Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung bei ungeklärter Identität des Antragstellers

Aktenzeichen  10 CE 20.2100

Datum:
9.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30366
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 3, § 60c Abs. 7
VwGO § 123

 

Leitsatz

Ein Ausländer hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, solange seine Identität nicht objektiv geklärt ist, unabhängig davon, ob er zu einer hinreichenden Klärung beitragen kann oder eine solche überhaupt möglich ist.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 E 20.3623 2020-08-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Ausbildungsduldung sowie eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen, weiter.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 27. August 2020. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, weil er weder einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG noch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag nach § 60c Abs. 7 AufenthG hat.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist die gerichtliche Entscheidung in der Tatsacheninstanz, bei einem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung zur Erteilung einer Ausbildungsduldung also der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung des Senats (BayVGH, B.v. 2.6.2020 – 10 CE 20.931 – juris Rn. 10).
Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Antragsstellers auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung mit der Erwägung verneint, dass der Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG greife. Die Identität des Antragsstellers sei bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung nicht geklärt gewesen. Da der Antragsteller nicht innerhalb Frist alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen habe, trete auch nicht die Fiktion einer Fristwahrung ein. Nach wie vor habe der Antragsteller nicht alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen, sondern nur ungeeignete Unterlagen vorgelegt. Der Antragsteller müsse sich daran festhalten lassen, dass er selber angegeben habe, dass er im Senegal eine ID-Karte besessen habe. Solange der Antragsteller, wie er gegenüber der Antragsgegnerin vorgetragen habe, im Senegal eine Verfolgung wegen dort von ihm begangener Straftaten fürchte, bestätige dies den objektiven Tatbestand, dass er noch nicht alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung ergriffen habe. Die Frage einer Unzumutbarkeit einer bestimmten Maßnahme stelle sich nicht, wenn Straftäter aus Furcht vor Verfolgung ihre wirkliche Identität nicht offenbarten. Ob der Antragsteller – wie von ihm behauptet – zur Ausstellung eines Reisepasses nach Frankreich oder Italien reisen müsse, könne dahinstehen, denn ausweislich eines Gesprächs mit einer Helferin am 30. Juli 2020 sei der Antragsteller im Besitz eines Reisepasses.
Dem hält der Antragssteller entgegen, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei schon nicht mit Gründen versehen, weil das Verwaltungsgericht nicht ausführe, welche Schritte für eine Identitätsklärung erforderlich seien. Das Gericht überspanne die Anforderungen an den Antragsteller. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Identität auch mittels durch Verwandte im Herkunftsland beschaffter Dokumente geklärt werden könne. Der Antragssteller habe eine Meldebescheinigung und die Kopie einer Geburtsurkunde vorgelegt. Es sei unverhältnismäßig, bereits die Erteilung einer Ausbildungsduldung von der Identitätsklärung abhängig zu machen. Der Antragsteller könne in wenigen Wochen einen Nationalpass vorlegen. Es komme daher auch die Erteilung einer Ausbildungsduldung mit einer auflösenden Bedingung in Betracht.
Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Die Rüge, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei nicht mit Gründen versehen, ist für sich genommen bereits nicht geeignet, eine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts im Beschwerdeverfahren zu erreichen. Erweisen sich die Beschwerdegründe als berechtigt, hat die Beschwerde nicht schon aus diesem Grund Erfolg. Vielmehr darf sich die angefochtene Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen, was aus der entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO folgt (BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 20 CS 20.1821 – juris Rn. 17; B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – juris Rn. 25). Dementsprechend entbände ein Verstoß gegen die Begründungspflicht den Antragsteller nicht davon, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die für mit Rechtsmitteln angreifbare Beschlüsse geltende Begründungspflicht aus § 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht verletzt. Für diese Verpflichtung gelten dieselben Maßstäbe wie für die Begründung von Urteilen (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 122 Nr. 6). Hierzu ist anerkannt, dass ein nicht mit Gründen versehenes Urteil (vgl. § 138 Nr. 6 VwGO) nur dann vorliegt, wenn die angefochtene Entscheidung tatsächlich entweder überhaupt keine Gründe enthält oder aber diese Gründe so unverständlich sind, dass sie in keiner Weise erkennen lassen, welche Gründe für die Entscheidung erheblich gewesen sind. Das ist nur der Fall, wenn die Gründe so unbrauchbar sind, dass sie die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt tragen können. Bloße Knappheit, Oberflächlichkeit oder Unklarheit hingegen genügt nicht (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2018 – 10 ZB 18.30896 – juris Rn. 7 m.w.N.). Gemessen daran führt allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht nicht ausgeführt hat, welche Maßnahmen der Antragssteller zur Identitätsklärung im Einzelnen ergreifen muss, nicht zur Annahme, sein Beschluss sei nicht mit Gründen versehen, zumal das Erstgericht ergänzend auf seinen vorangegangen, den Antragssteller betreffenden Beschluss vom 22. April 2020 (Az. M 9 E 19.5879) Bezug genommen hat, in dem ausführlich dargelegt wurde, welche Schritte der Antragsteller zur Erlangung eines Passes ergreifen müsste (Rn. 25 des BA).
Auch das übrige Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
§ 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG schließt die Erteilung einer Ausbildungsduldung – und damit auch eine entsprechende Beschäftigungserlaubnis – aus, wenn die Identität des Ausländers nicht geklärt ist. Soweit der Antragsteller unter Berufung auf eine Kommentarmeinung die Verhältnismäßigkeit dieser Tatbestandsvoraussetzung anzweifelt, hat der Senat – zumal im Eilverfahren – keinen Grund, an der Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses der Identitätsklärung zu zweifeln. Der Gesetzgeber hat mit der Ausbildungsduldung einen zusätzlichen Duldungsgrund geschaffen, ohne dass vom Antragsteller dargelegt oder sonst ersichtlich wäre, dass er hierzu durch höherrangiges Recht verpflichtet gewesen wäre. Im Rahmen seines einheitlichen Regelungskonzepts hat der Gesetzgeber den Duldungsanspruch von der Klärung der Identität abhängig gemacht, weil die Ausbildungsduldung „perspektivisch die Grundlage für den Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis“ sein sollte (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung, BT-Drs. 19/8286 S. 15). Dass dies unverhältnismäßig in Rechte eines Ausländers mit ungeklärter Identität eingreifen könnte, kann der Senat nicht erkennen.
Solange die Identität objektiv nicht geklärt ist, scheidet ein Duldungsanspruch aus, unabhängig davon, ob der Ausländer (weiter) zu einer hinreichenden Klärung beitragen kann oder eine solche überhaupt möglich ist (hierzu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 2.6.2020 – 10 CE 20.931 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass ein Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin Verwechslungsgefahr nicht besteht. Ohne Weiteres geklärt ist die Identität in der Regel bei Vorlage eines anerkannten Passes oder Passersatzes. Die Identität lässt sich aber auch auf andere Weise klären, etwa indem diese im Rahmen der Vorsprache einer Identifizierungskommission des (vermutlichen) Herkunftslandes, bestätigt wird. Neben sonstigen Identitätsdokumenten mit Lichtbild sind auch andere amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten, geeignet, wenn sie die Möglichkeit der Identifizierung bieten, wie beispielsweise ein Führerschein, Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild. Auch amtliche Dokumente ohne biometrische Merkmale, etwa Geburts- und Heiratsurkunden, Meldebescheinigungen, Schulzeugnisse oder Schulbescheinigungen kommen zum Nachweis in Betracht, ebenso elektronisch abgelegte Identitätsdokumente mit Lichtbild.
Gemessen daran war die Identität des Antragstellers zu dem in § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AufenthG genannten Zeitpunkt nicht geklärt. Der Antragsteller hat bislang lediglich (noch dazu nach der Beantragung der Ausbildungsduldung) eine Meldebestätigung einer senegalesischen Kommune und die Kopie eines Geburtenregisterauszugs („Geburturkunde“) vorgelegt. Die Meldebescheinigung genügt schon nach den aktenkundigen Angaben der senegalischen Behörden selbst gegenüber senegalesichen Stellen nicht für die Identitätsklärung. Die Kopie eines Geburtenregisterauszugs ist zum Nachweis der Identität schon deshalb in der Regel ungeeignet, weil sie keine Echtheitsprüfung hinsichtlich des abgelichteten Originaldokuments – etwa durch physikalisch-technische Untersuchungen – zulässt. Dass eine solche vorliegend notwendig ist, folgt bereits aus der Feststellung des Bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen vom 27. August 2020, wonach das Dokument „einige Besonderheiten“ (fehlende Steuermarke und Eintragung einer fehlerhaften Registernummer) aufweist.
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die Fristwahrungsfiktion des § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a Halbsatz 2 AufenthG berufen. Danach gilt die maßgebliche Frist als gewahrt, wenn der Betroffene alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung ergriffen hat, und die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, ohne dass der Betroffene dies zu vertreten hat. In diesem Fall entsteht ein gebundener Rechtsanspruch auf die Ausbildungsduldung, mit der Folge, dass der Versagungsgrund nicht eingreift. Bleibt die Identität – warum auch immer – dagegen ungeklärt, scheidet ein gebundener Anspruch auf die Ausbildungsduldung in jedem Fall aus. Hier entscheidet das bisherige Mitwirkungsverhalten nur noch über die Frage, ob von dem Versagungsgrund gem. § 60c Abs. 7 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden kann (BayVGH, B.v. 2.6.2020 – 10 CE 20.931 – juris Rn. 14; Röder in BeckOK Migrationsrecht, Stand 1.7.2020, AufenthG, § 60c Rn. 46 ff).
Vorliegend hat der Antragsteller weder innerhalb der Frist des § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AufenthG alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen noch konnte seine Identität nach Ablauf dieser Frist geklärt werden. Da der Antragssteller nach eigenen Angaben mittlerweile im Besitz einer Geburtsurkunde bzw. eines Geburtenregisterauszugs ist (deren/dessen Original er aber der Ausländerbehörde bislang vorenthält), wären weitere Schritte zur Beschaffung eines Nationalpasses ohne weiteres möglich. Die Behauptung des Antragsstellers, er wisse nicht, welche Schritte er zur Klärung seiner Identität unternehmen müsse, liegt angesichts der wiederholten und detaillierten Hinweise durch den Antragsgegner sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 22. April 2020 im Verfahren M 9 E 19.5879 offensichtlich neben der Sache und widerspricht im Übrigen der Behauptung in der Beschwerdeschrift, der Antragsteller könne „in wenigen Wochen einen senegalesischen Pass erhalten“. Es besteht im Ergebnis kein Zweifel, dass die Identität des Antragsstellers nicht geklärt ist und dass der Antragssteller dies auch zu vertreten hat.
Vor diesem Hintergrund kommt ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 60c Abs. 7 AufenthG – zu dem sich das Beschwerdevorbringen ohnehin nicht verhält – nicht in Betracht.
Damit kann dahinstehen, ob der Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auch entgegensteht, dass der Antragssteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 29a AsylG stammt und seinen (förmlichen) Asylantrag erst nach dem in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG festgelegten Stichtag des 31. August 2015 gestellt hat (vgl. zum Streitstand im Hinblick auf die mögliche Maßgeblichkeit des vor dem Stichtag geäußerten (formlosen) Asylgesuchs Nds. OVG, B.v. 19.9.2018 – juris Rn. 5 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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