Verwaltungsrecht

Kein Schadenersatz wegen unterbliebener Beförderung bei schuldhafter Nichtabwendung des Schadens

Aktenzeichen  6 ZB 18.610

Datum:
10.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23422
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5
BGB § 839 Abs. 3
BBG § 126 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ist die erstinstanzliche Entscheidung selbstständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Beamter, der an seinem beruflichen Fortkommen interessiert und sich über das „Ob“ und „Wann“ von Beförderungsverfahren im Unklaren ist, hat die Obliegenheit, sich bei seinem Dienstherrn darüber näher zu erkundigen und für den Fall von als unzureichend angesehenen Auskünften diese zu rügen und gegen drohende Ernennungen mit Mitteln des vorläufigen Rechtsschutzes vorzugehen (ebenso BVerwG BeckRS 2018, 23336, BeckRS 2018, 24274). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Versäumt er diese Obliegenheit, so unterlässt er es schuldhaft, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB abzuwenden (ebenso BVerwG BeckRS 2018,23336, BeckRS 2018, 24274). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 16.938 2018-02-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 6. Februar 2018 – M 21 K 16.938 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge jeweils auf 20.069,94 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Der Kläger, ein Bundespolizeibeamter, erstrebt mit seiner Klage, im Wege des Schadensersatzes status-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als wäre er zum 1. Dezember 2010 zum Polizeihauptmeister (Besoldungsgruppe A 9) befördert worden. Sein berufliches Fortkommen sei wegen Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz im Rahmen eines Disziplinarverfahrens fürsorgepflichtwidrig verzögert worden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. Februar 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei bereits unzulässig, weil der Kläger sein nunmehr geltend gemachtes Schadensersatzbegehren nicht spätestens im nach § 126 Abs. 2 BBG erforderlichen Vorverfahren gegenüber dem Dienstherrn ordnungsgemäß konkretisiert habe. Zudem müsse die Klage in der Sache ohne Erfolg bleiben, weil der Kläger – die behauptete schuldhafte Fürsorgepflichtverletzung unterstellt – es schuldhaft unterlassen habe, von primären Rechtsschutzmöglichkeiten gegen das beanstandete Verhalten seines Dienstherrn Gebrauch zu machen.
Ist die erstinstanzliche Entscheidung demnach selbstständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 3 m.w.N.). Das gilt auch für den Fall, dass das Verwaltungsgericht die Klage – wie hier – ausdrücklich als unzulässig und unbegründet abgewiesen hat (BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 6 ZB 17.956 – juris Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es. Es kann dahinstehen, ob der erste Begründungsstrang des Verwaltungsgerichts (kein ordnungsgemäßes Vorverfahren) für sich betrachtet zutrifft. Jedenfalls zeigt die Zulassungsschrift keine Zweifel am zweiten Begründungsstrang auf, die der weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften.
Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt eine Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig beanstandete Verhalten abzuwenden. Der Begriff des Rechtsmittels ist nicht im technischen Sinn zu verstehen. Gemeint sind vielmehr alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und nach gesetzlicher Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und ermöglichen (vgl. Reinert in BeckOK BGB, § 839 Rn. 108 m.w.N.). § 839 Abs. 3 BGB ist eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips, das in allgemeiner Form in § 254 BGB niedergelegt ist und für das gesamte private und öffentliche Haftungsrecht gilt. Bei rechtswidrigem Handeln des Staates soll der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz im Vordergrund stehen und dem Betroffenen dadurch die missbilligte Wahlmöglichkeit genommen werden, entweder den rechtswidrigen hoheitlichen Akt mit den ordentlichen Rechtsschutzmitteln anzugreifen oder aber diesen zu dulden und dafür zu liquidieren. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben soll nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und in zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht hat (BayVGH, B.v. 12.9.2017 – 6 ZB 17.587 – juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 3.11.2014 – 2 B 24.14 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat, scheitert nach diesen Grundsätzen der vom Kläger gegen seinen Dienstherrn erhobene Schadensersatzanspruch wegen angeblich fürsorgerechtswidrig verspäteter Beförderung jedenfalls daran, dass er überhaupt kein Rechtsmittel ergriffen hat, um seinen Bewerbungsverfahrensanspruch mit dem Ziel der Beförderung in ein höherwertiges Amt gegebenenfalls mit Hilfe der Gerichte durchzusetzen. Dem steht der in der Zulassungsschrift hervorgehobene Umstand nicht entgegen, dass die fraglichen Beförderungsämter „im Rahmen der sog. Regelbeförderung“ nicht ausgeschrieben worden sind und der Kläger keine Mitteilung über seine Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren erhalten hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. Juni 2018 – 2 C 19.17 – das vom Kläger für seine gegenteilige Auffassung angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2016 – 1 A 2310/14 – aufgehoben und ausgeführt, dass ein Beamter, der an seinem beruflichen Fortkommen interessiert und sich über das „Ob“ und „Wann“ von Beförderungsverfahren im Unklaren ist, die Obliegenheit hat, sich bei seinem Dienstherrn darüber näher zu erkundigen und für den Fall von als unzureichend angesehenen Auskünften diese zu rügen und gegen drohende Ernennungen mit Mitteln des vorläufigen Rechtsschutzes vorzugehen (vgl. BVerwG, Pressemitteilung Nr. 40/2018 v. 15.6.2018).
Das gilt zweifellos auch für den Kläger. Dieser hatte gerade wegen des gegen ihn geführten mehrfach ausgedehnten und schließlich eingestellten Disziplinarverfahrens, dessen Besonderheiten dem Senat insbesondere aus dem Rechtsstreit um die dienstliche Beurteilung des Klägers für den Zeitraum 2004 bis 2012 bekannt sind (BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 6 B 17.1026), auf der Hand liegenden Anlass zu entsprechender Vorgehensweise.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert bestimmt sich nach der Sonderregelung des § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG (vgl. BVerwG, B.v. 26.9.2002 – 2 B 23.02 – NVwZ-RR 2003, 246 f.; s. auch BayVGH, B.v. 26.6.2018 – 6 ZB 17.2287 – juris Rn. 9; B.v. 23.8.2018 – 6 ZB 18.1025 – juris Rn. 13 ff.). Er beträgt demnach die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme der nicht ruhegehaltsfähigen Zulagen in dem angestrebten Amt der Besoldungsgruppe A 9. Dabei legt der Senat das Grundgehalt dieser Besoldungsgruppe in der Endstufe nach der Anlage IV des Bundesbesoldungsgesetzes (in der bei Klageerhebung geltenden Fassung des Gesetzes vom 25.11.2014, BGBl I S. 1783) zugrunde (3.344,99 € x 6). Für das erstinstanzliche Verfahren wird der Streitwert nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen entsprechend heraufgesetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 6 VwGO).


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