Verwaltungsrecht

Keine Gewährung eines Unterhaltsbeitrags in Höhe des Witwengeldes bei fehlender Entkräftung der Vermutung einer Versorgungsehe

Aktenzeichen  3 ZB 20.1306

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2826
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 35 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Art. 38 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Unterhaltsbeitrag scheidet aus, wenn die Ehe mit dem Ruhestandsbeamten nach Art. 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG als sog. „Versorgungsehe“ gilt und die Klägerin diese gesetzliche Vermutung nicht entkräften kann (Rn. 3). (redaktioneller Leitsatz)
2. Besondere Umstände, bei denen ein anderer Beweggrund als die Versorgungsabsicht naheliegt, sind etwa gegeben, wenn der Beamte unvorhergesehen verstorben ist, im Zeitpunkt der Heirat also nicht mit seinem Tod zu rechnen war (Rn. 5). (redaktioneller Leitsatz)
3.  Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt jedoch der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die zu einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung führen (Rn. 16). (redaktioneller Leitsatz)
4.  Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschluss annehmen zu können (Rn. 17). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.236 2019-11-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 21. November 2019 wird der Streitwert für das Klage- und Zulassungsverfahren auf jeweils 49.248,66 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung zu gewähren, zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwengeld, weil die am 28. Oktober 2015 geschlossene Ehe erst nach dem Eintritt des am 1940 geborenen und am 27. Juni 2016 verstorbenen Beamten (Versorgungsurheber) in den Ruhestand (seit 1.1.2006; BesGr A 13 Stufe 11) geschlossen wurde und der Ruhestandsbeamte zur Zeit der Eheschließung die Regelaltersgrenze nach Art. 62 Satz 1 BayBG bereits erreicht hatte (Art. 35 Abs. 2 Nr. 2 BayBeamtVG). In diesen Fällen einer sog. „nachgeheirateten Witwe“ ist nach Art. 38 Satz 1 BayBeamtVG zwar ein Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwengeldes zu gewähren, jedoch nur, wenn der Ausschlussgrund der Versorgungsehe widerlegt ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2016 – 3 ZB 13.1644 – juris Rn. 5 zu § 22 BeamtVG mit Verweis auf BVerwG, U.v. 19.1.1968 – VI C 56.64 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 8.4.1992 – 3 B 91.2691 – BeckRS 2011, 47374). Damit scheidet ein Anspruch auf Unterhaltsbeitrag aus, da die Ehe mit dem Ruhestandsbeamten nach Art. 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG als sog. „Versorgungsehe“ gilt und die Klägerin diese gesetzliche Vermutung nicht entkräften konnte.
1.1 Nach Art. 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG besteht kein Anspruch auf Witwengeld, wenn die Ehe weniger als ein Jahr gedauert hat, es sei denn, nach den besonderen Umständen des Falls ist die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen (Art. 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG).
Eine Ehedauer von weniger als einem Jahr begründet die gesetzliche Vermutung einer sog. Versorgungsehe. „Besondere Umstände“, die die Vermutung einer Versorgungsehe entkräften können, sind unter Zugrundelegung der Maßstäbe aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21.14 – juris Rn. 15-23 zur entsprechenden Vorschrift des § 19 BeamtVG; ebenso BSG, U.v. 5.5.2009 – B 13 R 55/08 R – BSGE 103, 99 zu dem inhaltsgleichen § 46 Abs. 2a SGB VI; BayVGH, U.v. 17.7.2019 – juris Rn. 18; vgl. von der Weiden, jurisPR-BVerwG 9/2016 Anm. 5) solche, die auf einen anderen Beweggrund der Heirat als die Versorgungsabsicht schließen lassen. Umstände, bei denen ein anderer Beweggrund als die Versorgungsabsicht naheliegt, sind etwa gegeben, wenn der Beamte unvorhergesehen verstorben ist, im Zeitpunkt der Heirat also nicht mit seinem Tod zu rechnen war. Musste im Zeitpunkt der Heirat hingegen wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung mit dem Tod des Beamten gerechnet werden, liegt das Motiv einer Versorgungsehe nahe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O. – juris Rn. 17) kann jedoch auch ein bereits vor der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung getroffener Heiratsentschluss ein „besonderer Umstand“ sein, sofern die Heirat aus „wirklichkeitsnahen Gründen“ nur aufgeschoben, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden ist (Fortentwicklung der früheren Begrifflichkeit zur „konsequenten“ Verwirklichung des vor der Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschlusses).
1.2 Daran gemessen besteht kein Anspruch auf Gewährung eines Unterhaltsbeitrags nach Art. 38 Satz 1 BayBeamtVG, da die am 28. Oktober 2015 geschlossene Ehe nur knapp acht Monate gedauert hat und die Klägerin die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht entkräften konnte (Art. 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG).
Ihre hiergegen innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebrachten Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Eheschließung in Kenntnis der 2014 festgestellten, potentiell lebensbedrohlichen Krebserkrankung des Ehemanns der Klägerin erfolgte. Dies wird auch von Seiten der Klägerin nicht bestritten („lag zum Zeitpunkt der Eheschließung zwar eine grundsätzlich lebensbedrohliche Erkrankung vor“, Zulassungsbegründung S. 2). Die in ihrem ergänzenden Zulassungsantrag vom 21. Oktober 2020 nunmehr aufgestellte, nicht weiter substantiierte Behauptung, ein „niedriggradiges“ Astrozytom (Gehirntumor WHO Grad II; Arztbericht v. 15.9.2014) sei grundsätzlich nicht lebensbedrohlich, überzeugt nicht. Anhaltspunkte für diese Behauptung sind weder vorgetragen noch aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ersichtlich. Darüber hinaus erfolgte bereits am 15. September 2014 eine Tumorbiopsie und die molekulargenetische Aufarbeitung des Tumorgewebes, die „einen Wildtyp im IDH1- und IDH2-Gen mit tendenziell ungünstiger Prognose“ und Astrozytom WHO Grad III bestätigte (vgl. Arztbrief v. 15.10.2014). Die Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung zum Zeitpunkt der Heirat ergibt sich auch aus dem weiteren Krankheitsverlauf: Zunächst wurde bis November 2014 eine Strahlentherapie durchgeführt (vgl. Arztbrief v. 22.1.2015) und das in der Folge aufgetretene Tumorrezidiv im April 2015 mittels Chemotherapie behandelt (Arztbriefe v. 20.4./11.5.2015). Im Juli 2015 diagnostizierte der behandelnde Arzt eine stable disease (stabilen Zustand) bei „allenfalls minimaler Größenzunahme“ des Tumors, empfahl aber dennoch die Fortführung einer Monochemotherapie mit Temozolomid/Temodal, die wegen Unverträglichkeit patientenseitig abgelehnt wurde (Arztbriefe v. 23.7./19.10.2015).
Nach der Heirat (28.10.2015) zeigte sich der Tumor im Verlauf zunächst annähernd größenkonstant (Arztbrief v. 29.1.2016) bis im April 2016 ein MRtomographisch nachgewiesener Tumorprogress diagnostiziert wurde (Arztbrief v. 26.4.2016). Vom 19. bis 31. Mai 2016 erfolgte die stationäre Aufnahme des Ehemanns im Klinikum R. zur Radiochemotherapie. Die letzte von sieben Bestrahlungen wurde am 27. Mai 2016 abgeschlossen und eine Chemotherapie mit Avastin eingeleitet. Die Konsile der Pneumologie vom 24. und 30. Mai 2016 diagnostizierten im Wesentlichen eine mittelgradige Atemwegsrestriktion bei Zwerchfellhochstand. Vom 7. bis 17. Juni 2016 wurde der Ehemann erneut aufgrund einer respiratorischen Partialinsuffizienz bei schwerer Sepsis im Klinikum stationär aufgenommen. Zunächst erfolgte die Verlegung auf die RICU-Beatmungsstation sowie der Beginn einer Antibiotikum-Therapie. Nach Abschluss der intensivmedizinischen Komplexbehandlung konnte der Ehemann wieder auf pulmologische Normalstation verlegt werden. In deutlich beschwerdegebessertem und stabilem Allgemeinzustand wurde der Patient am 17. Juni 2016, nach Verabreichung des zweiten Zyklus‘ des Chemotherapeutikums Avastin, in die Kurzeitpflegeeinrichtung verlegt (Arztbriefe v. 27.5./13.6.2016). Dort habe der Ehemann nach Angabe der Klägerin am 26. Juni 2016 wieder Atemprobleme bekommen. Der behandelnde Internist Dr. H. verabreichte daraufhin dem Kläger mehrere Gaben Morphium, um ihm das Atmen zu erleichtern. Der Ehemann sei dann völlig unvermittelt innerhalb weniger Stunden am 27. Juni 2016 verstorben. Auf der Liquidation vom 7. Juli 2016 vermerkte Dr. H. unter anderem „27.06.2016 Pneumonie bds.“
1.2.1 Selbst wenn sich der Gesundheitszustand des Ehemanns kurz vor der Heirat stabilisiert haben sollte und die Eheleute in der Lage waren, eine 10-tägige Busreise an die Ostsee (11. bis 20.9.2015) zu unternehmen, konnten sie am Tag der Heirat (28.10.2015) ausweislich des dargestellten Krankheitsverlaufs nicht von einer vollständigen Gesundung und Überwindung der lebensbedrohlichen Erkrankung ausgehen. Vom 14. bis 22. Oktober 2015 befand sich der Ehemann noch in stationärer Behandlung, in der – wie dargestellt erneut eine Chemotherapie mit dem Medikament Temozolomid/Temodal empfohlen wurde (Arztbericht v. 19.10.2015). Der insoweit in der Zulassungsbegründung (v. 21.10.2020, S. 4) erfolgte Verweis auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (U.v. 9.10.2019 – L 2 R 3931/18 – juris Rn. 35), wonach eine Versorgungsehe widerlegt sei, wenn zum Zeitpunkt der Eheschließung keine Anhaltspunkte für das Fortschreiten der Krebserkrankung vorgelegen und sich auch eine Behandlungsbedürftigkeit nicht ergeben habe, geht daher bereits im Ansatz fehl.
1.2.2 Soweit die Klägerin meint, nicht die lebensbedrohliche Krebserkrankung, sondern eine nicht mit dieser in Zusammenhang stehende Pneumonie oder eine zu hohe Verabreichung von Morphium sei ursächlich für das unerwartete Versterben des Ehemanns gewesen, so dass die verwaltungsgerichtliche Annahme unzutreffend sei, der Ehemann sei „in … Folge“ der lebensbedrohlichen Erkrankung verstorben (UA Rn. 45), führt dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils.
Die Klägerin stellt zunächst selbst Spekulationen hinsichtlich der Todesursache an, wenn sie meint, der Ehemann könnte auch an einer zu hohen Verabreichung von Morphium verstorben sei. Schon dies genügt nicht den Darlegungsvoraussetzungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Dies kann aber dahinstehen, da der Ehemann unabhängig davon, ob sein Tod letztlich durch eine Pneumonie oder die Verabreichung von Morphium zur Linderung seiner Atembeschwerden verursacht wurde, jedenfalls nicht unvorhergesehen und ohne jeglichen Zusammenhang zur lebensbedrohlichen Erkrankung verstarb. Nach den ärztlichen Berichten klagte der Ehemann im Verlauf der erneut begonnenen Radiochemotherapie zunehmend über Atemnot. Zudem ist allgemein bekannt, dass bei Personen mit geschwächtem Immunsystem (aufgrund der Verabreichung von Chemotherapeutika) Lungenentzündungen grundsätzlich leichter ausgelöst werden können als bei gesunden Menschen. Schließlich stellte auch der den Ehemann zuletzt behandelnde Internist einen Zusammenhang zwischen der Krebserkrankung und der Pneumonie her (bestätigt durch Schr. d. Kl. v. 29.7.2016; Behördenakte S. 22). Eine im Zusammenhang mit der Behandlung der grundsätzlich lebensbedrohlichen Behandlung auftretende Todesursache stellt aber – wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellte – kein unerwartetes Versterben dar, welches die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegt (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2016 – 3 ZB 13.1644 – juris Rn. 8; B.v. 8.11.2011 – 3 ZB 08.627 – juris Rn. 8).
1.2.3 Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des Ersturteils ergeben sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht „besondere Umstände“, die die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen würden, als nicht nachgewiesen angesehen hat.
Das Verwaltungsgericht konnte anhand einer Gesamtbetrachtung der Beweggründe der Ehegatten nicht die volle Überzeugung davon gewinnen, dass sie bereits vor Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung einen konkreten Heiratsentschluss gefasst hatten und die Heirat aus „wirklichkeitsnahen Gründen“ nur aufgeschoben, der Heiratsentschluss aber nie aufgegeben worden ist. Die Klägerin hat selbst ausgeführt, dass sie und der Verstorbene seit ihrem Kennenlernen hätten heiraten wollen. Dies wurde nach dessen Scheidung wegen der Pflege ihrer Eltern und der Tatsache, dass diese den Verstorbenen abgelehnt hätten, nicht weiter vertiefend geplant. Man hat erst das Ende der Pflege abwarten wollen. Ein konkreter Entschluss zur Heirat wurde erst nach dem Tod der Mutter der Klägerin – zu einem Zeitpunkt, als beim Verstorbenen bereits das Astrozytom diagnostiziert worden war – gefasst. Auch die einvernommenen Zeugen führten einvernehmlich aus, dass zwar seit längerem ein unspezifischer Heiratswunsch bestanden habe, aber keine konkreten Pläne zur Heirat gefasst worden seien. Der Sohn der Klägerin gab an, er sei vom Verstorbenen zu zwei Terminen auf bestehende Hochzeitswünsche angesprochen worden. Konkrete Termine seien allerdings nicht zur Sprache gekommen. Ein weit in der Zukunft liegender und von einem ungewissen Ereignis abhängender Hochzeitstermin stellt keinen hinreichend ernsthaften und konkreten Heiratsentschluss dar.
Damit ist das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei zu der Ansicht gelangt, dass auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin geltend gemachten Hinderungsgründe für eine frühere Eheschließung (Ehescheidung, Unterhaltszahlungen, Pflege der Eltern, Erkrankung des Ehemanns, Erbauseinandersetzung mit Bruder) ein konkreter Entschluss, die Ehe zu schließen, erst nach der Kenntnis vom lebensbedrohlichen Charakter der Erkrankung des Ehemanns (Anfang September 2014; vgl. Arztbrief v. 15.9.2014) entstanden ist.
Zwar ist bei einer schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet worden ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt jedoch der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die zu einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung führen. Daher müssen hier besonders gewichtige innere und äußere Umstände vorliegen, die im Rahmen der Gesamtabwägung gegen eine Versorgungsehe sprechen. Derartige, hinreichend gewichtige gegen eine Versorgungsehe sprechende Umstände sind aber auch zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen.
Die Zulassungsbegründung vermag keine ernsthaften Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu begründen. Vielmehr führt darin die Klägerin selbst aus, dass sie und ihr Ehemann sich einig gewesen seien, „mit der Eheschließung zu warten, bis beide Eltern verstorben seien“ (S. 7). „Ein konkreter Entschluss zur Heirat sei erst nach dem Tod der Eltern [18.9.2014] gefasst worden“ (Sitzungsprotokoll S. 4, VG-Akte S. 229). Im März 2015 hätte sich die Klägerin sodann beim Standesamt „nach den Modalitäten einer Eheschließung erkundigt“ (S. 8). Erst nach der Erbauseinandersetzung zwischen der Klägerin und ihrem Bruder im Juni 2015 seien „endgültig alle Hürden genommen“ gewesen, so dass sie nun „die Heirat in Angriff“ genommen hätten. Heiratsabsichten können aber nur dann die Vermutung der Versorgungsehe nach § 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG widerlegen, wenn sie hinreichend ernsthaft und konkret sind. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschluss annehmen zu können (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2019 – 3 B 17.369 – juris Rn. 38; LSG BW, U.v. 16.10. 2012 – L 11 R 392/11 – juris Rn. 27; BayLSG, U.v. 20.2.2013 – L 1 R 304/11 – juris Rn. 41 jeweils zu § 46 Abs. 2a SGB VI).
Der konkrete Heiratsentschluss hätte vor Kenntniserlangung der lebensbedrohlichen Krebserkrankung (Anfang September 2014) gefasst sein müssen. Da die Eheschließung erst danach – hier frühestens nach dem Versterben der Mutter (18.9.2014) und wohl konkret erst nach der Erbauseinandersetzung (Juni 2015) als letzte „Hürde“ – „in Angriff“ genommen wurde, sind die genannten Umstände, die dazu geführt haben, dass die Eheschließung bis Oktober 2015 „hinausgezogen“ wurde, nicht geeignet, als „besondere Umstände“ die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Darauf, dass vage Heiratsabsichten aus „wirklichkeitsnahen“ Gründen aufgeschoben wurden, kommt es nicht entscheidungserheblich an.
Letztlich führt auch der Umstand, dass die Eheschließung nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der lebensbedrohlichen Erkrankung stattfand, nicht zur Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe. Auf den Zeitpunkt der Eheschließung als „besonderen Umstand“ (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21.14 – juris Rn. 25; vgl. UA Rn. 53) kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, da sich im Gegensatz zur zitierten Entscheidung im hiesigen Verfahren der Gesundheitszustand des verstorbenen Ehemanns sich zum Zeitpunkt der Eheschließung angesichts seiner stationären Behandlung bis wenige Tage vor der Heirat und der empfohlenen Chemotherapie nicht so gebessert hatte, dass die Möglichkeit einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft wieder zu erwarten stand.
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen, da solche nicht dargelegt werden.
Hierfür genügt nicht die pauschale Bezugnahme auf „die vorstehenden Ausführungen“ und die „mehrseitige Begründung zu diesem Zulassungsantrag“ (neun Seiten). Soweit insoweit auf die geltend gemachten (vermeintlichen) ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils rekurriert wurde, kann auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Die Anforderungen an die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe sind in der Rechtsprechung geklärt und werfen keine tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auf, die sich nicht in einem Zulassungsverfahren beantworten lassen. Auf die Anzahl der zur Materie getroffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung kommt es insoweit nicht an. Dies gilt auch hinsichtlich der zahlreichen medizinischen Stellungnahmen. Der Sachverhalt ist, soweit entscheidungserheblich, überschaubar und die vorliegenden medizinischen Atteste und ärztlichen Stellungnahmen lassen sich eindeutig bewerten (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2009 – 3 ZB 07.561 – juris Rn. 11). Auch der Versuch einer vergleichsweisen Beilegung des Rechtsstreits im erstinstanzlichen Verfahren vermag nicht besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache zu begründen, denn das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 278 Abs. 1 ZPO).
3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), da die Klägerin innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36) formuliert hat, sondern lediglich unterstellt, dass die Auslegung von Art. 35 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG in Bezug auf die konkrete verfahrensrechtliche Fallkonstellation im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts stehe. Die im Schriftsatz vom 21. Oktober 2020 erstmals aufgeworfene Frage, „ob der von der Berufungsklägerin vorgetragene lang gehegte Heiratswunsch als leitendes Motiv glaubhaft dargelegt und ausreichend sei, wenn zum Zeitpunkt der Eheschließung keine Anhaltspunkte für das Fortschreiten der Krebserkrankung vorgelegen und sich auch eine Behandlungsbedürftigkeit nicht ergeben habe“ stellt einen neuen selbständigen Sachvortrag dar und kann nach Ablauf der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2006 – 6 ZB 03.3369 – juris Rn. 19; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53). Unabhängig davon enthält die Frage keinen grundsätzlichen, einer allgemeinen Beantwortung zugänglichen Kern, da sie allein auf die konkrete Situation der Klägerin zugeschnitten ist. Darüber hinaus geht die Fragestellung von unzutreffenden Voraussetzungen aus, indem sie annimmt, zum Zeitpunkt der Eheschließung hätten keine Anhaltspunkte für das Fortschreiten der Krebserkrankung vorgelegen und sich auch eine Behandlungsbedürftigkeit nicht ergeben (s.o. unter 1.2.2).
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 sowie § 42 Abs. 1 und 3 GKG. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG ist der Streitwert bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Daraus ergibt sich hier ein Betrag von 41.231,52 Euro (36 x 1.145,32 Euro; vgl. VG-Akte S. 109 abzgl. mtl. Rente der Klägerin in Höhe von 800 Euro; Art. 38 Satz 2 BayBeamtVG). Hinzu kommen gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG die bei der Einreichung der Klage (17.1.2017) fälligen Beträge in Höhe von 8.017,14 Euro (7 x 1.145,32 Euro). In der Summe ergibt sich der festgesetzte Betrag. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
6. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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