Verwaltungsrecht

(Keine) Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Medizinstudiums bei Zweifeln, ob erfolgreicher Abschluss in angemessener Zeit noch zu erreichen ist

Aktenzeichen  10 CS 18.2271

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35627
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 16 Abs. 2 S. 4
VwGO § 146

 

Leitsatz

Der angemessene Zeitraum im Sinne des § 16 Abs. 2 S. 4 AufenthG bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck und den persönlichen Umständen sowie dem Bemühen des Ausländers, das Ziel seines Aufenthalts in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen. Anhaltspunkte für die zu treffende Prognoseentscheidung sind unter anderem die üblichen Studien- und Aufenthaltszeiten und das bisherige Studienverhalten des Ausländers, vor allem bisher erbrachte Zwischenprüfungen und Leistungsnachweise (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH BeckRS 2018, 19967). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 S 18.1687 2018-10-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine 31-jährige iranische Staatsangehörige, verfolgt mit ihrer Beschwerde den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. März 2018 gerichteten Klage (M 4 K 18.1686) weiter. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums abgelehnt und ihr unter Bestimmung einer Ausreisefrist die Abschiebung in den Iran angedroht.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss vom 12. Oktober 2018 abgelehnt. Die Klage der Antragstellerin werde voraussichtlich erfolglos bleiben, weil sich der Ablehnungsbescheid vom 7. März 2018 bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweise und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze. Damit überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausreisepflicht das persönliche Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Ein Anspruch auf die beantragte weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums bestehe nicht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 16 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht vorlägen. Angesichts des bisherigen Studienverlaufs und der langwierigen Erkrankung der Antragstellerin sei nicht mit einem Abschluss des Studiums innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu rechnen. Bei einer durchschnittlichen Studiendauer für das gesamte Medizinstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München von 14 bis 15 Semestern befinde sie sich bereits im 21. Semester, ohne bisher den ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung angetreten, geschweige denn bestanden zu haben. Ausweislich der letzten Stellungnahme des Studiendekans könne die Antragstellerin zum ersten Teil der ärztlichen Prüfung (Physikum) unter der Voraussetzung, dass alle drei noch ausstehenden Prüfungen bestanden werden, frühestens im Frühjahr 2019 antreten. Für den sich daran anschließenden zweiten Studienabschnitt Medizin werde nach Auskunft des Studiendekans eine Mindeststudienzeit von vier Jahren und drei Monaten angesetzt. Damit könnte bei der Antragstellerin frühestens im Sommer 2023, also erst in mehr als viereinhalb Jahren, mit einem Abschluss des Studiums gerechnet werden. Dies sei unter Berücksichtigung des bislang erreichten Ausbildungsstands nicht mehr angemessen.
Zur Begründung ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, berücksichtige man ihre Erkrankungszeiten, befinde sie sich faktisch erst im fünften Semester; sie habe sich wegen ihrer ärztlich belegten diversen Erkrankungen nicht beurlauben lassen. Auf der Basis der so zu korrigierenden Semesteranzahl und der bis zu einem möglichen Abschluss noch verbleibenden viereinhalb Jahre sei durchaus von einem Studienabschluss in einem angemessenen Zeitraum im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 4 AufenthG auszugehen. Im Übrigen seien verschiedene Erkrankungen (Magengeschwür, Blutarmut) inzwischen geheilt und sie werde auch wegen ihrer Depression behandelt, was zu einer erheblichen Leistungssteigerung geführt habe. Dass sie von der angefochtenen ablehnenden Entscheidung hart getroffen worden sei und dies ihr erschwert habe, sich auf die Prüfungen zu konzentrieren, sei eine natürliche Reaktion und lasse keinen Schluss darauf zu, dass sie das Studium nicht in absehbarer Zeit abschließen könne. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Juni 2018 (Rs. C-181/16 – Gnandi) folge ein Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz, der ihr durch die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts verweigert worden sei.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 16. November 2018 ließ die Antragstellerin ein fachärztliches Attest vom 15. November 2018 über ihre schwere psychiatrische Erkrankung und bisherige Behandlung vorlegen, das „durch den jetzigen Ausreisedruck“ eine massive Verschlechterung ihres psychischen Befindens, eine drohende suizidale Zuspitzung sowie Reiseunfähigkeit attestiert. Demnach dürften bei ihr keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingeleitet werden.
Die Antragsgegnerin ist der Beschwerde unter Bezugnahme auf die zutreffende Bewertung des Verwaltungsgerichts entgegengetreten. Bis zur Verifizierung des zuletzt vorgelegten ärztlichen Attests werde bei der Antragstellerin von Vollzugsmaßnahmen abgesehen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
1. Soweit die Antragstellerin meint, aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Gnandi“ (U.v. 19.6.2018 – C-181/16) einen Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz dergestalt ableiten zu können, dass ihrer Klage eine gesetzlich bestimmte aufschiebende Wirkung zukommen müsse und es nicht ausreiche, wenn die aufschiebende Wirkung erst in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren hergestellt werden müsse, was das Verwaltungsgericht zudem abgelehnt habe, verkennt sie die Bedeutung dieser Entscheidung. Denn diese befasst sich mit der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, den Anforderungen der Richtlinie 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie) bezüglich der Rückkehrentscheidung und den sich insbesondere aus dem Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulementverbot) ergebenden Anforderungen an einen wirksamen Rechtsbehelf bei Personen, die internationalen Schutz beantragt haben. Eine solche Konstellation liegt im Fall der Antragstellerin aber nicht vor.
Wirksamer Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG (s. auch Art. 47 Abs. 1 GRC) wird in ihrem Fall durch die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 80 Abs. 5 VwGO) vorzunehmende Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage gewährleistet.
2. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO durchgeführten Interessenabwägung zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage der Antragstellerin, die Antragsgegnerin zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Fortsetzung des Medizinstudiums zu verpflichten, aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Denn die Voraussetzung, dass der Abschluss des Studiums in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann (§ 16 Abs. 2 Satz 4 AufenthG), liegt auch unter Berücksichtigung ihres Beschwerdevorbringens nicht vor.
Der angemessene Zeitraum im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 4 AufenthG bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck und den persönlichen Umständen sowie dem Bemühen des Ausländers, das Ziel seines Aufenthalts in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen. Anhaltspunkte für die zu treffende Prognoseentscheidung sind unter anderem die üblichen Studien- und Aufenthaltszeiten und das bisherige Studienverhalten des Ausländers, vor allem bisher erbrachte Zwischenprüfungen und Leistungsnachweise (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 CS 18.789 – juris Rn. 10 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat bei der erforderlichen Prognose auch nicht verkannt, dass selbst eine erhebliche Überschreitung der durchschnittlichen Studienzeit nicht notwendigerweise eine Verfehlung der Zielsetzung der Aufenthaltsgewährung bedeutet und persönliche Belange des Ausländers wie insbesondere krankheitsbedingte Verzögerungen des Abschlusses des Studiums in die dabei anzustellenden Erwägungen mit einzubeziehen sind (vgl. Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.11.2018, § 16 Rn. 32 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung dieser Grundsätze in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass aufgrund des von der Antragstellerin im Verfahren geltend gemachten Gesundheitszustands eine positive Prognose im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht getroffen werden kann. Der Einwand der Antragstellerin, verschiedene Erkrankungen (Magengeschwür, Blutarmut) seien inzwischen geheilt, sie werde auch wegen ihrer Depression behandelt, was im Verhältnis zu den bisherigen Studienleistungen zu einer erheblichen Leistungssteigerung geführt habe, wird durch das von ihr zuletzt vorgelegte fachärztliche Attest vom 15. November 2018 jedenfalls in ganz erheblicher Weise relativiert bzw. sogar widerlegt. Denn dort wird fachärztlich festgestellt, „dass durch den jetzigen Ausreisedruck das psychische Befinden … sich massiv verschlechtert und aufgrund der Vorgeschichte jederzeit mit einer suizidalen Zuspitzung gerechnet werden muss“ und dass die Antragstellerin „nicht reisefähig und eine Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen nicht durchführbar“ ist. Denn diese Feststellungen legen nahe, dass die Klägerin ihre schwere psychiatrische Erkrankung trotz der erfolgten Behandlung weder überwunden noch zumindest so stabilisiert hat, um einen erfolgreichen Abschlusses ihres Medizinstudiums prognostizieren zu können. So wird in dem Attest weiter ausgeführt, dass sich die Antragstellerin im letzten Jahr durch die Ausweisungsdrohung derart unter Druck gesetzt gefühlt habe, dass sie sich letztlich überhaupt nicht mehr auf das Studium konzentrieren habe können, sich die Gesamtsymptomatik noch verschlechtert habe und ihr psychisches System völlig zusammengebrochen sei. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind auch diese Umstände bei der gebotenen Prognose mit heranzuziehen. Durchgreifende Zweifel, einen erfolgreichen Abschluss des Studiums in angemessener Zeit noch zu erreichen, sind im Übrigen auch im Hinblick darauf angebracht, dass im Attest neben „intensiven Verhandlungen mit der Universität um eine Fortsetzung des Studiums erlaubt zu bekommen“ auch erwähnt wird, dass die Antragstellerin „wichtige Schritte unternommen“ hat, „um einen Beruf zu erlernen, eine Lehrstelle zu bekommen“.
Nach alledem ist es auch zur Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt, einen Abschluss des Medizinstudiums innerhalb absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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