hülse im Hinblick auf das genannten Verfahren erhalten bleiben sollte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 2. HS SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.


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