Verwaltungsrecht

Keine generelle Gefahr bei Rückkehr nach Mogadishu

Aktenzeichen  20 ZB 17.31166

Datum:
20.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128938
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AsylG §  4 Abs. 1 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung iSd Art. 3 EMRK ist von einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts iSd § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu trennen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein aufgrund des Bestehens einer Bürgerkriegssituation ist nicht ersichtlich, warum gerade der konkrete Ausländer individuell der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt sein soll. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3 Gesunden jungen männlichen Angehörigen droht, jedenfalls wenn sie einem Mehrheitsclan angehören, bei ihrer Rückkehr nach Mogadishu im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage derzeit keine extreme Gefahr, welche zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG führt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.32530 2017-06-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. Juni 2017, M 11 K 16.32530, ist unzulässig, weil kein Zulassungsgrund in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Art und Weise dargelegt wurde.
Der Kläger hat die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht dargelegt. Diese Darlegung erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683).
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Klägers im Zulassungsantrag nicht gerecht. Es fehlt schon an der Formulierung einer grundsätzlich klärungsbedürftigen Frage. Der Kläger, der sein Klagebegehren nachträglich auf die Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkt hat, macht geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK verneint. Er vertritt demgegenüber die Auffassung, dass in Somalia „heute gleichsam jeder mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ausgesetzt“ sei. Zum Beleg werden Urteile des Verwaltungsgerichts Göttingen sowie des Verwaltungsgerichts Magdeburg genannt und aus einem Urteil des letztgenannten Gerichts einzelne Textpassagen zitiert. Damit legt der Kläger jedoch nicht dar, welche für das Verwaltungsgericht entscheidungserhebliche und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage seiner Ansicht nach klärungsbedürftig ist. Er setzt sich auch nicht substantiiert mit der Begründung des erstinstanzlichen Urteils auseinander, sondern stellt dieser lediglich abweichende Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte gegenüber. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne des Art. 3 EMRK von einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu trennen sei. Allein aufgrund des Bestehens einer Bürgerkriegssituation sei nicht ersichtlich, warum gerade der Kläger individuell der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt sein solle. Das für § 60 Abs. 5 AufenthG notwendige Maß der Individualisierung der Gefahr einer solchen Behandlung sei vorliegend nicht gegeben. Das Bundesamt führe im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend aus, dass individuelle gefahrerhöhende Umstände nicht vorgetragen worden seien. Aus diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird deutlich, dass es aufgrund des Vortrags des Klägers die Gefahr einer individuellen, gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung im Falle seiner Rückkehr nach Somalia, insbesondere Mogadishu, nicht feststellen konnte. Daraus ergibt sich keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung.
Soweit der Kläger im Zulassungsantrag geltend macht, Musiker zu sein und über viele Videos, die von jedermann eingesehen werden könnten, bekannt sei, weshalb auch sein Vater ermordet worden sei, ist damit ebenfalls keine grundsätzlich klärungsbedürftige Tatsachen- oder Rechtsfrage aufgeworfen.
Letztlich macht der Kläger mit seinem Vorbringen unter dem Vorwand grundsätzlicher Bedeutung nur den im Asylprozess nach der abschließenden Nennung in § 78 Abs. 3 AsylG nicht zur Verfügung stehenden Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend.
Im Übrigen hat der Senat bereits entschieden, dass gesunden jungen männlichen Angehörigen, jedenfalls wenn sie einem Mehrheitsclan angehören, bei ihrer Rückkehr nach Mogadishu im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage derzeit keine extreme Gefahr droht, welche zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG führt (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris; U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris). Dem stünde im Falle des Klägers auch entgegen, dass nach seinen Angaben seine Mutter sowie mehrere Geschwister noch in Somalia leben, dass er nach seiner Auseinandersetzung mit Al-Shabaab von der Miliz seines Stadtviertels gerettet worden ist und dass er im Falle seiner Rückkehr nach Mogadishu (wohl) auch die Unterstützung seines Clans in Anspruch nehmen könnte. Als Angehöriger der Bandhabow oder Badhawaw, einer Untergruppe der Reer Hamar bzw. Benadiri, welche als Nachkommen der Ureinwohner von Mogadishu gelten (Hamar ist die Bezeichnung der Altstadt von Mogadishu), gehört der Kläger zwar auf das gesamte Zentral- und Südsomalia bezogen keinem Mehrheitsclan an, aber einem Clan, der aufgrund seiner Ansässigkeit in Mogadishu, seines Ansehens und des relativen Wohlstandes seiner Angehörigen in der dortigen Gesellschaft nicht schutz- und wehrlos ist (vgl. Informationszentrum Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, S. 7 ff., insb. S. 9 u.V.a. ACCORD/Joakim Gundel, Clans in Somalia, 2009, S. 19).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben