Verwaltungsrecht

in Griechenland international anerkannter Mann mit gesundheitlichen (psychischen) Beeinträchtigungen – Rückführung nach Griechenland – Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung, kein Eingreifen von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, Asylanerkennung in Griechenland nach vorausgegangenem, negativem Asylverfahren in Bulgarien und Ausreise ins Heimatland und erstem erfolglosen Dublin-Verfahren (in Bezug auf Bulgarien) in Deutschland – kein Folgeantrag in Deutschland und keine Zweitantragssituation, so dass § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht greift, Unzulässigkeit der zusätzlichen Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bei Erfolg der Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung

Aktenzeichen  AN 17 K 19.50191

Datum:
31.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17470
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5
AsylG § 71
AsylG 71a
AufenthG Art. 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom  7. Februar 2019 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4, der Kläger zu 1/4. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. 
3. Der Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist, soweit die Aufhebung des Bescheids vom 7. Februar 2019 beantragt wird, als Anfechtungsklagen nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig und begründet, hinsichtlich des unbedingten Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung von Abschiebungsverboten für Griechenland jedoch unzulässig.
1. Die Anfechtungsklage ist grundsätzlich die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids) und die Folgeentscheidungen. Die erfolgreiche Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsfeststellung führt in der Folge zur inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte, so dass es eines auf die Durchführung eines Asylverfahrens gerichteten zusätzlichen Verpflichtungsantrags nicht bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 1.7.2017 – 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625 Ls.1, Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 20 ff.).
Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts über das Asylbegehren im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung ist nicht möglich; eine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage wäre unstatthaft. Das Asylverfahren gliedert sich in zwei Prüfungsabschnitte, nämlich das Zuständig- bzw. Zulässigkeitsverfahren und gegebenenfalls in das eigentliche Asylverfahren. Diese Gliederung ist auch prozessual insoweit fortzuführen, als zunächst stets das Bundesamt eine Entscheidung über den entsprechenden Prüfungsabschnitt zu treffen hat und diese Entscheidung erst danach vom Verwaltungsgericht überprüft werden kann. Hebt das Verwaltungsgericht die Unzulässigkeitsentscheidung mit den hieraus folgenden Nebenentscheidungen auf, hat zunächst wieder das Bundesamt über den nächsten Prüfungsabschnitt, d.h. über das Asylbegehren (Asyl, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz) inhaltlich zu befinden und darf nicht übergangen werden. Dies dient gerade auch dem Schutz des Asylantragstellers, für den dieses Vorgehen eine „zweite Instanz“ gewährleistet. Dieses Vorgehen ist im Falle von Asylfolge- und Zweitantragsverfahren und bei Klageverfahren gegen Einstellungen durch das Bundesamt und im Falle von Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG anerkannt und folgt für die Drittstaaten-Fälle auch aus dem Rechtsgedanken des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn.19, OVG Saarlouis, U.v. 25.10.2016 – 2 A 95/16 – juris Rn. 23, BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris).
Bei dieser prozessualen Trennung bleibt es auch nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; zuvor schon angelegt in EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris), der lediglich inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf den effektiven Rechtsschutz für international Anerkannte im Sinne des Art. 47 GRCh und Art. 46 Verfahrens-RL macht, aber keine prozessualen oder verfahrensrechtlichen Vorgaben, die dem nationalen Recht überlassen sind.
Da die Anfechtungsklage insgesamt erfolgreich ist und auch die Abschiebungsandrohung aufgehoben wird, hat der Kläger umfassenden Rechtschutz im Hinblick auf Griechenland erlangt und der zusätzliche – nicht hilfsweise gestellte – Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten für Griechenland fehlt das Rechtschutzbedürfnis. Ein zusätzlicher Vorteil ergibt sich aus der begehrten Verpflichtung nicht (vgl. in diesem Sinne auch BVerwG, U.v. 27.5.2021 – 1 C 36.20 – Nachricht bei juris); hierzu ist von Klägerseite auch nichts ausgeführt geworden.
2. Die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in den Ziffer 1 des Bescheids vom 7. Februar 2019 und die Folgeentscheidungen in Ziffern 2 bis 4 ist auch begründet. Das Bundesamt hat den Antrag des Klägers im Ergebnis zu Unrecht als unzulässig abgelehnt und ihn damit in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Unzulässigkeitsentscheidung ist weder von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getragen (a) noch von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (b)
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies trifft für den Kläger zu; ihm wurde nach der Mitteilung Griechenlands vom 28. Januar 2019 dort am 6. September 2017 internationaler Schutz gewährt.
(1) Gleichwohl ist die Unzulässigkeitsentscheidung rechtswidrig. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL 2013/32/EU in nationales Recht um und ist daher richtlinien- und europarechtskonform auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Vorschrift im Wege der Auslegung noch ein weiteres, negatives Tatbestandsmerkmal entnommen. Nach der Entscheidung vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedstaaten nämlich nicht möglich von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat also in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem im anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3).
Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat grundrechtswidrig behandelt werden.
Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
Derartige Funktionsstörungen müssen eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C -297/17 u.a. – juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Qualifikations-RL 2011/95/EU entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91).
Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96).
Bei dem so definierten Maßstab ist weiter zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige handelt oder eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (Vulnerabilität), die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 26). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch im Rahmen des Art. 4 GRCh zu berücksichtigen ist.
Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Antragsteller eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187).
Diesen Maßstab zu Grunde gelegt, war die Ablehnung des Antrags des Klägers als unzulässig im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig, weil dem Kläger als vulnerablen Person, die gesundheitlich stark und aller Voraussicht nach auf Dauer einschränkt ist, nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Griechenland eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung droht. Es ist davon auszugehen, dass er in Griechenland unabhängig von ihrem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und ihre Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht wird befriedigen können.
(2) Das Gericht geht auf Basis der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel von folgender Lage für in Griechenland anerkannte international Schutzberechtigte, die nach ihrer Anerkennung Griechenland verlassen haben und nun wieder zurückgeführt werden sollen, aus:
Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannt Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen Bürgerservice-Center zu melden.
Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
Eine funktionierende nationale Integrationspolitik bzw. Integrationsstrategie für anerkannte Flüchtlinge existiert, v.a. aufgrund fehlender Geldmittel, in Griechenland aktuell kaum (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierte Gesamtausgabe vom 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, Ziffer 6. Schutzberechtigte, S. 27 f.). Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild unklar (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Die Integrationsprogramme sind von der Finanzierung durch die EU abhängig, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7; BFA a.a.O.).
In bestehende Lücken stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; BFA a.a.O. S. 32). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1), entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; BFA a.a.O., S. 30; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2019 – Stand: 16.4.2020). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (BFA a.a.O., S. 30).
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigten werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren; diese können über die Anerkennung hinaus für einen Übergangszeitraum von 30 Tagen dort verbleiben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte haben insbesondere keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen derzeit zwar ca. 4.600 Appartements und insgesamt ca. 25.500 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Mai 2020), aber nur für Asylsuchende und für anerkannte Schutzberechtigte in den ersten 30 Tagen nach ihrer Anerkennung (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f., an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f., an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2). Das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, und eine weitere Gesetzesänderung von März 2020 haben die früheren Bedingungen, die ein Verbleiben in der Flüchtlingsunterkunft für sechs Monate ermöglicht haben, verschärft (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Seit Juni 2020 wird die Verpflichtung zum Auszug, von der ca. 11.500 Personen betroffen sind, auch umgesetzt.
Das Programm Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection (Helios II-Programm), ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von NGOs und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Das Programm richtet sich aber nur an international Schutzberechtigte, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, die im Zeitpunkt der Unterrichtung über ihre Anerkennung in einer Flüchtlingsunterkunft (insbesondere im ESTIA-Programm) untergebracht waren und innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Anerkennung einen entsprechenden Antrag gestellt haben (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 2 f. und an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 2). Ob Rückkehrern aus dem Ausland diese Möglichkeit offensteht, ist unklar, einen solchen Fall hat es bislang jedenfalls noch nicht gegeben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 3). Seit September 2020 kann über das Helios II-Programm auch eine zweimonatige Unterkunft von Anerkannten in Hotels sichergestellt werden. Zusätzlich sollen Notfallkapazitäten in einem Lager in Athen zur Verfügung gestellt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 3).
Auch ist eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften durch kommunale oder regionale Sozialbehörden für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (BFA a.a.O., S. 30; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Eine Erhebung des Refugee Support Aegean (RSA) vom 16. Juli 2018 ergab beispielsweise, dass alle 11 abgefragten Unterkünfte mit einer Kapazität zwischen 10 bis 150 Plätzen vollbelegt waren und darüber hinaus zum Teil längere Wartelisten aufwiesen (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 6 ff.). Die Aufenthaltsdauer dort ist regelmäßig begrenzt (Pro Asyl, a.a.O). Teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit (Pro Asyl, a.a.O.). Einen Rechtsanspruch auf Obdachlosenunterbringung besteht nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020). Im Hinblick auf die begrenzten Kapazitäten bewerben sich viele Schutzberechtigte erst gar nicht für einen Platz in einer dieser Herbergen. Im Ergebnis bleiben viele anerkannt Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (Pro Asyl, a.a.O, S. 6 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2). Für besonders Vulnerable können zur Vermeidung von Obdachlosigkeit Mietsubventionierungen gezahlt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2). Das soziale Wohngeld bzw. die Mietsubventionierung setzen allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2).
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f. und an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; BFA a.a.O., S. 28: Mindestaufenthalt ein Jahr). Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; BFA a.a.O., S. 29).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Die Arbeitslosenquote betrug im Jahr 2019 in Griechenland rund 17% und ist damit die höchste in der EU. Die Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre hat zu einer allgemeinen Verschlechterung der Arbeitsmarktchancen geführt, wobei Frauen noch stärker betroffen sind als Männer (Eures, kurzer Überblick über den Arbeitsmarkt, S. 1. u. 3., BFA a.a.O., S. 31). Die Coronakrise belastet aktuell die griechische Wirtschaft zusätzlich: In wirtschaftlicher Hinsicht führte das Virus und der staatlich angeordnete Lockdown zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft im dritten Quartal 2020 um 11,7%. Im wirtschaftlich bedeutsamen Tourismus-Sektor, der im Jahr 2019 noch ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beigetragen hatte, gingen die Urlauberzahlen 2020 um 80% zurück. Im Jahr 2021 erwartet die Regierung statt eines Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt von 7,5% nur noch ein Plus von 4,8%. Um den Folgen des coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu begegnen, stellte der griechische Staat im Jahr 2020 23,9 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft zur Verfügung und plant diese im Jahr 2021 um weitere 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Trotz der hohen Schuldenquote von 209% des Bruttoinlandsproduktes ist die Finanzierung des griechischen Staates wegen eines Liquiditätspuffers von 30 Milliarden Euro derzeit aber nicht in Gefahr (Höhler, Corona wirft Griechenland weit zurück, 25.12.2020 [Redaktionsnetzwerk Deutschland]). Einen Arbeitsplatz zu finden, ist für international Schutzberechtigte dementsprechend schwer, die Chance auf staatliche Vermittlung eines Arbeitsplatzes ist gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung kaum Ressourcen hat. Spezielle Integrationshilfen für anerkannt Schutzberechtigte gibt es nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 2, Pro Asyl, a.a.O, S. 10). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder gleich in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Ein Hindernis für anerkannte Schutzberechtigte stellen regelmäßig auch die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7) sowie bürokratische Hürden im Allgemeinen und im Speziellen bei der Beantragung der „Social Security Number (AMKA)“ dar. Bezüglich letzterer wird vereinzelt berichtet, dass deren Beantragung seit Juli 2019 für nicht-griechische Staatsangehörige nicht mehr möglich sei (Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 26; zwar von Schwierigkeiten berichtend, aber keine Unmöglichkeit annehmend Asylum Information Database [AIDA], Country Report Greece, Update 2019, S. 166, 219 f.). Vereinzelt haben NGOs bzw. kirchliche Institutionen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 2). Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; BFA a.a.O., S. 31).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und zum Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsangehörige gegeben. Es besteht Zugang zum regulären öffentlichen Gesundheitssystem. Für Medikamente besteht eine Zuzahlungspflicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9). Die Versorgung unterliegt denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.). Von der im Grundsatz kostenfreien staatlichen Gesundheitsfürsorge ist auch die Hilfe bei psychischen Erkrankungen umfasst (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg, S. 5). Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg, S. 5).
(3) Unter Zugrundelegung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte ergibt sich für den Kläger als psychisch erkrankter Person eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bei einer Rückkehr nach Griechenland. Es ist davon auszugehen, dass er in Griechenland unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht wird befriedigen können.
Die Lebensverhältnisse von Schutzberechtigten in Griechenland stellen sich nach der Rechtsprechung der Kammer zwar nicht allgemein bzw. für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar (vgl. etwa für gesunde und arbeitsfähige Männer VG Ansbach, U.v. 10.7.2020 – AN 17 K 17.51151 – juris), für den Kläger ist dies aufgrund seiner Vulnerabilität jedoch anzunehmen.
International Schutzberechtigte haben, hiermit muss jedenfalls gerechnet werden, nach der Ankunft in Griechenland über einen längeren Zeitraum keinen gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie zunächst praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des sozialen Solidaritätseinkommens zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist die Abdeckung der Grundbedürfnisse Bett, Brot und Seife vom eigenverantwortlichen Handeln des Einzelnen und der Hilfestellung von NGOs geprägt, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, Bildung, medizinischen Versorgung und teils auch der Unterbringung aktiv sind (eine Übersicht der zahlreichen in der Flüchtlingshilfe engagierten Organisationen in Griechenland bietet: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019).
Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte, damit eine drohende Verelendung verneint werden kann, in der Lage sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative und unter Zuhilfenahme von Unterstützungsangeboten selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland (so auch: VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A – juris Rn. 40; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 43; VG Leipzig B.v. 17.2.2020 – 6 L 50/19 – BeckRS 2020, 2228 Rn. 15). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich keinen Anspruch auf den Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 39).
Der Kläger ist jedoch gesundheitlich und dadurch auch in seiner Lebensführung so stark eingeschränkt, dass davon ausgegangen werden muss, dass er in den harten Lebensbedingungen in Griechenland auf Dauer nicht bestehen wird. Es ist angesichts seines psychischen Zustand und des faktisch kaum zugänglichen griechischen Arbeitsmarktes (mit Verschärfung durch die Corona-Krise), insbesondere nicht damit zu rechnen, dass er kurz- und längerfristig eine Arbeit finden wird, die seinen Lebensunterhalt sichert. Auch ein Standhalten gegenüber jedenfalls vorübergehend sehr schwierigen Lebensbedingungen ohne staatlich vorgesehene, sondern selbst zu organisierende, aber nur sehr schwer zu erhaltende Unterkunft und ohne staatliche Sozialleistungen mindestens in den ersten zwei Jahren erscheint für ihn sehr fraglich und (zu) ungewiss. Prognostisch ist aufgrund seiner krankheitsbedingten Einschränkungen mit einer Verelendung in Griechenland zu rechnen.
Dass der Kläger psychisch krank und in seiner Lebensführung weiter stark eingeschränkt, auf Medikamente angewiesen und auch weiter zumindest latent suizidgefährdet ist, war zunächst zwar zweifelhaft, weil nach mehreren ärztlichen Belegen aus dem Jahr 2019 für die Zeit ab 2020 – trotz gerichtlicher Aufforderung – keine Belege mehr für eine fortbestehende Erkrankung vorgelegt wurden, ist nunmehr durch den vorgelegten ärztlichen Bericht des Klinikums … vom 3. März 2021 aber ausreichend belegt und durch den persönlichen Eindruck des Gerichts vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2021 bestätigt worden. Aus dem Arztbericht vom 3. März 2021 ergibt sich – was aus dem insoweit lücken- und auch fehlerhaften ärztlichen Bericht vom 19. Februar 2021 noch nicht zu ersehen war -, dass der Kläger regelmäßig seit Januar 2019 in psychotherapeutischer Behandlung am Klinikum … ist und zuletzt im März 2021 dort einen Termin hatte. Aus der ersichtlich grob fehlerhaften Bestätigung des Klinikums vom 19. Februar 2021 (dort wird bestätigt, dass der Kläger am „03.03.2021“ zuletzt dort gewesen sei), schließt das Gericht letztlich nicht auf eine Gefälligkeitsbescheinigung, der kein Beweiswert beizumessen wäre. Zum einen hat das Klinikum die Bescheinigung ergänzt und berichtigt mit Arztbericht vom 3. März 2021, wenn es auch den groben Datumsfehler nicht erklärt hat. Vor allem aber zeigte sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung mit seinem ruhigen Verhalten, ohne zu Übertreibungen zu neigen und die Fragen des Gerichts beantwortend insgesamt und auch im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand als glaubwürdig. Das teilweise unangemessene, cholerische Verhalten seines Prozessbevollmächtigen in der mündlichen Verhandlung berührt seine Glaubwürdigkeit und die Überzeugung des Gerichts nicht. Aufgrund seiner krankheitsbedingten Einschränkung in der Lebensführung und seiner daraus folgenden besonderen Vulnerabilität ist ihm eine Rückführung nach Griechenland in die dortigen schwierigen Verhältnisse nicht ohne ernsthafte Gefahr für Leib und Leben zumutbar.
Die in Griechenland zu erwartenden Lebensumstände beruhen zwar nicht auf der Gleichgültigkeit (so die Formulierung des EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90) des griechischen Staates, aber auf dessen massiver Überforderung, die trotz Unterstützung des UNHCR und der EU weiterhin besteht. Im europäischen Vergleich muss Griechenland gemessen an seiner Größe überproportionale Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen schultern und ist mit diesem Ausmaß, insbesondere was die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung anbelangt, überfordert. Für die Betroffenen wirkt sich die Überforderung des griechischen Staates im Ergebnis genauso wie Gleichgültigkeit, worauf der Europäische Gerichtshof abgestellt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90), aus. Rechtlich maßgeblich ist letztlich allein, ob wegen der Defizite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht, was sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ergibt, da dieser an anderer Stelle den „allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet“, betont (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 37).
Der Annahme einer drohenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger als anerkannte Schutzberechtigter freiwillig aus Griechenland ausgereist ist, damit – möglicherweise sogar bewusst – auf die Sozialleistungen, die ihm bei Verbleib in Griechenland nach der Anerkennungsentscheidung noch eine Zeitlang zugestanden hätten, verzichtet und er seine eigene Notsituation im Falle einer Rückkehr erst herbeigeführt hat. Zwar stellt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auf eine Notsituation der schutzberechtigten Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen“ ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Allerdings kommt Art. 4 GRCh in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs absoluter Charakter zu, d.h. Einschränkungen in dessen Gewährleistung sind nicht rechtfertigbar (EuGH, U.v. 24.2.2018 – MP, C-353/16 – ZAR 2018, 395 Rn. 36; Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 12). Zudem lässt sich der Europäische Gerichtshof auch so verstehen, dass die Notsituation unabhängig vom Willen und persönlichen Entscheidungen des Anerkannten sich erst auf die Situation ab einer angenommenen Rückkehr nach Griechenland bezieht und deshalb das zeitlich davorliegende Verhalten keine Rolle mehr spielt.
Schließlich vermag auch das allgemeine Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 bezüglich zurückkehrender anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland eine drohende unmenschliche Behandlung nicht auszuschließen. In diesem wird zugesichert, dass Griechenland die Qualifikations-RL 2011/95/EU rechtzeitig in griechisches Recht umgesetzt hat und basierend hierauf allen international Schutzberechtigten die Rechte aus der Richtlinie gewährt werden unter Beachtung der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Zusicherung, die die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließen soll, muss nach der Rechtsprechung des EGMR hinreichend konkret und individualisiert, etwa durch detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in der Unterkunft mit Bezug zur Klägerin, ausgestaltet sein (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 120 ff.). Das Bundesverfassungsgericht betont hinsichtlich der Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK die Notwendigkeit einer „hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage“ (BVerfG [2. Senat, 1. Kammer], B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f., wo auch auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR Bezug genommen wird). Gemessen an diesem Maßstab bleibt die Mitteilung Griechenlands vom 8. Januar 2018 zu abstrakt und damit nicht ausreichend.
Somit lässt sich die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheids vom 7. Februar 2019 nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stützen.
b) Eine Unzulässigkeit des Asylantrags ergibt sich im Falle des Klägers auch nicht – wie die Beklagte meint – aus § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Danach ist ein weiteres Asylverfahren im Falle eines nicht durchzuführenden Folgeverfahrens nach § 71 AsylG oder Zweitverfahrens nach § 71a AsylG unzulässig.
Ein Folgeantrag nach § 71 AsylG setzt dabei voraus, dass ein erster Asylantrag eines Asylantragstellers in Deutschland inhaltlich bestandskräftig abgelehnt worden ist. Ein Folgeantrag im Sinne von §§ 71, 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG liegt nach der Auffassung des Gerichts aber nicht vor, bei einem „Dublin-Folgeantrag“, also einer Situation, in der ein Asylantrag in Deutschland im Rahmen eines Dublin-Verfahrens als unzulässig abgelehnt worden ist, inhaltlich aber der Asylgrund nicht geprüft worden ist, und nunmehr erneut eine Asylantragstellung in Deutschland erfolgt und das Bundesamt erneut vor einer Entscheidung (im Dublin- oder nationalen) Verfahren steht (so bereits VG Ansbach B. v. 14.11.2019 – AN 17 S 19.51068 – BeckRS 2019, 29394 Rn. 19, B.v. 15.4.2020 – AN 17 E 20.50011 – juris, ebenso VG Sigmaringen. U.v. 16.2.2021, – A 13 K 3481/18 – BeckRS 2021, 3031 Rn. 30 ff.; VG München, B.v. 15.4.2019 – M 9 E 19.50335 – juris Rn. 19 ff, VG Regensburg, B.v. 13.3.2019 – RO 9 E 19.50172 – juris Rn. 24 ff, a.A. Bergmann/Dienelt, AsylG 12. Aufl. 2018 § 71 Rn. 7; VG Ansbach, U.v. 23.9.2020 – AN 17 K 20.50258). Ein anderes Verständnis des § 71 AsylG verbietet sich nach Auffassung des Gerichts, da die verminderten Voraussetzungen für ein Folgeverfahren nur gerechtfertigt sind, wenn bereits (mindestens) einmal eine inhaltliche Befassung mit dem Asylbegehren stattgefunden hat. Alles andere stünde im Widerspruch zur Konzeption des deutschen und europäischen Asylsystems. Dieses Verständnis vom Asylfolgeantrag zeigt sich auch in der Formulierung des § 71a AsylG für den insoweit genauso zu behandelnden Zweitantrag. Danach „…ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist…“ Die Zuständigkeit Deutschlands muss also feststehen, bevor sich die Frage nach einem Erst-, Folge- oder Zweitantrag stellt. Ein Folgeantrag liegt begrifflich noch nicht im Zuständigkeitsverfahren vor. Das erkennende Gericht hält an dieser Rechtsprechung fest. Wenn die Situation des Folgeantrags nach § 71 Abs. 1 AsylG nicht vorliegt, wie dies beim Kläger der Fall ist, kann eine Unzulässigkeitsentscheidung auch nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützt werden.
§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG greift auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Zweitantrags (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 3.12.20215 – 13a B 15.50069 u.a. – juris) ein. Zwar besteht aufgrund der Abschiebung bzw. Rückführung des Klägers von Bulgarien in sein Heimatland im Jahr 2016 einiges dafür, dass wegen einer bulgarischen Entscheidung eine Zweitantragssituation vorliegt, fest steht dies nach Aktenlage jedoch nicht, weil zur Entscheidung Bulgariens nichts Näheres bekannt ist. Auch aus der Ablehnung des Übernahmeersuchens durch Bulgarien vom 14. Januar 2019 (gestützt allein auf Art. 19 Abs. 3 Dublin III-VO) ergibt sich nichts dazu, ob der Asylantrag des Klägers dort inhaltlich oder aufgrund einer Rücknahme seines Antrag abgelehnt worden ist und ob das dortige Verfahren bestandskräftig und nicht wieder aufnehmbar abgeschlossen worden ist und damit eine Zweitantragssituation im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, U.v. 3.12.20215, a.a.O) vorliegt. Zum anderen erfolgte ungeachtet eines negativen Abschlusses eines Asylverfahrens in Bulgariens nachfolgend die Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland, was einen Rückgriff auf eine ablehnende Entscheidung Bulgariens jedenfalls in Frage stellt. Ausführungen hierzu macht das Bundesamt nicht. Ebenso wenig gibt die Aktenlage Auskunft zu den tatsächlichen Umständen. Eine Zweitantragssituation kann damit als nicht erwiesen angesehen werden, wobei die Nichterweislichkeit zu Lasten der Beklagten geht, die sich auf diese Situation beruft.
3. Nachdem Ziffer 1 des Bescheids vom 7. Februar 2019 aufzuheben ist, können in deren Folge auch die Ziffern 2 bis 4 nicht aufrechterhalten werden.
Die unter Ziffer 2 getroffene Feststellung der Beklagten, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist im Falle der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidungen auf die Anfechtungsklagen hin aufzuheben. Abschiebungsverbote in Bezug auf Griechenland sind der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung widersprechend zu Unrecht abgelehnt worden. Dies begründet aber keinen Anspruch auf positive Feststellung von Abschiebungsverboten im Falle der vorrangigen Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung.
Ebenso ist die in Ziffer 3 getroffene Abschiebungsandrohung gemäß §§ 35, 36 AsylG aufzuheben. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher ist. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt nach Aufhebung der Ziffer 1 nicht vor. Ein anderer auf gleicher Stufe stehender Unzulässigkeitsgrund ist nicht ersichtlich (zu § 29 Abs. 1 Nr.5 AsylG vgl. Ausführungen oben), so dass die Abschiebungsandrohung rechtswidrig und verfrüht erging und keinen Bestand haben kann.
Von der Aufhebung umfasst ist auch die Feststellung in Ziffer 3 letzter Satz des streitgegenständlichen Bescheids, dass der Kläger nicht in den Irak abgeschoben werden darf. Diese Feststellung steht ersichtlich in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit der Abschiebungsandrohung nach Griechenland und kann ohne diese nicht mit dem beabsichtigten Regelungsgehalt isoliert stehen bleiben. Die Benennung des behaupteten Verfolgerstaats als denjenigen, in den nicht abgeschoben werden darf, erfolgte allein deshalb, weil bei einem unzulässigen Asylantrag im Hinblick auf den Herkunftsstaat nichts inhaltlich geprüft wird und es deshalb auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass dort eine Verfolgungsgefahr besteht (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 24. Edition Stand 1.11.2019, § 35 AsylG Rn. 11) und die Formulierung der Abschiebungsandrohung mit dem Satz 3 der Ziffer 3 („Der Antragsteller kann auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist“) eine Abschiebung in den Herkunftsstaat von der Formulierung her nicht ausschließt, so dass zur Verhinderung vorsorglich der Satz 4 aufgenommen wurde.
Das Aufrechterhalten des Satzes 4 würde der Feststellung eine qualitativ völlig andere Bedeutung verleihen, nämlich die Aussage, dass für den Irak Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG inhaltlich geprüft und positiv erkannt wurden. Diese Feststellung wurde von der Beklagten so nicht getroffen und war nicht gewollt. Die Nichtabschiebung in den Irak war nur für das Zuständigkeitsverfahren nach § 29 Abs. 1 AsylG und nicht darüber hinaus gehend ausgesprochen. Die isolierte Aufrechterhaltung des Satzes 4 ist damit ausgeschlossen. Auch die insoweit – isoliert betrachtet (was sich nach Ansicht des Gerichts aber verbietet) – begünstigende Regelung ist mit aufzuheben.
Die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids festgelegte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ist mit dem Wegfall der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben. Auch insoweit besteht ein untrennbarer Zusammenhang mit dem Zuständigkeitsverfahren nach § 29 Abs. 1 AsylG und kann die Befristung nicht unabhängig davon aufrechterhalten werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG, wobei das Unterliegen aufgrund des unzulässigen Antrags auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten im Vergleich zum Gesamtbegehren als untergeordnet gesehen und mit einem Viertel veranschlagt wird.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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