Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  AN 17 K 16.31691

Datum:
11.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15418
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zwischen Fatah und Hamas liegt nicht vor. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein junger, gesunder, alleinstehender und arbeitsfähiger Mann kann seinen Lebensunterhalt in Palästina sichern. Die schlechten humanitären Bedingungen rechtfertigen kein Abschiebungsverbot. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte trotz des Nichterscheinens eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden, da die Beklagte unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Aufgrund der Beschränkung des Klageantrages auf die Feststellung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 1 AsylG und hilfsweise, die Zuerkennung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, ist der unter 1. gestellte klägerische Antrag auf Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 26. September 2016 unter verständiger Würdigung des Gemeinten dahingehend auszulegen (§ 88 VwGO), dass nur die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in den Ziffern 3 bis 6 beantragt ist.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch Anerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 1 AsylG. Die Voraussetzungen zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das 30-monatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Bundesamtes vom26. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des hilfsweise begehrten Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 1 AsylG. Dieser ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme drohen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 1 AsylG). Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG, so dass dem Ausländer der subsidiäre Schutz insbesondere nicht zuerkannt wird, wenn ihm in einem Teil seines Herkunftslandes kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG droht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG). Bei der Prüfung, ob dem Ausländer ein ernsthafter Schaden droht, ist – wie bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft – der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris). Für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist tatbestandliche Voraussetzung neben dem Vorliegen eines innerstaatlichen bzw. internationalen bewaffneten Konflikts das Bestehen einer individuellen Bedrohungssituation (vgl. OVG Münster, B.v. 10.10.2017 – 13 A 2235/17.A – juris).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 1 AsylG.
Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und Art. 15 Buchst. c der Qualifikations-RL 2011/95/EU zwischen Fatah und Hamas liegt bereits tatsächlich nicht vor, da sich die den Gazastreifen beherrschende Hamas und die in der Westbank regierende Fatah nach früheren gewaltsamen Auseinandersetzungen am 23. März 2014 auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt haben, die der erste Schritt auf dem Weg zu einer Aussöhnung sein sollte. Die für Anfang 2015 angedachten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fanden jedoch bislang nicht statt. Am 12. Oktober 2017 folgte ein weiteres Versöhnungsabkommen zwischen Hamas und Fatah. Nachdem der Premier der Einheitsregierung, Rami Hamdalla, bei einem Besuch im Gazastreifen beinahe Opfer eines Attentats geworden wäre, fror die Fatah die Finanzen für den Gazastreifen ein und forderte die Übergabe der Sicherheitsverantwortung für den Gazastreifen, was die Hamas ablehnte. Zwar stagnieren die Versöhnungsbemühungen derzeit, gleichwohl wird nicht von einem Wiederaufflammen gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah berichtet (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 6 ff.).
Die Sicherheitslage ist vielmehr im Wesentlichen vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt. So wurden im Jahr 2019, Stand November, 1378 Raketen durch bewaffnete palästinensische Gruppen aus dem Gazastreifen auf Israel abgeschossen und bei Angriffen vier israelische Zivilisten getötet und 123 verletzt (vgl. Human Rights Watch, World Report 2020 – Israel and Palestine, S. 3 Druckversion). Umgekehrt kamen beim Einsatz von Gewalt durch die israelischen Streitkräfte im Gazastreifen 2019 108 Palästinenser ums Leben und wurden 11.845 verletzt (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 24.12.2019 – 6.1.2020).
Letztlich kann dahinstehen, ob es sich hierbei um einen bewaffneten internationalen (oder innerstaatlichen) Konflikt im Sinne der § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und Art. 15 Buchst. c der Qualifikations-RL 2011/95/EU zwischen Israel und Palästina beziehungsweise der den Gazastreifen beherrschenden Hamas handelt, denn für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 1 AsylG ist tatbestandliche Voraussetzung neben dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts das Bestehen einer individuellen Bedrohungssituation (vgl. OVG Münster, B.v. 10.10.2017 – 13 A 2235/17.A – juris). Eine solche individuelle Bedrohungssituation ist für den Kläger nicht gegeben. Der Kläger ist bei seiner Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung nicht einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt.
Eine solche individuelle Bedrohung kann in erster Linie durch gefahrerhöhende persönliche Umstände begründet sein. Solche Umstände können z. B. aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/11 -juris Rn. 193). Hinsichtlich des Klägers, der vor seiner Ausreise als Schmied und Maler gearbeitet hat, sind solche gefahrerhöhende persönliche Gründe weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Weiter kann die Gewährung subsidiären Schutzes unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen nur ausnahmsweise in Betracht kommen, nämlich bei besonderer Verdichtung einer allgemeinen Gefahrenlage, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Maß erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. zu den Voraussetzungen einer individuellen Bedrohungssituation EuGH, U.v. 17.2.2009 – Rs. C 465/07 (Elgafaji) – juris, Rn. 35 und 39 und U.v. 30.1.2014 – Rs. C 285/12 (Diakité) – juris, Rn. 30; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 32 und U.v. vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris, Rn. 18 ff.). Zur Feststellung, ob eine solche Bedrohung gegeben ist, ist eine jedenfalls annähernde quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris) sowie der medizinischen Versorgungslage (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris) erforderlich. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung allerdings davon aus, dass – bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres – ein Risiko von 1:800 verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt liegt, dass sich eine im Übrigen unterbliebene wertende Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht mehr auszuwirken vermag (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.). Diesen Maßstab zugrunde gelegt liegt keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG alleine durch seine Anwesenheit in … bzw. im Gouvernement Gaza als maßgebliche Herkunftsregion (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 31.3.2013 – 10 C 15.12 – juris; U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris; VGH BW U.v. 17.1.2017 – A 11 S 241/1 – juris, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 100; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 202) bzw. im Gazastreifen vor.
Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas weist kein so hohes Niveau an willkürlicher Gewalt auf, dass der Kläger bereits alleine durch seine Anwesenheit in … bzw. im Gouvernement Gaza oder im Gazastreifen ernsthaft und individuell bedroht wäre und sich die allgemeine Gefahr in seiner Person zum beachtlichen Risiko verdichten würde (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 13). Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Zwar handelt es sich bei den errechneten Wahrscheinlichkeiten nur um Näherungen, da beispielsweise bei der Erfassung der Daten, in Bezug auf die einzelnen Erhebungszeitpunkte sowie bezüglich der Zuordnung der Opfer zu den einzelnen Anschlägen Unschärfen bestehen. Insoweit ist in der Rechtsprechung jedoch geklärt, dass eine annäherungsweise Ermittlung der entsprechenden, zueinander ins Verhältnis gesetzten Zahlen ausreichend ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris). Selbst unter Einbeziehung eines gewissen Sicherheitszuschlags wird die kritische Gefahrendichte hier bei weitem nicht erreicht.
Im Jahr 2019 wurden im Gazastreifen durch israelische Kräfte 108 Palästinenser getötet und 11.845 verletzt (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 4.2.2020 – 17.2.2020). Ein Jahr zuvor, 2018, waren 260 getötete und 25.641 verletzte Palästinenser zu verzeichnen (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 26.3.2019 – 8.4.2019). Daraus ergibt sich bei einer Bevölkerungszahl im Gazastreifen von etwa 1,9 Millionen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 7), wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass sämtliche Opfer keine Kombattanten waren, für palästinensische Zivilisten im Gazastreifen ein Risiko durch israelische Streitkräfte getötet oder verletzt zu werden von etwa 1,36% im Jahr 2018 und von etwa 0,63% im Jahr 2019. Damit liegen beide Werte deutlich über dem genannten Verhältnis von 1:800 (0,125%), allerdings handelt es sich dabei um keinen starren Richtwert des Bundesverwaltungsgerichts dergestalt, dass bei einem Überschreiten automatisch eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG anzunehmen wäre. Zum einen sah das Bundesverwaltungsgericht ein Risiko von 1:800 als weit weg von der Schwelle der Erheblichkeit an (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454 Rn. 22 f.), weshalb ein Überschreiten dieses Wertes nicht sogleich zur Erheblichkeit führt. Zum anderen ist die quantitative Betrachtung, wie oben bereits ausgeführt, in eine wertende (qualitative) Gesamtbetrachtung einzubetten. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Risiko getötet zu werden, weit unterhalb der genannten Werte liegt, nämlich für das Jahr 2018 bei etwa 0,014% und für das Jahr 2019 bei etwa 0,006%, sprich die Gefahr (nicht tödlich) verletzt zu werden, im Vordergrund steht. Des Weiteren steht das Risiko, getötet oder verletzt zu werden, in signifikantem Zusammenhang mit den Massenprotesten („Great March of Return“) am Grenzzaun/Pufferzone zwischen dem Gazastreifen und Israel. Der Bau des Grenzzauns durch Israel begann 1994. Nachdem er im Jahr 2000 im Zuge der zweiten Intifada angegriffen wurde, ersetzte Israel den Zaun durch eine Sicherheitsbarriere mitsamt einer Pufferzone im Bereich des Gazastreifens, die bis zu 300 Metern breit sein kann und variabel festgelegt wird. In sie darf nach israelischen Einsatzregeln scharf hineingeschossen werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 10). Die Proteste („Great March of Return“) an dieser Grenzanlage zu Israel begannen am 30. März 2018 (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 10) und zielen auf ein Rückkehrrecht vertriebener Palästinenser in heute zum israelischen Staat gehörende Gebiete sowie die Blockade des Gazastreifens durch Israel (vgl. Amnesty International, Human Rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 – Israel and the Occupied Palestinian Territories, Stand 26. Februar 2019, S. 2). Zwar wurden die Proteste am 26. Dezember 2019 durch das Organisationskomitee ausgesetzt, allerdings nur bis zum 30. März 2020, dem zweiten Jahrestag des Protestbeginns. Danach sollen sie auf monatlicher Basis und auch als Adhoc Proteste fortgeführt werden (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 24.12.2019 – 6.1.2020). Im Rahmen der Grenzproteste kommt es zu gewaltsamen Konfrontationen mit Todesopfern zwischen der israelischen Armee und den Demonstranten, wobei inzwischen von einer Kontrolle der Proteste durch die Hamas auszugehen ist, die zur Gewaltausübung animiert (vgl. United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018 – West Bank and Gaza, S. 1 [S. 61 d. Gesamtversion zu Israel, Golan Heights, West Bank and Gaza]; s.a. United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note, Occupied Palestinian Territories, Stand Dezember 2018, S. 15: Die Hamas hat eingeräumt, dass eigene Mitglieder bei den Protesten getötet wurden). Etwa werden seitens der Palästinenser mit Brandsätzen ausgestattete Drachen und Molotov-Cocktails eingesetzt (vgl. Amnesty International, Human Rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 – Israel and the Occupied Palestinian Territories, Stand 26. Februar 2019, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 10).
So wurden im Zuge der Grenzproteste im Jahr 2019 33 Palästinenser getötet (vgl. UN OCHA, Casualities: Thousands killed in conflict-related incidents, 12.2.2020) und 11.523 (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 24.12.2019 – 6.1.2020) verletzt, bei einer Gesamtzahl im Gazastreifen getöteter Palästinenser in 2019 von 108 und einer Gesamtzahl im Gazastreifen verletzter Palästinenser in 2019 von 11.845 (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 4.2.2020 – 17.2.2020). Fasst man die Jahre 2018 und 2019 zusammen, so liegt die Zahl der bei den Protesten am Grenzzaun getöteten Palästinenser seit deren Beginn am 30. März 2018 bei 212, die der Verletzten bei 36.134 (vgl. UN OCHA, Protection of Civilians Report, 24.12.2019 – 6.1.2020), bei einer Gesamtzahl getöteter Palästinenser im Gazastreifen in 2018 und 2019 von insgesamt 368 und einer Gesamtzahl verletzter Palästinenser von 37.486. Bei einer wertenden Betrachtung zeigt sich somit, dass zwar das Risiko durch israelische Streitkräfte getötet, insbesondere aber verletzt zu werden, vor allem in der Nähe des Grenzzauns zu Israel und in Zusammenhang mit dem „Great March of Return“ erhöht ist, jedoch nicht auf den Gazastreifen als Ganzes bezogen. Gerade das erhöhte Verletzungsrisiko, welches erst die Signifikanz des Gesamtrisikos verletzt oder getötet werden mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG begründet, ist nahezu vollständig auf die Auseinandersetzungen anlässlich der Zaunproteste zurückzuführen und somit räumlich isoliert. Lässt man die bei den Grenzzaunprotesten Getöteten und Verletzten bei der Betrachtung außen vor, bleiben für den gesamten Gazastreifen im Jahr 2019 75 Tote und 322 Verletzte. Selbst wenn man zugunsten des Klägers diese Opferzahl allein dem Gouvernement Gaza bzw. … als seiner Herkunftsregion zuordnen würde, ergibt sich ein Risiko, Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, das weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt. Bei einer Einwohnerzahl im Gouvernement Gaza von 625.824 Einwohnern und in … von 549.070 Einwohnern liegt das Risiko durch israelische Streitkräfte verletzt oder getötet zu werden bei ca. 0,06% bzw. 0,07% im Jahr 2019.
Insofern muss sich der Kläger darauf verweisen lassen, sich nicht unmittelbar in die Pufferzone zum Grenzzaun hin zu begeben beziehungsweise jedenfalls innerhalb des Gazastreifens mit größerem Abstand zur Grenze als sein Heimatort … Schutz zu suchen, etwa in den größeren Städten Khan Yunes oder Rafah im Süden des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten. Die Hamas unterbindet die interne Bewegungsfreiheit im Gazastreifen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 23). Dies ergibt sich auch aus den Regelungen zur inländischen Fluchtalternative des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG, die dem Ausländer zumuten, in einem Teil seines Herkunftslandes Aufenthalt zu nehmen, in dem ihm keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens droht, er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. hierzu die Ausführungen unter II.). Die von der Klägerseite zitierte Rechtsprechung des VG Berlin (U.v. 27.2.2019 – 34 K 93.17 Ajuris) ist nach alledem abzulehnen.
II.
Auch besteht kein nationales Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers.
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung ist nach der EMRK insbesondere dann unzulässig, wenn dem Kläger in der Zielregion eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot. Denn Art. 3 EMRK kann, so der EGMR, nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen eine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung zu gewähren, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 249; s.a. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 10). Gleichwohl ist eine Verantwortlichkeit nach Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen, wenn eine vollständig von staatlicher Unterstützung abhängige Person, die behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 253). Zudem muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist relativ und hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, etwa der Dauer der erniedrigenden Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen, sowie von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Klägers (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 219; s.a. EGMR, U.v. 13.12.2015 – Paposhvili/Belgien, 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174). Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 3 EMRK ist auf den gesamten Abschiebestaat abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris).
Diese Voraussetzungen sind für den Kläger als jungen, gesunden, alleinstehenden und arbeitsfähigen Mann nicht erfüllt. Dabei verkennt das Gericht nicht die schlechten Lebensbedingungen im Gazastreifen allgemein. So sind im Gazastreifen 80% der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen (vgl. Amnesty International, Human Rights in the Middle East and North Africa: Review in 2018, Palestine, 26.2.2019, S. 1). Es gibt wegen der Stromknappheit Probleme mit der Wasserversorgung und dem Abwasserkreislauf (vgl. Human Rights Watch, World Report 2020 – Israel and Palestine, S. 2), einigen Erkenntnismitteln nach haben 95% der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser (vgl. Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Palestinian territories occupied since 1967, 15.3.2019, S. 3 f.). Hinsichtlich der Abwasserbelastung soll jedoch eine 2018 fertiggestellte neue Kläranlage Abhilfe schaffen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 28). Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage sowie hohen Lebensmittelpreisen sind circa 39% der Haushalte im Gazastreifen von schwerer oder moderater Lebensmittelunsicherheit betroffen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 27). Im Gazastreifen lag die Arbeitslosenquote im 2. Quartal 2018 bei 53,7%, das Durchschnittseinkommen pro Tag bei 14,64 Euro (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 27), das moderate Wirtschaftswachstum reicht nicht aus, die Arbeitslosenquote zu senken, sondern führt vielmehr zu einem weiteren Anstieg (vgl. United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note, Occupied Palestinian Territories, Stand Dezember 2018, S. 26). Hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung sinken zwar die Kapazitäten des medizinischen Sektors im Allgemeinen, gleichwohl funktionieren die wesentlichen Abteilungen in den Krankenhäusern im Gazastreifen. Nichtsdestotrotz sind Patienten häufig auf eine Behandlung im Ausland angewiesen, weil etwa Medikamente, medizinische Ausrüstung und Personal fehlen. So waren Ende Januar 2018 40% der lebensnotwendigen Medikamente des Basisgesundheitskorbs der WHO ausverkauft, für weitere 43% bestanden nur Vorräte bis zu einem Monat (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 29 f.). Wegen der genannten erheblichen Defizite bei der Versorgung der Bevölkerung kommt den Hilfsleistungen der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) große Bedeutung bei der Gewährleistung eines Minimalstandards zu. Das UNRWA agiert, was die Versorgung anbelangt, als de facto Regierung und betreibt im Gazastreifen acht Flüchtlingslager, 267 Schulen, 21 Gesundheitszentren, 16 Unterstützungs- und Sozialeinrichtungen, drei Büros zur Vergabe von Mikrokrediten und zwölf Verteilungszentren für Nahrungsmittel (vgl. United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note, Occupied Palestinian Territories, Stand Dezember 2018, S. 30 ff.).
In einer Gesamtschau der persönlichen Umstände des Klägers sowie der vor allem durch das UNRWA gewährleisteten Grundversorgung ist bei seiner Rückkehr in den Gazastreifen nicht mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zu rechnen. Laut eigenen Angaben hat der Kläger vor seiner Ausreise als Schmied und Maler gearbeitet. Zudem lebt die Familie des Klägers (bzw. jedenfalls ein Teil der Familie) nach seinen Angaben weiterhin in Gaza und hat auch Grundbesitz. Eine Unterstützung des Klägers durch seine Familie erscheint auch realistisch, denn es ist im Kulturkreis des Klägers üblich, dass in Notsituationen Unterstützung geleistet wird und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend nicht geschehen würde. Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Kläger nicht in … bzw. dem Gouvernement Gaza, sondern in einem anderen Teil des Gazastreifens niederlässt. Doch auch wenn der Kläger auf die familiäre Unterstützung nicht zurückgreifen kann, ist davon auszugehen, dass sich der Kläger bei einer Rückkehr, wie bereits vor seiner Ausreise, ein ausreichendes Existenzminimum erwirtschaften wird, und zudem, falls nötig, auf die durch das UNRWA gewährleistete Grundversorgung zurückgreifen kann.
Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK folgt auch nicht aus einer dem Kläger bei Rückkehr drohenden allgemeinen Situation der Gewalt, die der EGMR nur in äußerst extremen Fällen annimmt (vgl. EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich, 8319/07 – NVwZ 2012, 681 Rn. 218). Diese Voraussetzungen liegen nach den Ausführungen unter 2. nicht vor (vgl. hierzu auch: BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 38).
Ein Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG aus individuellen, in der Person des Klägers liegenden Gründen, ist ebenfalls nicht gegeben. Vor dem Bundesamt hat der Kläger in dieser Hinsicht keine Angaben gemacht. In der mündlichen Verhandlung gab er an, dass sein Vater nach Israel geflohen, der Bruder inhaftiert worden sei. Beides sei im Februar 2020 passiert. Ein genaues Datum kenne der Kläger jedoch nicht. Der Grund hierfür sei dasselbe Problem, was generell die Leute dort hätten. Auch Nachfrage führte der Kläger aus, dass die Machthaber die Bevölkerung unterdrücken würden. Auch übe der Nachbar Druck auf die Familie des Klägers aus, das Haus zu verkaufen. Auf weitere Nachfrage gab der Kläger an, dass der Nachbar enge Beziehungen zur Regierung habe, für diese arbeite. Es seien hochrangige Machthaber. Auf weitere Nachfrage des Gerichts zum befürchteten eigenen Verfolgungsschicksal bei Rückkehr führte der Kläger aus, dass Freunde, die zurückgekehrt seien, auf der Straße von maskierten Leuten festgenommen und verletzt worden seien. Der Vortrag des Klägers vermag eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft zu machen. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass bei verständiger Würdigung die geschilderte Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405/89 – juris), so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel die Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 2.10.2017 – Au 5 K 17.31438 – juris). Von dem Asylsuchenden kann verlangt werden, dass er zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, B.v. 10.5.1994 – 9 C 434.93 – juris; BVerwG, B.v. 19.3.1991 – 9 B 56/91 – juris). Der Vortrag des Klägers kann diese Anforderungen nicht erfüllen. Er gestaltete sich äußerst schleppend, Näheres wurde gar nicht bzw. nur auf konkrete Nachfrage genannt. Die pauschalen Angaben des Klägers vermögen es nach Überzeugung des Gerichts nicht, eine relevante Furcht vor Verfolgung gerade des Klägers zu begründen, so dass dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts bei seiner Rückkehr auch in dieser Hinsicht keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht, ein Abschiebeverbot gemäß Art. 60 Abs. 5 AufenthG also auch aus individuellen Gründen nicht in Betracht kommt.
2) Ferner kann der Kläger kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG geltend machen.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, liegt bei dem Kläger nicht vor. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten – insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage – kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60 ff.; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – juris Rn. 21 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel sind die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
III.
Die im angefochtenen Bescheid ergangene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sind gemäß § 38 Abs. 1 AsylG und § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG rechtmäßig. Das Gericht schließt sich der Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts an, dass eine Abschiebungsandrohung auch hinsichtlich der Palästinensischen Autonomiegebiete, im angefochtenen Bescheid als Gazastreifen oder Westjordanland konkretisiert, erfolgen kann, obschon deren völkerrechtlicher Status als Staat wenigstens umstritten ist (vgl. NdsOVG, U.v. 14.12.2017 – 8 LC 99/17 – BeckRS 2017, 138723 Rn. 27 ff.).
Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sich die tatsächliche Durchführung der Abschiebung wegen der Restriktionen bei der (Wieder) Einreise in den Gazastreifen oder in das Westjordanland als problematisch erweisen könnte. Zum einen ist die tatsächliche Durchführung der Abschiebung im Asylverfahren nicht durch das Bundesamt zu prüfen, sondern durch die Ausländerbehörde (vgl. Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 34 AsylG Rn. 31 m.w.N.). Zum anderen ist, wenn auch derzeit eine Einreise in das Westjordanland für in Gaza ansässige Palästinenser durch Israel nur im absoluten Ausnahmefall gestattet wird (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 7.3.2019, S. 1), eine Einreise in den Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah über Ägypten und über den Grenzübergang Erez von Israel aus, wenn auch unter Einschränkungen und Voraussetzungen, mit gültigen Ausweispapieren der palästinensischen Behörden jedenfalls grundsätzlich möglich (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Palästinensische Gebiete – Gaza, Stand 12.9.2018, S. 24).
Schließlich ist die Abschiebungsandrohung auch nicht aufgrund der im Bescheidstenor fehlenden Angabe des Zielstaates rechtswidrig. Das Zielland, in das abgeschoben werden soll, muss hinreichend bestimmt sein. Die Behörde hat dem Ausländer den konkret ins Auge gefassten Abschiebezielstaat rechtzeitig vorher mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zu geben, etwaige Abschiebungshindernisse bezüglich dieses Staates geltend zu machen und gegebenenfalls Rechtschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.1991 – 1 C 11.01 – juris Rn. 11; OVG LSA, B.v. 13.8.2008 – 2 L 12/08, juris Rn. 5). Auf Nachfrage des Gerichts führte die Beklagte jedenfalls mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 aus, dass zwar im Bescheidstenor kein Zielstaat genannt sei, dass jedoch das in Betracht kommende Gebiet, nämlich Gaza/Palästinen-sische Autonomiegebiete mit den Ausführungen des Bescheides hinreichend bestimmt seien. Offenbleiben kann, ob die Ausführungen in den Gründen des Bescheides zur hinreichenden Zielstaatsbestimmung ausgereicht hätten, denn jedenfalls mit der mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 erfolgten Konkretisierung des Ziellandes mit Gaza/Palästinensische Autonomiegebiete ist den Voraussetzungen an eine rechtmäßige Abschiebungsandrohung Genüge getan. Nichts anderes lässt sich auch dem Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 16. Oktober 2019 entnehmen.
IV.
Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 6 des Bescheides keinen rechtlichen Bedenken. Auch unter Berücksichtigung des nunmehr geltenden § 11 Abs. 1 AufenthG, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht mehr aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung eintritt, sondern es hierfür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 71), bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ziffer 6 des Bescheides. Die nunmehr geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer ist in unionsrechtskonformer Auslegung regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu sehen (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72). Eine solche hat die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid wirksam getroffen und in Ausübung des ihr nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens eine Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung vorgesehen. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden.
V.
Die Klage ist mit der Kostenfolge des §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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