Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung eines Sturzes beim Bäcker anlässlich einer Dienstreise als Dienstunfall

Aktenzeichen  3 B 18.827

Datum:
16.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27381
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1
BayRKG Art. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Auch die Besorgung von Lebensmitteln und anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs während einer Dienstreise ist grundsätzlich noch vom Dienstunfallschutz erfasst, wobei im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu entscheiden ist, wie weit der Wegeschutz reicht (ebenso BVerwG BeckRS 2014, 46753). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Aufenthalt in Gaststätten oder Geschäften ist auch bei einer Dienstreise vorwiegend eigenwirtschaftlich geprägt, denn mit dem Betreten des jeweiligen Geschäftslokals wird der unmittelbare Weg zum Bestimmungsort der dienstlichen Tätigkeit verlassen; auf diesen Flächen findet kein allgemeiner Verkehr statt mit der Folge, dass selbst dann die Unfallfürsorge nicht greift, wenn der Unfall sich anlässlich einer Dienstreise ereignet. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Dienstreise erstreckt sich nicht auf die gesamte Zeit der Abwesenheit vom Heimatort, sondern nur auf die Reise selbst und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hat die Beamtin – wie hier – mit dem Betreten einer Bäckerei den allgemeinen Verkehrsraum verlassen, ist ein sich dort ereignender Unfall der eigenwirtschaftlichen Sphäre der Beamtin und nicht der Risikosphäre des Dienstherrn zuzuordnen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 K 15.378 2015-10-28 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 24. November 2014 als Dienstunfall.
Gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 BayBeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Zum Dienst gehören auch Dienstreisen, Dienstgänge und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort. Entscheidender rechtlicher Ausgangspunkt für die Abgrenzung, ob ein Unfall in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist oder nicht, ist der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeregelung. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend auf Grund der Anforderungen des Dienstes tätig wird oder mit anderen Worten, die sich während der pflichtgemäßen Erledigung der ihm obliegenden Aufgaben ereignen (BVerwG, U.v. 3.11.1976 – VI C 203.73 – BVerwGE 51, 220; U.v. 29.8.2012 – 2 C 1.12 – NVwZ-RR 2014, 152). Bei einer Dienstreise, deren Dauer sich grundsätzlich nach der Abreise und der Ankunft an der Wohnung richtet (Art. 7 Satz 1 BayRKG), sind die diesbezüglichen Wegstrecken vom Dienstunfallschutz umfasst. Dauert die Dienstreise mehr als einen Tag und macht sie daher eine Übernachtung erforderlich, gehört zur notwendigen Strecke auch der jeweilige Weg von und zum Übernachtungshotel. Als Dienst im Sinn des Art. 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBeamtVG gilt nur die Reise selbst und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort (Plog/Wiedow, § 31 BeamtVG Rn. 95).
Die Einbeziehung der Dienstreise in die Dienstunfallfürsorge ist keine sozialpolitisch motivierte zusätzliche Leistung des Dienstherrn. Dementsprechend ist die Reichweite der Dienstunfallfürsorge bei einer Dienstreise nicht restriktiv auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch die Besorgung von Lebensmitteln und anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs während der Dienstreise grundsätzlich noch vom Dienstunfallschutz erfasst (BVerwG, U.v. 10.12.2013 – 2 C 7.12 – NVwZ 2014, 601/603). Eine Abgrenzung zwischen dienstlich veranlasster Tätigkeit und eigenwirtschaftlicher Sphäre des Beamten ist damit indes nicht von vornherein überflüssig (vgl. Wilhelm in GKÖD, § 31 BeamtVG Rn. 75). Vielmehr ist stets nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu entscheiden, wie weit dieser Wegeschutz reicht, denn auch eine Dienstreise kann durch einen Einkauf von Lebensmitteln oder anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs unterbrochen werden. Risiken, die allgemein der Privatsphäre zugeordnet sind, bleiben aus dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge ausgeschlossen. In diesem Sinn ist der Aufenthalt in Gaststätten oder Geschäften auch bei einer Dienstreise vorwiegend eigenwirtschaftlich geprägt. Denn mit dem Betreten des jeweiligen Geschäftslokals wird der unmittelbare Weg zum Bestimmungsort der dienstlichen Tätigkeit verlassen. Auf diesen Flächen, über deren Nutzung ein Dritter allein entscheiden kann, findet kein allgemeiner Verkehr statt (BVerwG, U.v. 26.11.2013 – 2 C 9.12 – NVwZ-RR 2014,423/424). Unfälle auf diesen Flächen unterliegen selbst dann nicht der Unfallfürsorge des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 BayBeamtVG, wenn sie sich anlässlich einer Dienstreise ereignen.
Im Fall der Klägerin steht für den Senat fest, dass sie mit dem Betreten der Bäckerei – entgegen ihrer Auffassung – den allgemeinen Verkehrsraum verlassen hat. Der Aufenthalt im Geschäft ist nicht Dienst im Sinn des Art. 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBeamtVG, denn die Dienstreise erstreckt sich nicht auf die gesamte Zeit der Abwesenheit vom Heimatort, sondern nur auf die Reise selbst und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort. Dementsprechend ist im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2013 (a.a.O., juris Rn. 20) nur davon die Rede, dass der Erwerb von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs, die der Dienstreisende nicht von zu Hause mitgebracht hat, auf dem unmittelbaren Weg noch ausreichend durch die Erfordernisse der Dienstreise geprägt werde. Dieser Entscheidung ist nach Ansicht des Senats kein obiter dictum für den zu entscheidenden Fall zu entnehmen. Die Dienstunfallfürsorge kann bei Dienstreisen insoweit nicht auf die eigenwirtschaftliche Sphäre des Beamten ausgedehnt werden. Wenn die Klägerin meint, der Wegeschutz beschränke sich nur im Rahmen des Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG auf den allgemeinen Verkehrsraum, während er auf der Dienstreise mangels des Erfordernisses restriktiver Auslegung umfassend zu verstehen sei, misst sie der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine überschießende Tendenz bei, die diese nicht hat (Der a.a.O. zu juris Rn. 17 formulierte Leitsatz bezieht sich eindeutig auf die Prüfung des Dienstunfallschutzes anlässlich der Dienstreise, vgl. a.a.O. Rn. 12, 16). Es kann schließlich auch nicht überzeugen, wenn die Klägerin denkbare Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten Dritter der Risikosphäre des Dienstherrn zuordnen will.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG).


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