Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung kurdischer Aleviten in der Türkei

Aktenzeichen  M 1 S 20.30514

Datum:
12.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14010
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 3c Nr. 3, § 30 Abs. 2, § 36 Abs. 1, Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Von einer Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei ist nicht auszugehen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine konkrete Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der Aleviten besteht in der Türkei nicht. (Rn. 22 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und die damit verbundene Abschiebungsanordnung.
Der Antragsteller, geboren am … … … in K* …Türkei, ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubens.
Er reiste nach eigenen Angaben zwischen dem 27. und dem 29. April 2018 auf dem Landweg aus der Türkei aus und über Bulgarien sowie weitere Staaten am 30. April 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aus der Strafhaft heraus stellte der Antragsteller am 23. Juli 2019 einen Asylantrag.
In der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21. Januar 2020 trug der Antragsteller vor, er habe bis zum 5. Klasse die Schule besucht. Er habe als Wasser- und Heizungsinstallateur gearbeitet, allerdings ohne förmliche Ausbildung. Wehrdienst habe er abgeleistet. Seine wirtschaftliche Lage in der Türkei sei schlecht gewesen. Er sei kurdischer Alevit. Mit dem Staat habe er keine Probleme gehabt, aber die Sunniten würden die Aleviten nicht mögen. Jeden Tag machten sie etwas anderes mit den Aleviten und täten ihnen weh, sodass diese in Angst lebten. Die Kurden und die Aleviten seien Bürger zweiter Klasse. Sobald bekannt werde, dass der Antragsteller kurdischer Alevit sei, werde ein Kündigungsgrund gesucht. Daher sei er nie länger als zwei Monate bei einer Arbeitsstelle gewesen. Dies sei zum letzten Mal ungefähr ein Jahr vor seiner Ausreise geschehen. Die Sunniten fragten, warum die Aleviten freitags nicht beteten, und ein paar Aleviten seien deswegen entlassen worden. Auf die Frage, warum er sich nicht gemäß der erlaubten Praxis der taqiyya verstellt habe und sich als Sunnit ausgegeben habe, gab der Antragsteller an, dass er auch wegen seiner Zugehörigkeit zum Volke der Kurden diskriminiert werde. Er kenne trotz seiner großen Familie keinen Aleviten, bei dem er hätte arbeiten können. Er und seine Familie arbeiteten nur ein paar Monate im Sommer auf Baustellen. Ferner sei in das Cernevi eingebrochen worden. Die Aleviten hätten allgemein Angst, aus dem Haus zu gehen. Wenn er zurückkehren müsse, würde er sich umbringen. Er habe daher Angst um seine Frau und um sein Kind, weil er sich um sie nicht kümmern könne. Er habe erst über ein Jahr nach seiner Einreise in Deutschland einen Asylantrag gestellt, weil er anfangs arbeiten wollte, um Schulden wegen des Schleusers zu begleichen.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 31. Januar 2020 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheids) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2 des Bescheids) sowie den Antrag auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz (Ziffer 3 des Bescheids) jeweils als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheids). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in die Türkei oder in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziffer 5 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheids). Der Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung:wurde per Einschreiben am 5. Februar 2020 zur Post gegeben (S. 135 der Behördenakte).
Nach Mitteilung der Antragsgegnerin vom 21. Februar 2020 wurde Ziffer 5 des Bescheids insoweit geändert, als der Antragsteller aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.
Zur Begründung des Bescheids führte das Bundesamt aus, dass der Antragsteller als einzigen Asylgrund vorgetragen habe, er werde in der Türkei als kurdischer Alevit verfolgt. Von einer Verfolgung der Kurden im Grundsatz noch des Antragstellers im Besonderen sei nicht auszugehen. Die alevitische Glaubensgemeinschaft sei in der Türkei zwar nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Die Aleviten könnten sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum ihren Glauben ausüben und seien in dieser Hinsicht keinen Eingriffen von Seiten der Behörden ausgesetzt. Die Arbeitgeber, auf die der Antragsteller verweise, stellten überdies keine tauglichen Verfolgungsakteure dar. Ein Recht auf Arbeit sei von Schutzbereich der EMRK nicht umfasst. Ferner habe seine Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Angesichts der typischen Ausprägung der Arbeitsverhältnisse des Antragstellers als Bauhandwerker sei davon auszugehen, dass die Arbeitsverhältnisse wetterbedingt endeten oder befristet gewesen seien und er die Religion aus asyltaktischen Gründen als Kündigungsgrund vorschiebe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass es nicht möglich gewesen sein soll, einen alevitischen Arbeitgeber unter den zwölf bis fünfzehn Millionen Aleviten zu finden, zumal der Antragsteller bei der Befragung stets dahin ausgewichen sei, dass er außer seinen Familienangehörigen niemanden kenne. Es sei davon auszugehen, dass sich der Antragsteller nur aus wirtschaftlichen Gründen im Bundesgebiet aufhalte, so sei sein Antrag gemäß § 30 Abs. 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Ihm ginge es offensichtlich nicht um den Schutz vor Verfolgung, sondern darum, in Europa eine Arbeit zu finden und wie bisher seine Familie zu unterstützen. Bei Rückkehr befürchte er nach eigenen Angaben nicht etwa Verfolgung, sondern Arbeitslosigkeit. Ein Asylantrag habe er erst knapp eineinhalb Jahre nach Einreise gestellt, offensichtlich allein unter dem Eindruck eines laufenden Verfahren in Untersuchungshaft.
Gegen vorgenannten Bescheid hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten am *. Februar 2020 Klage (M 1 K 20.30409) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben. Am … Februar 2020 ist ein Antrag auf vorläufigen Rechtschutz gestellt worden, mit dem beantragt wird:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom *. Februar 2020 gegen den Bescheid der Beklagten vom 31.01.2020, Gesch.Z: … wird angeordnet.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Glaubensgemeinschaft der Aleviten habe in der Türkei keinen eigenen Rechtsstatus, sondern könnten sich nur als Vereine oder Stiftungen organisieren. Forderungen nach Anerkennung und Gleichstellung der Cem-Häuser auch im Hinblick auf staatliche Unterstützung analog zu Sunniten und nach Einführung einer Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen Religionsunterricht seien bislang nicht erfüllt. Ausgehend hiervon seien Maßnahmen des türkischen Staats, die eine asylerhebliche Intensität erreichten, zu befürchten. Nach dem Vortrag des Antragstellers bei seiner Anhörung, auf die Bezug genommen werde, werde er durch den Staat selbst und die Gesellschaft, geduldet durch den Staat, diskriminiert. Ferner drohe dem Antragsteller ernsthafter Schaden, weil er davon ausgehe, dass seine Familie hungern müsse und wie bisher auch Erniedrigungen und Beleidigungen ausgesetzt werde.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakte vorgelegt und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen den weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses und des Verfahrens M 1 K 20.30409 sowie den Inhalt der Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, verstanden dahingehend, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Januar 2020 anzuordnen, hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Er ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, weil die Klage gegen die Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat. Er ist auch fristgerecht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) erhoben worden. Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Bekanntgabe ist auf den 8. Februar 2020 abzustellen, weil nach Aufgabe des Bescheids als Einschreiben am 5. Februar 2020 dieser am dritten Tag als zugestellt gilt und der Bevollmächtigte diesen auch nicht später (sondern laut dem aufgebrachten Eingangsstempel am 7. Februar 2020) erhalten hatte, vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG. Der Stellung des Antrags am 14. Februar 2020 erfolgte innerhalb der Wochenfrist und damit fristgerecht.
2. Der Antrag ist unbegründet.
Nach Art. 16a Abs. 4 GG und § 36 Abs. 4 AsylG ist die Aussetzung der Abschiebung anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG und § 36 Abs. 1 i.V.m. § 30 AsylG. Das Gericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Abschiebungsandrohung zu prüfen. Das Gericht hat hier auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen; die diesbezügliche Prüfung ist durch die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG jedoch geboten.
Ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes liegen nicht vor.
Das Gericht nimmt auf die Ausführungen im Bescheid Bezug, folgt der Bescheidsbegründung und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen:
a) Von einer Gruppenverfolgung der Kurden i. S. v. § 3 Abs. 4, § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG in der Türkei ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, nicht auszugehen (BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6; SächsOVG, B.v. 9.4.2019 – 3 A 358/19 Rn. 13). Diese Einschätzung wird auch durch den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 14. Juni 2019 – im Folgenden: Lagebericht – S. 12 f.) bestätigt.
b) Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen der Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der Aleviten in der Türkei besteht ebenfalls nicht.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten mit schätzungsweise 15 bis 20 Millionen (Lagebericht S. 14)
oder nach anderer Schätzung mit gar 20 bis 25 Millionen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation/Türkei vom 29.11.2019, aktualisiert am 8.4.2020 – im Folgenden: BFA, Länderinformationsblatt – S. 63) Menschen nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in der Türkei. Sie werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt, sondern bei Volkszählungen den Muslimen hinzugezählt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Das Alevitentum wird offiziell nur als kulturelles Phänomen, nicht aber als religiöses Bekenntnis anerkannt. Seit einem Parlamentsbeschluss im Februar 2015 und einem Urteil des Obersten Gerichtshofs vom November 2018 sind die alevitischen Gebetsstätten Cem Evi („Cem-Haus“) mit Glaubensstätten anderer Religionen, beispielsweise mit Moscheen gleichzustellen. Doch trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser als religiöse Stätten an. Wie der Bevollmächtigte des Antragstellers zutreffend ausführt, wurden die Hauptforderungen der Aleviten nach Anerkennung und Gleichstellung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, nach Abschaffung der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde („Diyanet“), nach Einführung einer Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen Unterrichtsfach „Religions- und Gewissenskunde“ sowie nach Beendigung der Sunnitisierungspolitik bislang nicht erfüllt. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde lediglich ausgeweitet (vgl. Lagebericht, S. 14 f.). Das Thema Alevtiten und Anerkennung ihrer Rechte, nach Reformen und Gleichstellung ihres Status verschwand seit dem Putschversuch 2016 gänzlich aus der öffentlichen Auseinandersetzung (BFA, Länderinformationsblatt, S. 64). Die türkische Regierung hat den Aktionsplan, der 2016 dem Ministerkomitee des Europarates vorgelegt wurde und sich auf Entscheidungen des EGMR über Cem-Häuser und obligatorischen Religionsunterricht bezieht, nicht umgesetzt. Andererseits berichtet der Vertreter des Europarates in Ankara von ersten Schritten zur Umsetzung eines Urteils des EGMR aus dem Jahr 2016 hinsichtlich der Verletzung der Religionsfreiheit und des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot (BFA, Länderinformationsblatt, S. 64). Sachbeschädigungen z.B. durch Beschmieren alevitischer Häuser werden von alevitischer Seite immer wieder beklagt, und im November 2017 kam es zum Übergriff eines Mobs auf ein Cem-Haus in Istanbul. Nach dem Putschversuch wurden Tausende festgenommen oder verloren ihre Arbeit und verdächtigt, mit den Putschisten sympathisiert zu haben. Bis heute ist dies vor allem in Dersim (Tunceli) im alevitischen Kernland spürbar. Im März 2018 wurden Mitglieder der alevitischen Pir Sultan Abdal Kulturvereinigung wegen Unterstützung einer terroristischen Aktion festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt (BFA, Länderinformationsblatt, S. 64).
Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die individuelle Religionsfreiheit jedoch weitgehend gewährleistet ist (vgl. Lagebericht, S. 13, BFA Länderinformationsblatt S. 61). Die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Dichte und Schwere von Verfolgungsmaßnahmen ist in keiner Weise ersichtlich. Maßnahmen des türkischen Staates, die eine asylerhebliche Intensität erreichen würden, sind nicht zu befürchten (vgl. VG Augsburg, U.v. 22.8.2019 – Au 6 K 19.30949 – juris Rn. 45 ff., v. 4.9.2018 – Au 6 K 18.30664 – juris Rn. 43 ff.; VG Aachen, B.v. 21.1.2020 – 6 L 1332/19.A – juris Rn. 51 ff.; VG Köln, U.v. 12.2.2020 – 22 K 12609/17.A – juris Rn. 62).
c) Auch aus den Angaben des Antragstellers, ihm seien nach Bekanntwerden seiner alevitischen Glaubenszugehörigkeit bzw. seiner kurdischen Volkszugehörigkeit Schwierigkeiten erwachsen, und er habe dadurch einige Male seinen Arbeitsplatz verloren, lässt keine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung erkennen. Art. 3 EMRK erfasst nur Misshandlungen von einem Mindestmaß an Schwere. Ob ein solches Mindestmaß gegeben ist, hängt von den gesamten Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Wirkungen sowie von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (vgl. EGMR, E.v. 7.7.2011 – 20999.05 – juris). Eine konkrete Verfolgung aufgrund seines alevitischen Glaubens mit entsprechender Schwere ist dem Vortrag nicht zu entnehmen, zumal sich, wie im Bescheid zutreffend darauf verwiesen wird, in der Türkei auch zahlreiche Arbeitgeber alevitischen Glaubens befinden. Ferner ist es zutreffend, dass die Arbeitgeber keine Akteure im Sinne des § 3c Nr. 1 oder Nr. 2 AsylG sind; es ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen von § 3c Nr. 3 AsylG vorliegen.
d) Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg vortragen, dass ihm und seiner Familie nach seiner Rückkehr Hunger drohe.
Zum einen bestehen nach Ansicht des Gerichtes durchaus Arbeitsmöglichkeiten für den jungen und arbeitsfähigen Antragsteller, der zudem auch fachliche Erfahrungen in der Bauwirtschaft vorweisen kann, gegebenenfalls bei alevitischen Arbeitgebern und verbunden mit einem Ortswechsel. Es ist also von bestehenden Möglichkeiten auszugehen, die die Existenz des Antragstellers und seiner Familie sichern.
Darüber hinaus gibt es in der Türkei zwar keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden aber über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt und von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besonderen Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (vgl. zu Vorstehendem: Lagebericht, S. 25). Unter bestimmten Voraussetzungen wird auch Arbeitslosenunterstützung gewährt (BFA, Länderinformationsblatt, S. 89).
e) Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auf der Grundlage von § 30 Abs. 2 AsylG unter der Annahme, dass der Antragsteller nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen ist, erweist sich ebenfalls als voraussichtlich rechtmäßig. Auch insoweit folgt das Gericht der Begründung im Bescheid (S. 6) und sieht von einer eigenen Darstellung ab.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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