Verwaltungsrecht

Herausgabe einer sichergestellten Sache ohne Nachweis der Berechtigung

Aktenzeichen  10 C 18.2522

Datum:
27.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RÜ – 2019, 458
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 170 Abs. 2
PAG Art. 25 Nr. 2, Art. 28 Abs. 1
BGB § 935, § 1006 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Für die Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB reicht es aus, wenn Indizien oder Erfahrungssätze vorgetragen werden, die mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit das Eigentum des gegenwärtigen Besitzers weniger wahrscheinlich erscheinen lassen als das Eigentum eines Dritten (ebenso BayVGH BeckRS 2018, 35643). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem mutmaßlichen Willen des Eigentümers einer Sache entspricht es regelmäßig, einen zu seinem Nachteil eingetretenen und andauernden Verstoß gegen die Eigentumsordnung im Wege der Sicherstellung zu unterbinden, auch wenn er bisher nicht als Berechtigter ermittelt worden ist bzw. ermittelt werden konnte (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 110049). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Dem von der Sicherstellung Betroffenen muss für einen Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 PAG aF ein Recht an der Sache zustehen, er muss “Berechtigter” sein, also Eigentümer oder berechtigter Besitzer. Die Herausgabe an jemanden, der den Besitz an der Sache durch eine Straftat wie Diebstahl oder Hehlerei erlangt hat, kann nicht gefordert werden (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 110049). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 Allein der Umstand, dass bislang kein “Berechtigter” ermittelt werden konnte bzw. dass dies endgültig nicht mehr möglich ist, führt nicht dazu, dass ein Besitzer “Berechtigter” wird. Dass der Berechtigte (noch) nicht bekannt ist, steht einer Sicherstellung und deren Aufrechterhaltung grundsätzlich nicht entgegen (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 48593). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 4 K 17.556 2018-11-20 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Herausgabe von vier mit polizeilicher Verfügung vom 23. November 2016 sichergestellten Reifensätzen (16 Alufelgen mit Sommerreifen) weiter.
Der Kläger wurde am 23. November 2016 in der Nähe von P. einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen. Er war mit einen Lieferwagen IVECO samt Anhänger unterwegs, auf dem drei Pkws transportiert wurden. In zwei der Pkws fanden die Polizeibeamten die streitgegenständlichen Reifensätze. Zu ihrer Herkunft befragt, gab der Kläger an, dass er sie in L. in der Nähe der französischen Grenze für 1.200,- Euro erworben habe. Er konnte weder den Namen des Verkäufers (ein Autohaus) nennen noch einen Kaufbeleg vorlegen. Da die Reifensätze nach Auffassung der Polizeibeamten einen bedeutend höheren Wiederverkaufswert als den angeblich bezahlten Betrag hatten, verfügten sie eine Sicherstellung nach Art. 25 Nr. 2 PAG a.F.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 forderte die Polizeiinspektion F. den Kläger auf, bis spätestens 7. Januar 2017 eine Rechnung über den Erwerb der Reifen mit Angabe der Verkäufers und des Verkaufspreises vorzulegen.
Der Kläger erhob am 11. Januar 2017 „Beschwerde“ gegen die Sicherstellung. Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 23. Januar 2017 ausgeführt, die Voraussetzungen des Art. 25 Nr. 2 PAG lägen nicht vor. Die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB sei nicht erschüttert. Die Reifen seinen gemäß Art. 28 PAG herauszugeben, weil die Voraussetzungen für eine Verwertung nicht gegeben seien.
Der Beklagte verwies in seinem Schreiben vom 6. Februar 2017 darauf, dass die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB widerlegt sei. Es lägen hinreichende Indizien dafür vor, dass es sich bei den sichergestellten Reifen um Hehlerware handle. Es gebe keine Kaufbelege, die Anzahl der Reifen gehe über den eigenen Bedarf hinaus, die Angaben des Klägers zum Erwerb und zur Herkunft der Reifen seien zweifelhaft. Es sei noch zu klären, ob sich der Kläger der Hehlerei schuldig gemacht habe.
Mit Verfügung vom 21. Februar 2017 stellte die Staatsanwaltschaft P. das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Hehlerei nach § 170 Abs. 2 StPO ein.
Am 5. April 2017 erhob der Kläger Klage auf Herausgabe der sichergestellten Reifen und beantragte zugleich, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Er verwies auf die Einstellung des Strafverfahrens und darauf, dass er nicht mit einem tschechischen Pkw, wie von der Polizeiinspektion behauptet, unterwegs gewesen sei. Die Voraussetzungen für eine Sicherstellung seien entfallen. Dafür spreche der Zeitablauf und dass keine der durch Art. 25 Nr. 2 PAG geschützten Personen ihre Rechte geltend gemacht habe. Indizien, die die Beweislastregel des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB erschüttern könnten, seien durch den Beklagten nicht vorgetragen und lägen nicht vor.
Mit Beschluss vom 20. November 2018 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ab. Die Voraussetzungen eines Herausgabeanspruchs nach Art. 28 PAG seien nicht gegeben. Die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB sei widerlegt. Der Kläger könne keinen Erwerbsbeleg für die Reifen vorlegen. Die geschilderte Ankaufssituation erscheine schon wegen der steuerlichen Auswirkungen fraglich. Zudem habe der Kläger keine weiteren Schritte zur Klärung der Eigentumsfrage unternommen. Die geschilderte Konstellation lege vielmehr den Schluss nahe, dass die Reifen dem tatsächlichen Eigentümer abhandengekommen seien und der Kläger kein Eigentum erworben habe. Daran ändere auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nichts. Die Voraussetzungen für die Sicherstellung seien auch nicht deshalb entfallen, weil sich bislang keine Berechtigten gemeldet hätten. Der vorliegende Rechtsstreit werfe auch keine schwierigen oder ungeklärten Fragen auf. Die im Verfahren M 7 K 13.3043 thematisierte Frage sei inzwischen durch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren 10 BV 15.1049 geklärt.
Im Beschwerdeverfahren bringt der Kläger vor, dass der Rechtsstreit nicht einfach sei. Dies gelte sowohl für die Aufklärung des Sachverhalts als auch für die Rechtsfolgen. Der Kläger sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an eine Prüfung im summarischen Verfahren. Völlig aus der Luft gegriffen sei die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es sei fernliegend, dass der Betriebsinhaber Gegenstände aus dem Betriebsvermögen entnommen und dann privat veräußert habe. Es dürfe auch nicht zu Lasten des Klägers gewertet werden, dass er aus seiner Sicht keinen Beleg für den Kauf gebraucht habe. Falsch sei auch, dass er den Verkäufer nicht genannt habe. Wären die sicherstellenden Beamten den Hinweisen des Klägers nachgegangen, wäre der Verkäufer zeitnah zu ermitteln gewesen. Der Kläger sei auch bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Zudem habe sich der „tatsächliche Eigentümer“ der Reifen nicht gemeldet. Dass der Kläger es unterlassen habe, sein Eigentum zu beweisen, führe nicht dazu, dass die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB widerlegt sei. Anhand der sichergestellten Reifen müsste es auch möglich sein, den ursprünglichen Eigentümer zu ermitteln.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Dem Anspruch auf Herausgabe der sichergestellten Reifen stehe entgegen, dass die Voraussetzungen der Sicherstellung erneut eintreten würden und der Kläger nicht als Berechtigter anzusehen sei. Die Eigentumsvermutung sei widerlegt, da der Vortrag des Klägers, er habe die Reifen von einem Autohaus an der französischen Grenze ohne Beleg erworben, weil ihm bei einem Kauf ohne Beleg ein niedrigerer Preis angeboten worden sei, nicht nachgewiesen sei. Insbesondere habe er das Autohaus nicht benannt. Eine private Veräußerung der Reifen durch den Autohausinhaber scheide schon deshalb aus, weil dem Kläger angeboten worden sei, die Reifen mit oder ohne Beleg zu erwerben. Bezüglich der Einstellung des Strafverfahrens habe das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Anwendung der wesentlich strengeren strafrechtlichen Beweiserfordernisse durch die Strafverfolgungsbehörden keinen Rückschluss darauf zulasse, ob der für die Eigentumsvermutung erforderliche Grad an Gewissheit erreicht sei. Der Aufrechterhaltung der Sicherstellung stehe auch nicht entgegen, dass der wahre Eigentümer bislang nicht habe ermittelt werden können. Eine Herausgabepflicht bestehe nur gegenüber einem Berechtigten. Die Berechtigung habe der Kläger nicht nachgewiesen. Er werde nicht dadurch zum Berechtigten, dass die Polizei trotz entsprechender Bemühungen keinen Berechtigten habe ausfindig machen können.
Der Kläger ergänzte sein Vorbringen mit Schriftsatz vom 7. Januar 2019 dahingehend, dass geprüft werden müsse, ob die Sicherstellungsmaßnahme nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung überhaupt zulässig gewesen sei. Zum damaligen Zeitpunkt seien die Polizeibeamten möglicherweise von der Annahme ausgegangen, dass es sich beim Kläger nicht um einen unbescholtenen Bürger handle, weil damals noch ein Strafbefehl eingetragenen gewesen sei. Ein Protokoll über die Sicherstellung liege nicht vor. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig sei und die Sicherstellung auf sprachlichen Missverständnissen beruhe. Es sei jedenfalls erforderlich, den Kläger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers nochmals zum Erwerbsvorgang zu befragen und sich von seiner Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Die Polizei sei nicht einmal in der Lage gewesen, die Länderkennung des Kennzeichens richtig wiederzugeben. Der Kläger habe den Beamten angeboten, sie zu dem Autohaus in der Nähe der französischen Grenze zu fahren, er habe lediglich das Autohaus nicht mehr namentlich benennen können.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage auf Herausgabe der sichergestellten Reifen an den Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, kein weiterer Sachaufklärungsbedarf besteht und die Rechtssache auch keine ungeklärten schwierigen Rechtsfragen aufwirft.
Es ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf zwar nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in einem Verfahren, in dem sie anwaltlich vertreten sind, zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht als „schwierig“ erscheint (BVerfG, B.v. 15.11.2017 – 2 BvR 902/17 – juris Rn. 12; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12). Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gerecht.
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht der geltend gemachte Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 PAG a.F. nicht. Zugrunde zu legen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme eintritt (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 C 18.1641 – Rn. 4 m.w.N.), hier im Juni 2017. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage ist daher noch das Polizeiaufgabengesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. November 2015 (GVBl S. 410) – PAG a.F.
Nicht entscheidungserheblich ist entgegen der Auffassung des Klägers, ob die polizeiliche verdachtsunabhängige Kontrolle zulässig war und die Sicherstellung nach Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. zu Recht erfolgt ist. Der Kläger hat mit seiner Klage ausschließlich einen Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. (und nicht im Wege der Folgenbeseitigung nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 25 Nr. 2 PAG a.F.) geltend gemacht, weil es aus seiner Sicht keiner weiteren Prüfung bedürfe, ob die Sicherstellung rechtmäßig gewesen sei, weil zumindest im Zeitpunkt der Klageerhebung die Voraussetzungen dafür weggefallen seien (Klageschrift Seite 5). Prüfungsgegenstand für den geltend gemachten Herausgabeanspruch ist demnach ausschließlich, ob die Voraussetzungen für die inzwischen bestandskräftig gewordene Sicherstellung entfallen sind und der Kläger Berechtigter i.S.d. Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. ist.
Die Sicherstellung der Reifen am 23. November 2016 erfolgte auf der Grundlage von Art. 25 Nr. 2 PAG a.F., um deren Eigentümer oder rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor deren Verlust zu schützen. Die zuständige Polizeiinspektion hat dabei die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB als widerlegt und den Kläger somit nicht als Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer der Reifen angesehen. Als Indizien für die Widerlegung der Eigentumsvermutung haben die Polizeibeamten im Zeitpunkt der Sicherstellung die nicht nachgewiesene Herkunft der Reifen, einen fehlenden Kaufbeleg und den Unterschied zwischen dem bezahlten Preis und dem angenommenen Wert herangezogen.
Insoweit sind seither keine Änderungen des Sachverhalts eingetreten, die die bestandskräftige Sicherstellung infrage stellen und den nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung begründen würden. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt keines der die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB widerlegenden Indizien ausgeräumt. Insbesondere hat er keine weiteren Angaben zum Verkäufer gemacht oder nachträglich einen Beleg vorgelegt, der bestätigen würde, dass er die Reifen gegen Zahlung eines Geldbetrages von dem Autohaus erworben hat. Er beschränkt sich auf umfangreiche Ausführungen dazu, weshalb von ihm die Vorlage eines Kaufbelegs bzw. die Angabe des Verkäufers nicht verlangt werden könne und die Nichtvorlage eines Belegs gerade für seine Redlichkeit spreche. Auch die Mutmaßung des Klägers, der Verkäufer könne die Reifen vor dem Verkauf dem Betriebsvermögen entnommen haben und sie sodann als Privatmann verkauft haben, geht ins Leere, weil dem Kläger nach seinen eigenen Angaben die Reifen ja wahlweise zu einem höheren Preis mit Beleg angeboten wurden. Einen Nachweis für sein Vorbringen, er habe die Reifen zu einem günstigen Preis ohne Beleg bei einem Autohaus erworben, stellen die Ausführungen zur Entbehrlichkeit eines Kaufbelegs jedenfalls nicht dar. Auch etwaige Verständigungsprobleme zwischen dem Kläger und den Polizeibeamten bei der Sicherstellung erklären nicht, weshalb er nach der Sicherstellung keinerlei Nachweise für die Richtigkeit seiner Angaben erbracht hat. Er ist inzwischen anwaltlich vertreten, sodass er unter Einschaltung eines Dolmetschers weitere sachdienliche Angaben zur Ermittlung des Autohauses hätte machen bzw. sich selbst um einen entsprechenden Nachweis über den Kauf der Reifen hätte bemühen können. Soweit er sich darauf beruft, dass es wegen der Sprachbarriere bei der Sicherstellung zu Missverständnissen darüber gekommen sei, dass er die genaue Anschrift des Verkäufers nicht gewusst habe (Schriftsatz vom 10.1.2019), setzt sich der Kläger damit in Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen, wonach er das Autohaus namentlich nicht mehr habe benennen können, weil dies nach dem abgeschlossenen Erwerbsvorgang für ihn unerheblich gewesen sei (Schriftsatz vom 7.1.2019). Sein Vorbringen, er habe angeboten, die Polizeibeamten zu dem Autohaus nahe der französischen Grenze zu fahren, ist angesichts einer Entfernung von fast 600 km vom Ort der Sicherstellung, nicht glaubhaft. Auch lässt der Kläger offen, welche Hinweise er den Polizeibeamten angeblich gegeben haben will, aufgrund derer sie das Autohaus hätten ermitteln können. Die Tatsache, dass im Schreiben der Polizeiinspektion F. vom 23. Januar 2017 angegeben wird, der Kläger habe einen tschechischen Lkw mit einem tschechischen Kennzeichen gefahren, obwohl sich aus den Behördenakten (Bl. 3 und 7) eindeutig ergibt, dass es sich um Fahrzeug mit CH-Kennzeichen mit einem Anhänger mit belgischen Kennzeichen gehandelt hat, belegt weder die Richtigkeit der Angaben des Klägers zum Erwerb der Reifen noch sagt sie etwas über etwaige Verständigungsprobleme zwischen ihm und den Polizeibeamten aus. Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO wegen besonders schweren Diebstahls durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. Februar 2017 führt ebenfalls nicht zu einem nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung, weil das im Zeitpunkt der Sicherstellung noch anhängige Strafverfahren ausweislich der Akten ohnehin nicht als Indiz für eine Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB gewertet worden war. Auch die Einstellung des Strafverfahrens wegen Hehlerei nach § 170 Abs. 2 StPO sagt nichts darüber aus, ob der Kläger tatsächlich Eigentum an den Reifen erworben hat. Die Anklage wird gemäß § 170 Abs. 1 StPO nur erhoben, wenn gegen den Beschuldigten ein hinreichender Tatverdacht besteht, eine Verurteilung also wahrscheinlich ist (Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 170 Rn. 3). Demgegenüber reicht es für die Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits aus, wenn Indizien oder Erfahrungssätze vorliegen, die mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit das Eigentum des gegenwärtigen Besitzers weniger wahrscheinlich erscheinen lassen als das Eigentum eines Dritten (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2018 – 10 ZB 18.3 – juris Rn. 9; B.v. 19.11.2010 – 10 ZB 10.1707 – juris Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen ist selbst die Staatsanwaltschaft in der Begründung der Einstellungsverfügung aufgrund der Angaben des Klägers davon ausgegangen, dass die Reifen aus einer rechtswidrigen Vortat stammen. Allein der Zeitablauf von fast zweieinhalb Jahren, ohne dass die Polizei seither die Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer der Reifen ausfindig machen konnte, rechtfertigt es nicht, nunmehr den Kläger trotz fortbestehender gegensätzlicher Indizienlage unter Heranziehung von § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund seiner bloßen Behauptung als Eigentümer anzusehen. Es ist insbesondere nicht ausgeschlossen, auch nach längerer Zeit noch die Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer ausfindig zu machen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 15.11.2016 – 10 BV 15.1049 – juris Rn. 42 ff.). Dies gilt vor allem mit Blick darauf, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Diebstahl bzw. die Hehlerei in Frankreich begangen wurde (es handelt sich überwiegend um Reifensätze eines französischen Automobilherstellers) und die Geschädigten dort zu suchen sind.
Solange somit die Eigentumsfrage nicht geklärt und der wahre Berechtigte gefunden ist, sind die Voraussetzungen der auf Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. gestützten Sicherstellung nicht weggefallen, sie würden vielmehr bei einer Herausgabe an den Kläger wieder eintreten (BayVGH, B.v. 11.2.2009 – 10 CE 08.3393 – BayVBl 2009, 569; ähnlich BayVGH, B.v. 19.11.2010 – 10 ZB 10.1707 – juris Rn. 18; Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Kommentar, 4. Auflage 2014, Art. 28 Rn. 7). Dem steht nicht entgegen, dass die Polizei nach Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. zum Schutz privater Rechte tätig wurde und ihr nach Art. 2 Abs. 2 PAG der Schutz privater Rechte nur dann obliegt, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Die Sicherstellung ist danach (weiterhin) zulässig, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Berechtigten entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn die Sicherstellung bei der maßgeblichen objektiven Betrachtung in dessen Interesse erfolgt. Dem mutmaßlichen Willen des Eigentümers einer Sache entspricht es regelmäßig, einen zu seinem Nachteil eingetretenen und andauernden Verstoß gegen die Eigentumsordnung weiterhin im Wege der Sicherstellung zu unterbinden, auch wenn er bisher nicht als Berechtigter ermittelt worden ist bzw. ermittelt werden konnte (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2016 – 10 BV 15.1049 – juris Rn. 43; OVG NW, B.v. 13.9.2016 – 5 A 667/16 – juris Rn. 38 ff.; OVG NW, B.v. 12.2.2007 – 5 A 1056/06 – juris Rn. 7).
Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass die Sicherstellungsvoraussetzungen inzwischen weggefallen sind, weil kein Eigentümer oder rechtmäßiger Inhaber der tatsächlichen Gewalt, zu dessen Schutz gemäß Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. die Sicherstellung erfolgt ist, mehr ermittelt werden kann, kann jedenfalls der Kläger die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände nicht an sich verlangen.
Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 PAG a.F. sind die sichergestellten Sachen zwar grundsätzlich „an denjenigen herauszugeben, bei dem sie sichergestellt worden sind“. Jedoch besteht die Herausgabepflicht der Polizei nach richtigem Verständnis dieser Bestimmung nur gegenüber einem Berechtigten; eine Herausgabe abhanden gekommener Sachen an den Dieb oder Hehler oder sonst unrechtmäßigen Besitzer ist somit ausgeschlossen. Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. regelt die Herausgabe der sichergestellten Sache an den Betroffenen, dessen Rechte durch den hoheitlichen Eingriff der Sicherstellung beeinträchtigt wurden bzw. werden. Wie sich insbesondere aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 PAG a.F., aber auch aus dem systematischen Zusammenhang dieser Bestimmung mit Art. 27 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 sowie Abs. 2 PAG a.F. ergibt, muss dem von der Sicherstellung Betroffenen für einen Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. ein Recht an der Sache zustehen, er muss „Berechtigter“ sein, also Eigentümer oder berechtigter Besitzer. Die Herausgabe an jemanden, der den Besitz an der Sache durch eine Straftat wie Diebstahl oder Hehlerei erlangt hat, kann nach dieser Rechtsgrundlage nicht gefordert werden (BayVGH, B.v. 15.11.2016 – 10 BV 15.1049 – juris Rn. 45 unter Verweis auf B.v. 19.11.2010 – 10 ZB 10.1707 – juris Rn. 20; ähnlich OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.6.2016 – OVG 1 S 21.16 – juris Rn. 14; Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Kommentar, 4. Auflage 2014, Art. 28 Rn. 12; Senftl in Möstl/Schwabenbauer, Beck’scher Online-Kommentar Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand: 1.4.2018, Art. 28 Rn. 9). Insofern ist die vom Verwaltungsgericht München im Urteil vom 14. Januar 2015 (M 7 K 13.3043) vertretene Auffassung durch die zitierte Rechtsprechung überholt. Zudem konnte in dem vom Verwaltungsgericht München entschiedenen Fall der Kläger Eigentum an den fraglichen Gegenständen erwerben, weil § 935 BGB – anders als vorliegend – dem Eigentumserwerb nicht entgegen stand.
Der Umstand, dass die Polizei bisher trotz entsprechender Bemühungen keinen „Berechtigten“ für die streitgegenständlichen Reifensätze ausfindig machen konnte und dass dies (möglicherweise) endgültig nicht mehr möglich ist, führt nicht dazu, dass der Kläger allein aus diesem Grund zum „Berechtigten“ wird. Dass der Berechtigte (noch) nicht bekannt ist, steht einer Sicherstellung und deren Aufrechterhaltung grundsätzlich nicht entgegen (BayVGH, B.v. 6.2.2014 – 10 CS 14.47 – NVwZ-RR 2014, 522 – Rn. 17; BayVGH, B.v. 19.11.2010 – 10 ZB 10.1707 – juris Rn. 15; teilw. noch offen lassend: BayVGH, B.v. 17.3.2010 – 10 C 09.3011, 10 C 09.3012 – juris, Rn. 15; BayVGH, B.v. 6.2.2014 – 10 CS 14.47 – NVwZ-RR 2014, 522 – Rn. 17).
Im Übrigen wäre das Herausgabeverlangen des Klägers auch rechtsmissbräuchlich. Da mangels Vorlage entsprechender Nachweise oder Angaben zum Verkäufer weiterhin nicht davon ausgegangen werden kann, dass er Eigentümer oder berechtigter Besitzer der sichergestellten Reifen ist, kann er sich zur Begründung seines Herausgabeverlangens nicht darauf berufen, dass ein Berechtigter bislang nicht ermittelt worden ist (vgl. OVG NW, B.v. 13.9.2016 – 5 A 667/16 – juris Rn. 46 ff.; OVG NW, B.v. 11.8.2010 – 5 A 298/09 – juris Rn. 45; OVG NW, B.v. 12.2.2007 – 5 A 1056/06 – juris Rn. 9).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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