Verwaltungsrecht

Klärungsbedarf zum Grundsatz der Familieneinheit

Aktenzeichen  13a ZB 17.30291

Datum:
16.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6978
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan können für eine Familie mit minderjährigen Kindern eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründet. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist in einem Berufungsverfahren zu klären, ob ein Familienvater, dessen Asylverfahren von dem seiner Familie getrennt und dessen Familie ein Bleiberecht zugesprochen wurde, als Einzelperson zu betrachten ist.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 16.32008 2017-01-23 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Die Berufung wird hinsichtlich des Begehrens nach Feststellung eines national begründeten Abschiebungsverbots zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Januar 2017 ist in dem beantragten Umfang zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 AsylG gegeben sind.
Der Kläger beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG und wirft die Frage auf, „ob ein Familienvater, sofern sein Asylverfahren vom Asylverfahren der Familie getrennt wurde und der Familie ein Bleiberecht zuerkannt wurde, als Einzelperson zu betrachten ist“. Er bezieht sich auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – InfAuslR 2015, 212), wonach die in Afghanistan derzeit herrschenden humanitären Bedingungen bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen eine Gefahrenlage darstellten, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führe. Seine Situation wäre mit der dort zugrundeliegenden Konstellation gleichzusetzen. Ob damit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder eine Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG gerügt werden soll, kann offen bleiben, da der Zulassungsgrund der Divergenz als ein Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung anzusehen ist (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124 Rn. 12 m.w.N.).
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Eine Divergenz liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328; Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 132 Rn. 35). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Das Verwaltungsgericht hat entschieden (UA S. 9 f.), es sei davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan sein Existenzminimum sichern könne. Da die übrigen Familienangehörigen des Klägers über ein Bleiberecht verfügten, sei nicht von einer Rückkehr im Familienverbund auszugehen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – InfAuslR 2015, 212) können schlechte humanitäre Bedingungen eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Dies ist bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen der Fall, so dass für sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht. Mit rechtskräftigem Urteil vom 23. März 2017 (Az. 13a B 17.30030 – AuAS 2017, 175) hat der Verwaltungsgerichtshof dies bestätigt. Gemessen hieran ergibt sich für den Fall, dass den Familienangehörigen ein Bleiberecht zuerkannt worden ist, die grundsätzlich bedeutsame Frage, ob der Betroffene als Einzelperson zu betrachten oder von einer Familie mit minderjährigen Kindern auszugehen ist. Soweit letzteres bejaht wird, weicht das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung von der oben genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab. Das angefochtene Urteil beruht auch auf dieser Abweichung.
Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.


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